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Bundesarbeitsgericht

Entscheidung vom 27.07.2010, Az.: 3 AZR 317/08

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 21. Februar 2008 - 7 Sa 659/07 - teilweise aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 21. März 2007 - 1 Ca 27/07 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - teilweise abgeändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.503,05 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Dezember 2006 zu zahlen.

2. Die weitergehende Revision des Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten der ersten Instanz und des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 70 % und der Beklagte 30 % zu tragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Klägerin zu 8 % und der Beklagte zu 92 % zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten noch darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auf der Basis einer regelmäßigen Arbeitszeit von 25 Stunden/Woche für den Zeitraum vom 1. November 2005 bis zum 7. November 2006 die Differenz zwischen ihrem aufgrund eines 'Anlernvertrages' bezogenen Entgelt und dem Mindestentgelt nach dem 'Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestlohnes für gewerbliche Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk' (hiernach: TV Mindestlohn) zu zahlen.

Die Klägerin ist 1984 geboren. Sie war zunächst vom 1. März bis zum 31. August 2005 bei dem beklagten Malermeister tätig. Grundlage war ein 'Vertrag über eine Einstiegsqualifizierung zum Ausbildungsberuf Malerin und Lackiererin'. Ziel des Vertrages war 'die Vermittlung von Grundkenntnissen und -fertigkeiten, die für den Einstieg in eine Berufsausbildung förderlich sind'.

Anschließend bot der Beklagte der Klägerin den Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages an. Das lehnte die Klägerin ab, weil sie nicht zur Berufsschule gehen wollte. Die Parteien schlossen stattdessen für die Zeit vom 1. September 2005 bis zum 31. August 2007 einen 'Anlernvertrag für die Vermittlung von Grundkenntnissen und Fertigkeiten im Beruf: Maler- und Lackiererin - Gestaltung und Instandhaltung' (hiernach: Anlernvertrag). Der Vertrag lautet auszugsweise:

'...

§ 2 - Tätigkeit

Ziel des Vertrags ist die Vermittlung von Grundkenntnissen und Fertigkeiten in Anstricharbeiten innen und außen, Tapezieren, Objektlackierungen, Wärmedämmarbeiten, Gerüstaufbau, Bodenbelagsarbeiten, Trockenbau und Putzarbeiten.

Der Einstieg beginnt am 01.09.05 und endet am 31.08.07.

...

§ 3 - Die Obliegenheiten der Anzulernenden

Die Anzulernende hat ihre ganze Arbeitskraft dem Unternehmen gewissenhaft zu widmen:

1.

die Anzulernende muss sich bemühen, die Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben, die erforderlich sind, um den Malerberuf ausüben zu können;

2.

sie verpflichtet sich zu lernen und die aufgetragenen Arbeiten sorgfältig auszuführen;

3.

den Weisungen zu folgen, die ihr im Rahmen des Anlernens erteilt werden;

...

§ 4 - Die Obliegenheiten des Arbeitgeber

1.

dafür sorgen, dass die Anzulernende die Fertigkeiten und Kenntnisse erhält, die zum Erreichen des Anlernzieles erforderlich sind;

2.

die Anlernzeit in einer durch ihren Zweck gebotenen Form planmäßig und sachlich gegliedert so durchzuführen, so dass das Ziel erreicht wird;

...

5.

der Anzulernenden Verrichtungen zu übertragen, die dem Anlernungszweck dienen und ihren körperlichen Kräften angemessen sind;

...

§ 5 - Vergütung und Arbeitszeit

Die Anzulernende erhält eine monatliche Vergütung von 550,00 EUR brutto. ...

§ 6 - Krankheit

In Krankheitsfällen wird das Entgelt nur bis zur Dauer von sechs Wochen weitergezahlt. ...

§ 9 - Verschiedenes

...

Sollte eine der Bestimmungen dieses Vertrages ganz oder teilweise rechts unwirksam sein oder werden, so wird die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen dadurch nicht berührt. In einem solchen Fall ist der Vertrag vielmehr seinem Sinne gemäß zur Durchführung zu bringen. Beruht die Ungültigkeit auf einer Leistungs- oder Zeitbestimmung, so tritt an ihre Stelle das gesetzlich zulässige Maß.

...'

