Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 10.05.1977, Az.: 1 STR 167/77
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23. November 1976 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
soweit der Angeklagte wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall verurteilt worden ist,
im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Entscheidungsgründe
Die Strafkammer hat den Angeklagten wegen Anstiftung zum Meineid in zwei Fällen und wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Falle unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von drei Jahren zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Er rügt Verletzung des sachlichen Rechts. Sein Rechtsmittel hat zum Teil Erfolg.
I.Die Überprüfung durch den Senat hat nichts ergeben, was in den Fällen der Verurteilung wegen Anstiftung zum Meineid Bedenken gegen den Schuldspruch hervorrufen könnte.
II.Die Verurteilung wegen versuchten Diebstahls kann keinen Bestand haben.
1.Sie ist auf folgende Feststellungen gestützt (UA S. 6):"In der Nacht vom 12. auf 13. Oktober 1975 erbrach der Angeklagte die verschlossene hintere Tür des Amtsgerichtsgebäudes in B. N. an der S. und drang in das Gebäude ein, um eine ihn betreffende Strafbefehlsakte zu entwenden. Das Verfahren betraf einen Diebstahl geringwertiger Sachen; in dem Strafbefehl war eine Geldstrafe von acht Tagessätzen zu je 30,- DM festgesetzt worden. Der Justizhauptwachtmeister E. bemerkte die aufgebrochene Tür. Der Angeklagte konnte deshalb sein Vorhaben nicht zu Ende bringen, sondern wurde nach kurzer Flucht gestellt und festgenommen. Es entstand ein Sachschaden von 1.253,19 DM, den der Angeklagte inzwischen wiedergutgemacht hat."
Die Strafkammer hat in Übereinstimmung mit dem von ihr zugezogenen Sachverständigen (einem Professor für Kriminologie) die Überzeugung gewonnen, daß "der Einbruch in das Amtsgericht ... einem neurotisch bedingten Zwangsmechanismus entsprang" (UA S. 17). Das Handeln des Angeklagten sei "auf die zwanghafte Vorstellung zurückzuführen, daß er mit der Akte auch die Straftat selbst 'verschwinden' lassen könne" (UA S. 18).
In der rechtlichen Würdigung führt das Tatgericht aus (UA S. 9/10):"Der versuchte Diebstahl der Akten ... stellt einen besonders schweren Fall im Sinne des § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar, weil der Angeklagte zur Ausführung der Tat in ein Gebäude eingebrochen ist. Die Strafakte, die der Angeklagte stehlen wollte, ist keine geringwertige Sache im Sinne des § 248 a StGB. Ihr Wert kann nicht nach dem Materialwert bestimmt werden. Eine Strafakte ist eine Sache eigener Art, die der Wertbestimmung völlig entzogen ist."
2.Die Revision bringt vor:
Nach dem vom Angeklagten verfolgten Zweck wäre es erforderlich gewesen, innerhalb der Beweiswürdigung darzulegen, weshalb die Strafkammer Zueignungs- und nicht nur Beseitigungsabsicht für erwiesen hielt. Die Annahme, daß der Angeklagte eindrang, um eine Urkundenvernichtung zu begehen, habe näher gelegen als die Beurteilung seines Handelns als versuchter Diebstahl. Bestrafung wegen versuchter Urkundenvernichtung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB) komme allerdings nur in Betracht, wenn das Eindringen des Angeklagten im Wege des Einbruchs über das Vorbereitungsstadium hinausgeführt habe. Die Nichtanwendung des § 243 Abs. 2 StGB sei wenig überzeugend begründet worden. Die Frage der Geringwertigkeit müsse sich an wirtschaftlichen Gesichtspunkten orientieren. Strafakten fehle grundsätzlich jede Beziehung zu vermögensrechtliehen Vorgängen.
