Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 17.01.1967, Az.: 1 STR 645/66
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 10. Juni 1966 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht München I zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Jugendkammer des Landgerichts hat den zur Tatzeit 18-jährigen Angeklagten eines Totschlags und eines Diebstahls schuldig gesprochen und eine Jugendstrafe von fünf Jahren verhängt. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachbeschwerde; sie beanstandet, daà das Landgericht den Angeklagten nicht wegen Mordes und besonders schweren Raubes oder schweren Diebstahls verurteilt hat. Das Rechtsmittel führt entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.Die Begründung der Nichtanwendung des § 211 StGB ist rechtlich bedenklich.
1.Ausführlich erörtert das Urteil nur das Merkmal der heimtückischen Tötung; die Jugendkammer hält es sowohl nach der äuÃeren wie nach der inneren Tatseite nicht für gegeben (UA S. 25 bis 27). Hiergegen wendet sich die insoweit vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit Recht.
a)Das Landgericht hat zwar das Opfer Johann H. als arglos angesehen, jedoch seine Wehrlosigkeit verneint; denn er habe sehen können, wie der seitlich vor ihm stehende Angeklagte die Zaunlatte zum Schlage erhob (UA S. 26). Die Jugendkammer verkennt hierbei den Begriff der Wehrlosigkeit. Die heimtückische Tötung ist dadurch gekennzeichnet, daà das Opfer durch die überraschende Tat gehindert wird, sich zu verteidigen, Hilfe herbeizurufen, zu fliehen oder sonstwie auf den Täter einzuwirken (BGHSt 2, 60, 61) [BGH 21.12.1951 - 1 StR 675/51] [BGH 21.12.1951 - StR 1 675/51 ]. Deshalb ist es für das Merkmal der Heimtücke nicht wesentlich, ob der Angegriffene im letzten Augenblick die Tötungsabsicht erkennt ( BGH Urteile vom 22. April 1955 - 5 StR 35/55; vom 29. März 1960 - 1 StR 69/60; vom 19. Mai 1965 - 2 StR 68/65, in BGHSt 20, 225 [BGH 19.05.1965 - StR 2 68/65 ] insoweit nicht abgedruckt). Die bisherigen Feststellungen ergeben nichts dafür, daà H. in diesem Zeitpunkt noch die Möglichkeit hatte, den Angriff abzuwehren oder ihm auszuweichen; seine Leiche wies keine Abwehrverletzungen auf. Die Annahme des Tatrichters, schon der äuÃere Tatbestand einer heimtückischen Tötung sei mangels Wehrlosigkeit des Opfers nicht verwirklicht, läÃt sich daher rechtlich nicht halten. Daà kein Vertrauensverhältnis zwischen H. und dem Angeklagten bestand, wie das Landgericht hervorhebt, ist für diese Frage unerheblich (BGHSt 3, 183, 185 [BGH 30.09.1952 - 1 StR 296/52];  7, 218, 221 [BGH 24.02.1955 - 3 StR 543/54][BGH 30.09.1952 - StR 1 296/52 ]).
b)Die Jugendkammer meint auÃerdem, den Nachweis zur inneren Tatseite nicht führen zu können; mangels "konkreter Indiztatsachen" sei das wissentliche, überlegte Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit Haupts nicht darzutun, weil nicht ausgeschlossen werden könne, daà der Angeklagte den Tatentschluà "in einem plötzlichen, explosiven Ausbruch gestauter Affekte faÃte" (UA S. 26, 27). Diese Erwägungen sind möglicherweise durch Rechtsirrtum beeinfluÃt. Ein länger erwogener Tatplan ist nicht erforderlich (BGHSt 2, 60, 61 [BGH 21.12.1951 - 1 StR 675/51];  6, 120, 121 [BGH 05.05.1954 - 1 StR 626/53][BGH 21.12.1951 - StR 1 675/51 ]); der Täter tötet heimtückisch auch dann, wenn er die Lage des Opfers aufgrund einer raschen Eingebung ausnutzt (BGHSt 6, 120, 121) [BGH 05.05.1954 - 1 StR 626/53] [BGH 05.05.1954 - StR 1 626/53 ]. Wesentlich ist zwar, daà er die Tatumstände, auf die sich die Beurteilung der Arg- und Wehrlosigkeit stützt, nicht nur äuÃerlich wahrnimmt, sondern sie in ihrer Bedeutung für die Ausführung der Tat erfaÃt; das aber ist auch "mit einem Blick" möglich (BGH a.a.O.). Die Ausführungen des Tatrichters deuten darauf hin, daà er entgegen diesen Grundsätzen der Auffassung war, das Merkmal der Heimtücke erfordere zur inneren Tatseite ein wohlüberlegtes planvolles Handeln und sei bei einem plötzlichen Entschluà nicht anzunehmen.
