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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 28.07.2010, Az.: 1 STR 643/09

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen tateinheitlicher Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuerhinterziehung in sechs Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Drei Monate gelten als vollstreckt. Gegen diese Verurteilung richtet sich die Revision der Angeklagten. Sie beanstandet einen Verfahrensverstoß (Verhandlung in ihrer Abwesenheit, §§ 230 Abs. 1, 338 Nr. 5 StPO) und die Verletzung sachlichen Rechts. Der Formalrüge bleibt der Erfolg versagt. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Schuld- und Strafausspruchs mit den Feststellungen zur Höhe des Mehrumsatzes und zu den hierauf aufbauenden Feststellungen zur Berechnung der Höhe der hinterzogenen Steuern. Die übrigen Feststellungen bleiben bestehen.

1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:

Die Angeklagte betrieb in Ludwigsburg in zentraler Lage zwei gastronomische Betriebe unter den Firmen "A. " (von April 1999 bis August 2005) und "S. " (von Ende Januar 1998 bis Oktober 2006). Die Gewinne aus den beiden Unternehmen wurden in den Jahren 1998 bis 2001 getrennt durch Einnahmen-Überschussrechnungen und anschließend zusammengefasst durch Bilanzierung ermittelt.

Die Einnahmen-Überschussrechnungen und die Bilanzen enthalten jeweils zu niedrige Betriebseinnahmen. Die hierauf beruhenden Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuerklärungen der Angeklagten sind deshalb unzutreffend. In den Einkommensteuererklärungen der Jahre 2001 und 2002 verschwieg die Angeklagte zudem Kapitaleinkünfte aus einer Geldanlage bei der Filiale der P. bank in B. Insgesamt führte das zu einer Steuerverkürzung in Höhe von 950.002 €.

2. Zur Grundlage dieser Feststellungen:

a) Hinsichtlich der unversteuerten Zinseinkünfte aus B. hat die Angeklagte eingeräumt, dass das entsprechende Konto auf sie und ihren Ehemann lautete und dass die Einnahmen hieraus gleichwohl keinen Eingang in die Steuererklärungen gefunden haben. Bei der Anlage habe es sich aber tatsächlich um Gelder ihrer in der Schweiz lebenden Schwester gehandelt. Dies sah die Strafkammer insbesondere aufgrund der widersprüchlichen Angaben der als Zeugin gehörten Schwester als widerlegt an.

b) Unzutreffende Angaben zu den Betriebseinnahmen beider gastronomischer Betriebe hat die Angeklagte bestritten. Die beim Fleischgroßhändler Bi. über die Lieferungen an sie erhobenen Rechnungen seien zwar zutreffend. Die als bezogen ausgewiesene Gesamtmenge entspreche jedoch nicht dem Absatz. Durch Fett- und Wasserverlust sei ein Schwund von mindestens 40 % eingetreten. Auch hätten die Spieße ein geringeres Gewicht gehabt, als auf den Etiketten angegeben gewesen sei. Viele Kilos unverkäuflicher Kruste und Reste an den Spießen hätten weggeworfen werden müssen. Sie habe einen hohen Eigenverbrauch gehabt, für die Familie und die Schulfreunde ihrer Kinder. Dem türkischen Kulturverein habe sie täglich 7,5 bis 10 kg gegartes Dönerfleisch geschenkt.

Mehreinnahmen folgten nach den Feststellungen der Strafkammer schon aus dem während der entsprechenden Jahre angesammelten Vermögen der Angeklagten. Bei der Berechnung der tatsächlichen Umsätze war die Strafkammer auf Schätzungen angewiesen. Denn Buchhaltungsunterlagen, aufgrund derer die Umsatzangaben in den vom Steuerberater gefertigten Einnahmen-Überschussrechnungen und Bilanzen hätten überprüft werden können, waren bei der Angeklagten bzw. in ihren Betrieben nicht mehr vorhanden. Als einzige objektive Berechnungsgrundlage konnte die Strafkammer auf die beim Fleischlieferanten der Angeklagten erhobenen Rechnungen zurückgreifen.