Die Klägerin war vom 16. Oktober bis zum 13. November 2006 arbeitsunfähig erkrankt. Am 7. November 2006 kündigte sie das Vertragsverhältnis fristlos. Mit Anwaltsschreiben vom 10. Dezember 2006 forderte sie den Beklagten zunächst zur Erteilung eines Zeugnisses sowie zur Herausgabe der Arbeitspapiere auf. Mit weiterem Anwaltsschreiben vom 20. Dezember 2006 machte sie - unter Fristsetzung bis zum 28. Dezember 2006 - für den Zeitraum vom 1. September 2005 bis einschließlich 7. November 2006 auf der Basis des TV Mindestlohn Entgeltdifferenzansprüche geltend.

Diese Ansprüche hat sie mit der vorliegenden Klage weiter verfolgt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anlernvertrag sei nichtig. Eine Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf außerhalb eines ordentlichen Berufsausbildungsverhältnisses sei nicht erlaubt. Der nichtige Anlernvertrag könne nicht in ein Ausbildungsverhältnis umgedeutet werden. Vielmehr liege ein Arbeitsverhältnis vor; zumindest fänden die Grundsätze des faktischen Arbeitsverhältnisses Anwendung.

Der Beklagte schulde ihr deshalb für die geleisteten Tätigkeiten eine Vergütung nach den einschlägigen Mindesttarifsätzen für Hilfsarbeiter. Die Klägerin sei tatsächlich wie eine ungelernte Arbeitnehmerin beschäftigt worden und habe die Arbeiten eigenständig durchgeführt. Nur einige Tätigkeiten seien ihr ein- oder zweimal von den Gesellen gezeigt worden. Für die meisten Verrichtungen sei keine Unterweisung erforderlich gewesen, zumal ihr die Grundlagen verschiedener Arbeiten bereits während der Einstiegsqualifizierung vermittelt worden seien.

Soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, hat die Klägerin die Differenz geltend gemacht zwischen der gezahlten monatlichen Vergütung von 550,00 Euro und einer monatlichen Vergütung von 850,42 Euro (25 Wochenstunden x 7,85 Euro Stundenlohn gemäß TV Mindestlohn x 13 : 3), also 300,42 Euro pro Kalendermonat für November 2005 bis Oktober 2006, sowie für November 2006 198,43 Euro (850,42 Euro : 30 x 7), insgesamt also 3.803,47 Euro.

Die Klägerin hat insoweit zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 3.803,47 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Dezember 2006 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, der Anlernvertrag sei als anderes Vertragsverhältnis iSd. § 26 BBiG wirksam vereinbart. Dadurch wäre es der Klägerin nach Sammlung weiterer Berufserfahrung möglich geworden, eine Zulassung zur Abschlussprüfung über die Ausnahmeregelung des § 45 Abs. 2 BBiG zu erreichen. Die Klägerin habe nach einem strukturierten Ausbildungsplan dieselben Tätigkeiten verrichtet wie eine Auszubildende. Alle Tätigkeiten seien unter ständiger Anleitung und Kontrolle solange geübt worden, bis sie 'gesessen' hätten. Selbständig und ohne Beaufsichtigung habe die Klägerin nur gearbeitet, wenn dies nach dem jeweiligen Ausbildungsstand möglich und zu verantworten gewesen sei.

Selbst wenn man annähme, der Anlernvertrag sei unwirksam, stünde der Klägerin nicht die Vergütung nach dem TV Mindestlohn, sondern lediglich die übliche Ausbildungsvergütung, die dahinter zurückbleibe, zu. Das folge auch daraus, dass es sich bei der Klägerin um eine jugendliche Arbeitnehmerin iSd. TV Mindestlohn gehandelt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage, einschließlich weitergehender Ansprüche, abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht ihr hinsichtlich der in die Revisionsinstanz gelangten Ansprüche stattgegeben. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte auch insoweit das Ziel der Klageabweisung. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Sie führt jedoch nur hinsichtlich der geltend gemachten Vergütung für den Monat November 2005 zum Erfolg. Insoweit sind die Ansprüche der Klägerin verfallen. Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 7. November 2006 Anspruch auf Vergütung nach dem TV Mindestlohn. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage insoweit zu Recht stattgegeben.

I. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Revision zulässig. Weder hat der Beklagte einen Rechtsmittelverzicht erklärt noch steht der Revision ein Anerkenntnis der Klageforderung entgegen.