Allerdings kann eine starke Erregung den Täter daran hindern, die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers zu erkennen (BGHSt 11, 139, 144) [BGH 02.12.1957 - GSSt - 3/57] [BGH 02.12.1957 - - GSSt 3/57 ]. Wenn aber das Landgericht in Rahmen der rechtlichen Würdigung (UA S. 27) anführt, der Tatentschluà sei möglicherweise einem Ausbruch gestauter Affekte zuzuschreiben, so findet diese Annahme in den tatsächlichen Feststellungen innerhalb der Beweiswürdigung (UA S. 15) keine Grundlage. Dort wird nämlich nur die vereinzelt zu beobachtende Reaktionsweise eines kriminologischen Typs erörtert, dem der Angeklagte nach der von der Jugendkammer gebilligten Auffassung des Sachverständigen zuzuordnen ist. Welcher Art die beim Angeklagten zur Entladung drängenden Affekte sein konnten, ist dem insoweit widersprüchlichen Urteil nicht mit Sicherheit zu entnehmen. Das Landgericht führt zwar an, der Angeklagte habe nach seiner Darstellung die Begegnung mit Haupt als beschämend und peinlich empfunden; dieses Gefühl könne genügt haben, den unausgereiften und unter Alkoholeinfluà stehenden Angeklagten zur Tat hinzureiÃen. Im Gegensatz dazu legt die Jugendkammer dieser - zu seinen Gunsten unterstellten - Gefühlslage in anderem Zusammenhang nicht die Bedeutung einer Affektstauung bei; bei der Prüfung der Anwendbarkeit des § 51 StGB (UA S. 27, 29) findet die von der Norm beträchtlich abweichende Motivation des Verhaltens keinerlei Erwähnung (vgl. hierzu BGHSt 11, 139, 144 [BGH 02.12.1957 - GSSt - 3/57] [BGH 02.12.1957 - - GSSt 3/57 ]; LM StGB § 211 Nr. 25).
Die möglicherweise rechtsfehlerhafte Beantwortung der Frage 3 ob der Angeklagte heimtückisch getötet hat, zwingt zur Aufhebung des Urteils. Zur neuen Hauptverhandlung sei insoweit bemerkt: Heimtücke i.S. des § 211 StGB darf natürlich nur dann angenommen werden, wenn dieses Merkmal zur Ãberzeugung des Tatrichters erwiesen ist; auf eine bloÃe Unterstellung zugunsten des Angeklagten darf die Anwendung des § 211 StGB zu seinen Lasten nicht gestützt werden (BGH NJW 1951, 532 Nr. 22; NJW 1957, 1643 Nr. 14).
2.Die Revision hält es weiter für rechtsfehlerhaft, daà die Jugendkammer nicht geprüft hat, ob der Angeklagte zur Verdeckung einer Straftat, nämlich eines Hausfriedensbruchs, getötet hat. Mit Recht weist der Generalbundesanwalt jedoch darauf hin, das Landgericht habe davon ausgehen dürfen, daà H. gegen das Eindringen des Angeklagten in den Hofraum und gegen die Benutzung des Aborts nichts einzuwenden gehabt hätte, daà jedenfalls der Angeklagte dieser Ansicht gewesen sei.