Die Strafkammer hat zunächst eine möglichst konkrete Schätzung versucht. Für die Gesamtumsatzberechnung hat sie dazu in einem ersten Schritt die Umsatzbereiche Döner, Pizzen und Getränke unterschieden. Auf der Grundlage der Einkaufsrechnungen für die Döner-Fleischspieße konnte die Ausgangsmenge an verarbeitetem Dönerfleisch für jedes Jahr festgestellt werden.

Unter Berücksichtigung der oben genannten Schwundfaktoren, deren Größenordnung durch das Ergebnis der Beweisaufnahme allerdings in erheblichem Umfang reduziert worden ist, hat das Landgericht einen Verkaufsanteil von 62 % des eingekauften Rohfleisches zugrunde gelegt und anhand der festgestellten Portionsmenge und eines mittleren Verkaufspreises hieraus den jeweiligen Jahresumsatz im Bereich Döner ermittelt. Hinsichtlich der Pizzaumsätze hat das Landgericht auf Grundlage der Angaben der Angeklagten und eines mit der Gewinnermittlung der Betriebe befassten Steuerfachwirts eine bestimmte Größenordnung pro Jahr festgelegt und diese mit einem mittleren Verkaufspreis multipliziert. Den Getränkeumsatz hat das Landgericht schließlich mittels eines 100 %-Aufschlags auf die Getränkeeinkaufsbeträge, wie sie aus den Einnahme-Überschussrechnungen und den Bilanzen hervorgehen, berechnet.

Bei der Gegenüberstellung der so errechneten Gesamtumsätze mit den Wareneinsatzbeträgen ergaben sich jedoch unerklärbare Schwankungen des auf diese Weise ermittelten Rohgewinnaufschlags. Teilweise blieb der so errechnete Jahresumsatz sogar hinter dem von der Angeklagten erklärten Jahresumsatz zurück. Mangels ausreichend zuverlässiger Datenbasis erwies sich dieser Weg der Schätzung der tatsächlichen Umsätze somit als untauglich.

Das Landgericht hat den Mehrumsatz deshalb im Wege einer pauschalen Schätzung ermittelt. Es hat die Jahresumsätze der Angeklagten auf der Grundlage einer durch das Bundesministerium für Finanzen jährlich herausgegebenen Richtsatzsammlung von Rohgewinnaufschlägen für Imbissbetriebe und Pizzerien ermittelt, indem es einen Rohgewinnaufschlag von 190 % auf die in den Einnahme-Überschussrechnungen bzw. Bilanzen enthaltenen Wareneinsatzbeträge vorgenommen hat. Dieser Wert stellt einen Mischwert aus den Richtsatzwerten für Imbissbetriebe und Pizzerien dar, der entsprechend den jeweils festgestellten Umsatzanteilen im Betrieb der Angeklagten von der Kammer im Verhältnis 3 (Döner-Imbiss) zu 1 (Pizzeria) gebildet wurde. Bei dem Rohgewinnaufschlag von 190 % handelt es sich um einen Mindestwert. In Vergleichsfällen sind im Bezirk des Finanzamts Ludwigsburg Rohgewinnaufschlagsätze von 220 bis zu 270 % ermittelt worden.

Ausgehend von diesem Rohgewinnaufschlag errechnete die Strafkammer die Mehrumsätze und die daraus resultierenden Mehrsteuern, ohne allerdings den Berechnungsvorgang umfassend mitzuteilen. Die Urteilsgründe enthalten weder die aus den Gewinn- und Verlustrechnungen bzw. Bilanzen entnommenen Wareneinsatzbeträge noch die daraus auf dem dargestellten Weg errechneten Gesamtumsätze. In den Feststellungen wird zwar der Mehrumsatz und die insoweit verkürzte Umsatzsteuer pro Jahr angegeben. Der Inhalt der jeweils abgegebenen Steuererklärung und der überprüfbare Vergleich zwischen Ist-Steuer und Soll-Steuer fehlen jedoch.

Die von der Angeklagten erhobene Verfahrensrüge dringt nicht durch. Die Revision behauptet das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO. Am 26. Mai 2009 habe entgegen § 230 Abs. 1 StPO ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten stattgefunden.

1. Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde.

Die Hauptverhandlung fand in der Zeit vom 21. April bis zum 22. Juli 2009 an zwölf Sitzungstagen statt. Auf den 26. Mai 2009 war die Fortsetzung der am 19. Mai unterbrochenen Hauptverhandlung bestimmt. In der Nacht zum Freitag, dem 22. Mai 2009, verstarb der Vater der Angeklagten und wurde schnellstens in die Türkei zur Beerdigung ausgeflogen. Die Angeklagte reiste ebenfalls dorthin. Darüber wurde der Verteidiger am Vormittag des 22. Mai 2009 telefonisch informiert, der seinerseits am Montag, dem 25. Mai 2009, den Strafkammervorsitzenden anrief und mitteilte, dass mit einem Erscheinen der Angeklagten in der Hauptverhandlung am 26. Mai 2009 voraussichtlich nicht zu rechnen sei. Näheres wisse er auch nicht. Der Strafkammervorsitzende lud daraufhin einen Sachverständigen, die Zeugen und den Dolmetscher ab. Am 25. Mai 2009 fand ab Mittag in der Osttürkei, etwa 1.000 km von Istanbul entfernt, die Beerdigung des Vaters der Angeklagten statt. Die Feierlichkeiten endeten gegen 19.00 Uhr. Am 26. Mai 2009 trat die Angeklagte um 4.00 Uhr die Rückreise an. Gegen 19.00 Uhr erreichte sie Stuttgart.

Zum Hauptverhandlungstermin am 26. Mai 2009 war die Angeklagte deshalb nicht erschienen. Ihr Verteidiger gab dazu eine Erklärung ab. Der Beerdigungszeitpunkt war ihm nach wie vor unbekannt. Der Vorsitzende gab die vorsorglichen Abladungen bekannt.

Anschließend geschah nach der Sitzungsniederschrift Folgendes:

"Der Verteidiger stellte die als Anlage 1, 2, 3 und 4 dem heutigen Protokoll angeschlossenen Beweisanträge.

Die Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft erklärten, sie wollten später zu diesen Anträgen Stellung nehmen.

Die Vorschrift des § 257 wurde beachtet."

Sodann unterbrach der Vorsitzende die Hauptverhandlung und bestimmte den Fortsetzungstermin auf den 9. Juni 2009.

Der Termin währte von 09.01 Uhr bis 09.15 Uhr.

Mit den - knapp begründeten - Beweisanträgen war die Vernehmung von insgesamt elf Zeugen beantragt worden zu folgenden Tatsachen: - Schenkung von täglich 7 bis 10 kg gebratenen Dönerfleisches an den türkischen Kulturverein.

- Nicht mehr verwend- und verkaufbare Reste am Spieß sowie Garschwund von 40 % durch Wasser- und Fettverlust.

- Erhebliche Mengen an Speiseresten im Müll der Betriebe; hierauf beruhende Beanstandungen der Entsorgungsfirma.

- Die 230.000 DM auf dem Konto der P. bank (heute H. -Bank) gehören der Schwester der Angeklagten.

Die Strafkammer ging in den Folgeterminen allen Beweisanträgen - in Anwesenheit der Angeklagten - nach. Im Rahmen dieser Beweisaufnahme erklärte der Verteidiger am 23. Juni 2009 den Verzicht auf die Vernehmung von zwei der fünf in einem Beweisantrag benannten Zeugen. Einen Zeugen tauschte er aus.

2. Die Rüge ist unbegründet.

§ 338 Nr. 5 StPO bestimmt, dass ein Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Staatsanwalts oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Gemäß § 230 Abs. 1 StPO findet gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht statt.

