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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 16.04.2014, Az.: 1 STR 516/13

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 194 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Die auf mehrere Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt im Schuldspruch erfolglos, hat aber zum Strafausspruch Erfolg. Auch die auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Angeklagten, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, führt zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch.

Der Verurteilung liegt im Kern Folgendes zugrunde:

Der Angeklagte hat als Geschäftsführer einer GmbH (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) in 194 Fällen Sozialversicherungsbeiträge für Fahrer, die als Arbeitnehmer bei der GmbH beschäftigt waren, nicht bzw. nicht vollständig abgeführt. Hierdurch wurden den Sozialversicherungsträgern im Zeitraum Januar 2003 bis August 2006 Sozialversicherungsbeiträge in einem Umfang von 245.025,24 Euro vorenthalten. Im Jahr 2013 wurden durch eine vom Angeklagten vertretene GmbH 41.000 Euro auf die Beitragsrückstände gezahlt.

1. Im Einzelnen ist Folgendes festgestellt:

a) Der Angeklagte war im Tatzeitraum Geschäftsführer der W. Transportgesellschaft mbH (nachfolgend: W. GmbH). Diese hatte sich als Subunternehmerin gegenüber den Kurier-Express-Dienstleistern G. GmbH & Co. OHG (nachfolgend: G.) sowie P. GmbH (nachfolgend: P.) zur Abholung und Auslieferung von Sendungen in einem bestimmten Gebiet verpflichtet. Die Verträge enthielten detaillierte Regelungen zur Durchführung der Transportaufträge - z.B. zum technischen Ablauf der Auslieferung und Abholung der Pakete, zu Auftreten und Kleidung der Fahrer sowie zur Beschriftung, Reinigung und Wartung der Fahrzeuge -, deren Einhaltung im Einverständnis mit dem Angeklagten durch die Auftraggeber überwacht wurde.

Obwohl die W. GmbH nach dem Vertrag mit der G. ihrerseits keine Subunternehmer heranziehen durfte, schloss die W. GmbH mit zahlreichen Fahrern als Subunternehmerverträge bezeichnete Verträge ab. Um dies zu verschleiern, beschäftigte die W. GmbH die für die G. tätigen Fahrer zusätzlich als Paketsortierer und meldete sie insoweit mit einem Bruttolohn von 600 Euro zur Sozialversicherung an. Darüber hinaus schloss der Angeklagte als Geschäftsführer einer weiteren GmbH - der B. GmbH (nachfolgend: B. GmbH) - mit allen Fahrern "Subunternehmerverträge" ab. Auch dies diente der Verschleierung der wahren Verhältnisse. Die B. GmbH stand in keinen vertraglichen Beziehungen zu der G. und der P. Die Fahrer erhielten als Gegenleistung für die Abholung und Auslieferung der Sendungen für die genannten Kurier-Express-Dienstleister Vergütungen scheinbar sowohl von der W. GmbH als auch von der B. GmbH. Gründe, die diese Aufteilung objektiv nachvollziehbar erscheinen lassen könnten, ergaben sich nicht.

b) Zu den Arbeitsabläufen:

Der Angeklagte organisierte und koordinierte die Fahrer untereinander. Er teilte die übernommenen Einsatzgebiete in kleinere Zustellbezirke und wies den Fahrern jeweils eine feste Route zu. Zudem hielt er Springer vor, die bei Verhinderung oder Überlastung eines Fahrers zum Einsatz kamen. Neben dem Zustellgebiet bestimmte der Angeklagte Start- und Endpunkt der Tour sowie Arbeitsbeginn und Arbeitsende. Den Fahrern wurde in der Regel aufgrund von Kfz-Nutzungsverträgen gegen Entgelt ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt. Während der Fahrt mussten die Fahrer telefonisch sowohl für den Angeklagten als auch für die G. bzw. die P. erreichbar sein. Die Vorgaben von G. bzw. P. zur Durchführung der Transportaufträge reichte der Angeklagte an die Fahrer weiter, Verstöße dagegen wurden mit Vertragsstrafen sanktioniert. Die Fahrer waren durch ihre Tätigkeit für die W. GmbH bzw. scheinbar die B. GmbH voll ausgelastet; sie boten ihre Leistungen keinem Dritten an und bedienten keine weiteren Auftraggeber. Die Abrechnung mit den Fahrern erfolgte monatlich mittels Gutschriften mit Umsatzsteuerausweis der W. GmbH bzw. der B. GmbH in Abhängigkeit von der Anzahl der ausgelieferten und abgeholten Pakete bzw. der Anzahl der Stopps, wobei das für die Fahrzeugnutzung anfallende Entgelt sowie weitere Beträge - etwa für Vertragsstrafen - in Abzug gebracht wurden.

