Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 30.06.1953, Az.: 1 STR 799/52
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts in Aachen vom 24. Januar 1952 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen gewerbsmässiger Vorteilsbeihilfe zur Zollhinterziehung in Tateinheit mit einem Vergehen gegen Art I Abs. 1 d, Abs. 2, Art VIII des Gesetzes Nr. 53 der Militärregierung und mit einem Vergehen gegen § 113 StGB verurteilt wird. Der Strafausspruch wird mit den Feststellungen hierzu aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht zurückverwiesen. Jedoch verbleibt es bei der Einziehung des Kraftwagens Ford V 8 de Luxe, des Kaffees und der Zigaretten.
Die Revision des Nebenbeteiligten Mathias F. wird verworfen; er hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Entscheidungsgründe
Der Angeklagte wohnt in dem Hause seines Vaters unmittelbar an der belgischen Grenze. Er trat mit einem Belgier in Verbindung, der ihm am 27. Juli 1951 auf deutschem Boden Rohkaffee und Zigaretten übergab, die geschmuggelt waren. Der Angeklagte sollte die Waren am nächsten Morgen an einer ihm bezeichneten Stelle dem Fahrer eines dort wartenden Lastkraftwagens übergeben und für seine Mitwirkung eine Vergütung von 1.000 DM erhalten. Er lud das Gut in einen seinem Vater gehörigen Personenkraftwagen, den er über Nacht in die Garage stellte. Am nächsten Morgen fuhr er landeinwärts fort, wurde jedoch alsbald von dem Zollobersekretär Le. angehalten und aufgefordert, den Kofferraum des Wagens zu öffnen. Der Angeklagte erwiderte, dass er den Schlüssel nicht bei sich habe und fuhr gleichzeitig an. Le., der sich durch die geöffnete Tür gebeugt hatte, fiel in das Wageninnere. Der Angeklagte versuchte, ihn hinauszudrängen; das gelang ihm jedoch nicht. Erst nach etwa 200 m hielt er an und stieg aus.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorteilsbeihilfe zur gewerbsmässigen Abgabenhinterziehung in Tateinheit mit einem Vergehen gegen das Militärregierungsgesetz Nr. 53 sowie wegen rechtlich selbständiger Widerstandsleistung verurteilt und den Kraftwagen, den Kaffee und die Zigaretten eingezogen. Gegen das Urteil haben der Angeklagte und sein Vater als Nebenbeteiligter Revision eingelegt.
I.Die Revision des Angeklagten kann nur zum Teil Erfolg haben.
1.Zu den Verfahrensrügen:
a)Nach dem Inhalt der gemäss § 274 StPO allein massgeblichen Sitzungsniederschrift ist nicht der Eröffnungsbeschluss, sondern die Anklage verlesen worden. Dieser Verstoss gegen § 243 Abs. 2 StPO kann der Revision aber nicht zum Erfolge verhelfen, weil das Urteil nicht auf der Gesetzesverletzung beruht.
Die Verlesung des Eröffnungsbeschlusses soll zu dem Zweck geschehen, die Grenzen der Urteilsfindung zu bezeichnen sowie den an der Hauptverhandlung Beteiligten, insbesondere den Schöffen, den Gegenstand der Verhandlung bekannt zu geben und ihnen das Verständnis für die nachfolgende Verhandlung zu ermöglichen (RGSt 10, 230, 232; 51, 7). Diesen Erfordernissen ist jedoch in ausreichendem Masse dadurch Rechnung getragen, dass die Anklage verlesen worden ist, die eine Wiedergabe aller wesentlichen Umstände enthält und auch in ihrer rechtlichen Beurteilung nicht von der des Eröffnungsbeschlusses abweicht. Danach ist es ausgeschlossen, dass der Verfahrensfehler auf das Urteil von Einfluss gewesen ist (RG a.a.O. sowie JW 1933, S 1779 Nr. 18). Auf die Frage, ob die Verlesung der Anklageschrift eine Gesetzesverletzung darstellt, die geeignet sein könnte, den Bestand des Urteils zu gefährden (vgl. RGSt 69, 120), braucht nicht eingegangen zu werden, da insoweit keine Rüge erhoben ist.
b)Die Revision rügt ferner, dass mehrere Urkunden verlesen worden seien, bevor die Vernehmung des Angeklagten zur Sache erfolgte.
Auch diese Rüge ist unbegründet. § 243 Abs. 2 und 3 StPO enthält insoweit nur eine Ordnungsvorschrift, auf deren Verletzung die Revision nicht gestützt werden kann, wenn der Ausbau der Hauptverhandlung, wie es hier zutrifft, im ganzen gewahrt geblieben ist (BGH NJW 1953 S 515 Nr. 20).
c)Nach der Sitzungsniederschrift waren Ermittlungsakten des Hauptzollamts Aachen "mit Gegenstand der Verhandlung".
