zurück zur Übersicht

Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 23.10.2012, Az.: 1 STR 137/12

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten C. wegen Mordes und wegen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe sowie die Angeklagte F. wegen Anstiftung zum Mord zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach den Urteilsfeststellungen lauerte der Angeklagte C. in den frühen Morgenstunden des 20. April 1993 dem Vater der Angeklagten F., der sich zu diesem Zeitpunkt keines Angriffs versah, auf dessen Arbeitsweg auf und erschoss diesen aus unmittelbarer Nähe von hinten oder der Seite mit einer Selbstladepistole (Kaliber .45 Auto) mit aufgesetztem Schalldämpfer. Das Opfer war - wie vom Angeklagten C. beabsichtigt - sofort tot. Die Angeklagte F. und deren Mutter hatten den Angeklagten C. für die Tatbegehung gewinnen können und ihm hierfür 80.000 DM in Aussicht gestellt und sodann gezahlt. Die Angeklagte F. nahm billigend in Kauf, dass ihr Vater unter bewusster Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit getötet werden würde.

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedarf dies lediglich hinsichtlich der Rüge einer Verletzung des § 252 StPO.

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

a) Am 16. November 1993 war ein Bruder der Angeklagten F., der Zeuge Cu., um 21.15 Uhr bei der Polizei erschienen und hatte Angaben gemacht. In der mit "Zeugen-Vernehmung" überschriebenen Niederschrift hierzu, die als "Ende der Vernehmung: 22.15 Uhr" ausweist und vom Zeugen unterschrieben ist, ist ausgeführt:

"Freiwillig zur Dienststelle gekommen, gibt Cu. ... als Zeuge folgendes an: Ich komme hierher und möchte mitteilen, dass meine Mutter und meine Schwester , wh. ..., mit dem gewaltsamen Tod meines Vaters zu tun haben dürften. .... Heute abend habe ich wieder ein Streitgespräch mit meiner Mutter geführt. ... Das Gespräch am heutigen Abend habe ich auf Kassette aufgenommen, ich bin der Meinung, dass es verdächtige Äußerungen meiner Mutter beinhaltet. ..."

Der Zeuge Cu. hat sich in der Hauptverhandlung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 StPO) berufen und einer Verwertung der seinerzeitigen polizeilichen Vernehmung widersprochen. Der vom Vorsitzenden angekündigten Verlesung der das Gespräch zwischen dem Zeugen Cu. und seiner Mutter in die deutsche Sprache übersetzten Verschriftung des vom Zeugen übergebenen Tonbandes hat die Verteidigung der beiden Angeklagten widersprochen. Der Widerspruch wurde durch Beschluss der Strafkammer als unbegründet zurückgewiesen. Das Tonband sei nicht Bestandteil der Vernehmung des Zeugen, auf dieses sei in der Vernehmung auch nicht Bezug genommen worden, anders als bei einem Schriftstück sei die Tonbandaufnahme nicht unmittelbar wahrnehmbar gewesen, überdies sei das Beweismittel spontan und auf eigene Initiative des Zeugen entstanden. Auch die Heimlichkeit der Aufzeichnung führe nicht zur Unverwertbarkeit der Tonbandaufzeichnung. Die Verschriftung des Gesprächs zwischen dem Zeugen Cu. und seiner Mutter wurde sodann - nach dahingehender Verfügung des Vorsitzenden - verlesen und als Beweismittel im Urteil abgehandelt.

b) Hierin erblickt die Verteidigung einen Verstoß gegen § 252 StPO. Soweit das Landgericht ein Verwertungsverbot auch mit Blick auf die Heimlichkeit der Tonbandaufnahme verneint hat, hat die Revision dies ausdrücklich nicht gerügt (RB S. 29).

2. In dem durch die Revisionsführer bestimmten Prüfungsumfang (zur Maßgeblichkeit der "Angriffsrichtung" einer Rüge vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. September 2007 - 1 StR 407/07; BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06; BGH, Urteil vom 26. August 1998 - 3 StR 256/98; Cirener/Sander JR 2006, 300) bleibt das Revisionsvorbringen ohne Erfolg. Zwar sieht die Revision in der Verlesung und Verwertung der Verschriftung des auf Tonband aufgezeichneten Gesprächs mit Recht einen Verstoß gegen § 252 StPO. Der Senat kann aber ausschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht.

a) Die Verlesung und Verwertung der Verschriftung des vom Zeugen Cu. übergebenen Tonbandes verletzen § 252 StPO, wonach die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, nicht verlesen werden darf.