c) Zum Vorsatz des Angeklagten:

Der Angeklagte hielt es zumindest für möglich, dass es sich bei den Fahrern nicht um selbständige Subunternehmer, sondern um abhängig beschäftigte Arbeitnehmer handelte, und billigte dies.

Der Angeklagte wurde in Rechtsstreitigkeiten regelmäßig durch Rechtsanwalt N. vertreten. Einen Auftrag, den Angeklagten über grundsätzliche sozialversicherungsrechtliche Fragen - insbesondere darüber, ob die Fahrer als Arbeitnehmer oder als selbständige Subunternehmer anzusehen waren - zu beraten, hatte der Angeklagte Rechtsanwalt N. nicht erteilt. Dementsprechend hat der Angeklagte Rechtsanwalt N. wesentliche Umstände der Vertragsdurchführung - etwa die Verträge mit der G., die Aufspaltung in Sortier- und Fahrtätigkeit bei den für die G. tätigen Fahrern und die willkürliche Abrechnung über die W. GmbH bzw. die B. GmbH - auch nicht mitgeteilt.

2. Nach Auffassung der Strafkammer handelte es sich bei den Fahrern nicht um selbständige Subunternehmer, sondern um abhängig beschäftigte Arbeitnehmer. Als Arbeitgeberin sei - trotz der weitgehenden Überlagerung des Vertragsverhältnisses durch die detaillierten Regelungen zur Durchführung der Transporte in den Verträgen mit G. bzw. P. - die W. GmbH anzusehen, die gegenüber G. und P. zur Durchführung der Transporte verpflichtet war. Aus der Kenntnis aller wesentlichen tatsächlichen Umstände hat die Strafkammer darauf geschlossen, dass der Angeklagte die Möglichkeit, dass es sich bei den Fahrern um Arbeitnehmer handelte, in seinen Vorsatz aufgenommen hatte. Einen Verbotsirrtum hat die Strafkammer verneint, der Angeklagte habe die Fahrer nicht irrig für selbständige Subunternehmer gehalten.

Der Schadensberechnung hat die Strafkammer die in den Gutschriften ausgewiesenen "Nettoumsätze" (gemeint: ohne Umsatzsteuer) ohne Berücksichtigung der vorgenommenen Abzüge für die Fahrzeugnutzung, Vertragsstrafen u.a. zugrunde gelegt und diese gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein Bruttoentgelt hochgerechnet.

Der Schuldspruch wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 194 Fällen hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.

1. Grundlage der den Schuldspruch betreffenden Verfahrensrüge ist die von der Strafkammer vorgenommene Verfahrensbeschränkung nach § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2 StPO.

a) Der Verfahrensrüge liegt Folgendes zugrunde:

Ursprünglich lagen dem Angeklagten wesentlich mehr gleichartige Straftaten zur Last; weitere Fahrer seien ebenfalls Arbeitnehmer der W. GmbH gewesen. Im Laufe der Hauptverhandlung hat die Strafkammer nach Vernehmung "nahezu sämtlicher" von W. GmbH und B. GmbH eingesetzter Fahrer in erheblichem Umfang Vorwürfe gemäß § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2 StPO aus dem Verfahren ausgeschieden. Die Revision verkennt nicht, dass diese Entscheidung - von möglichen von der Revision nicht angesprochenen kostenrechtlichen Konsequenzen abgesehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. August 1996 - 2 BvR 662/95, NJW 1997, 46) - den Angeklagten nicht beschweren kann. Sie meint aber, im Zusammenhang mit der Verfahrensbeschränkung könnten nicht mitgeteilte Erkenntnisse angefallen sein, die sich im Hinblick auf die abgeurteilten Taten günstig für den Angeklagten ausgewirkt hätten.