3.Anderseits vermiÃt der Generalbundesanwalt eine Prüfung der Frage, ob der Angeklagte auch aus einem niedrigen Beweggrund getötet habe. Der Tatrichter wird in der neuen Verhandlung Gelegenheit haben zu erörtern, ob der bisher zugunsten des Angeklagten unterstellte Beweggrund (Gefühl der Beschämung und der Peinlichkeit, vgl. UA S. 15) eindeutig festzustellen und - im Hinblick auf das krasse MiÃverhältnis zwischen seinem Anlaà und dem Erfolg der Tat - als niedrig i.S. des § 211 Abs. 2 StGB anzusehen ist (vgl. BGH LM StGB § 211 Nr. 25 = NJW 1954, 565 [BGH 13.11.1953 - StR 2 398/53 ] Nr. 22). Weitere Voraussetzung für die Annahme eines Mordes insoweit wäre allerdings, daà sich der Angeklagte im Zeitpunkt der Tat der Umstände bewuÃt war, die den Beweggrund als niedrig erscheinen lieÃen. Daà er sie selbst als niedrig erkannte und beurteilte, wird nicht vorausgesetzt ( BGH Urteil vom 27. Juli 1961 - 1 StR 230/61).
II.Die rechtliche Würdigung der Wegnahme der Goldbörse als einfacher Diebstahl erschöpft den festgestellten Sachverhalt nicht.
1.Der Angeklagte führte während dieses Tatabschnitts die von ihm als Waffe gewählte und zum Niederschlagen H.s bereits benutzte Zaunlatte bei sich. Die bisherigen Feststellungen schlieÃen nicht aus, daà er sich der Möglichkeit bewuÃt war, die Latte als Waffe - im nichttechnischen Sinne - zu gebrauchen, wenn H. sich der Wegnahme etwa noch hätte widersetzen wollen. Mit Recht rügt deshalb die auch insoweit vom Generalbundesanwalt vertretene Revision, daà die Jugendkammer die Anwendung des § 243 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht geprüft hat (BGHSt 3, 229, 233 [BGH 02.10.1952 - 5 StR 623/52] [BGH 02.10.1952 - StR 5 623/52 ]; BGH NJW 1965, 2115 [BGH 03.08.1965 - StR 1 277/65 ] Nr. 12).
2.Dagegen war es auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht geboten, die Entwendung der Börse unter dem Gesichtspunkt des Raubes ( §§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 1, 251 StGB) zu würdigen. Der Hinweis der Revision auf die Entscheidung des erkennenden Senats von 15. September 1964 (BGHSt 20, 32, 33) [BGH 15.09.1964 - 1 StR 267/64] [BGH 15.09.1964 - StR 1 267/64 ] geht fehl. Dort hatte der Täter eine zu anderem Zweck begonnene Gewaltanwendung fortgesetzt und sie bewuÃt dazu ausgenutzt, dem Opfer einen Wertgegenstand wegzunehmen. Hier war nach den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (UA S. 9, 12, 25, 29) der gewaltsame Angriff gegen Haupt beendet, als sich der Angeklagte aufgrund eines neuen Entschlusses seinem Opfer wieder zuwandte und die Goldbörse seiner Tasche entnahm. Die Gewalt war hiernach nicht das vom Täter angewandte Mittel, um die Wegnahme der Sache zu ermöglichen; der Angeklagte faÃte den Entschluà hierzu erst, als er die Gewaltanwendung beendet hatte, und nutzte nur deren Folge (die Wehrlosigkeit, vielleicht auch BewuÃtlosigkeit H.s) zur Entwendung der Börse aus.
Die in der angeführten Entscheidung des Senats enthaltene Bemerkung, auch ein BewuÃtloser könne beraubt werden, sollte nur verdeutlichen, daà es nicht darauf ankommt, ob das Opfer die Wegnahme bemerkt. Das dort zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs (BGHSt 4, 210 [BGH 21.05.1953 - StR 4 787/52 ]; vgl. auch RGSt 67, 183, 186 und OGHSt 3, 113, 114) betraf einen Fall, in dem das Opfer durch Gewalteinwirkung bewuÃtlos gemacht worden war, um es ausplündern zu können; anders als im vorliegenden Fall bisher festgestellt, übten die Täter dort also Gewalt zum Zweck der Wegnahme.
III.Da die rechtliche Würdigung sowohl der Tötung H.s als auch der Wegnahme der Geldbörse zu rechtlichen Bedenken Anlaà gibt, muà das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufgehoben werden. Da beim Landgericht nur eine Jugendkammer besteht, hat der Senat die Sache an die Jugendkammer des Landgerichts München I verwiesen ( § 354 Abs. 2 StPO; vgl. auch BVerfG NJW 1967, 99, 100) [BVerfG 25.10.1966 - BvR 2 291/64 ].