Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 18.07.1978, Az.: 1 STR 209/78
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14. Dezember 1977 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
Die Strafkammer hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung (§§ 222, 230, 53 StGB) zur Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen von je 300,00 DM verurteilt.
Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
I.Nach den Feststellungen hat der Angeklagte im Frühjahr 1973 zwei drogenabhängigen Patienten das morphinhaltige Medikament Jetrium zur Selbstinjektion verordnet und ihnen jeweils fünf Ampullen verschrieben. Beide Patienten kamen dadurch zu Tode, daà sie entgegen der Anweisung des Angeklagten, jeweils nur eine Ampulle intramuskulär zu injizieren, sich unmittelbar nacheinander zwei Ampullen intravenös zuführten.
Im ersten Falle (Arno M., 22 Jahre alt, gestorben am ... 1973) nimmt der Tatrichter an, daà für den Angeklagten zwar nicht der Eintritt des Todes, aber eine erhebliche körperliche Schädigung vorhersehbar gewesen sei; im zweiten Falle (Martin L., 21 Jahre alt, gestorben am ... 1973) sei jedoch nach den Erfahrungen im Falle M. der Eintritt des Todes vorhersehbar gewesen.
II.Zum Schuldspruch zeigt die Revision keinen Rechtsfehler auf.
1.Der Tatrichter hat die Fragen der Ursächlichkeit und der Pflichtwidrigkeit des Handelns des Angeklagten sowie der Vorhersehbarkeit der Körperverletzung im Falle M. und der Tötung im Falle L. sorgfältig gewürdigt; die Revision erhebt im einzelnen dagegen keine Einwendungen, Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich.
2.Der Erörterung bedarf lediglich der Einwand der Revision, die beiden Patienten hätten sich die tödlichen Injektionen im vollen BewuÃtsein des Abweichens von den Einnahmevorschriften des Angeklagten und damit zugleich im BewuÃtsein des sich daraus ergebenden lebensbedrohenden Risikos selbst beigebracht; damit entfalle aber die Verantwortlichkeit des Angeklagten für den eingetretenen Erfolg.
a)Für den Fall des Selbstmordes hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, daà derjenige, der fahrlässig den Tod eines Selbstmörders mitverursacht, nicht strafbar ist (BGHSt 24, 342). Die dort dargelegten Grundsätze will der Beschwerdeführer auf den hier gegebenen Fall der bewuÃten Selbstgefährdung übertragen wissen, da die beiden jungen Leute zwar nicht Selbstmord begehen wollten, aber den "freien EntschluÃ" (UA S. 44) gefaÃt hätten, sich unmittelbar nacheinander zwei Ampullen Jetrium intravenös zu injizieren; um des Zieles eines besonders starken Rauscheffekts willen hätten sie die mit der falschen Injektionsart und der Ãberdosierung verbundenen besonderen Risiken für Leib und Leben in Kauf genommen, also eindeutig den Vorsatz der Selbstgefährdung gehabt.
b)Der Revision ist zuzugeben, daà es sich hier - entgegen der Auffassung der Bundesanwaltschaft - nicht um die Frage der Einwilligung, sondern um eine anders gelagerte Frage der Rechtswidrigkeit handelt. Dabei kann für die Entscheidung dieses Falles dahingestellt bleiben, ob aus der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH a.a.O.) die allgemeine Folgerung gezogen werden kann, daà das freie und voll verantwortliche Handeln des sich selbst Gefährdenden dem nicht zugerechnet werden kann, der die Selbstgefährdung ermöglicht hat (vgl. für viele Rudolphi in SK StGB 2. Aufl. vor § 1 Rdn. 79). Denn hier bestand die sich aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag ergebende besondere Sorgfaltspflicht des Arztes, Schaden von seinen Patienten abzuwenden. Von der Beobachtung dieser ärztlichen Sorgfaltspflicht ist aber der Arzt bei der Ausübung seiner Berufstätigkeit niemals befreit, auch dort nicht, wo sich bei einer ärztlichen Behandlung Risiken ergeben, die ohne weiteres erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10. Januar 1955 - 3 StR 576/54 - bei Dallinger MDR 1955, 269, 270). Die Garantenstellung des Arztes, der die Behandlung eines Patienten übernommen hat, unterscheidet den Fall grundlegend von dem Sachverhalt der Entscheidung BGHSt 24, 342, deren Leitsatz insofern zu weit gefaÃt ist; sie gebietet es, daà der Arzt den Patienten im Rahmen der von ihm gewählten Therapie keinen vermeidbaren Risiken aussetzt, vor allem wenn es sich, wie hier, um die erstmalige Anwendung einer neuartigen Entziehungstherapie mit einem gefährlichen Medikament handelt, das in gröÃerer als der für die einmalige Anwendung notwendigen Dosis in die Hand von rauschgiftabhängigen und damit erfahrungsgemäà besonders unberechenbaren Patienten gegeben wird.
c)Diesen Gesichtspunkt verkennt die Revision mit der Meinung, daà es an einer frei verantwortlich beschlossenen Selbstgefährdung keine strafrechtlich relevante Beteiligung geben könne; denn es geht hier nicht um den Vorwurf der Beihilfe zu einer - nicht vorhandenen - Haupttat, sondern der Angeklagte ist selbst als Täter anzusehen, weil er bei seiner Art der Behandlung nicht in Rechnung gestellt hat, daà Drogenabhängige im Zustand des Entzugs jede Kontrolle über sich verlieren und unberechenbar werden, daà sie insbesondere ein ihnen überlassenes Suchtmittel entgegen ausdrücklicher Anordnung intravenös injizieren und dabei eine Ãberdosis anwenden würden (UA S. 30 ff). Zu einer sorgfältigen Kontrolle, deren sich der Angeklagte bei der von ihm gewählten Behandlungsmethode vollständig begab, hätte um so mehr Anlaà bestanden, als das von ihm verschriebene Medikament für eine Entziehungstherapie noch nie eingesetzt worden war (UA S. 34/35).
Wenn sich auch in vielen Fällen die Möglichkeit einer Selbstgefährdung eines Patienten durch ein vom Arzt verabreichtes oder verschriebenes Medikament nicht völlig ausschlieÃen lassen wird, so hat der Angeklagte doch durch seine besondere Sorglosigkeit hier geradezu einen Anreiz zur Selbstgefährdung geschaffen, der sein Verhalten nicht mehr als - straflose - Teilnahme an fremder Selbstgefährdung erscheinen läÃt, sondern vom Landgericht ohne Rechtsirrtum als täterschaftliche Schaffung einer gefahrenträchtigen Lage gewertet werden konnte (UA S. 44). Der Tatrichter hat damit weder die Anforderungen an die ärztliche Sorgfaltspflicht überspannt noch hat er den dem behandelnden Arzt bei der Wahl seiner Behandlungsmethoden einzuräumenden Ermessensbereich in rechtlich zu beanstandender Weise eingeengt.
III.Da auch die Strafzumessung keinen Rechtsfehler ersehen läÃt, ist die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.