b) Grundsätzlich kann es geboten sein, die Gründe einer Verfahrensbeschränkung in der Beweiswürdigung zu erörtern, etwa wenn mehrere gleichartige Anklagevorwürfe sich allein auf die Aussage eines Belastungszeugen stützen und ein Teil dieser Vorwürfe dann aus dem Verfahren ausgeschieden wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2008 - 5 StR 511/08, NStZ 2009, 228 mwN und vom 30. Mai 2000 - 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174). Eine derartige Konstellation liegt hier nicht vor.

c) Im Urteil sind die Gründe der Verfahrensbeschränkung im Kern dargelegt. Sie ergeben, dass hinsichtlich einer Reihe von Fahrern die Annahme eines Arbeitnehmerverhältnisses und damit eine Verurteilung des Angeklagten nicht ohne weitere Überprüfungen (z.B. zum Umfang zusätzlich durchgeführter Aufträge) möglich gewesen wäre. Es ist nicht ersichtlich, wieso die tatsächlichen Umstände in den eingestellten Fällen die von der Revision auch nicht konkret beanstandeten Feststellungen zu den tatsächlichen Umständen in den abgeurteilten Fällen in Frage stellen könnten.

d) Soweit die Revision meint, bei breiterer Darlegung hätten sich neue bisher nicht erkennbare Umstände ergeben, die den Angeklagten auch in den abgeurteilten Fällen entlasten würden, zeigt sie die Möglichkeit eines Rechtsfehlers nicht auf. Von der hier nicht einschlägigen Frage abgesehen, ob die Berücksichtigung von Erkenntnissen aus eingestellten Verfahrensteilen - regelmäßig zum Nachteil des Angeklagten - einen Hinweis erfordert (vgl. Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, § 154 Rn. 47 mwN), gelten im Zusammenhang mit der Behandlung derartiger Erkenntnisse die allgemeinen Grundsätze (vgl. Weßlau in SK-StPO, 4. Aufl., § 154 Rn. 55). Daraus folgt: Eine Überprüfung der Frage, ob die Zeugen weitere in den Urteilsgründen nicht mitgeteilte Aussagen gemacht haben, ist nicht möglich, da das Revisionsgericht die Beweisaufnahme nicht rekonstruiert. Auf die Feststellung weiterer Tatsachen gerichtete Verfahrensrügen - insbesondere Aufklärungsrügen - sind nicht erhoben.

2. Auch die auf die Sachrüge vorzunehmende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Die Strafkammer ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass es sich bei der W. GmbH um eine Arbeitgeberin i.S.v. § 266a StGB handelte, zu der die Fahrer in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV) standen.

a) Wer Arbeitgeber i.S.v. § 266a StGB ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das seinerseits diesbezüglich auf das Dienstvertragsrecht der §§ 611 ff. BGB abstellt. Arbeitgeber ist danach derjenige, dem gegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet ist und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht, das sich vor allem durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers ausdrückt. Das Bestehen eines solchen Beschäftigungsverhältnisses zum Arbeitgeber bestimmt sich dabei nach den tatsächlichen Gegebenheiten, die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind. In diese Gesamtbetrachtung sind vor allem das Vorliegen eines umfassenden arbeitsrechtlichen Weisungsrechts, die Gestaltung des Entgelts und seiner Berechnung (etwa Entlohnung nach festen Stundensätzen), Art und Ausmaß der Einbindung in den Betriebsablauf des Arbeitgeberbetriebes sowie die Festlegung des täglichen Beginns und des Endes der konkreten Tätigkeit einzustellen. Die Vertragsparteien können aus einem nach den tatsächlichen Verhältnissen bestehenden Beschäftigungsverhältnis resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflichten nicht durch eine abweichende Vertragsgestaltung beseitigen (insgesamt st. Rspr. vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Beschluss vom 4. September 2013 - 1 StR 94/13, wistra 2014, 23 mwN).

