Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 23.02.2012, Az.: 1 STR 586/11
Entscheidungsgründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 567 Fällen der Untreue zu vier Jahren und drei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, von denen es sechs Monate (wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen) für vollstreckt erklärt hat. Dem Urteil lag eine Verständigung i.S.v. § 257c StPO zugrunde.
Die gegen die Verurteilung gerichtete, auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte war im Tatzeitraum (2002 bis 2005) Geschäftsführer der G. GmbH, die - ohne selbst am Kommanditkapital beteiligt zu sein - Komplementärin der G. GmbH " Co. KG ist. Am Kommanditkapital der G. GmbH " Co. KG waren der Angeklagte zu 4 %, sein Vater und seine Kinder mit insgesamt 31 %, seine Schwestern mit zusammen 17 %, deren Kinder zu insgesamt 6 % sowie sein Onkel und dessen Kinder zu insgesamt 42 % beteiligt.
An insgesamt 567 Tagen übertrug der Angeklagte satzungswidrig Firmengelder von Konten der G. GmbH " Co. KG auf Privatkonten, um damit im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Wertpapiergeschäfte (insbesondere mit hochspekulativen Optionsscheinen) zu finanzieren, und setzte zur Zahlung seiner privaten Teilnahme an Glücksspielen im Internet Firmenkreditkarten ein, wodurch die Firmenkonten der G. GmbH " Co. KG entsprechend belastet wurden. Insgesamt "entnahm" der Angeklagte so rund 5,4 Mio. . Obwohl der Angeklagte erzielte Gewinne Firmenkonten wieder gutbrachte, entstand insgesamt ein "Fehlbetrag" von mindestens 2 Mio. . Eine Zahlungsunfähigkeit der G. GmbH " Co. KG drohte gleichwohl nicht.
Der Angeklagte offenbarte sich Weihnachten 2005 gegenüber den Familienangehörigen und gab am 24. März 2006 gegenüber den anderen Kommanditisten ein Schuldanerkenntnis ab. Dieses führte nicht zu der geplanten familieninternen Befriedung. Im Juni 2006 stellte der Onkel des Angeklagten, im Dezember 2006/Januar 2007 auch noch dessen Sohn, die Schwestern des Angeklagten und deren Kinder Strafantrag. Der Vater und die Kinder des Angeklagten haben keinen Strafantrag gestellt.
2. Die Strafkammer hat die Taten des Angeklagten als Untreue in 567 Fällen gewertet; taggleiche "Entnahmen" seien tateinheitlich begangen. Geschädigt seien entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht die Kommanditisten, sondern jeweils das Vermögen der G. GmbH " Co. KG "in Höhe des Nominalwertes der durch jede Einzeltat abgeflossenen Liquidität" (UA S. 31). Dies führe allerdings nicht zu einer Schlechterstellung des Angeklagten, weil bei der Strafzumessung auch zu berücksichtigen sei, "ob und wie viele Gesellschafter, einschließlich dem Täter, mit der Schädigung einverstanden waren bzw. kein Interesse an der Strafverfolgung haben, sondern auch, in welchem Umfang sie am geschädigten Gesellschaftsvermögen rechnerisch beteiligt sind" (UA S. 33).
Die Strafe entnimmt die Strafkammer dem erhöhten Strafrahmen des § 266 Abs. 2 StGB i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB (Gewerbsmäßigkeit). Bei Untreuehandlungen, bei denen das Vermögen der KG durch eine Tat um mehr als 50.000 geschädigt wurde, "hat die Strafkammer zudem die zusätzliche Verwirklichung des Regelbeispiels gemäß §§ 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB [Vermögensverlust großen Ausmaßes] strafschärfend gewertet" (UA S. 35).
II. Die Revision wendet sich gegen den Schuldspruch mit dem Vorbringen, geschädigt sei nicht das Vermögen der KG, sondern der Gesellschafter, die indes keinen oder keinen fristgerechten Strafantrag gestellt hätten.
