Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 20.02.2013, Az.: 1 STR 585/12
Entscheidungsgründe
Das angefochtene Urteil weist keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
1. Die Revisionen der Angeklagten bleiben auch insoweit ohne Erfolg, als diese sich jeweils gegen die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) zu Lasten der geschädigten Zeugen La. und W. richten. Die Taten waren unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt.
a) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen griff L., ein Cousin des Zeugen La., ein Mitglied aus einer Jugendgruppe, zu der auch die Angeklagten gehörten, an, indem er den Angegriffenen schüttelte und ihn gegen ein parkendes Auto zu drücken versuchte.
Diese Auseinandersetzung konnte der Zeuge La. so weit schlichten, dass zunächst weder aus der Gruppe um L. noch aus der Gruppe um die Angeklagten weitere Tätlichkeiten verübt wurden. Allerdings forderte der über den Vorfall aufgebrachte Angeklagte Z. erfolgreich telefonisch weitere Angehörige seiner Gruppe auf, zum Ort des Geschehens zu kommen. Nach kurzer Zeit standen sich die nunmehr verstärkte Gruppe um die Angeklagten und die um L., samt der Zeugen La. und W., gegenüber. Den Beteiligten beider Gruppen war bewusst, dass es aufgrund der sich durch wechselseitige Beleidigungen weiter aufheizenden Stimmung zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen würde. Aufgrund einer faktischen Übereinkunft stimmten die Beteiligten zu, diese mit Faustschlägen und Fußtritten auszutragen. Den Eintritt auch erheblicher Verletzungen billigten sie.
Im Zuge der sich anschließenden, rund vier bis fünf Minuten andauernden wechselseitigen Tätlichkeiten erwies sich die Gruppe um die Angeklagten als überlegen. Als der Zeuge W. ungeachtet dessen ein Mitglied aus der Gruppe um die Angeklagten im Rahmen eines Faustkampfs in Bedrängnis brachte, schlug der Angeklagte S. auf W. ein, der daraufhin stürzte. Der am Boden liegende W. erhielt anschließend einen Fußtritt. Er erlitt u.a. eine Schädelprellung und wurde mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus verbracht, wo er stationär behandelt wurde. Der nicht revidierende Angeklagte M. schlug den Zeugen La. so heftig mit der Faust in das Gesicht, dass dieser im Unterkiefer drei Zähne verlor, die durch Implantate ersetzt werden müssen. Zudem verursachte der Schlag eine Verschiebung der Nasenscheidewand. Die Verletzung bedarf einer operativen Korrektur. Der zur Gruppe um L. gehörende, mit einer Blutalkoholkonzentration von rund 3,0 Promille stark alkoholisierte Zeuge J. ging durch die Wirkung von Faustschlägen bereits zu Beginn der Auseinandersetzung zu Boden und blieb dort wehrlos liegen. In dieser Lage versetzten ihm u.a. die Angeklagten Z. und S. mehrere Tritte gegen den Kopf und den Körper. Nachdem eine kurze Zeit von dem Zeugen J. abgelassen worden war und er auf allen Vieren wegzukriechen versuchte, holte der Mitangeklagte M. mit dem Fuß aus und trat J. ins Gesicht. Anschließend traten auch die Angeklagten Z. und S. erneut auf den am Boden liegenden J. ein. Einen Tritt führte der Angeklagte S. gegen den Kopf des Zeugen. Zudem hob er den Kopf des Zeugen etwas an und schlug ihn mit allerdings geringer Kraft auf den Asphalt. Aufgrund der zahlreichen erlittenen Verletzungen wurde der Zeuge J. drei Tage stationär, davon einen Tag auf der Intensivstation, behandelt und war vierzehn Tage arbeitsunfähig krank.
b) Bei dieser Sachlage erweisen sich auch die zum Nachteil der Zeugen La. und W. verübten Körperverletzungen, für die die Angeklagten als Mittäter einzustehen haben, als rechtswidrig.
aa) Die beiden Zeugen haben zwar in die zu ihren Verletzungen führenden Körperverletzungshandlungen durch die Beteiligung an der faktischen Übereinkunft mit der Gruppe um die Angeklagten eingewilligt. Von dieser Einwilligung waren auch die erlittenen Verletzungen umfasst. Insoweit kommt es darauf an, dass der Einwilligende eine zutreffende Vorstellung von dem voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen des zu erwartenden Angriffs hat (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1999 - 1 StR 417/99, NStZ 2000, 87, 88; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. November 2012 - 1 StR 530/12). Da Faustschläge und Fußtritte Gegenstand der Übereinkunft waren, schließt die Zustimmung zu solchen Handlungen auch die daraus typischerweise resultierenden Verletzungsfolgen ein.
bb) Ungeachtet der Einwilligungserklärungen der beiden Zeugen verstoßen die diese schädigenden Körperverletzungen aber gegen die guten Sitten und entfalten deshalb gemäß § 228 StGB keine rechtfertigende Wirkung.
