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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 19.01.2011, Az.: 1 STR 640/10

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte weder Umsatz- noch Einkommensteuererklärungen abgegeben und so für die Jahre 2002 und 2003 jeweils Umsatzsteuer und Einkommensteuer hinterzogen hat. Tatvollendung sei jeweils eingetreten "zu dem Zeitpunkt, zu welchem die Finanzbehörde die Steuer festgesetzt hätte", für die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer "dürfte dies spätestens ein Jahr nach Ablauf der Einreichungsfrist" der Fall sein. Ausgehend hiervon hat das Landgericht den Angeklagten wegen zweier Fälle der Umsatzsteuerhinterziehung sowie wegen zweier Fälle der Einkommensteuerhinterziehung unter Auflösung einer Gesamtstrafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Wiesbaden und unter gleichzeitiger Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat angeordnet, dass hiervon wegen einer vom Angeklagten nicht zu vertretenden Verfahrensverzögerung vier Monate als verbüßt gelten.

Die gegen diese Verurteilung gerichtete, auf die Sachrüge und mehrere Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

1. Mit Blick auf das vom Generalbundesanwalt aufgezeigte Schreibversehen im Tenor der Urteilsausfertigung fasst der Senat diesen klarstellend neu. Dabei verzichtet er zur Vereinfachung der Urteilsformel auf die Angabe der von der Steuerhinterziehung jeweils betroffenen Steuerarten. Die Art der hinterzogenen Steuer muss nicht im Tenor angegeben werden, nach § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO genügt die Angabe der rechtlichen Bezeichnung der Tat. Daher reicht die Bezeichnung "Steuerhinterziehung" aus (BGH, Beschluss vom 13. September 2010 - 1 StR 220/09, Rn. 69, wistra 2010, 484, 493; BGH, Urteil vom 6. Juni 2007 - 5 StR 127/07, wistra 2007, 388, 391).

2. Die - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen tragen in allen vier Fällen eine Verurteilung wegen vollendeter Steuerhinterziehung.

a) Eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) ist bei Fälligkeitssteuern, die wie die Umsatzsteuer als Anmeldungssteuern ausgestaltet sind, mit Ablauf des Fälligkeitszeitpunktes vollendet. Liegt die als Steuerfestsetzung geltende Steueranmeldung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht vor, ist zu diesem Zeitpunkt die Steuer i.S.v. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO verkürzt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09, Rn. 8; BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 344/08, Rn. 15, wistra 2009, 189; BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1990 - 5 StR 519/90, wistra 1991, 215; Joecks in 6 Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO, Rn. 37; Jäger in Klein, AO, 10. Aufl., § 370, Rn. 105; Kohlmann, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., Stand Dezember 2010, § 370 AO, Rn. 457).

Deshalb trat hier Tatvollendung bereits mit Ablauf des 31. Mai 2003 (für die Umsatzsteuer 2002) bzw. mit Ablauf des 31. Mai 2004 (für die Umsatzsteuer 2003) ein. Zu diesen Zeitpunkten waren die Taten zugleich beendet (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 344/08, Rn. 15 mwN, wistra 2009, 189); die - entgegen der Annahme der Revision nicht drei, sondern fünf Jahre betragende (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StPO) - Verfolgungsverjährung wurde rechtzeitig unterbrochen (u.a. durch den Durchsuchungsbeschluss vom 23. Oktober 2006).

b) Bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen tritt - sofern nicht vorher ein Schätzungsbescheid ergangen ist - der Taterfolg der Steuerverkürzung zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Veranlagung stattgefunden hätte, wenn die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09, Rn. 77; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1998 - 5 StR 500/98, NStZ-RR 1999, 218).

Dies ist spätestens dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat (vgl. BGH aaO mwN; Jäger in Klein, AO, 10. Aufl., § 370, Rn. 92).

Maßgeblich sind die konkreten Verhältnisse in dem für die Veranlagung des Steuerpflichtigen zuständigen Finanzamt (vgl. Jäger in Klein, AO, 10. Aufl., § 370, Rn. 92). Von Bedeutung sind aber auch die konkreten steuerlichen Verhältnisse des jeweiligen Angeklagten. Der Senat hat insofern erwogen, ob zumindest bei einfach gelagerten Sachverhalten (und sofern - wie hier - keine Besonderheiten, die Abweichungen rechtfertigen könnten, festgestellt sind) von einer Zeitspanne der Bearbeitung fristgerecht eingereichter Steuererklärungen von längstens einem Jahr auszugehen ist. Das Tatgericht ist weder nach dem Zweifelssatz noch sonst gehalten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen es an zureichenden Anhaltspunkten fehlt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. April 2007 - 1 StR 124/07, NStZ 2007, 530; BGH, Beschluss vom 25. April 2007 - 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324; BGH, Urteil vom 7. November 2006 - 1 StR 307/06, NStZ-RR 2007, 86; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07, NStZ-RR 2007, 381, 382). Insofern ist es von Rechts wegen auch nicht geboten, Tatvollendung stets erst zum Zeitpunkt der Tatbeendigung anzunehmen, wenn also das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten in dem betreffenden Bezirk für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen hat und demzufolge nicht mehr mit einer Veranlagung zu rechnen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2001 - 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138).

Dies bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann ausgeschlossen werden, dass die Veranlagungsarbeiten für die Jahre 2002 und 2003 in dem für den Angeklagten zuständigen Finanzamt Wiesbaden I zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ermittlungen (der zuvor erlassene Durchsuchungsbeschluss datiert vom 23. Oktober 2006) noch nicht abgeschlossen waren. Die Tatbestandsverwirklichung war zu diesem Zeitpunkt also hinsichtlich aller vier Taten bereits eingetreten.

3. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es nicht an der in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift (§ 200 StPO) und - daran anknüpfend - einem wirksamen Eröffnungsbeschluss. Die Anklageschrift enthält die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Anklageerhebung bei Steuerstraftaten notwendigen Angaben (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2007 - 1 StR 655/08, NStZ-RR 2009, 340).