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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 29.04.2009, Az.: 1 STR 518/08

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten (wahlweise) wegen Diebstahls oder Hehlerei (Tat II. 1. der Urteilsgründe) sowie wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlichem Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in zwei tateinheitlichen Fällen (Tat II. 2. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden.

Den von der Revision geltend gemachten Widerspruch zwischen den Erkenntnissen der beiden Sachverständigen zum Todeszeitpunkt hat das Landgericht plausibel ausgeräumt. Der näheren Erörterung bedarf daher allein der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Insofern hat auch der Generalbundesanwalt beantragt, die Strafbarkeit entfallen zu lassen. Das Landgericht hat aufgrund einer rechtlich nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung zur Tat II. 2. der Urteilsgründe festgestellt:

In der Nacht zum 21. Januar 2006 kamen B. K. und Ü. Y. überein, "gemeinsam Kokain zu konsumieren". B. K. wandte sich deshalb an den u.a. wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln vorbestraften Angeklagten, "von dem er wusste, dass man bei ihm Kokain erhalten" konnte. Dieser erklärte sich bereit, B. K. und Ü. Y. "Kokain zu überlassen", holte aus seinem Vorrat Rauschgift und portionierte dieses in zwei zusammengerollten Zehn-Euro-Scheinen, die er B. K. und Ü. Y. zum Konsum übergab. "In diesem Moment wusste er jedoch nicht, dass es sich bei dem von ihm mitgeführten Rauschgift nicht um Kokain handelte, sondern um reines Heroin. Tatsächlich hielt er das mitgebrachte Rauschgift für eine Mischung aus Kokain, Amphetamin und gekochtem Marihuana. Entweder hatte er das Heroin von seinem Lieferanten als das entsprechende Kokaingemisch erhalten oder er hatte sowohl reines Heroin als auch die entsprechende Mischung vorrätig und sorgfaltswidrig die Mengen bei Herausnahme aus seinem Vorrat verwechselt." B. K. konsumierte das Heroin und verstarb wenige Stunden später infolge eines ausschließlich hierdurch verursachten zentralen Regulationsversagens. Diese Folge hätte der Angeklagte bei pflichtgemäßem und sorgfältigem Handeln erkennen und vermeiden können.

2. Der Generalbundesanwalt meint, diese Feststellungen würden die Verurteilung wegen - tateinheitlich zum Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Nr. 6b 2. Alt. BtMG begangener - fahrlässiger Tötung nicht tragen. Der Angeklagte habe sich lediglich an einer vorsätzlichen Selbstgefährdung B. K. s beteiligt und daher nicht gemäß § 222 StGB strafbar gemacht. Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu folgen.

a) Allerdings trifft es zu, dass eigenverantwortlich gewollte, mithin zumindest in Kauf genommene Selbsttötungen, -verletzungen und -gefährdungen nicht dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts unterfallen. Wer sich daran beteiligt, nimmt an einem Vorgang teil, der - soweit es um die Strafbarkeit wegen eines solchen Delikts geht - keine Tat im Sinne der §§ 25, 26, 27 Abs. 1 StGB darstellt. Der sich vorsätzlich Beteiligende kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs infolgedessen nicht als Anstifter oder Gehilfe bestraft werden. Wer das zumindest selbst gefährdende, eigenverantwortliche Verhalten eines anderen fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs nicht strafbar sein, wenn er sich im Falle vorsätzlichen Handelns nicht strafbar machen würde (grundlegend BGHSt 32, 262, 263 ff.; s. auch BGH NStZ 2001, 205).

b) Hieran gemessen hat sich der Angeklagte auch wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht.

aa) Denn die Straflosigkeit eines Beteiligten setzt voraus, dass der andere sich "frei und eigenverantwortlich gewollt" selbst gefährdet (vgl. BGH NStZ 1985, 25, 26; NStZ 1985, 319). Die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses begrenzt die Strafbarkeit (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 21). An dieser fehlt es aber nicht nur, wenn ein autonomes Handeln beispielsweise infolge einer Intoxikationspsychose ausgeschlossen ist (BGH NStZ 1983, 72), sondern auch bei einem die Selbstverantwortlichkeit betreffenden Irrtum (vgl. BGH NStZ 1986, 266, 267).