Der Bundesgerichtshof beurteilt in seiner jüngeren Rechtsprechung die Unvereinbarkeit einer Körperverletzung mit den "guten Sitten" im Sinne von § 228 StGB trotz Einwilligung des betroffenen Rechtsgutsinhabers im Grundsatz vorrangig anhand der Art und des Gewichts des eingetretenen Körperverletzungserfolges sowie des damit einhergehenden Gefahrengrades für Leib und Leben des Opfers (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 42 und vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 170 f., 172 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 2 StR 446/09, NStZ 2010, 389 f.; anders noch BGH, Urteil vom 29. Januar 1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 31). Diesem Maßstab entsprechend wird die Körperverletzung nach insoweit übereinstimmender höchstrichterlicher Rechtsprechung jedenfalls dann als sittenwidrig bewertet, wenn bei objektiver Betrachtung unter Einbeziehung aller maßgeblichen Umstände die einwilligende Person durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird (BGH, Urteile vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 44 und vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 173; BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 62 Rn. 28 und 63 Rn. 29; siehe auch BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08 [insoweit in NStZ 2009, 401-403 nicht abgedruckt]; BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2010 - 5 StR 255/10 und vom 12. Juni 2012 - 3 StR 163/12). Die Anknüpfung des für die Sittenwidrigkeit heranzuziehenden Maßstabs an das Ausmaß der mit der Körperverletzung einhergehenden Rechtsgutsgefährdung findet sich auch bereits in früheren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (etwa BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 - 4 StR 349/91, BGHSt 38, 83, 87 "nur geringfügige Verletzung"). Die vorrangige Ausrichtung der Anwendung von § 228 StGB an dem mit der Körperverletzung einhergehenden Grad der Gefährdung der Rechtgüter Leben und körperliche Unversehrtheit wird auf die Erwägung gestützt, im Grundsatz sei lediglich bei (drohenden) gravierenden Verletzungen der staatliche Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsinhabers legitim (vor allem BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 171 mwN; siehe auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 228 Rn. 10 sowie Hardtung in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 228 Rn. 23).
Die Vornahme einer mit konkreter Todesgefahr für den Einwilligenden verbundenen Körperverletzung beschreibt danach einen Grad der Gefährlichkeit der Handlung und des daraus resultierenden Risikos für Leib und Leben, bei dessen Erreichen die Körperverletzung regelmäßig gegen die guten Sitten verstößt. Dieser Maßstab bestimmt jedoch die von § 228 StGB erfassten Konstellationen einer trotz erteilter Einwilligung sittenwidrigen Körperverletzung nicht abschließend. So kann trotz einer im Zeitpunkt der Vornahme der Körperverletzungshandlung auf der Grundlage der vorausschauenden Betrachtung aller maßgeblichen Umstände zu prognostizierenden konkreten Todesgefahr ein Sittenverstoß fehlen und der erteilten Einwilligung rechtfertigende Wirkung zukommen. Für die Einwilligung zu lebensgefährlichen ärztlichen Heileingriffen ist dies in der Rechtsprechung anerkannt (BGH, aaO, BGHSt 49, 166, 171).