3.Die Strafkammer hat verkannt, daß ihre Feststellungen nicht das Merkmal der Zueignungsabsicht ergeben.
a)Die Rechtsprechung hat stets daran festgehalten, daß zur Absicht der rechtswidrigen Zueignung im Sinne von § 242 Abs. 1 StGB der bestimmte Wille des Täters gehört, das Tatobjekt der Substanz oder dem Sachwert nach dem eigenen Vermögen "einzuverleiben", dem eigenen Vermögen "zuzuführen", es, wenn auch nur für begrenzte Zeit, seinem Sach-(Substanz-)werte nach "für sich auszunutzen" (vgl. RGRspr 4, 537, 538; RGSt 11, 239, 240; 35, 355, 356; 40, 10, 12; 47, 147, 149; 61, 228, 233; 64, 414, 415; 65, 145, 147; 67, 334, 335; BGHSt 1, 262, 264; 4, 236, 238/239; 16, 190, 192; 19, 387, 388; BGH GA 1954, 60; 1966, 727; 1969, 306; BGH NJW 1970, 1753, 1754 mit Anm. von Schröder; BGH bei Dallinger MDR 1975, 22; BGH, Urt. vom 21. Dezember 1976 - 1 StR 743/76).
Für die "Einverleibung in das Vermögen" ist es ohne Bedeutung, ob der Täter den Wert seines Vermögens erhöht und ob er sich bereichern will. Der Diebstahl ist keine Bereicherungsstraftat. Infolgedessen ist es für das subjektive Unrechtselement der Zueignungsabsicht ausreichend, daß der Täter, wenn er zur Wegnahme ansetzt, den bestimmten Willen hat, sich eine eigentümerähnliche Verfügungsgewalt anzumaßen, durch deren Ausübung der Bestand seines Vermögens geändert und der Berechtigte für die Dauer von der Sachsubstanz oder dem (vollen) Sachwert ausgeschlossen wird (BGHSt 16, 190, 192; BGH GA 1969, 306, 307; BGH NJW 1970, 1753, 1754; RGSt 10, 369, 371; 35, 355, 356; 40, 10, 12; 51, 97, 98/99; 55, 59, 60; Eser JuS 1964, 477, 481; Lackner, StGB 11. Aufl. § 242 Anm. 5 a; Schönke/Schröder, StGB 18. Aufl. § 242 Rdn. 44 bis 46).
An der Voraussetzung, daß der Wille des Täters auch auf Änderung des Bestandes seines Vermögens gerichtet sein muß, fehlt es in Fällen, in denen er eine fremde Sache - mit oder ohne meßbaren Substanzwert (vgl. BGH GA 1969, 306; BGH, Beschl. vom 5. November 1975 - 3 StR 403/75 -; RGSt 11, 239, 240; 51, 97, 98; LK 9. Aufl. Rdn. 10 vor § 242) - nur wegnimmt, um sie "zu zerstören", "zu vernichten", "preiszugeben", "wegzuwerfen", "beiseitezuschaffen" oder "zu beschädigen" (BGHSt 4, 236, 239; BGH GA 1954, 60; 1961, 172; 1969, 306, 307; BGH bei Dallinger MDR 1966, 727 und MDR 1975, 22; BGH NJW 1970, 1753, 1754; BGH, Urt. vom 21. Dezember 1976 - 1 StR 743/76 -; RGSt 11, 239, 240; 35, 355, 357; 61, 228, 232/233; 64, 250; 67, 334, 335; RGRspr 4, 537, 539). Die in solchen Handlungen ausgeübte Eigenmacht maßt sich zwar Eigentümerbefugnisse an. Sie ist aber kein Akt der Zueignung, weil sie auf den Bestand des Tätervermögnes ohne Einfluß ist. Der Unrechtsgehalt nur zerstörender oder beschädigender Eigenmacht wird nicht durch § 242 StGB, sondern in anderen Vorschriften erfaßt. Mit Recht fragt Frank (StGB 18. Aufl. § 242 Anm. VII 2 a), weshalb es einen Unterschied machen soll, ob jemand eine fremde Sache sofort zerstört oder erst, nachdem er sie in seinen Gewahrsam gebracht hat. Schaffsteins Auffassung, daß das Erfordernis der "Einverleibung in das Vermögen des Täters" aus dem Zueignungsbegriff auszuscheiden und in der Zerstörung oder Beschädigung einer fremden Sache eine Zueignung zu sehen sei (GS Bd. 103 S. 292, 309, 313), übergeht das in diesem Begriff liegende Element der Aneignung, das zu dem der Enteignung hinzukommen und mit ihm korrespondieren muß (Kohlrausch/Lange, StGB 43. Aufl. § 242 Anm. III 2 b; Lackner a.a.O.; Schröder JR 1967, 390, 391).
b)Die Feststellungen des Tatgerichts beantworten die Frage nicht, ob der Angeklagte darauf ausging, die Akten durch Vernichten (Verbrennen, Zerreißen, Wegwerfen) oder durch Einbringen in seine Habe ("Einverleiben in sein Vermögen") "verschwinden" zu lassen. Nur im zweiten Falle kommt Diebstahlsversuch in Betracht (vgl. BGH GA 1954, 60; 1969, 306; RGSt 11, 239, 240; 35, 355, 357; 64, 250; RGRspr 4, 537, 538; LK a.a.O. § 242 Rdn. 51).
