Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 27.06.1955, Az.: 1 STR 170/55
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 3. Februar 1955 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Angeklagte war in dem Entscheidungsrechtsstreit P. über die Behauptung ehebrecherischer oder ehewidriger Beziehungen zu Frau P. als Zeuge vernommen worden, Auf die Frage, ob er mit ihr im Herbst 1953 in der Nähe des Kaufhauses Me. in N. - wie die Zeugen Eheleute S. angeben - Arm in Arm gegangen sei, erklärte er unter dem Eide, er sei zwar zur angegebenen Zeit zufällig einmal in der Nähe Jenes Kaufhauses mit Frau P. zusammen gegangen, jedoch, nicht Arm in Arm. Das Landgericht hält nicht für erwiesen, dass diese Bekundung des Angeklagten unrichtig sei, Dennoch hat es ihn wegen Meineids zu Gefängnisstrafe verurteilt. Es meint, der Angeklagte hätte nicht verschweigen dürfen, wie sich der Vorfall nach seiner Darstellung zugetragen hat, nämlich daà Frau P., ihren Arm auf seinen Arm legend, ihn um die nächste Strassenecke gezogen hat, um der weiteren Beobachtung durch die Eheleute Szabo zu entgehen.
I.Die Revision des Angeklagten rügt verfahrensrechtlich, die Strafkammer habe seinen Beweisantrag, Frau P. als Zeugin über die Richtigkeit seiner Sachdarstellung zu vornehmen, nicht ablehnen dürfen; ausserdem erhebt sie die Sachrüge. Diese greift durch, der Verfahrensbeschwerde braucht daher nicht nachgegangen zu werden.
Die Frage an den Angeklagten, ob er mit Frau P. Arm in Arm gegangen sei, stand, wie das Landgericht zutreffend annimmt, im Zusammenhang mit der allgemeinen Beweisfrage nach seinen ehebrecherischen oder ehewidrigen Beziehungen zu Frau P. Er hatte sie, wenn man - wie das Landgericht bisher - seiner Darstellung folgt, mit der Verneinung nicht nur an sich zutreffend, sondern auch vollständig beantwortet. Denn der Vorfall enthielt, wie der Angeklagte ihn darstellte, in sich selbst keine Ehewidrigkeit. Er war insofern an sich nicht beweiserheblich. Dass er vielleicht Rückschlüsse auf anderweitige ehewidrige Beziehungen des Angeklagten zu Frau P. zulieÃ, bezog ihn nicht ohne weiteres in den Beweisgegenstand ein. Es kommt insoweit auf den näheren Verlauf der Vernehmung an, über den bisher nichts festgestellt ist. Die Strafkammer wird in der neuen Hauptverhandlung den Richter, vor dem der Angeklagte in dem Eherechtsstreit P. seine Aussage erstattet hat, gegebenenfalls als Zeugen zu vernehmen und vor allem in dem neuen Urteil die Zeugenaussage des Angeklagten möglichst vollständig wiederzugeben haben. Das Landgericht wird weiter nach Lage des Falles besonders sorgfältig zu prüfen haben, ob der Angeklagte die Reichweite der Beweisfrage erkannte (§ 154 StGB) oder hätte erkenn müssen (§ 163 StGB; BGHSt 2, 90, 92) [BGH 21.12.1951 - 1 StR 505/51]. In dieser Hinsicht kann von Bedeutung sein, dass er sowohl früher in seinem eigenen Ehescheidungsrechtsstreit unerlaubte Beziehungen zu Frau P. schon zugegeben hatte als auch in deren Rechtsstreit bei seiner Vernehmung als Zeuge, wenn schon nach anfänglichem Bestreiten, immerhin Bekundungen gemacht hat, die die Ãberzeugung des Scheidungsrichters von Ehewidrigkeiten zwischen ihm und Frau P. begründeten.
Kommt das Landgericht wiederum zu der Annahme, der Angeklagte habe einen Meineid geleistet, so wird es bei der Strafzumessung die Frage des Aussagenotstandes (§ 157 StGB) und weiter zu prüfen haben, ob der Angeklagte über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist; verneinendenfalls, ob ihm dies zugute zu halten ist (1 StR 526/54 vom 1. März 1955).
II.Für die künftige Verhandlung wird ferner bemerkt:
Das Landgericht hat den Angeklagten auf Grund seiner Sachdarstellung verurteilt. Aus der Urteilsbegründung wird nicht mit einer jeden Zweifel ausschliessenden Klarheit deutlich, ob es sie bloà für nicht widerlegt hält oder von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Teils bezeichnet es den von dem Angeklagten bekundeten Sachverhalt als "den wirklichen Hergang des Vorfalls", teils meint es, die Einlassung sei ihm nicht zu widerlegen und "deshalb so zu behandeln, als wäre sie wahr". Mit dieser Begründung ist die Strafkammer auch auf den eingangs erwähnten Beweisantrag des Angeklagten nicht eingegangen. Sollte sie der Ansicht gewesen sein, es sei zulässig, einerseits mit jener Begründung den Beweisantrag des Angeklagten abzulehnen (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), anderseits auf die danach als wahr zu behandelnden behaupteten Tatsachen seine Verurteilung zu gründen, so wäre das rechtsirrig. Allerdings steht in der Rechtsprechung fest, dass das Gericht aus einer gemäà § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO als wahr unterstellten Tatsache, die der Entlastung des Angeklagten dienen soll, nicht die von diesem mit dem Beweisantrag bezweckten SchluÃfolgerungen zu ziehen braucht. Eine als wahr unterstellte Tatsache unterliegt vielmehr der freien Beweiswürdigung des Tatrichters ebenso wie eine voll bewiesene Tatsache (RG JW 1930, 935 Nr. 475 1932, 2161 Nr. 19; LZ 1922 Sp 594 Nr. 5; OGHSt 1, 208, 212). Er kann ihr daher als einem Beweisumstand oder in rechtlicher Hinsicht eine andere Bedeutung beimessen, als der Angeklagte mit seinem Beweisantrag erstrebte, Hiervon ist jedoch der Fall zu unterscheiden, dass der Tatrichter, wenn der der Anklage zugrundegelegte Sachverhalt dem Angeklagten nicht bewiesen werden kann, dessen gesamte Sachdarstellung als zutreffend unterstellt und darauf die Verurteilung gründet. Eine Einzeltatsache oder eine Tatsachengruppe kann sich innerhalb des dem Tatrichter zur Entscheidung unterbreiteten Gesamtgeschehens als nicht beweisbedürftig herausstellen, etwa wenn sie ohnehin feststeht oder wenn dem Angeklagten eine Behauptung nicht widerlegt ist. Der Sachverhalt aber, auf Grund dessen das Gericht den Angeklagten schuldig sprechen will, muss zu seiner vollen Ãberzeugung als richtig erwiesen sein (§ 261 StPO; BGH NJW 1951, 532 Nr. 22;5 StR 654/55 vom 8. Januar 1954;5 StR 885/52 vom 19. März 1953; OGHSt 1, 165 f, 357, 361). Es besteht unter diesem Gesichtspunkt kein rechtlicher Einwand, wenn die Strafkammer eine etwaige Verurteilung des Angeklagten auf seine Sachdarstellung stutzt, sofern sie - auch, ohne Erhebung des von ihm beantragten Beweises - sich von deren Richtigkeit voll überzeugt; ohne diese Ãberzeugung darf sie ihn jedoch nicht schuldig sprechen.