Umgekehrt kann auch bei einer rechtsgutsbezogenen Auslegung des Merkmals der guten Sitten, der der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht entgegensteht (vgl. BGH, aaO, BGHSt 49, 166, 169), die Sittenwidrigkeit nicht stets ausschließlich danach beurteilt werden, ob bei jeweils isolierter Bewertung des Gefährlichkeits- und Gefährdungsgrades einzelner Körperverletzungshandlungen im Ergebnis eine konkrete Lebens- bzw. Todesgefahr eingetreten ist. Die Feststellung des Eintritts eines solchen Gefahrerfolges erlaubt zwar regelmäßig einen Rückschluss auf den Gefährlichkeitsgrad der dafür ursächlichen Körperverletzungshandlung, schließt aber nicht aus, eine Überschreitung der Grenze der Sittenwidrigkeit auch aus anderen, für die Bewertung der Rechtsgutsgefährlichkeit relevanten tatsächlichen Umständen der Tatbegehung abzuleiten. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die die Sittenwidrigkeit der Tat trotz Einwilligung anhand des Gefahrengrades bewertenden bisherigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ganz überwiegend tatsächliche Konstellationen betrafen, in denen die Körperverletzungen nicht im Rahmen von wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen mehreren Beteiligten verübt wurden. Für die Beurteilung der mit der Tat verbundenen Gefährdung des Opfers bzw. der Opfer waren daher bislang die Auswirkungen von gruppendynamischen Prozessen, wie etwa die Unkontrollierbarkeit der Gesamtsituation aufgrund der Beeinflussung innerhalb einer Gruppe und zwischen konkurrierenden Gruppen (dazu Pichler, Beteiligung an einer Schlägerei [§ 231 StGB], 2010, S. 23-27 mwN), nicht einzubeziehen. Solche Interaktionen bedürfen aber nach dem für die Anwendung des § 228 StGB einschlägigen Maßstabs des Gefährlichkeitsgrades der Körperverletzung der Berücksichtigung. Soweit dem Urteil des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 18. September 2008 (5 StR 224/08 Rn. 24, insoweit in NStZ 2009, 401 - 403 nicht abgedruckt) zu entnehmen sein sollte, dass eine Körperverletzung ausnahmslos ("nur") bei - ex post - Eintritt einer konkreten Todesgefahr trotz Einwilligung des Verletzten gegen die guten Sitten verstößt (§ 228 StGB), würde der Senat dem nicht folgen. Einer Anfrage bei dem 5. Strafsenat bedarf es nicht, weil es sich dort nicht um tragende Ausführungen handelt.
Es entspricht der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung des § 228 StGB, die Sittenwidrigkeit der Tat trotz Einwilligung danach zu bestimmen, ob "bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird" (BGH, aaO, BGHSt 49, 166, 173). Maßgeblich ist in zeitlicher Hinsicht damit eine ex ante-Perspektive der Bewertung des Gefährlichkeitsgrades der Körperverletzungshandlung (Hardtung aaO § 228 Rn. 27). Bei durch diese verursachter konkreter Todes- bzw. Lebensgefahr kann regelmäßig ein die Grenze der Sittenwidrigkeit im Sinne von § 228 StGB überschreitendes Ausmaß der Gefährlichkeit für die Rechtsgüter Leib und Leben angenommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 255/10 bzgl. mit konkreter Todesgefahr verbundenen Faustschlägen gegen die Schläfenregion).
Der Grad der Gefährlichkeit der Körperverletzungen, in die eingewilligt worden ist, bestimmt sich aber auch nach den die Tatausführung begleitenden Umständen. So ist etwa in Bezug auf im Rahmen von sportlichen Wettkämpfen eingetretene Körperverletzungserfolge im Ergebnis allgemein anerkannt, dass die entsprechende Tat selbst bei der Gefahr erheblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht gegen die guten Sitten verstößt, wenn die Verletzung aus Verhaltensweisen resultiert, die nach den maßgeblichen Regeln des Wettkampfs gestattet sind (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1953 - 4 StR 373/52, BGHSt 4, 88, 92 bzgl. des Boxwettkampfs; siehe auch Reinhart SpuRt 2009, 56, 59; Paeffgen in Nomos Kommentar zum StGB, 3. Aufl., § 228 Rn. 109 mwN). Resultiert aber ein im Rahmen eines durch Regeln geleiteten und von einer neutralen Person überwachten Sportwettkampfs verursachter Körperverletzungserfolg aus einem Verhalten, das sich als grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Abweichung von den die Grundlage der erteilten Einwilligung bildenden Wettkampfregeln erweist, sind die Körperverletzungshandlung und der daraus resultierende Erfolg nicht mehr durch die Einwilligung gedeckt (etwa BGH, Urteil vom 22. Januar 1953 - 4 StR 373/52, BGHSt 4, 88, 92; BayObLG NJW 1961, 2072, 2073; OLG Karlsruhe NJW 1982, 394; OLG Hamm JR 1998, 465; siehe auch den Überblick bei Dölling ZStW 96 [1984], S. 36, 41 ff.).