4.Wenn die neue Hauptverhandlung ergibt, daß der Angeklagte mit Zueignungsabsicht handelte, scheitert seine Verurteilung wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Falle nicht daran, daß die Strafakten, die er entwenden wollte, keinen meßbarenobjektiven Substanzwert haben (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1972, 17; BGH, Beschl. vom 5. November 1975 - 3 StR 403/75). Die Bestimmung des § 243 Abs. 2 StGB kann nur Anwendung finden, wenn das Tatobjekt einen Verkehrswert hat (vgl. Dreher, StGB 37. Aufl. § 248 a Rdn. 5 und § 243 Rdn. 41; Lackner a.a.O. § 248 a Anm. 3 a; Schönke/Schröder a.a.O. § 248 a Rdn. 7 und § 243 Rdn. 51). Sein Fehlen bedeutet nicht, daß das Tatobjekt wertlos ist.
Es kann "in dem ihm eigenen Funktionsbereich" von großem Wert, ja "unbezahlbar" sein (Schönke/Schröder a.a.O. § 243 Rdn. 51). Sein (möglicherweise hoher, ja unschätzbarer) Wert für den Täter folgt aus seiner Tat. Es wäre unangebracht, die Schwere des Falles auf Grund eines vom § 243 Abs. 2 StGB vorausgesetzten wirtschaftlichen Kriteriums zu verneinen, das nicht paßt und in den Überlegungen des Täters keine Rolle spielt.
5.Kann der Angeklagte nicht wegen versuchten Diebstahls (in einem besonders schweren Falle) verurteilt werden, weil er von vornherein darauf ausging, die Strafakten zu vernichten, stellt sich die Frage, ob er wegen versuchter Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB) oder (wenn Strafantrag gestellt ist und für die Anwendung des § 274 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB kein Raum bleibt - vgl. LK a.a.O. § 274 Rdn. 26) wegen versuchter Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 und Abs. 2 StGB) zu bestrafen ist. Das Versuchsstadium hat der Angeklagte nur erreicht, wenn er so weit vorgedrungen war, daß sein Handeln im ungestörten Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden konnte (BGHSt 26, 201). Die Rechtslage deckt sich nicht völlig mit derjenigen, die sich für den Diebstahlsversuch aus der Verwirklichung des in § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB umschriebenen Erschwerungsgrundes ergibt (Dreher a.a.O. § 243 Rdn. 43). Strafbarkeit wegen versuchter Urkundenunterdrückung setzt auch voraus, daß der Angeklagte die Absicht hatte, einem anderen Nachteil zuzufügen. Das ist nach der Sachlage nicht ausgeschlossen (vgl. LK a.a.O. Rdn. 21/22; Schönke/Schröder a.a.O. § 274 Rdn. 15/16).
III.Die Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Diebstahls führt zur Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe. Es besteht jedoch kein Anlaß, die in den Fällen der Anstiftung zum Meineid verhängten Einzelstrafen aufzuheben. Die Revision beanstandet, daß die Neurose des Angeklagten in diesen Fällen nicht als erheblicher Steuerungdefekt angesehen worden ist. Die Überlegungen, mit denen die Strafkammer ihre Differenzierung begründet hat (UA S. 18/19), widersprechen aber den Darlegungen des Sachverständigen nicht (vgl. US S. 19 oben), sondern ergänzen sie duch Wertungen, die nicht als fehlerhaft erscheinen. "Der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, auf klare Abgrenzungen, auf empirisch gesicherte oder gar objektive Maßstäbe" kann im Bereich neurotischer Zustandsbilder (noch) "in keiner Hinsicht erfüllt werden" (Langelüddeke/Bresser, Gerichtliche Psychiatrie 4. Aufl. S. 201). Was die Revision außerdem gegen die Bemessung der Einzelstrafen in den Fällen der Anstiftung zum Meineid vorbringt, ist offensichtlich unbegründet.