1. Der Beklagte hat nicht auf die Revision verzichtet.

a) Eine Partei kann wirksam auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichten. Ein Verzicht bedarf keiner besonderen Form und ist auf Einrede des Rechtsmittelgegners zu berücksichtigen. Er führt zur Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig. Entsprechende Erklärungen können auch durch das Revisionsgericht ausgelegt werden. Ein Rechtsmittelverzicht liegt nur in Ausnahmefällen vor. Wegen der Unwiderruflichkeit und Unanfechtbarkeit einer solchen Erklärung gelten strenge Anforderungen. Ein Rechtsmittelverzicht ist nur anzunehmen, wenn in der Erklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck gebracht wird, das Urteil endgültig hinzunehmen und es nicht anfechten zu wollen (vgl. BAG 16. März 2004 - 9 AZR 323/03 - zu A I 1 der Gründe mwN, BAGE 110, 45).

b) Ein solcher eindeutiger Wille, das Urteil endgültig hinzunehmen, ist dem Verhalten des Beklagten nicht zu entnehmen.

Der Beklagte hat nach der Androhung der Zwangsvollstreckung durch die Klägerin um die Übersendung von Abrechnungsunterlagen ua. 'wegen der nachzuberechnenden Sozialversicherungsbeiträge' gebeten. Er hat zudem seine Gebühren beim Arbeitsgericht zur Ausgleichung angemeldet. Darin liegt kein Verzicht auf die Revision. Unter dem Druck der Zwangsvollstreckung bewirkte Leistungen lassen nicht den Willen erkennen, das Urteil endgültig hinzunehmen, sondern nur den, die Konsequenzen aus der vorläufigen Vollstreckbarkeit einer Entscheidung zu ziehen. Aus dem Kostenausgleichungsantrag des Prozessbevollmächtigten des Beklagten lässt sich schon deshalb nichts Weiteres entnehmen, weil dieser nicht die Rechtskraft, sondern lediglich die Vollstreckbarkeit eines Titels erfordert (§ 103 Abs. 1 ZPO).

2. Aus denselben Gründen kann das Verhalten des Beklagten auch nicht als Anerkenntnis der Forderung gewertet werden. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob ein Anerkenntnis zur Unzulässigkeit der Revision führen würde.

II. Die Revision ist überwiegend unbegründet. Der Klägerin steht die vom Landesarbeitsgericht zugesprochene Differenzvergütung zwischen der vom Beklagten gezahlten Vergütung und der Vergütung nach dem TV Mindestlohn für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis zum 7. November 2006 in Höhe von 3.503,05 Euro zu. Die Parteien haben zwar in dem 'Anlernvertrag' lediglich eine Vergütung in Höhe von 550,00 Euro monatlich vereinbart. Der Anlernvertrag ist jedoch insgesamt nach § 4 Abs. 2 BBiG iVm. § 134 BGB nichtig. Das Rechtsverhältnis der Parteien ist deshalb nach den Grundsätzen des fehlerhaften (faktischen) Arbeitsverhältnisses zu behandeln. Dabei hat die Klägerin (jedenfalls) nach § 612 Abs. 2 BGB Anspruch auf Vergütung nach dem TV Mindestlohn in Höhe von 850,42 Euro monatlich. Unbegründet ist die Klage hingegen, was die geltend gemachte Differenzvergütung für November 2005 betrifft. Der Anspruch ist nach § 4 Abs. 4 Buchst. a TV Mindestlohn verfallen.

1. Der 'Anlernvertrag' der Parteien verstößt gegen § 4 Abs. 2 BBiG und ist deshalb nach § 134 BGB nichtig.

§ 4 Abs. 2 BBiG bestimmt - wortgleich mit § 25 Abs. 2 HandwO -, dass für einen anerkannten Ausbildungsberuf nur nach der Ausbildungsordnung ausgebildet werden darf. Diese Bestimmung findet sich in Teil 2 Kapitel 1 BBiG, welches die Überschrift 'Berufsausbildung' trägt. Dessen Abschnitt 1 regelt die 'Ordnung der Berufsausbildung; Anerkennung von Ausbildungsberufen'. Teil dieses Abschnittes ist auch § 4 Abs. 2 BBiG. Es soll nach dieser Vorschrift nicht der Praxis überlassen bleiben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel ausgebildet wird (vgl. BT-Drucks. V/4260 S. 15, zur Vorgängervorschrift § 28 BBiG; Hergenröder in Benecke/Hergenröder BBiG § 4 Rn. 10; ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 4 BBiG Rn. 1; Herkert/Töltl BBiG Stand: Juni 2010 § 4 Rn. 14; Leinemann/Taubert BBiG 2. Aufl. § 4 Rn. 17). Die Regelung ist nicht abdingbar (Gedon/Hurlebaus BBiG Stand: Juni 2007 § 4 Rn. 10). Zu den anerkannten Ausbildungsberufen gehört auch die Ausbildung im Maler- und Lackierergewerbe (Verordnung über die Berufsausbildung im Maler- und Lackierergewerbe vom 3. Juli 2003, BGBl. I S. 1064, berichtigt S. 1546).