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Ausschluss der Rechtfertigung in solchen Konstellationen darauf beruht, dass das grob regelwidrige körperverletzende Verhalten von vornherein nicht Gegenstand der erteilten Einwilligung ist oder die Tat trotz der Einwilligung wegen des durch den schweren Regelverstoß typischerweise erhöhten Gefährlichkeitsgrades gegen die guten Sitten verstößt. Der Rechtsprechung liegt jedenfalls einheitlich der Rechtsgedanke zugrunde, die konkreten Umstände der Ausführung von an sich konsentierten Körperverletzungshandlungen bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Tat zu berücksichtigen. Findet die Tat unter Bedingungen statt, die den Grad der aus ihr hervorgehenden Gefährlichkeit für die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben des Verletzten begrenzen, führt dies regelmäßig dazu, die Körperverletzung als durch die erklärte Einwilligung gerechtfertigt anzunehmen. Fehlt es dagegen an derartigen Regularien, ist eine Körperverletzung trotz der erteilten Einwilligung grundsätzlich sittenwidrig (BGH, Urteil vom 22. Januar 1953 - 4 StR 373/52, BGHSt 4, 88, 92; siehe auch Urteil vom 12. Oktober 1999 - 1 StR 417/99, NStZ 2000, 87, 88). Das Fehlen von Regeln über die Bedingungen einer vereinbarten wechselseitigen körperlichen Auseinandersetzung führt nämlich erfahrungsgemäß zu einer Erhöhung des Gefährlichkeitsgrades des Körperverletzungsgeschehens über das von der Einwilligung Gedeckte hinaus. Gleiches gilt selbst bei zwischen Täter und Opfer vereinbarten Regeln über die Körperverletzungshandlungen, wenn das Vereinbarte nicht in ausreichend sicherer Weise für die Verhütung gravierender, sogar mit der Gefahr des Todes einhergehender Körperverletzungen Sorge tragen kann (BayObLG NJW 1999, 372, 373).
Der Grundgedanke, das Vorhandensein oder Fehlen von den Gefährlichkeitsgrad der Tat begrenzenden Vorkehrungen bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit von Körperverletzungen im Zusammenhang erteilter Einwilligungserklärungen zu berücksichtigen, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch bisher bereits herangezogen worden. So hat der Bundesgerichtshof eine sog. Bestimmungsmensur trotz der dabei verwendeten Waffen deshalb nicht als - nach früherem Recht strafbaren - "Zweikampf mit tödlichen Waffen" bewertet, weil diese Mensur über die sie leitenden Regeln ausreichende Schutznahmen gegen lebensgefährliche Verletzungen bot (Urteil vom 29. Januar 1953 - 5 StR 408/52, BGHSt 4, 24, 26 f.). Der Ausschluss der Rechtswidrigkeit durch Einwilligung selbst von erheblichen Körperverletzungen, die im Rahmen von Sportwettkämpfen verursacht werden, beruht - wie bereits ausgeführt - jedenfalls auch auf dem Aspekt der durch das Aufstellen und Einhalten der Wettkampfregeln bewirkten Begrenzung des Gefährlichkeitspotentials der entsprechenden Verhaltensweisen. Bei für die körperliche Unversehrtheit und sogar das Leben generell gefahrträchtigen Wettkampfsportarten, wie etwa dem Boxsport, dienen die von den entsprechenden Verbänden aufgestellten und auf ihre Einhaltung überwachten Wettkampfregeln gerade der Beschränkung der mit dem Austragen des Wettkampfes verbundenen Risiken für die Gesundheit und das Leben der Beteiligten.
Außer dem Vorhandensein solcher risikobegrenzenden Regeln und Instrumentarien zur Gewährleistung ihrer Einhaltung ist bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Körperverletzungen trotz Einwilligung des Verletzten im Rahmen wechselseitiger tätlicher Auseinandersetzungen auch darauf abgestellt worden, ob diese unter Bedingungen stattfinden, die tatsächliche Verteidigungsmöglichkeiten des Einwilligenden ermöglichen. So hat der Senat den zu einer Körperverletzung führenden Angriff gegen einen Geschädigten, der den Angreifer zuvor selbst zu einer "Wette" darüber aufgefordert hatte, von diesem nicht überwältigt werden zu können, als Verstoß gegen die guten Sitten (§ 228 StGB) bewertet, weil der Angriff zu einem Zeitpunkt erfolgte, in dem der zuvor auffordernde Verletzte nicht abwehr- und "kampfbereit" war, sowie die Auseinandersetzung mit ungleichen "Kampfmitteln" erfolgte (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1999 - 1 StR 417/99, NStZ 2000, 87, 88). Ebenso ist - für den Fall der unterstellten Einwilligungsfähigkeit des Erklärenden - einer Einwilligung die rechtfertigende Wirkung wegen Unvereinbarkeit der Tat mit den guten Sitten versagt worden, weil die im Rahmen eines Aufnahmerituals in eine Jugendgang verabredete körperliche Auseinandersetzung zwischen drei Gangmitgliedern und dem Aufnahme Begehrenden keine Vorkehrungen für die Verhütung schwerer Verletzungen vorsah und die Verteidigungsmöglichkeiten des "Anwärters" von vornherein außerordentlich beschränkt waren (BayObLG NJW 1999, 372, 373).