Die Anwesenheitspflicht soll dem Angeklagten nicht nur das rechtliche Gehör gewährleisten, sondern soll ihm auch "die Möglichkeit allseitiger und uneingeschränkter Verteidigung, insbesondere durch Stellung von Anträgen auf Grund des von ihm selbst wahrgenommenen Verlaufs der Hauptverhandlung, sichern" (BGH, Urteil vom 2. Dezember 1960 - 4 StR 433/60, BGHSt 15, 263, 264). Außerdem soll dem Tatrichter im Interesse der Wahrheitsfindung ein unmittelbarer Eindruck von der Person des Angeklagten, seinem Auftreten und seinen Erklärungen vermittelt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1975 - 1 StR 107/74, BGHSt 26, 84, 90; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 230 Rn. 1), insbesondere auch im Hinblick auf die Strafzumessung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 136 u. 1447/05, Rn. 89).

Aber nur, wenn der Angeklagte in einem - im Hinblick auf die genannten Aspekte - wesentlichen Teil der Hauptverhandlung abwesend ist, begründet dies die Revision (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1975 - 1 StR 107/74, BGHSt 26, 84, 91). Denn § 338 StPO ist nicht anwendbar, wenn das Beruhen des Urteils auf dem Mangel denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 1992 - 4 StR 250/92, BGHR StPO, § 338, Beruhen 1; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 338 Rn. 2; KK-Kuckein, StPO 6. Aufl. § 338 Rn. 5; Graf-Wiedner, StPO § 338 Rn. 4, jew. mwN).

Nicht jede Sachverhandlung, auf die es etwa zur Fristwahrung gemäß § 229 Abs. 1 StPO ankommt, wie die Verhandlung über die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten (BGH, Urteil vom 14. März 1990 - 3 StR 109/89, BGHR StPO § 229 Abs. 1, Sachverhandlung 1), die gerichtliche Entscheidung 29 - 11 - eines Ordnungsmittel- und Kostenbeschlusses gegen einen Zeugen oder die Entscheidung über etwaige Zwangsmaßnahmen gemäß § 51 StPO (vgl. Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 338 Rn. 84), sind wesentliche Verhandlungsteile i.S.v. § 338 Nr. 5 StPO. Die Entgegennahme von Beweisanträgen ist Sachverhandlung in diesem Sinne (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2000 - 5 StR 613/99, BGHR StPO § 229 Abs. 1, Sachverhandlung 5).

Denn ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung i.S.v. § 338 Nr. 5 StPO liegt - im Hinblick auf einen Angeklagten - nicht vor, wenn denkgesetzlich ausgeschlossen ist, dass bezüglich des Prozessgeschehens in seiner Abwesenheit sein Anspruch auf rechtliches Gehör sowie seine prozessualen Mitgestaltungsrechte beeinträchtigt worden sind. Der Verhandlungsteil darf auch sonst das Ergebnis der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) nicht bestimmt haben können.

Fehlt es an einem dieser Aspekte, liegt etwa eine Verletzung des Rechts auf Gehör vor, dann ist es bei dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO unerheblich, wenn gleichwohl im Nachhinein aus revisionsrechtlicher Sicht eine andere Entscheidung des Tatgerichts ausgeschlossen werden könnte, auch wenn die Angeklagte am fraglichen Teil des Verfahrens teilgenommen hätte.

Danach waren die Erörterungen über die Abwesenheit der Angeklagten und die Information über die Abladungen zweifelsfrei unwesentlich i.S.v. § 338 Nr. 5 StPO. Gegenteiliges behauptet auch die Revision nicht.

Aber auch die Stellung der Beweisanträge am 26. Mai 2009 war im vorliegenden Fall nicht wesentlich im oben dargestellten Sinn. Beweisanträge zielen auf eine Beweiserhebung und zwingen das Gericht zu einer Entscheidung hierüber. Zur Wahrheitsfindung (vgl. Sander, NStZ 1996, 351) tragen die Anträge allein grundsätzlich noch nichts bei. So ist das jedenfalls - denknotwendig - im vorliegenden Fall. Eine Verhandlung über die Beweisanträge fand am 26. Mai 2009 nicht statt; sie wurden an diesem Tag auch nicht beschieden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 4. Mai 1993 - 4 StR 207/93 -, BGHR StPO § 231 Abs. 2, Abwesenheit, eigenmächtige 10).