b) An diesen Maßstäben gemessen hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei das Bestehen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse zwischen der W. GmbH und den Fahrern angenommen. Sie hat die betrieblichen Abläufe sowohl hinsichtlich der Durchführung der Transporte für die G. (UA S. 9 ff.) als auch für die P. (UA S. 15 f.) im Einzelnen festgestellt und dabei insbesondere die betriebliche Arbeitsorganisation, das Bestehen von Weisungsrechten des Angeklagten im Hinblick auf die detaillierten Regelungen zur Durchführung der Transporte in den Verträgen mit den Auftraggebern G. bzw. P. sowie das Fehlen weiterer Auftraggeber der Fahrer in Bedacht genommen. Sie hat in ihre Betrachtungen aber auch gegenläufige Gesichtspunkte einbezogen, nämlich dass die Vergütung der Fahrer aufgrund der Bemessung nach der Anzahl der Pakete bzw. Anzahl der Stopps monatlich variierte, die Fahrer die Kosten für die Nutzung der Fahrzeuge selbst trugen, die Fahrer die Reihenfolge der Auslieferung bzw. Abholung innerhalb der ihnen zugeteilten festen Route selbst bestimmen konnten und dass die Fahrer jeweils ein Gewerbe angemeldet und Umsatzsteuer abgeführt hatten. Die auf Grundlage der festgestellten tatsächlichen Gegebenheiten erfolgte Bewertung als sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis ist nach alledem nicht zu beanstanden.

c) Der Senat hat erwogen, ob die Fahrer im Wege einer - dann ersichtlich unerlaubten - Arbeitnehmerüberlassung bei der G. und der P. tätig waren. Allerdings wäre die W. GmbH auch in diesem Fall Arbeitgeberin und der Angeklagte damit tauglicher Täter. Gemäß § 10 Abs. 1 AÜG i.V.m. § 9 Nr. 1 AÜG wäre ein Arbeitsverhältnis zwischen der G. bzw. der P. als Entleiherinnen und den Fahrern entstanden. Da jedoch die W. GmbH als Verleiherin das Entgelt an die Fahrer gezahlt hat, würde sie neben den Entleiherfirmen G. bzw. P. als Arbeitgeberin gelten und mit diesen als Gesamtschuldnerin haften soweit sich die Sozialversicherungsbeiträge auf das von ihr gezahlte Entgelt beziehen (vgl. § 28e Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB IV). Dies hätte allerdings gegebenenfalls Auswirkungen auf die Bestimmung der subjektiven Tatseite oder auch auf die Strafzumessung wegen der dann im Innenverhältnis möglicherweise primären Haftung der G. und der P. Letztlich kann dies jedoch offen bleiben, weil kein Fall der Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.

(1) Eine Überlassung zur Arbeitsleistung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AÜG liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen (vgl. BAG, Urteile vom 18. Januar 2012 - 7 AZR 723/10, EzA AÜG § 1 Nr. 14, und vom 6. August 2003 - 7 AZR 180/03, EzA AÜG § 1 Nr. 13).

Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Der Unternehmer organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller kann jedoch dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführungen des Werks erteilen. Entsprechendes gilt für Dienstverträge. Über die rechtliche Einordnung eines Vertrags entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem Geschäftsinhalt tatsächlich nicht entspricht (vgl. BAG aaO).

(2) Gegenstand des Vertrages zwischen der W. GmbH und der G. bzw. der P. war die Auslieferung und Abholung von Sendungen in einem bestimmten Gebiet. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer im Rahmen der auch hier gebotenen Gesamtbewertung - auch unter Berücksichtigung des genannten Inhalts der Verträge zwischen der W. GmbH und den Express-Kurier-Dienstleistern und den Vorgaben zu deren Einhaltung - insbesondere im Hinblick auf die eigenständige Organisation der Touren und des Einsatzes der Fahrer von der Erteilung arbeitsrechtlicher Weisungen durch den Angeklagten und nicht durch G. bzw. P. ausgegangen ist.

d) Die Kammer hat rechtsfehlerfrei ein vorsätzliches Verhalten des Angeklagten festgestellt. Die für das Bestehen von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und der daraus resultierenden Abführungspflicht maßgeblichen Tatsachen waren dem Angeklagten bekannt. Er hat versucht, diese dadurch zu verschleiern, dass er durch Abschluss von "Subunternehmerverträgen" zwischen den Fahrern und der B. GmbH einen weiteren Auftraggeber der Fahrer vortäuschte und in nicht nachvollziehbarer Weise auch namens der B. GmbH abrechnete. Da die Strafkammer rechtfehlerfrei festgestellt hat, dass der Angeklagte sich nicht geirrt hat, können ihre der Sache nach hilfsweisen Erwägungen, wonach ein etwaiger Verbotsirrtum vermeidbar gewesen wäre, auf sich beruhen bleiben.