Nach den bereits bisher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung herangezogenen Kriterien gebietet es die für die Anwendung von § 228 StGB maßgebliche ex ante-Perspektive der Bewertung des Gefährlichkeitsgrades der Körperverletzungshandlungen, die Eskalationsgefahr jedenfalls für Körperverletzungen wie die vorliegenden, die im Rahmen von tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen begangen werden, mit zu berücksichtigen. Dafür spricht zusätzlich, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht hingewiesen hat, auch der § 231 StGB zugrunde liegende Schutzzweck. Mit diesem abstrakten Gefährdungsdelikt (BGH, Urteil vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93, BGHSt 39, 305, 307; Hohmann in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 231 Rn. 2 mwN) will der Gesetzgeber bereits im Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen Leben und Gesundheit vor dem Gefährdungspotential von körperlichen Auseinandersetzungen zwischen mehreren Personen schützen (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 61; Pichler aaO S. 39). Ein Aspekt dieser spezifischen Gefährlichkeit der Schlägerei liegt gerade in der Unkontrollierbarkeit gruppendynamischer Prozesse. Dieser Gefährlichkeitsaspekt ist auch bei der ex ante Beurteilung von wechselseitig konsentierten Körperverletzungen in Fällen der vorliegenden Art zu berücksichtigen.
cc) Nach diesem Maßstab verstoßen die Körperverletzungen zu Lasten der Zeugen La. und W. wegen des Ausmaßes der mit diesen verbundenen Gefährlichkeit für die Rechtsgüter Leben und Gesundheit trotz der Einwilligung der Verletzten gegen die guten Sitten. Maßgebend dafür ist nicht in erster Linie das Gefährlichkeitspotential der einzelnen Körperverletzungshandlungen, sondern die Gesamtumstände, unter denen diese verübt worden sind.
Bereits mit den verabredeten zugelassenen Körperverletzungen, zumindest in Gestalt der Fußtritte, ging ein nicht unerhebliches Gefährlichkeitspotential einher. Nach den Feststellungen ist nicht ausgeschlossen, dass solche Fußtritte auch gegen den Kopf des oder der Kontrahenten geführt wurden. Tritte gegen den Kopf sind als solche für das Leben des Getretenen generell gefährlich. Sie verwirklichen das Merkmal der das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB jedenfalls dann, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlung im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 - 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 22. März 2002 - 2 StR 517/01, NStZ 2002, 432 f. sowie Senat, Urteil vom 21. Dezember 2011 - 1 StR 400/11, NStZ-RR 2012, 105 f.). Entsprechendes gilt auch für gegen den Kopf des Opfers geführte Faustschläge, wie sie vorliegend mehrere Angehörige der Gruppe um L. erlitten haben. So ist etwa der Zeuge La. so heftig in das Gesicht geschlagen worden, dass er drei Zähne vollständig verloren hat, die durch Implantate ersetzt werden müssen. Derart massive Faustschläge tragen bereits per se einen erheblichen Gefährlichkeitsgrad in sich. Richten sich solche Schläge gegen besonders empfindliche Bereiche des Kopfes, wie vor allem die Schläfenregion, wird regelmäßig sogar von einer konkreten Todesgefahr auszugehen sein (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 255/10).
Bedeutsamer als der ohnehin nicht geringe Gefährlichkeitsgrad der von der Verabredung umfassten Körperverletzungshandlungen ist jedoch für die Beurteilung der Taten anhand von § 228 StGB das Fehlen jeglicher Absprachen und Vorkehrungen, die eine Eskalation der wechselseitigen Körperverletzungshandlungen und damit einhergehend eine beträchtliche Erhöhung der aus diesen resultierenden Rechtsgutsgefährlichkeit ausschließen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Gruppen vor dem Beginn der Auseinandersetzung abgesprochen hätten, Körperverletzungen gegen bereits geschlagene und deshalb nicht mehr zu effektiver Ab- oder Gegenwehr fähige Beteiligte auszuschließen. Ebenso wenig lassen die rechtsfehlerfreien Feststellungen Absprachen und Sicherungen erkennen, die Situationen ausschließen, in denen sich eine unterschiedliche Anzahl von Kämpfenden aus den beiden Gruppen gegenübersteht und sich wegen der Mehrzahl von "Kämpfern" auf einer Seite das Risiko schwerwiegender Verletzungen für den oder die in Unterzahl Befindlichen deutlich erhöht.
