Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 24.10.1995, Az.: 1 STR 465/95
Entscheidungsgründe
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Aussetzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit der Sachrüge an; sie erstrebt eine Verurteilung der Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Totschlag durch Unterlassen. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Revision der Angeklagten erhebt ohne nähere Begründung die Sachrüge; ihr Rechtsmittel führt zur Ãnderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Nach den Feststellungen hat der frühere Mitangeklagte C. dem später verstorbenen N. eine Vielzahl von Faustschlägen und FuÃtritten zugefügt, an deren Folgen N. verstorben ist. Die Angeklagte M. hat sich an diesen MiÃhandlungen zeitweilig beteiligt. Dabei wuÃte sie, daà durch die massiven MiÃhandlungen, wie sie N. zugefügt wurden, das Opfer tödlich verletzt werden konnte. Dennoch hat sie sich entschlossen, an diesen MiÃhandlungen aktiv mitzuwirken, weil sie der Meinung war, N. verdiene wegen seines zurückliegenden Verhaltens eine deutlich spürbare Bestrafung. Während bei C. bedingter Tötungsvorsatz festgestellt wurde, ist das Landgericht für die Angeklagte M. zu dem Ergebnis gekommen, daà sie den von ihr für möglich erkannten Tod des N. weder wünschte noch billigte, sondern in gewissem MaÃe darauf hoffte und vertraute, daà N. nicht sterben werde. Jedenfalls konnte ihr das nicht zweifelsfrei widerlegt werden (UA S. 122, 123). Auch am Morgen des 19. Juli 1994, als die Angeklagten N. in hilfloser Lage zurücklieÃen, hatte sie keinen Tötungsvorsatz (UA S. 141).
Diese Feststellungen schlieÃen eine Verurteilung der Angeklagten auch wegen Totschlags durch Unterlassen, wie sie die Staatsanwaltschaft mit der von ihr erhobenen Sachrüge anstrebt, aus. Dabei ist einzuräumen, daà die Beweiswürdigung zum zweiten Tatabschnitt Lücken aufweist. So geht das Landgericht nicht darauf ein, daà sich der Zustand des Tatopfers durch die weiteren MiÃhandlungen, die C. ohne Zutun der Angeklagten M. ihm zugefügt hatte, erheblich verschlechtert hatte; die Angeklagten erkannten auch, daà N. dringend ärztlicher Hilfe bedurfte, und rechneten damit, daà er an seinen Verletzungen sterben könnte (UA S. 75). Andererseits hatte die Angeklagte M. den Mitangeklagten C. von weiteren MiÃhandlungen des N. abgehalten und am 20. Juli 1994 aus Sorge um N. zweimal versucht, diesen telefonisch zu erreichen. Letztlich läÃt daher der Schluà des Landgerichts, der Angeklagten sei zumindest nicht zu widerlegen, sie sei mit dem Tod des Opfers nicht einverstanden gewesen und habe bis zuletzt gehofft und darauf vertraut, daà N. nicht sterben werde, durchgreifende Rechtsfehler nicht erkennen.
2. Dagegen hat die Sachrüge der Angeklagten teilweise Erfolg, weil das Ergebnis der Beweiswürdigung eine Verurteilung auch wegen Aussetzung nach § 221 Abs. 1 StGB ausschlieÃt. Eine Verpflichtung, dem schwerverletzten N. Beistand zu leisten, konnte sich für sie nach Sachlage nur aus den vorangegangenen, auch von ihr vorgenommenen MiÃhandlungen ergeben (vgl. BGHSt 25, 218, 220;  26, 35, 37). Insoweit ist es nach der Beurteilung des Landgerichts jedoch möglich, daà sie diese MiÃhandlungen mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgenommen hat. Geht man jedoch, wie nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" geboten (vgl. dazu BGH bei Holtz MDR 1979, 635;  1986, 794;  BGH StV 1988, 202), hinsichtlich der Aussetzung zu ihren Gunsten davon aus, daà sie den später Verstorbenen mit bedingtem Tötungsvorsatz miÃhandelte, traf sie keine Garantenstellung, den von ihr billigend in Kauf genommenen Tod des N. abzuwenden; denn der Täter, der vorsätzlich oder bedingt vorsätzlich einen Erfolg anstrebt oder billigend in Kauf nimmt, ist nicht zugleich verpflichtet, ihn abzuwenden.
Das ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt für den Fall, daà der Täter den äuÃeren Tatbestand der Aussetzung mit - wenn auch nur bedingtem - Tötungsvorsatz verwirklicht (BGHSt 4, 113, 116; ebenso RGSt 68, 407, 409). An diesem Ergebnis würde sich nichts ändern, wenn die Angeklagte ihren - möglicherweise - bei der Zufügung der MiÃhandlungen vorhandenen Tötungsvorsatz aufgegeben hatte, als sie sich schlieÃlich entschloÃ, den schwerverletzten N. in hilfloser Lage zurückzulassen. Auch in diesem Falle kommt eine Bestrafung wegen Aussetzung nicht in Betracht. § 221 StGB ist ein Gefährdungsdelikt, das menschliches Leben schützen soll. Bei einem vorsätzlichen Angriff auf dieses Rechtsgut kann der Täter, wenn er sich später eines besseren besinnt und - erfolgreich - Hilfe leistet, zwar den Strafmilderungsgrund des Rücktritts erlangen; eine rechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung besteht jedoch nicht. Die strafrechtliche Ahndung erfolgt ausschlieÃlich durch das Verletzungsdelikt.
Der Schuldspruch war demgemäà dahin zu ändern, daà die Verurteilung wegen Aussetzung entfällt. Die Ãnderung des Schuldspruchs macht die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlich, weil das Landgericht der Angeklagten straferschwerend angelastet hat, daà sie sich nicht um Hilfe bemüht und damit einen weiteren Tatbestand erfüllt hat (UA S. 149, 152). Für die erneute Strafzumessung ist darauf hinzuweisen, daà der vertypte Milderungsgrund des § 21 StGB, dessen Voraussetzungen das Landgericht bejaht hat, in die Erwägungen einzubeziehen ist, ob ein minder schwerer Fall der Körperverletzung mit Todesfolge vorliegt.