Für die Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf untersagt es das Gesetz daher, ein 'anderes Vertragsverhältnis' nach § 26 BBiG, also ein Vertragsverhältnis, das kein Ausbildungsverhältnis nach §§ 10 ff. BBiG ist, zu vereinbaren. Ein solches kommt nach § 26 BBiG nur in Betracht, wenn berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen vermittelt werden sollen, ohne dass es sich um eine 'Berufsausbildung im Sinne des Gesetzes' handelt. Bei der Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf geht es jedoch, wie die systematische Stellung von § 4 Abs. 2 BBiG in Kapitel 1 von Teil 2 des Berufsbildungsgesetzes zeigt, um eine Berufsausbildung im Sinne des Gesetzes und nicht um eine sonstige Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten. Die Ausbildung in einem anderen Vertragsverhältnis iSv. § 26 BBiG, etwa einem 'Anlernverhältnis', wie es hier zwischen den Parteien vereinbart wurde, ist deshalb unzulässig. Derartige Verträge sind wegen des damit verbundenen Gesetzesverstoßes nach § 134 BGB insgesamt nichtig. Das gilt auch für den zwischen den Parteien geschlossenen Anlernvertrag. Es besteht daher kein Raum, ihn nach § 9 des Anlernvertrages teilweise aufrechtzuerhalten.

2. Die Nichtigkeit des Vertrages führt dazu, dass das 'Anlernverhältnis' zumindest für den Zeitraum seiner Durchführung entsprechend den Regeln über das Arbeitsverhältnis auf fehlerhafter Grundlage (sog. faktisches Arbeitsverhältnis) wie ein Arbeitsverhältnis zu behandeln ist.

a) In einem anerkannten Ausbildungsberuf hat die Ausbildung zwar grundsätzlich als Berufsausbildung und damit in einem Berufsausbildungsverhältnis nach §§ 10 ff. BBiG stattzufinden. Daneben ist es jedoch auch möglich, sich Kenntnisse und Fertigkeiten in einem anerkannten Ausbildungsberuf im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses anzueignen. Das ergibt sich aus § 45 Abs. 2 BBiG. Danach ist zur Abschlussprüfung auch zuzulassen, wer nachweist, dass er mindestens das Eineinhalbfache der Zeit, die als Ausbildungszeit vorgeschrieben ist, in dem Beruf tätig gewesen ist, in dem die Prüfung abgelegt werden soll. Das Gesetz geht damit davon aus, dass eine Tätigkeit in einem anerkannten Ausbildungsberuf auch ohne Abschlussprüfung erfolgen kann. Das schließt im Rahmen der Tätigkeit in dem Arbeitsverhältnis auch den Erwerb der dazu erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten ein. Anders wäre eine derartige Tätigkeit nicht denkbar.

b) Wird die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten in einem anerkannten Ausbildungsberuf - wie hier nach den Vereinbarungen der Parteien - außerhalb eines Berufsausbildungsverhältnisses durchgeführt, und statt eines Berufsausbildungsverhältnisses ein nichtiges 'Anlernverhältnis' vereinbart, erbringt die auszubildende Person Tätigkeiten, wie sie einem Arbeitsverhältnis entsprechen, ohne dass ein solches zwischen den Parteien zustande gekommen ist. In derartigen Fällen sind die Regeln über das fehlerhafte (faktische) Arbeitsverhältnis anzuwenden, wenn - wie in diesen Fallgestaltungen - kein Mangel besteht, der dazu zwingt, das Arbeitsverhältnis von Anfang an als nichtig zu behandeln. Ein fehlerhaftes Arbeitsverhältnis wird für den Zeitraum, in dem es trotz der ihm anhaftenden Mängel in Vollzug gesetzt war, wie ein fehlerfrei zustande gekommenes Arbeitsverhältnis behandelt (vgl. BAG 3. November 2004 - 5 AZR 592/03 - zu I 2 a der Gründe, BAGE 112, 299).