Die tatsächliche Entwicklung der Auseinandersetzung zeigt vielmehr, dass es sich nicht lediglich um abstrakt-generell bedeutsame Umstände der Beurteilung der Rechtsgutsgefährlichkeit der von den Angeklagten begangenen oder ihnen gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnenden Körperverletzungen handelt. Vielmehr haben sich die genannten generellen Risikofaktoren auch in der konkreten Kampfsituation risikosteigernd ausgewirkt. So ist der ohnehin aufgrund seiner starken Alkoholisierung nicht zur Abwehr gegen ihn gerichteter Körperverletzungen fähige Zeuge J. nicht nur von drei zeitgleich agierenden Angehörigen der Gruppe um die Angeklagten im Zusammenwirken geschlagen und getreten worden, sondern die Körperverletzungen wurden selbst dann noch fortgesetzt, als J. sich völlig wehrlos am Boden befand und lediglich noch versuchte, auf allen Vieren kriechend dem Ort der Auseinandersetzung zu entkommen. Mit den Zeugen Mü. und R. sind darüber hinaus Personen Opfer der Körperverletzungen seitens der Angeklagten geworden, die an der mit der Gruppe um L. verabredeten körperlichen Auseinandersetzung gar nicht beteiligt waren, sondern aus Anlass ihrer Bemühungen, den bereits verletzten Zeugen J. aus dem Kampfgeschehen zu holen, von den Angeklagten und Mitgliedern ihrer Gruppe geschlagen bzw. getreten worden sind. Gerade in derartigen Entwicklungen drückt sich das ex ante zu beurteilende Gefährlichkeitspotential von körperlichen Auseinandersetzungen der vorliegenden Art aus.
Fehlen damit Absprachen und effektive Sicherungen für deren Einhaltung, die bei wechselseitigen Körperverletzungen zwischen rivalisierenden Gruppen den Grad der Gefährdung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Beteiligten auf ein vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts von Seiten des Staates tolerierbares Maß begrenzen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 171), verstoßen die Taten trotz der Einwilligung der Verletzten selbst dann gegen die guten Sitten (§ 228 StGB), wenn mit den einzelnen Körperverletzungserfolgen keine konkrete Todesgefahr verbunden war.
dd) Ob bei wechselseitigen Körperverletzungen zwischen rivalisierenden Gruppen bei vorhandenen Absprachen und Sicherungen zur Beschränkung des Gefährlichkeits- bzw. Gefährdungsgrades ein Verstoß der Taten gegen die guten Sitten nicht vorliegt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Er neigt aber wegen der abstrakt-generellen Eskalationsgefahr in derartigen Situationen dazu, die Frage zu verneinen, wenn und soweit eine Einhaltung des Verabredeten nicht ausreichend sicher gewährleistet werden kann.
2. Im Hinblick auf die Körperverletzung zu Lasten des geschädigten Zeugen J. scheidet eine Rechtfertigung durch Einwilligung ohnehin von vornherein aus. Obwohl dieser der an der verabredeten Auseinandersetzung beteiligten Gruppe um L. bei Beginn der Tätlichkeiten angehörte, konnte er keine wirksame Einwilligung erteilen. Nach den Feststellungen des Landgerichts über dessen Alkoholisierung und seinen dadurch hervorgerufenen Zustand konnte der Zeuge J. keine zutreffende Vorstellung von dem voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen des zu erwartenden Angriffs haben. Er war damit nicht einwilligungsfähig.
3. Die geschädigten Zeugen Mü. und R. haben bereits keine Einwilligung erklärt. Sie gehörten bei dem Tatgeschehen nicht der Gruppe um L. an, sondern hatten sich bewusst von dieser ferngehalten. Sie sind lediglich in das "Kampfgeschehen" geraten, ohne sich daran zu beteiligen, als sie den alkoholisierten und erheblich verletzten Zeugen J. von dem Ort der Auseinandersetzung wegbringen wollten.