Dagegen war der Strafausspruch auf die Revision des Angeklagten aufzuheben. Die Strafkammer hat den Schuldumfang nicht rechtsfehlerfrei bestimmt.

1. Allerdings greift die Rüge der Verletzung von § 393 Abs. 2 AO nicht durch.

Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Rahmen einer Außenprüfung des zuständigen Finanzamts bei der B. GmbH im April 2007 wurden Kontrollmitteilungen über an Paketfahrer gezahlte Vergütungen erstellt. Zum Zeitpunkt der Durchführung der Außenprüfung war dem Angeklagten nicht bekannt, dass gegen ihn bereits am 14. November 2006 durch das Hauptzollamt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt, der Steuerhinterziehung und des Betruges eingeleitet worden war. Die Kontrollmitteilungen wurden im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt und für die Feststellung der an die Fahrer gezahlten Beträge herangezogen, die die Grundlage der Schadensberechnung bilden.

Grundlage von im Rahmen einer Außenprüfung (§ 193 AO) gefertigten Kontrollmitteilungen sind regelmäßig Unterlagen, die aufgrund gesetzlicher, nicht ausschließlich der Sicherstellung der Besteuerung dienender Aufzeichnungspflichten (z.B. Buchführungspflicht gemäß § 140 AO i.V.m. § 238 HGB) erstellt und in Erfüllung der Mitwirkungspflichten aus § 200 AO vorgelegt werden. Solche gesetzlichen Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten betreffen den Kernbereich der grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbelastungsfreiheit auch dann nicht, wenn die zu erstellenden oder vorzulegenden Unterlagen auch zur Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verwendet werden dürfen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. April 2010 - 2 BvL 13/07, wistra 2010, 341 [zu § 393 Abs. 2 AO], vom 22. Oktober 1980 - 2 BvR 1172/79, 2 BvR 1238/79, BVerfGE 55, 144, und vom 7. Dezember 1991 - 2 BvR 1172/81, NJW 1982, 568). Eine Tatsachengrundlage dafür, dass der Inhalt der Kontrollmitteilungen hier ausnahmsweise auf Angaben des Angeklagten als gesetzlichem Vertreter der B. GmbH, die dieser im Rahmen der Außenprüfung gemacht hat, und damit auf von ihm offenbarten Tatsachen beruhen, hat die Revision nicht vorgetragen. Ebenso wenig lässt sich ihrem Vortrag entnehmen, welche konkreten Tatsachen auf den Angaben des Angeklagten beruhen. Anhaltspunkte dafür ergeben sich weder aus den Urteilsgründen, wonach die Betriebsprüferin Gr. die Kontrollmitteilungen auf Grundlage der in der Buchhaltung der B. GmbH vorhandenen Gutschriften und Belege erstellt hat, noch aus sonstigen Umständen.

2. Jedoch erweist sich die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge als rechtsfehlerhaft.

a) Allerdings ist die Strafkammer entgegen der Auffassung der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass "illegale Beschäftigungsverhältnisse" i.S.v. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV vorlagen und eine Hochrechnung auf ein Bruttoentgelt vorzunehmen war. Die Urteilsfeststellungen ergeben nämlich objektiv eine Verletzung von zentralen arbeitgeberbezogenen Pflichten des Sozialversicherungsrechts durch die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen (vgl. § 28d, 28e SGB IV) und die Verletzung von Meldepflichten (vgl. § 28a SGB IV) sowie subjektiv einen auf die Verletzung dieser Arbeitgeberpflichten gerichteten (bedingten) Vorsatz (vgl. zu den Voraussetzungen der Annahme eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses BSG, Urteil vom 9. November 2011 - B 12 R 18/09 R, BSGE 109, 254).

b) Die konkrete Bemessungsgrundlage für die Hochrechnung hat die Strafkammer aber nicht rechtsfehlerfrei bestimmt.

Grundlage der Beitragsbemessung ist das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Tätigkeit (vgl. §§ 223, 226 SGB V, §§ 161, 162 SGB VI, §§ 341, 342 SGB III sowie §§ 54, 57 SGB XI). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

Auf dieser Grundlage ist die Strafkammer zutreffend davon ausgegangen, dass die von der W. GmbH an die Fahrer ausgezahlte und von diesen abgeführte Umsatzsteuer nicht Teil des Arbeitsentgelts ist, da diese zu keiner spürbaren, nachhaltigen Bereicherung bei den Fahrern geführt hat (Werner in juris-PK-SGB IV, 2. Aufl., § 14 Rn. 45, 46).