c) Soweit ein fehlerhaftes Arbeitsverhältnis vorliegt, können beide Parteien grundsätzlich die Fehlerhaftigkeit für Zeiträume, in denen das Vertragsverhältnis nicht in Vollzug gesetzt ist, geltend machen. Da es im Streitfall lediglich um die Abwicklung eines in Vollzug gesetzten Rechtsverhältnisses geht, bedarf es keiner Entscheidung, ob es dem Arbeitgeber möglich ist, sich auch in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden ohne weiteres vorzeitig aus dem Rechtsverhältnis zu lösen oder ob dem der Schutzzweck des Berufsbildungsgesetzes entgegensteht, wofür einiges sprechen dürfte.

3. Auf der Grundlage des zwischen den Parteien in Vollzug gesetzten fehlerhaften Arbeitsverhältnisses hat die Klägerin mangels einer wirksamen Vergütungsabrede nach § 612 Abs. 2 BGB Anspruch auf die übliche Vergütung. Das gilt auch für den Zeitraum der Krankheit der Klägerin, für die nach den Regeln des Arbeitsrechts ein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht (§ 3 EFZG). Üblich ist im Streitfall ein Arbeitsentgelt, wie es dem TV Mindestlohn entspricht.

a) Diese Vergütungshöhe folgt schon aus § 612 Abs. 2 BGB unabhängig davon, ob die Anwendung der Grundsätze über das fehlerhafte Arbeitsverhältnis nicht ohnehin wegen der Erstreckung dieses Tarifvertrages durch die Dritte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Maler- und Lackiererhandwerk vom 31. August 2005 (BAnz. Nr. 178 vom 20. September 2005 S. 14.035) die Anwendung des Mindestlohntarifvertrages gebietet.

Nach § 612 Abs. 2 BGB ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen, wenn die Höhe der Vergütung nicht bestimmt ist. Hier fehlt es an einer vereinbarten Vergütung, da das zwischen den Parteien geschlossene 'Anlernverhältnis' einschließlich seiner Vergütungsabrede nach § 134 BGB nichtig ist. Die danach zu zahlende übliche Vergütung richtet sich nach dem TV Mindestlohn. Das folgt daraus, dass dieser Tarifvertrag auf alle Arbeitsverhältnisse erstreckt und damit im Rahmen seines fachlichen Anwendungsbereiches faktisch angewandt wurde.

Der TV Mindestlohn gilt nach seinem § 1 Abs. 2 ua. für Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks wie den des Beklagten. Die Klägerin unterfiel auch dem persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages, denn sie war gewerbliche Arbeitnehmerin und - worüber zwischen den Parteien kein Streit besteht - versicherungspflichtig tätig. Sie war auch nicht nach § 1 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b TV Mindestlohn als jugendliche Arbeitnehmerin ohne abgeschlossene Berufsausbildung vom persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages ausgenommen. Arbeitsrechtlich ist der Begriff des Jugendlichen in § 2 Abs. 2 JArbSchG definiert. Danach ist Jugendlicher, wer noch nicht 18 Jahre alt ist. Dieser Begriff liegt auch dem TV Mindestlohn zugrunde. Denn bei der Auslegung von Tarifverträgen ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien einen Rechtsbegriff in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung verwenden wollen (vgl. nur BAG 30. März 2000 - 6 AZR 636/98 - zu II 1 der Gründe, ZTR 2001, 73). Bei Abschluss des 'Anlernvertrages' war die Klägerin bereits 21 Jahre alt.

b) Die nach dem TV Mindestlohn berechnete Vergütung ist allerdings nur soweit üblich iSv. § 612 Abs. 2 BGB, als sie nicht nach § 4 Abs. 4 TV Mindestlohn verfallen ist.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob allgemein bei der Geltendmachung des an einem TV orientierten üblichen Entgelts iSd. § 612 Abs. 2 BGB tarifliche Ausschlussfristen gewahrt werden müssen (vgl. dazu BAG 8. April 1992 - 5 AZR 166/91 - zu II der Gründe einerseits und 25. April 2001 - 5 AZR 368/99 - zu B III 2 der Gründe, BAGE 97, 350 andererseits). Jedenfalls soweit es um die übliche Vergütung nach dem TV Mindestlohn geht, ist auch die Ausschlussfrist als Teil des üblichen Entgelts anzusehen.