Eine Verletzung der Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Angeklagten, sowie ihres Rechts auf Gehör, kann im vorliegenden Fall ebenfalls denkgesetzlich ausgeschlossen werden.

Die unter Beweis gestellten Tatsachen decken sich mit - einigen - von der Angeklagten zu ihrer Entlastung vorgebrachten Behauptungen. Die benannten Zeugen konnten dem Verteidiger nur von der Angeklagten oder in ihrem Auftrag genannt worden sein. Dass der Verteidiger die Beweisanträge alleine aufgrund seines eigenen Antragsrechts stellte, dass er die Angeklagte dabei übergangen haben könnte oder gar gegen deren Willen handelte, ist ausgeschlossen. Die Begründungen der Beweisanträge waren knapp und enthielten keinen zusätzlichen sachlichen Gehalt. Weitere Erklärungen wurden im Termin am 26. Mai 2009 nicht abgegeben. Der durch die Anträge veranlassten Beweisaufnahme wohnte die Angeklagte bei. Auch dadurch ist ein Informations- und Mitwirkungsdefizit der Angeklagten im vorliegenden Fall ausgeschlossen.

Dass die Abwesenheit der Angeklagten in dem 14-minütigen Termin am 26. Mai 2009, die Möglichkeit der Strafkammer, sich einen ausreichenden persönlichen Eindruck von der Angeklagten zu verschaffen, beeinträchtigt haben könnte, ist bei der insgesamt zwölftägigen Hauptverhandlung ebenfalls denkgesetzlich ausgeschlossen.

Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO ist damit nicht gegeben.

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge deckt einen Darlegungsmangel auf, eine Lücke in der Darstellung der Berechnung der Mehrumsätze und darauf aufbauend der jeweiligen Hinterziehungsbeträge. Der Senat vermag deshalb nicht zu überprüfen, ob die Strafkammer den Schuldumfang zutreffend ermittelt hat. Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs und in der Folge des Strafausspruchs.

Die Strafkammer hat die Umsätze der einzelnen Jahre schließlich pauschal geschätzt. Sie hat dabei einen Rohgewinnaufschlag von 190 % auf die in den Einnahmen-Überschussrechnungen bzw. Bilanzen enthaltenen Wareneinsatzbeträge zugrunde gelegt. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht zur Feststellung dieses Rohgewinnaufschlags gelangt, wie auch zur Feststellung, dass in diesem Fall eine konkretere Schätzung mangels ausreichend verlässlicher Tatsachengrundlage unmöglich ist.

Auch im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist. Dies gilt auch und gerade dann, wenn Belege nicht mehr vorhanden sind. Fehlende Buchhaltung befreit nicht von strafrechtlicher Verantwortung. Dies gilt auch dann, wenn keine handelsrechtliche Buchführungspflicht besteht, etwa ab dem Geschäftsjahr 2008 in den Fällen des § 241a HGB, zumal besondere steuerrechtliche Aufzeichnungspflichten (z.B. §§ 141 ff. AO, § 22 UStG i.V.m. §§ 63 ff. UStDV) hiervon unberührt bleiben. Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten Schätzungsmethoden einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen zur Anwendung (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2007 - 5 StR 58/07, BGHR AO § 370 Abs. 1, Steuerschätzung 3).

Der Tatrichter muss dann in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, wie er zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist (BGH, Beschluss vom 26. April 2001 - 5 StR 448/00; zu den Anforderungen an die Feststellung und die Beweiswürdigung von Besteuerungsgrundlagen in steuerstrafrechtlichen Urteilen vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08 Rn. 11 ff., BGHR StPO § 267 Abs. 1, Steuerhinterziehung 1; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. März 2010 - 1 StR 52/10).

Erweist sich eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze danach von vorneherein oder - wie im vorliegenden Fall - nach entsprechenden Berechnungsversuchen als nicht möglich, kann pauschal geschätzt werden, etwa - wie hier - unter Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen.