Der dadurch aufgezeigte Rechtsfehler (1.) begründet hier kein Verfahrenshindernis (2.). Er nötigt vorliegend auch nicht zur Aufhebung des Schuldspruchs (3.), jedoch kann der Strafausspruch keinen Bestand haben (4.).
1. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass im Rahmen des § 266 StGB eine Schädigung des Gesamthandsvermögens einer Kommanditgesellschaft nur insoweit bedeutsam sein kann, als sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter berührt. Der Senat sieht vorliegend keine Veranlassung, von dieser gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z.B. BGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10; Urteil vom 18. Juni 2003 - 5 StR 489/02; Urteil vom 20. Januar 2000 - 4 StR 342/99; Beschluss vom 22. Februar 1991 - 3 StR 348/90; Urteil vom 17. März 1987 - 5 StR 272/86; Urteil vom 29. November 1983 - 5 StR 616/83 jew. mwN; ebenso: BGH, Urteil vom 17. März 1987 - VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190, 192), die auch vom Schrifttum geteilt wird (z.B. Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 266 Rn. 21; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 266 Rn. 3; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 266 Rn. 113; Wittig in BeckOK-StGB, § 266 Rn. 11; Saliger in Satzer/ Schmitt/Widmaier, StGB, § 266 Rn. 19; Maurer/Odörfer, GmbHR 2008, 413, 414; Schulte, NJW 1984, 1671; a.A. Schäfer, NJW 1983, 2850; Richter, GmbHR 1984, 146), abzuweichen. Geschädigter i.S.d. § 266 StGB kann nur ein mit dem Täter nicht identischer Träger fremden Vermögens sein, sei es eine natürliche Person, sei es eine juristische Person, der eigene Rechtspersönlichkeit zukommt (BGH, Urteil vom 20. Januar 2000 - 4 StR 342/99; BGH, Urteil vom 24. Juli 1991 - 4 StR 258/91; BGH, Urteil vom 29. November 1983 - 5 StR 616/83). Eine in diesem Sinn eigene Rechtspersönlichkeit wird der Kommanditgesellschaft - kommt sie als verselbständigtes Gesamthandsvermögen einer juristischen Person auch sehr nahe - nicht zuerkannt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1990 - IV ZR 270/88, BGHZ 110, 127; BGH, Urteil vom 16. Februar 1961 - III ZR 71/60, BGHZ 34, 293, 296).
2. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
Das Fehlen fristgerechter Strafanträge (§§ 77b, 247, 266 Abs. 3 StGB) führt nur dann zu einem Strafverfolgungshindernis, wenn der Angeklagte zu allen Gesellschaftern in einer privilegierten Beziehung im Sinne des § 247 StGB steht (BGH, Beschluss vom 6. Juli 1999 - 4 StR 57/99; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 247 Rn. 10; Hohmann in MüKomm-StGB, 3. Aufl., § 247 Rn. 9). Dies ist hier nicht der Fall. Weder der Onkel des Angeklagten, noch dessen Kinder, noch die Kinder der Schwestern sind Angehörige i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB (BayObLG, Urteil vom 28. Oktober 1997 - 4 St RR 221/97, NJW 1998, 3580; Eser/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 263 Rn. 5).
3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue in 567 Fällen ist rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Der Angeklagte hatte als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH gegenüber dieser und - einzig hier relevant - gegenüber den Kommanditisten eine Vermögensbetreuungspflicht (vgl. Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 263 Rn. 25; Waßmer in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 266 StGB Rn. 49). Diese hat er durch den in der Verwendung der Firmengelder für eigene Spekulationsgeschäfte und für die Teilnahme an Glücksspielen liegenden Missbrauch seiner Verfügungsmacht ("Griff in die Kasse") jeweils verletzt.