Einem derartig rechtserheblichen Irrtum war B. K. unterlegen. Zwar hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend darauf hingewiesen, dass den sich am illegalen Umgang mit Betäubungsmitteln beteiligenden Personen die Wirkstoffkonzentration und der Gehalt eventuell beigemengter Stoffe regelmäßig nicht bekannt sind und Konsumenten daher riskieren, nicht nur eine zu hohe Dosierung des von ihnen gewünschten Rauschgifts, sondern zusätzlich unbekannte, möglicherweise ebenfalls gesundheitsgefährdende Stoffe zu sich zu nehmen. Das vom Landgericht festgestellte Geschehen lag aber außerhalb eines solchen üblichen Gefahrenbereichs, so dass B. K. das von ihm eingegangene Risiko grundlegend verkannte. Denn er erhielt vom Angeklagten nicht - wie gewünscht und ihm zugesagt - Kokain, das lediglich einen höheren Wirkstoffgehalt hatte, als von ihm angenommen, und dem weitere Substanzen beigegeben waren, sondern Heroin. Dieses ist nicht nur generell gefährlicher als Kokain, wie die deutlich divergierenden Grenzwerte für die jeweils nicht geringe Menge erkennen lassen (vgl. BGHSt 32, 162: 1,5 g Heroinhydrochlorid; BGHSt 33, 133: 5 g Kokainhydrochlorid), sondern war vorliegend "rein" und damit von weit überdurchschnittlicher Gefährlichkeit (vgl. den Deutschland betreffenden Bericht 2007 des nationalen Knotenpunkts des Europäischen Informationsnetzwerks zu Drogen und Sucht [REITOX] an die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, S. 122, 125, wonach im Jahr 2006 der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Heroin im Straßenhandel 15,6 % und im Großhandel 38,1 % betrug).

bb) Das Landgericht hat angesichts dessen im Ergebnis zutreffend angenommen, dass B. K. s Tod auf einem sorgfaltswidrigen Verhalten des Angeklagten beruht und diesem zuzurechnen ist. Die im Rahmen der rechtlichen Würdigung für die Bejahung des § 222 StGB gegebene Begründung, der Angeklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, B. K. "über die Tatsache aufzuklären, dass er ihm statt reines Kokain eine Mischung überließ", erweist sich jedoch als nicht tragfähig. Diese Fehlvorstellung des Angeklagten war für die Erhöhung des für B. K. bestehenden Risikos ohne Bedeutung; eine entsprechende Mitteilung hätte diesem keine realistischere Beurteilung des Risikos ermöglicht.

Als der Angeklagte das Rauschgift zum Konsumieren zur Verfügung stellte, verhielt er sich aber insofern sorgfaltswidrig, als er dabei unter Berücksichtigung des Vorverhaltens der Beteiligten (konkludent) zum Ausdruck brachte, dem Wunsch B. K. s und seiner Zusage entsprechend handele es sich um Kokain. Denn eine solche Erklärung durfte der Angeklagte nur abgeben, wenn er sich zuvor vergewissert hätte, dass er tatsächlich dieses Rauschmittel aushändigt. In diesem Fall hätte er das tatsächliche Risiko und die daraus erwachsenden Folgen ebenso erkennen können (vgl. Hardtung in MüKo-StGB § 222 Rdn. 22) wie den Umstand, dass B. K. sein sich selbst gefährdendes Verhalten falsch einschätzen würde (s. auch Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 21).