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer die Abzüge für Vertragsstrafen bei der Ermittlung des Arbeitsentgelts unberücksichtigt gelassen hat. Die Entstehung der Beitragspflicht hängt nicht davon ab, ob das geschuldete Arbeitsentgelt gezahlt und dem Arbeitnehmer zugeflossen ist. Gegenforderungen eines Arbeitgebers können unabhängig von der Art ihrer Ausgestaltung im Einzelnen nicht dazu führen, dass ein Arbeitnehmer zwar arbeitet und dabei uneingeschränkt versichert ist, der hierfür der Versichertengemeinschaft zustehende Anspruch sich aber (im Extremfall auf Null) reduziert (vgl. näher dazu BSG, Urteil vom 21. Mai 1996 - 12 RK 64/94, BSGE 78, 224; Roßbach in Kreikebohm, Sozialrecht, 3. Aufl., § 22 SGB IV Rn. 4, 5).

Die Auffassung der Strafkammer, dass auch die Beträge, die für die Überlassung der Fahrzeuge und sonstige Fahrzeugkosten in Abzug gebracht wurden, Teil des Arbeitsentgelts sind, beruht dagegen auf einer lückenhaften Beweiswürdigung. Es liegt nahe und wäre daher zu erörtern gewesen, dass die gewählte vertragliche Konstruktion - Abschluss eines "Subunternehmervertrages" einerseits, Abschluss eines gesonderten Kfz-Nutzungsvertrages andererseits - hier der Verschleierung des Bestehens eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses diente. Wäre hiervon auszugehen, wäre zwischen der W. GmbH und den Fahrern lediglich ein Entgelt in Höhe der um die Fahrzeugnutzung und die Kosten für den Erhalt des Fahrzeugs gekürzten Beträge vereinbart gewesen.

3. Die rechtsfehlerhafte Bemessung der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und damit des Schuldumfangs zieht die Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen nach sich. Deshalb kommt es nicht mehr auf das für sich genommen keinen Verfahrensfehler belegende Vorbringen der Revision an, die Strafkammer habe den Inhalt der Urkunden unter Verstoß gegen § 261 StPO ausgelegt, weil sie die von den Gutschriften vorgenommenen Abzüge für die Fahrzeugnutzung unberücksichtigt gelassen hat.

Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch. Die Strafzumessung ist auch nicht frei von Rechtsfehlern zugunsten des Angeklagten.

Die Revision macht zu Recht geltend, das Landgericht habe bei der Strafzumessung zu Unrecht "sehr zugunsten des Angeklagten" berücksichtigt, dass der Angeklagte nicht von Rechtsanwalt N. auf die Sozialversicherungspflicht der Paketfahrer hingewiesen worden sei und sich dadurch in seiner Vorgehensweise bestätigt gefühlt habe. Rechtsanwalt N., der den Angeklagten schon seit vielen Jahren in Rechtsstreitigkeiten vertreten und zu dem der Angeklagte Vertrauen aufgebaut habe, habe nichts unternommen, die Einzelheiten genauer zu hinterfragen und eine genaue rechtliche Prüfung vorzunehmen. Zwar liege formal kein Verbotsirrtum vor, dies sei aber "im Unrechtsgehalt kein großer Unterschied".

Diese Erwägung ist nicht tragfähig. Der Angeklagte hat Rechtsanwalt N. weder die maßgeblichen tatsächlichen Umstände mitgeteilt, noch hat er ihn um Beratung in der hier einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Frage gebeten. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, warum der Schuldgehalt der Taten etwa ebenso zu bewerten gewesen wäre, als wenn der Angeklagte den Rat eines über alle Umstände informierten Rechtsanwalts eingeholt hätte, von diesem aber nicht richtig beraten worden wäre. Eine Rechtspflicht eines Rechtsanwalts, in Fragen, zu denen er nicht mandatiert wurde, aus eigenem Antrieb den Sachverhalt zu ermitteln und Belehrungen zu erteilen, gibt es nicht. Für die Möglichkeit, dass der Angeklagte gleichwohl von einer solchen Pflicht des Rechtsanwalts N. ausgegangen wäre, spricht nichts.