Das übergebene Tonband ist Teil der Vernehmung, auf die sich das Verwertungsverbot bezieht. Nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen (BGH, Beschluss vom 30. Juli 1968 - 2 StR 136/68, BGHSt 22, 219), die in der Literatur Zustimmung erfahren haben (Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 252 Rn. 36; Ganter in BeckOK-StPO, Ed. 14, § 252 Rn. 20; Diemer in KK-StPO, 6. Aufl., § 252 Rn. 3) und von denen abzuweichen der Senat keinen Anlass sieht, erstreckt sich das Verwertungsverbot des § 252 StPO auch auf Schriftstücke, die der aussageverweigerungsberechtigte Zeuge bei seiner Vernehmung übergeben hat und auf die er sich - wie es der Zeuge Cu. hier ausweislich der von der Revision mitgeteilten Niederschrift vom 16. November 1993 tat - bezogen hat (vgl. z.B. auch BGH, Urteil vom 14. Juni 2005 - 1 StR 338/04; BGH, Beschluss vom 28. August 2000 - 5 StR 300/00; BGH, Beschluss vom 31. März 1998 - 5 StR 13/98). Solche Schriftstücke werden Bestandteil der Aussage. Die Sachlage ist nicht anders, als wenn ein Zeuge den Inhalt des Schriftstücks mündlich wiedergegeben hätte (BGH, Beschluss vom 29. November 1995 - 5 StR 531/95). In gleicher Weise gilt dies für die hier relevante Tonbandaufzeichnung über ein vom Zeugen mitgehörtes Gespräch, dessen Inhalt der Zeuge bei seiner Aussage hätte wiedergeben können. Auf das die Beweisinformation enthaltende Speichermedium kann es grundsätzlich nicht ankommen; denn auch andere Beweisstücke als Schriftstücke können - weil der Sache nach einer Aussage bei einer Vernehmung gleichstehend - einem Verwertungsverbot unterliegen (vgl. Sander/ Cirener, aaO). Anderes kann sich auch nicht daraus ergeben, dass der Inhalt einer Tonbandaufzeichnung nicht unmittelbar wahrnehmbar ist, denn Gleiches würde etwa auch für ein in einer fremden Sprache verfasstes Schriftstück gelten, ohne dass sich daraus die Zulässigkeit der Verwertung dieses Beweismittels begründen ließe.

Eine Verwertbarkeit der Tonbandaufnahme ergibt sich auch nicht daraus, dass diese - wie die Strafkammer in dem Verwerfungsbeschluss formuliert - spontan, aus eigener Initiative des Zeugen und ohne gezielte Nachfrage der Ermittlungsbeamten entstanden ist. Zwar sind vom Verwertungsverbot des § 252 StPO solche Äußerungen ausgenommen, die außerhalb einer Vernehmung gemacht worden sind, die also nicht im Zusammenhang mit einer Vernehmung gemacht wurden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2005 - 1 StR 338/04; BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 - 4 StR 616/99; Ganter in BeckOK-StPO, Ed. 14, § 252 Rn. 15). Derlei liegt hier aber nicht vor, wie die von der Revision mitgeteilte Niederschrift über die einstündige, als "Zeugenvernehmung" und "Vernehmung" bezeichnete Aussage des Zeugen bei der Polizei belegt. In den Urteilsgründen ist gleichfalls ausgeführt, dass die Tonbandkassette vom Zeugen "im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung" übergeben wurde (UA S. 52). Das "freiwillige Erscheinen" des Zeugen vermag ebenso wenig wie die unterlassene Zeugenbelehrung eine vom Verwertungsverbot nicht umfasste Spontanäußerung im Sinne der angesprochenen Rechtsprechung zu begründen. Das übergebene Tonband und die daraus gefertigte Verschriftung sind damit vom Verwertungsverbot des § 252 StPO erfasst.

b) Das Urteil beruht indes nicht auf dem aufgezeigten Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann ausschließen, dass der Urteilsspruch bei zutreffender Gesetzesanwendung in einer den Angeklagten günstigeren Weise ausgefallen sein könnte.

Ausweislich der insoweit maßgeblichen Urteilsgründe stützt die Strafkammer ihre Überzeugung von Täterschaft und Tathergang auf die geständigen Angaben der Angeklagten F. bei einer Vernehmung im November 1993 sowie - vor allem - auf die durch die seinerzeitigen Vernehmungsbeamten eingeführten und von der Strafkammer als "uneingeschränkt glaubhaft" (UA S. 28) gewürdigten Angaben des Zeugen N. Diesem gegenüber hatte die Angeklagte F. die Tat wie festgestellt gestanden. Vor diesem Hintergrund hat die Strafkammer die Aussage des Zeugen und deren Genese bewertet und darüber hinaus - zutreffend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 1995 - 2 BvR 1142/93; BGH, Beschluss vom 20. Februar 2002 - 1 StR 545/01; BGH, Beschluss vom 14. Februar 1997 - 2 StR 34/97 mwN) - in der Hauptverhandlung weitere Beweise erhoben, "welche die Angaben des Zeugen N. bzw. die genannte Einlassung der Angeklagten stützen" (UA S. 24).

Soweit die Strafkammer aus der Tonbandaufzeichnung allenfalls ein weiteres bestätigendes, für die Überzeugungsbildung aber nicht maßgebliches Indiz gewonnen hat, ist im Hinblick auf die ansonsten sorgfältige Beweiswürdigung auszuschließen, dass die nur ergänzende, rechtsfehlerhafte Heranziehung des verlesenen Gesprächsinhalts das Beweisergebnis beeinflusst hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. März 2006 - 4 StR 584/05 mwN).