Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 12.05.1953, Az.: 1 STR 202/53
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts in Ravensburg vom 3. März 1953 im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Entscheidungsgründe
Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts in Ravensburg vom 3. Oktober 1952 war der Angeklagte wegen vollendeten Rückfalldiebstahls in sechs Fällen und wegen versuchten Rückfalldiebstahls in fünf Fällen zur Gesamtstrafe von drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Auf seinen Antrag ist das Verfahren in dem Diebstahlsfalle J., für den das Landgericht eine Einzelstrafe von einem Jahr Zuchthaus festgesetzt hatte, gemäss § 359 Nr. 5 StPO wiederaufgenommen worden. In der neuen Hauptverhandlung vom 3. März 1953 hat das Landgericht das Urteil vom 3. Oktober 1952, soweit es den Diebstahlsfall J. betrifft, aufgehoben und den Angeklagten insoweit freigesprochen. Gleichzeitig hat es das frühere Urteil dahin geändert, dass der Angeklagte wegen vollendeten und versuchten Rückfalldiebstahls in je fünf Fällen zur Gesamtstrafe von zwei Jahren und neun Monaten Zuchthaus verurteilt wurde.
Der Angeklagte hat gegen das Urteil vom 3. März 1953 hinsichtlich der Gesamtstrafe Revision eingelegt. Das Rechtsmittel muss Erfolg haben.
Fehl gehen allerdings die Versuche des Beschwerdeführers, durch rechnerische Vergleiche zwischen der Gesamthöhe der elf früheren und der zehn nunmehrigen Einzelstrafen einerseits und der Höhe der früheren Gesamtstrafe andererseits darzutun, dass das Landgericht in dem neuen Urteil die Gesamtstrafe um fünf Monate geringer als die frühere Gesamtstrafe, also auf zwei Jahre und sieben Monate Zuchthaus, hätte bemessen müssen. Wird auf Grund eines lediglich von dem Angeklagten, der Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten oder seinem gesetzlichen Vertreter eingelegten Rechtsmittels oder auf Grund eines entsprechenden Wiederaufnahmeantrags ein Urteil, durch das für mehrere strafbare Handlungen eine Gesamtstrafe ausgesprochen worden ist, ganz oder teilweise aufgehoben, so darf der neu erkennende Richter nach dem Verbot der Schlechterstellung des Angeklagten (§§ 331, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO) zwar nicht die früheren Einzelstrafen und die frühere Gesamtstrafe in deren Art oder Höhe zum Nachteil des Angeklagten ändern. Durch das erwähnte Verbot ist er aber - vorbehaltlich der Bestimmung in § 74 Abs. 3 Halbsatz 1 StGB - nicht gehindert, auch dann, wenn in einem Falle oder in mehreren Fällen der Angeklagte freigesprochen wird oder mildere Einzelstrafen als in dem früheren Urteil festgesetzt werden, auf dieselbe Gesamtstrafe wie früher zu erkennen. Innerhalb des hiernach zur Verfügung stehenden Strafrahmens hängt es allein vom pflichtmässigen Ermessen des neu erkennenden Richters ab, in welcher Höhe (gegebenenfalls unter Anwendung einer milderen Strafart) die Gesamtstrafe festzusetzen ist. Es kann demgemäss grundsätzlich nicht beanstandet werden, wenn das Landgericht im vorliegenden Fall trotz des Wegfalls der in dem früheren Urteil für den Fall J. festgesetzten Einzelstrafe von einem Jahr Zuchthaus auf eine gegenüber dem früheren Urteil nur um drei Monate niedrigere Gesamtzuchthausstrafe erkannt hat. Dass das frühere Gericht nicht die der Bildung der Gesamtstrafe nach § 74 Abs. 1 StGB zugrunde gelegte Einsatzstrafe bezeichnet und ihm daher, wie die Revision meint, von den sechs Einzelstrafen in Höhe von je einem Jahr Zuchthaus möglicherweise gerade die Strafe für den Fall J. als Einsatzstrafe gedient hat, ist ohne Bedeutung.
Dagegen rügt die Revision mit Recht, dass das Landgericht unterlassen hat, entsprechend § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen die Umstände anzuführen, die für die Bemessung der Höhe der Gesamtstrafe bestimmend waren.
Durch das Vereinheitlichungsgesetz vom 12. September 1950 ist die die Anführung der Strafzumessungsgründe im Urteil betreffende Bestimmung des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO aus einer Soll- in eine Mussvorschrift verwandelt worden. Aus dieser Gesetzesänderung haben mehrere Oberlandesgerichte (OLG Bremen NJW 1952 S 1069 Nr. 32 - unter Hinweis auf HESt 2 S 232 -; OLG Köln NJW 1953 S 275 Nr. 21) gefolgert, dass der Richter, der nach §§ 74, 79 StGB, § 460 StPO eine Gesamtstrafe bildet, die für die Bemessung der Gesamtstrafe massgeblichen Umstände in dem Urteil oder dem Beschluss anzuführen hat. Inwieweit dieser Meinung für den Regelfall der Bildung einer Gesamtstrafe (§ 74 StGB) beizupflichten ist, in dem der Richter sämtliche der Gesamtstrafe zugrunde liegenden Einzelstrafen selbst festgesetzt hat, kann dahingestellt bleiben. Zuzustimmen ist ihr jedenfalls für die Fälle, in denen der Richter die Einzelstrafen - sei es auch nur zum Teil - nicht selbst bemessen hat, für die Fälle also, in denen er nach § 79 StGB oder, wie hier, im Wiederaufnahmeverfahren eine Gesamtstrafe zu bilden hat. In solchen Fällen binden den Richter zwar die tatsächlichen Feststellungen und die Strafzumessungserwägungen des früheren Urteils, soweit sie die rechtskräftig festgesetzten Einzelstrafen betreffen. Hinsichtlich der Bemessung der Gesamtstrafe befindet er sich aber in derselben Lage wie sonst der Tatrichter, der eine einzelne Strafe festzusetzen hat. Wie dieser die für die Strafbemessung massgebenden Gründe auch dann selbständig feststellen muss, wenn ein Mittäter des Angeklagten von einem anderen Gericht bestraft worden ist (vgl. BGH 2 StR 55/51 vom 13. März 1951 und 4 StR 129/51 vom 5. April 1951), so ist auch hier der Richter verpflichtet, über das Mass der Gesamtstrafe eigene Erwägungen anzustellen, insbesondere solche, die sich aus etwaigen nach dem früheren Urteil eingetretenen Umständen ergeben; in Fällen, in denen, wie hier, bereits das frühere Gericht eine Gesamtstrafe ausgesprochen hatte, ist er dabei an die Gründe, die dieses Gericht bei der Bemessung der Gesamtstrafe erwogen hatte, nicht gebunden. Aus dieser Pflicht des Richters, das Mass der Gesamtstrafe selbständig, ohne Bindung an die nicht die Einzelstrafen als solche betreffenden Strafzumessungserwägungen des früheren Gerichts festzusetzen, ergibt sich, dass er nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht nur hinsichtlich der etwa neu hinzutretenden Einzelstrafen, sondern auch hinsichtlich der Gesamtstrafe die Zumessungsgründe im Urteil anführen muss.
Wegen der für die Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigenden Umstände wird im übrigen auf RGSt 44, 302, 306 f verwiesen.
Der festgestellte Mangel, der nicht nur einen Verstoss gegen das Verfahrensrecht, sondern auch eine Verletzung des sachlichen Rechts bedeutet, nötigt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache im Umfang der Anfechtung.