§ 4 TV Mindestlohn lautet auszugsweise:

'Fälligkeit des Mindestlohnes

(1)

Der Anspruch auf den Mindestlohn wird spätestens zum 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, für den der Mindestlohn zu zahlen ist.

...

(4)

Abweichend von den tarifvertraglichen Ausschlussfristen nach dem RTV gilt:

a)

Ansprüche aus dem Mindestlohn, der nach Absatz 1 fällig ist, verfallen 12 Monate nach ihrer Fälligkeit.

...'

Der damit in Bezug genommene Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk (RTV) regelt die Ausschlussfristen in § 49 wie folgt:

'Allgemeine Ausschlussfristen

1.

Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

2.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch schriftlich ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruches schriftlich, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. ...'

Das Gefüge dieser Normen zeigt, dass die Tarifvertragsparteien einen inneren Zusammenhang zwischen dem Mindestlohn und der Ausschlussfrist herstellen wollten. Das ergibt sich daraus, dass sie in Abweichung von allgemeinen, an sich branchenüblichen Regelungen gerade für den Mindestlohn eine Sonderregelung getroffen haben. Das ist bei der Feststellung der üblichen Vergütung zu berücksichtigen.

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht der Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis zum 7. November 2006 zu Recht Vergütung auf der Grundlage eines Stundenlohnes von 7,85 Euro nach § 2 Abs. 2 TV Mindestlohn unter Berücksichtigung der vom Beklagten gezahlten Vergütung zuerkannt. Dabei hat das Berufungsgericht entgegen der Auffassung des Beklagten zutreffend einen monatlichen Vergütungsanspruch in Höhe von 850,42 Euro brutto (25 Wochenstunden x 7,85 Euro x 13 Wochen : 3 Monate) errechnet. Hierbei handelt es sich um die übliche Berechnung eines Monatslohnes ausgehend von einer Stundenvergütung. Da der Beklagte der Klägerin monatlich 550,00 Euro brutto gezahlt hat, steht ihr ein restlicher Betrag in Höhe von 300,42 Euro monatlich zu. Für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Oktober 2006 sind dies 3.304,62 Euro. Hinzu kommt der vom Landesarbeitsgericht ebenfalls zutreffend errechnete Betrag von 198,43 Euro für die Zeit vom 1. bis zum 7. November 2006. Der Beklagte hat erstmals im Revisionsverfahren behauptet, für November 2006 seien Zahlungen geleistet worden. Dieses neue Vorbringen im Revisionsverfahren ist unbeachtlich (§ 559 ZPO).

d) Hinsichtlich der Gesamtforderung in Höhe von 3.503,05 Euro für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis zum 7. November 2006 hat die Klägerin die Ausschlussfrist des § 4 Abs. 4 Buchst. a TV Mindestlohn gewahrt. Der Differenzvergütungsanspruch für November 2005 ist hingegen verfallen.

Nach § 4 Abs. 4 Buchst. a TV Mindestlohn verfallen Ansprüche auf den Mindestlohn 'abweichend von den tariflichen Vorschriften' und damit abweichend von der im genannten Rahmentarifvertrag festgelegten zweistufigen Ausschlussfrist zwölf Monate nach ihrer Fälligkeit. Der Anspruch auf den Mindestlohn wird nach § 4 Abs. 1 TV Mindestlohn am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, für den der Mindestlohn zu zahlen ist. Die Klägerin hat die Vergütung nach dem TV Mindestlohn erstmals mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 20. Dezember 2006 gegenüber dem Beklagten geltend gemacht; einer Klageerhebung bedurfte es zur Fristwahrung nicht. Damit hat die Klägerin zwar die Ausschlussfrist für ihre Ansprüche ab Dezember 2005 gewahrt, nicht jedoch hinsichtlich der Vergütungsansprüche für November 2005.

e) Der geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich aus § 288 Abs. 1 BGB.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 und 92 ZPO.

Gräfl

Zwanziger

Schlewing

für den wegen Ablaufs derAmtszeit an der Unterschrift verhindertenehrenamtlichen Richter HauschildGräfl

Schmidt