Eine auch nur annähernd zutreffende konkrete Ermittlung wird in aller Regel - jedenfalls bei Gastronomiebetrieben der vorliegenden Art - schon dann von vorneherein nicht möglich sein, wenn Buchungsbelege völlig fehlen. Denn dass in derartigen Fällen in den Einnahmen-Überschussrechnungen bzw. Bilanzen allein die Umsatzzahlen (Verkäufe) unzutreffend sind, ist eher unwahrscheinlich.

Auch die sonstigen Zahlen in diesen Abschlüssen erscheinen daher als Basis für eine konkrete Berechnung von vorneherein als eher ungeeignet. Einer entsprechenden Einlassung (keine Schwarzeinkäufe) muss das Tatgericht bei einem derartigen Hintergrund ohne weitere Anhaltspunkte für Richtigkeit dieser Darstellung im Hinblick auf die Wahl einer geeigneten Schätzmethode nicht allein deshalb glauben, weil es die Behauptung nicht widerlegen kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, Rn. 18; Urteil vom 4. Dezember 2008 - 1 StR 327/08, Rn. 8; Urteil vom 21. Oktober 2008 - 1 StR 292/08, Rn. 24; Urteil vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07, Rn. 22; Beschluss vom 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, Rn. 19; Urteil vom 8. Mai 2008 - 3 StR 102/08, Rn. 9).

Bei der Festsetzung des Rohgewinnaufschlagsatzes muss sich das Gericht nicht zugunsten eines Angeklagten an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben, wie z.B. ein guter Standort, sonst nicht erklärbare Vermögenszuwächse oder örtliche Vergleichsdaten.

Das Landgericht durfte hier somit nach dem Scheitern einer Schätzung aufgrund eines individuellen Berechnungsmodells auf die von ihm gewählte generalisierende Schätzungsmethode zurückgreifen. Auch die Bildung eines Mischwertes aus zwei Richtsatzwerten im Verhältnis der jeweiligen Umsatzanteile begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

In den schriftlichen Gründen des Urteils fehlt im vorliegenden Fall allerdings über den - sehr zugunsten der Angeklagten - ermittelten Rohgewinnaufschlag hinaus die Mitteilung maßgeblicher Umstände, die dann die Grundlage für die weitere Umsatz- und Steuerberechnung bilden.

Es werden zwar die Mehrumsätze und die insoweit verkürzte Umsatzsteuer pro Jahr angegeben. Jedoch enthalten die Gründe weder die aus den Gewinn- und Verlustrechnungen bzw. Bilanzen entnommenen Wareneinsatzbeträge noch die daraus auf dem dargestellten Weg errechneten Gesamtumsätze. Zudem fehlen der Inhalt der jeweils abgegebenen Steuererklärung und damit ein überprüfbarer Vergleich zwischen Ist-Steuer und Soll-Steuer. Dass die Strafkammer als Basis der pauschalierten Berechnung nur die in den Jahresabschlüssen enthaltenen Wareneinkäufe ansetzte und keine Ermittlungen zu eventuellen sonstigen Einkäufen anstellte, beschwert die Angeklagte nicht.

Der Schuldspruch - und in der Folge der Strafausspruch - sowie die zur Höhe des Schuldumfangs getroffenen Feststellungen (Hinterziehungsbeträge und zugrundeliegender jeweiliger Mehrumsatz) haben daher keinen Bestand.

Die Feststellungen zum Rohgewinnaufschlag und zu dessen Ermittlung sowie die Feststellung, dass eine konkretere Schätzung nicht möglich ist, bleiben aufrechterhalten.

Ebenso hat das Landgericht alle Feststellungen zu den Geldern der Angeklagten bei der P. bank in B. rechtsfehlerfrei getroffen. Sie bleiben ebenfalls bestehen.

Unberührt von der Aufhebung sind auch die Feststellungen zur Person der Angeklagten und zu ihren Vermögensverhältnissen.

Der Senat weist abschließend darauf hin, dass eine Verletzung von Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten (hinsichtlich der geschäftlichen Unterlagen) in Fällen der vorliegenden Art ein bestimmender Strafschärfungsgrund ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, Rn. 47). Auch bei der Prüfung der Frage, ob besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, wird dies ggf. zu berücksichtigen sein.