b) Hierdurch entstand - wie die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen belegen - (jedenfalls) den nicht in einer durch § 247 StGB privilegierten Beziehung zum Angeklagten stehenden Kommanditisten ein Nachteil i.S.v. § 266 StGB in Höhe der jeweiligen "Entnahmen". Die Strafkammer musste hierbei nicht in jedem Fall berücksichtigen, dass der Angeklagte aus den Spekulationsgeschäften erzielte Gewinne den Firmenkonten gutbrachte. Eine derart ungewisse Aussicht auf Rückzahlung ist wirtschaftlich ohne Wert (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 - 1 StR 336/11 mwN). Maßgeblich für den zur Bestimmung des tatbestandlichen Nachteils i.S.v. § 266 StGB erforderlichen Vermögensvergleich ist - gleichermaßen wie bei § 263 StGB - der Zeitpunkt der vermögensschädigenden Handlung, hier also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach den Verfügungen zu Lasten der Firmenkonten (Überweisung, Einsatz der Kreditkarten). Spätere Entwicklungen, wie Schadensvertiefung oder Schadensausgleich, berühren den tatbestandlichen Schaden nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 616/10; BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 - 1 StR 731/08; BGH, Urteil vom 4. März 1999 - 5 StR 355/98 jew. mwN).
c) Auch die Annahme von Tateinheit bei taggleich verwirklichten - zumal nach den Feststellungen zur Verschleierung bewusst "gestückelten" Zahlungen - begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Soweit im Urteil, worauf der Generalbundesanwalt hinweist, einzelne in der Anklageschrift aufgeführte (und bislang nicht nach § 154 StPO eingestellte) Fälle nicht enthalten sind, stehen diese nicht zur Kognition des Revisionsgerichts. Soweit es sich rechtlich um Teile von Taten handelt, die durch das Landgericht abgeurteilt wurden, ist der Angeklagte durch den geringeren Schuldumfang nicht beschwert.
4. Der Strafausspruch - obgleich insgesamt milde - hat jedoch keinen Bestand.
Rechtsfehlerfrei legt die Strafkammer der Strafzumessung zwar den sich aus dem gewerbsmäßigen Handeln des Angeklagten ergebenden erhöhten Strafrahmen des § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB zugrunde (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2011 - 1 StR 343/11 mwN). Für die konkrete Strafzumessung hat das Landgericht jedoch - allerdings folgerichtig zu seiner Rechtsauffassung - nicht beachtet, dass die Untreue nur auf Antrag verfolgt werden kann, wenn und soweit durch sie ein Angehöriger verletzt wird (§ 266 Abs. 2, § 247 StGB; vgl. schon BGH, Urteil vom 26. Februar 1987 - 1 StR 5/87).
Die Strafkammer geht daher rechtsfehlerhaft in Einzelfällen von einem besonders schweren Fall i.S.v. § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB (Vermögensverlust großen Ausmaßes) aus, was auch im Übrigen besorgen lässt, sie habe der Strafzumessung insgesamt einen unzutreffenden Schuldumfang zugrunde gelegt.
a) Für die Frage des Nachteilseintritts ist bei einer Kommanditgesellschaft - wie aufgezeigt - nicht allein auf die Gesellschaft, sondern auf das Vermögen der einzelnen Gesellschafter abzustellen (BGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10; BGH, Urteil vom 3. Mai 1991 - 2 StR 613/90). Bei einer personalisiert strukturierten Gesellschaft - wie etwa OHG oder KG - sind daher als Verletzte deren Gesellschafter anzusehen (BGH, Beschluss vom 6. Juli 1999 - 4 StR 57/99). Deren Einverständnis schließt die Annahme von Untreue aus, soweit sie selbst betroffen sind (BGH, Beschluss vom 22. Februar 1991 - 3 StR 348/90). In gleicher Weise kann bei einer Kommanditgesellschaft der Angeklagte selbst, soweit sein Gesellschaftsanteil betroffen ist, nicht Geschädigter einer von ihm begangenen Untreue sein (BGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10). Auch hinsichtlich eines Kommanditisten, der in einer gemäß § 247 StGB privilegierten Beziehung