Einer solchen Prüfungspflicht steht nicht entgegen, dass der unerlaubte Umgang mit Betäubungsmitteln generell und hier konkret das Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch (§ 29 Abs. 1 Nr. 6b 2. Alt. BtMG) unter Strafe gestellt ist. Denn anderenfalls würde derjenige, der sich in ohnehin strafbarer Weise verhält, gegenüber demjenigen besser gestellt, der grundsätzlich erlaubt potentiell risikobehaftete Stoffe an andere weitergibt. Beispielsweise haben Ärzte und Apotheker zuvor zu prüfen, ob sie dem Kunden das richtige Medikament aushändigen.

Eine solche Auslegung würde darüber hinaus dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel zuwiderlaufen, gerade die durch unerlaubte Betäubungsmittel verursachten Gefahren einzudämmen. Ob sich eine solche Prüfungspflicht auch auf den jeweiligen Wirkstoffgehalt des von den Beteiligten (qualitativ und quantitativ) zutreffend eingestuften Rauschmittels erstreckt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Bei solchen Konstellationen wird jedenfalls zumeist - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat - keine relevante Abweichung von der Vorstellung des Rauschmittelkonsumenten hinsichtlich des von ihm eingegangenen Risikos und damit ein eigenverantwortliches Verhalten vorliegen.

a) Gegen die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung spricht ferner nicht die Kontrollüberlegung, ob der Angeklagte bei vorsätzlichem Verhalten straflos geblieben wäre. Dies wäre nicht der Fall. Denn hätte der Angeklagte dem lediglich Kokain erwartenden B. K. vorsätzlich reines Heroin zum Konsumieren ausgehändigt, ohne ihn darüber aufzuklären, wäre er wegen eines in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 2. Alt. StGB) begangenen vorsätzlichen Tötungsdelikts zu verurteilen gewesen, wobei die Annahme eines Heimtückemordes nahe gelegen hätte. Das sog. Teilnahmeargument geht somit fehl, weil B. K. irrtumsbedingt das tatsächliche Risiko verkannte.

b) Einer Bestrafung nach § 222 StGB steht schließlich auch nicht eine privilegierende Spezialität des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG mit daraus ggf. folgender Sperrwirkung entgegen. Privilegierende Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren (spezielleren) Gesichtspunkt erfasst, und der Täter durch die Spezialvorschrift privilegiert werden soll. In diesem Fall ist ein Rückgriff auf das allgemeinere Delikt ausgeschlossen, da hierdurch die Privilegierung beseitigt würde. Ob die speziellere Vorschrift den Täter begünstigen soll, ist anhand des Zwecks dieser Vorschrift, des inneren Zusammenhangs der miteinander konkurrierenden Bestimmungen und des Willens des Gesetzgebers zu prüfen (BGHSt 49, 34, 37).

Die anhand dieser Kriterien vorgenommene Prüfung ergibt zwar, dass § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG hinsichtlich des herbeigeführten Todes leichtfertiges Verhalten verlangt und dieses zudem gegenüber der offenen Tathandlung beim § 222 StGB konkretisiert, diesem gegenüber also lex specialis ist (ebenso Rahlf in MüKo-StGB § 30 BtMG Rdn. 173). Da aber im Hinblick darauf sein Strafrahmen deutlich erhöht ist, sperrt er die Anwendung des § 222 StGB nicht, wenn dieser, jedoch § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht erfüllt ist (s. auch BGHSt 19, 188, 190; 30, 235, 236; 49, 34, 38).

Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der neuen Betäubungsmittelvorschriften, die durch das Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl. I S. 681) geändert worden sind, bestätigt. Wie sich aus den Materialien ergibt (BT-Drucks. 8/3551 S. 37; auch 7/4141, S. 5 f.), sollte wegen der steigenden Zahl der Drogentoten durch die Einfügung des Merkmals der (nicht mehr vorsätzlichen, sondern nur noch) leichtfertigen Herbeiführung des Todes eines Menschen das diesbezügliche Strafrecht verschärft werden.