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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 21.11.2012, Az.: 2 STR 311/12

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision; der Nebenkläger H. begehrt mit der Sachrüge die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung des Nebenklägers H. hat keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten ergeben, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Auf das Rechtsmittel des Angeklagten war das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts trafen der zur Tatzeit 22 Jahre alte Angeklagte und sein Freund K. H., die beide von dunklerer Hautfarbe sind, am 21. Mai 2011 gegen 0.30 Uhr auf dem Gelände der Fachhochschule W. auf die Geschädigten G. und H. Der Angeklagte und K. H. saßen auf einer Bank und tranken Alkohol, G. und H. befanden sich auf dem Rückweg von einer Tankstelle, wo sie für eine in den nahe gelegenen Schrebergärten stattfindende Grillfeier Grillkohle und Bier gekauft hatten. Es entwickelte sich aus einer Distanz von etwa 10 Metern eine Diskussion zwischen G. und K. H., in deren Verlauf G. zu diesem sagte "Du fühlst dich wohl cool, Nigger". Als K. H. "Verpisst Euch!" erwiderte, begab sich G. zu der Sitzbank. Während der verbalen Auseinandersetzung oder kurz zuvor hatte der Geschädigte H. einen Anruf von einem weiteren Partyteilnehmer erhalten, dem H. mitteilte, dass es noch Ärger mit zwei auf einer Bank sitzenden Personen geben könne, auf den sie sich aber nicht einlassen würden; Hilfe sei nicht nötig. K. H. und der Angeklagte missverstanden das Telefonat allerdings dahingehend, dass H. Hilfe herbeirief. Deshalb telefonierte K. H. mit einem Freund, um diesen als Verstärkung herbeizurufen. Noch während dieses Gespräches erhielt er von G., der von großer Statur war (2,00 m, 100 kg), einen Schubs oder Stoß gegen die Brust. Nicht ausschließbar versetzte G. dem K. H. auch Faustschläge, die dieser erwiderte. Nunmehr schlug auch der Geschädigte H. auf K. H. ein, der sich zwar wehrte, jedoch bald zu Boden ging. Der Angeklagte, der seinem Freund helfen wollte, zog zu diesem Zweck aus seiner Bauchtasche ein Einhandmesser mit einer Klingenlänge von knapp 7 cm, das er für etwaige Auseinandersetzungen mit sich führte, klappte es auf und begab sich in Richtung der anderen Beteiligten. G., der das Messer nicht bemerkt hatte, wendete sich nunmehr dem Angeklagten zu und schlug auch diesem ins Gesicht, während H. auf den am Boden liegenden K. H. eintrat. Als H. von dem inzwischen bewusstlosen K. H. abließ und sich zusammen mit G. dem Angeklagten zuwenden konnte, stach dieser, um den Angriff zu beenden, zunächst drei Mal mit Verletzungsvorsatz auf G. ein, der zwei Stiche in das rechte Bein und einen in die linke Gesäßrückseite erlitt. Unmittelbar darauf versetzte der Angeklagte dem Geschädigten H. mit bedingtem Tötungsvorsatz einen Stich in die linke Brust. H. lief von dem Angeklagten weg und wählte um 0.40 Uhr einen Notruf. Der Angeklagte erkannte, dass er H. noch nicht tödlich verletzt hatte, setzte ihm aber trotz bestehender Möglichkeit nicht nach, da er mit der Abwehr der beiden Angreifer sein vorrangiges Ziel erreicht hatte.

G. erlitt durch die Stiche in den Oberschenkel eine Verletzung der großen Beinarterie und der großen Beinvene, die zu einer starken Blutung führte; er verstarb wegen des Blutverlustes innerhalb weniger Minuten an Kreislaufversagen. H. erlitt eine lebensgefährliche Verletzung der Lunge, konnte aber durch eine Notoperation gerettet werden.

2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr bzw. Nothilfe abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht ist der Ansicht, dass zwar eine Notwehr- bzw. Nothilfelage vorgelegen habe, das Vorgehen des Angeklagten aber keine erforderliche Verteidigung im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB gewesen sei. Der Angeklagte habe den Einsatz des Messers gegenüber den unbewaffneten Angreifern vorher androhen müssen. Bei der notwendigen Prüfung der konkreten Kampflage sei zwar zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich zwei Angreifern gegenüber gesehen habe, von denen ihm zumindest einer körperlich deutlich überlegen gewesen sei. Auch habe aus seiner Sicht nach dem Telefonat von H. in absehbarer Zeit das Hinzutreten weiterer Personen auf Seiten der Angreifer gedroht. Auf der anderen Seite sei aber zu bedenken, dass auch dem Angeklagten die Geringfügigkeit des Anlasses der Auseinandersetzung nicht entgangen sei und er deshalb keinen Anhaltspunkt für eine Steigerung der Aggressionen für den Fall des Androhens des Messereinsatzes gehabt habe, er insbesondere nicht mit einer Entwaffnung und der anschließenden Zufügung schwerwiegender Verletzungen habe rechnen müssen. Aus der Vorgeschichte, die sich allein zwischen K. H. und G. abgespielt habe, seien zudem keine Anzeichen für besondere Aggressionen der Geschädigten gerade gegen den Angeklagten erkennbar gewesen.

b) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (BGH NJW 1989, 3027; NStZ 1983, 117). Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, dann ist sie grundsätzlich berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; der Angegriffene muss sich nicht mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist (Senat NStZ 2012, 272, 274). Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, dass gegenüber einem unbewaffneten Angreifer der Gebrauch eines Messers in der Regel anzudrohen ist (BGH NStZ 1996, 29 f.; BGHSt 26, 256, 258). Dies setzt aber voraus, dass eine solche Drohung unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht hat, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12 mwN); dabei ist auch zu berücksichtigen, ob dem Angegriffenen genügend Zeit zur Wahl des Abwehrmittels und zur Abschätzung der Lage zur Verfügung stand (vgl. BGH NStZ 2012, 272, 274). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Einzelnen darzulegen. Dabei dürfen angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen die Androhung eines Messereinsatzes keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12).

c) Diesen Grundsätzen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit der Messerstiche nicht gerecht. Für die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte durch ein Androhen des Messereinsatzes seine Verteidigungsmöglichkeiten nicht verschlechtert hätte, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage.

Soweit dem Angeklagten von der Kammer entgegengehalten wird, wegen der von ihm erkannten Geringfügigkeit des Anlasses der Auseinandersetzung habe es aus seiner Sicht keinen Anhaltspunkt einer Eskalation für den Fall des Androhens des Messereinsatzes gegeben, lässt dies die gebotene Auseinandersetzung mit wesentlichen Umständen vermissen, die sich aus den Feststellungen ergeben. Die Geringfügigkeit des Anlasses sagt für sich bereits nichts darüber aus, wie bedrohlich die Situation für den Angeklagten im Zeitpunkt seiner Verteidigungshandlungen tatsächlich war. Sie ist hierfür aber vor allem angesichts der konkreten Kampflage ohne Aussagekraft. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die Geschädigten, von denen die Tätlichkeiten ausgingen, den K. H. bereits so geschlagen und getreten hatten, dass dieser bewusstlos am Boden lag. Als sie sich nunmehr dem Angeklagten zuwandten, lag es bei einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse aus Sicht des Angeklagten nahe, dass sie nunmehr auch ihn durch Schläge und Tritte schwer verletzen würden. Das Landgericht hat nicht in seine Überlegungen aufgenommen, dass das trotz der Geringfügigkeit des Anlasses an den Tag gelegte, in hohem Maße aggressive Verhalten der Geschädigten gegen K. H. gegen die Annahme spricht, dass die vorherige Androhung des Messereinsatzes durch den Angeklagten dazu geeignet gewesen wäre, den Angriff auf ihn endgültig abzuwehren.

Dies gilt umso mehr, als der Geschädigte G. dem Angeklagten bereits einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hatte und der Angeklagte davon ausging, dass auf Seiten der Angreifer in absehbarer Zeit weitere Personen hinzutreten würden. Mit Rücksicht auf die körperliche Überlegenheit der Angreifer sowie ihre personelle, sich aus Sicht des Angeklagten alsbald verstärkende Übermacht fehlt es deshalb auch an einer hinreichenden Grundlage für die Auffassung der Kammer, der Angeklagte habe für den Fall der Androhung des Messereinsatzes nicht mit einer Entwaffnung und der anschließenden Zufügung schwerwiegender Verletzung rechnen müssen.

Darüber hinaus findet die Erwägung des Landgerichts, es seien keine Anzeichen für besondere Aggressionen der Geschädigten gerade gegen den Angeklagten erkennbar gewesen, in den Feststellungen keine hinreichende Grundlage. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass G. dem Angeklagten, ohne das Messer bemerkt zu haben, bereits vor den ersten mit Verteidigungswillen geführten Messerstichen mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte und sich die beiden Geschädigten dem Angeklagten zuwandten, nachdem sie zuvor bereits K. H. bis zur Bewusstlosigkeit traktiert hatten. Die genannten, vom Landgericht auch in diesem Zusammenhang nicht erwogenen Umstände sprachen objektiv und aus der Perspektive des Angeklagten dafür, dass sich die Aggressionen der Geschädigten in gleicher Weise wie zuvor gegen K. H. nunmehr gegen ihn richten würden.

Unter diesen Umständen hatte die Drohung, das Messer einzusetzen, keine so hohe Erfolgsaussicht, dass dem Angeklagten das Risiko des Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zuzumuten war.

Letztlich hat das Landgericht den Aspekt, dass unabhängig davon, ob der nicht angedrohte Messereinsatz eine erforderliche Notwehrhandlung des Angeklagten zu seiner eigenen Verteidigung war, hierin eine erforderliche Nothilfehandlung zu Gunsten seines Freundes K. H. lag, überhaupt nicht in seine rechtlichen Erwägungen einbezogen.

3. Der Senat kann nicht nach § 354 Abs. 1 StPO durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden. Mit Rücksicht auf die in den Urteilsgründen zum Ausdruck kommende, nicht eindeutige Beweislage sowie dort erwogene Sachverhaltsalternativen kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine neue Verhandlung noch weitere Feststellungen zu erbringen vermag, die einen Schuldspruch rechtfertigen.