zum Angeklagten stand bzw. steht, scheidet eine Untreue zu dessen Nachteil bei Fehlen eines form- und fristgerechten Strafantrags aus (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 1991 - 2 StR 613/90; BGH, Urteil vom 26. Februar 1987 - 1 StR 5/87). Die Anwendbarkeit des § 247 StGB entfällt nicht etwa dadurch, dass hinsichtlich eines oder mehrerer der gesamthänderisch verbundenen Kommanditisten die Voraussetzungen des § 247 StGB nicht gegeben sind (vgl. hierzu aber auch Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 247 Rn. 6). Der Haus- und Familienfrieden, den zu schützen Normzweck des § 247 StGB ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 1979 - 4 StR 204/79, BGHSt 29, 54, 56), besteht nur in dem Umfang nicht, in dem ein durch die Untreue verletzter Gesellschafter nicht in einer im Sinne des § 247 StGB privilegierten Beziehung zum Täter steht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 1999 - 4 StR 57/99). Fallen Taten zu Lasten mehrerer Geschädigter wie hier tateinheitlich zusammen, ergibt sich der Umfang der Verfolgbarkeit - wie stets - nach Maßgabe des § 247 StGB. Demzufolge bestimmt sich auch die Höhe des dem Angeklagten anzulastenden Nachteils und damit des großen Ausmaßes i.S.v. § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB - wenn wie hier eine Untreue zum Nachteil der Komplementär-GmbH nicht festgestellt ist (dazu vgl. auch BGH, Urteil vom 17. März 1987 - 5 StR 272/86) - nach der Summe der zugefügten Nachteile hinsichtlich der Kommanditisten, die entweder form- und fristgerecht Strafantrag gestellt haben oder die nicht in einer durch § 247 StGB privilegierten Beziehung zum Angeklagten standen bzw. stehen.
b) Dies zugrunde gelegt ist die Erwägung der Strafkammer, bei einem in Höhe der "Entnahmen" angenommenen "Schaden von 50.000 und mehr" könne die "zusätzliche Verwirklichung des Regelbeispiels gem. § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB strafschärfend gewertet" werden (UA S. 35), rechtsfehlerhaft. Vielmehr durfte die Strafkammer das Vorliegen eines "großen Ausmaßes" im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB allenfalls bei einem insgesamt 104.166,67 übersteigenden Betrag annehmen, da nur 48 % des jeweils von der Strafkammer angenommenen Schadens dem Schuldumfang zugrunde gelegt werden konnten. Denn der Angeklagte selbst war nach den Urteilsfeststellungen mit 4 %, sein Vater und seine Kinder, die keinen Strafantrag gestellt haben, mit insgesamt 31 % und seine Schwestern (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB), die nach den Urteilsfeststellungen nicht innerhalb der Frist des § 77b StGB binnen drei Monaten ab Kenntniserlangung Strafantrag gestellt haben, mit 17 % am Kommanditkapital beteiligt (also zusammen mit 52 %).
c) Die Urteilsgründe lassen überdies besorgen, die Strafkammer habe auch sonst auf den Nominalbetrag der jeweiligen "Entnahmen" abgestellt und daher der Verurteilung insgesamt einen unzutreffenden Schuldumfang zugrunde gelegt. Die insoweit unklare - und zur ausführlich begründeten Rechtsauffassung der Kammer im Widerspruch stehende - Anmerkung, bei der Strafzumessung sei auch zu berücksichtigen, "ob und wie viele Gesellschafter, einschließlich dem Täter, mit der Schädigung einverstanden waren bzw. kein Interesse an der Strafverfolgung haben, sondern auch, in welchem Umfang sie am geschädigten Gesellschaftsvermögen rechnerisch beteiligt sind" (UA S. 33), lässt nicht hinreichend erkennen, dass die Strafkammer in den Blick genommen hätte, dass dem Angeklagten die jeweiligen Abbuchungen und Belastungen des Firmenkontos nicht in voller Höhe als "Nachteil" i.S.v. § 266 Abs. 1 StGB strafrechtlich angelastet werden können.
5. Die Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen wird vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt und kann daher bestehen bleiben.