Der Revision ist zuzugeben, dass diese Ausdrucksweise zu Bedenken Anlass gibt (RGSt 64, 78). Gemäss § 249 StPO sind Urkunden und andere als Beweismittel dienende Schriftstücke zu verlesen; die Sitzungsniederschrift muss die Bezeichnung der verlesenen Schriftstücke enthalten (§ 273 Abs. 1 StPO). Das Protokoll gibt zwar im vorliegenden Fall keine Auskunft darüber, welche in den angeführten Akten befindlichen Urkunden verlesen worden sind. Ihr Inhalt konnte aber auch bei der Vernehmung im Wege des Vorhalts in die Verhandlung eingeführt und so mittelbar Grundlage der getroffenen Feststellungen werden (Urteil des Senats vom 31. März 1953 - 1 StR 110/53). Dann beruhen die Feststellungen nicht auf der unzulässigen Verwertung nicht verlesener. Urkunden, sondern auf den von den vernommenen Personen, insbesondere vom Angeklagten auf die entsprechenden Vorhalte abgegebenen Erklärungen. Das Urteil bietet keinen Anhalt für die Annahme, dass das Landgericht seine Ãberzeugung aus Schriftstücken geschöpft hat, deren Inhalt nicht auf diese Weise erörtert worden ist.
d)Die Revision erblickt einen Verstoss gegen § 249 StPO auch darin, dass die Strafkammer ein gegen den Angeklagten ergangenes nicht rechtskräftiges Urteil verlesen und Schriftstücke aus einem schwebenden Ermittlungsverfahren berücksichtigt habe.
Auch diese Rüge geht fehl. Die Strafprozessordnung enthält entgegen der von dem Beschwerdeführer vertretenen Ansicht kein Verbot, Urkunden und Tatsachen zu verwerten, die sich auf ein noch schwebendes Verfahren beziehen. Allerdings wäre es ein Verstoss gegen das sachliche Recht, wenn der Tatrichter blosse Verdachtsgründe zu Lasten des Angeklagten gewertet hätte, von deren Richtigkeit er nicht voll überzeugt war. Ein derartiger Fehler ist aber nicht zu erkennen; die Strafkammer hat vielmehr aus jenem Verfahren ersichtlich nur den äusseren Sachverhalt herangezogen, dessen Richtigkeit auch der Angeklagte nicht in Abrede gestellt hat; im übrigen hat sie selbständig Schlussfolgerungen gezogen.
2.Zur Sachrüge:
a)Das Landgericht hat die Ãberzeugung gewonnen, dass sich der nicht ermittelte Belgier der gewerbsmässigen Zollhinterziehung schuldig gemacht hat; dem Angeklagten seien die Umstände, aus denen sich die Gewerbsmässigkeit des Handelns bei dem Täter ergaben, bekannt gewesen; er selbst habe ebenfalls gewerbsmässig gehandelt, denn er sei bestrebt gewesen, sich durch die Begehung von derartigen Straftaten "laufend Einnahmen zu verschaffen".
Die Revision macht, geltend, dass die Feststellungen des Landgerichts nicht genügten, die Annahme der GewerbsmäÃigkeit bei dem Belgier zu recht fertigen. Sie übersieht, dass es hierauf nicht ankommt. Das Merkmal der Gewerbsmässigkeit ist im § 401 b Abs. 1 RAbgO kein strafbegründender, sondern ein strafschärfender Umstand. Es ist daher gemäss § 50 Abs. 2 StGB lediglich dem Teilnehmer zuzurechnen, bei dem es vorliegt. Nach den Feststellungen der Strafkammer war der Angeklagte bestrebt, sich durch wiederholte Begehung derartiger Straftaten eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer zu verschaffen. Die sich hiergegen richtenden Angriffe der Revision liegen auf tatsächlichem Gebiete und wenden sich in unzulässiger Weise gegen die rechtlich nicht zu beanstandende Beweiswürdigung des Tatrichters.
Die Bestrafung des Angeklagten aus §§ 396, 398, 401 b Abs. 1 RAbgO begegnet somit keinen Bedenken. Jedoch ist es nach dem Gesagten ungenau, wenn das Landgericht den Angeklagten wegen "Vorteilsbeihilfe zur gewerbsmässigen Abgabenhinterziehung" anstatt wegen "gewerbsmässiger Vorteilsbeihilfe zur Zollhinterziehung" verurteilt hat (vgl. RGSt 72, 225). Der Senat hat den Wortlaut des Urteilssatzes entsprechend berichtigt.
b)Auch der Tatbestand eines Devisenvergehens ist ohne Rechtsirrtum festgestellt worden.
c)Dagegen kann, wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, die Auffassung der Strafkammer, dass das Vergehen gegen § 113 StGB zu den übrigen Straftaten im Verhältnis der Tatmehrheit stehe, nicht gebilligt werden.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vorteilsbeihilfe bereits in dem Zeitpunkt vollendet war, als der Angeklagte den Wagen mit dem Schmuggelgut in seiner Garage abstellte; denn in keinem Falle war sie zu dieser Zeit tatsächlich bendet. Der Angeklagte beabsichtigte, den Kaffee und die Zigaretten dem Fahrer des Lastkraftwagens an der ihm bezeichneten Stelle zu übergeben. Alle Handlungen, die diesem Zwecke dienten, also auch die Beförderung zu dem Treffpunkt, stellt noch einen Teil der Tatausführung dar. Mit diesem Geschehen fiel die Widerstandshandlung teilweise zusammen. Sämtliche Taten sind daher in Tateinheit begangen worden (BGH Verkehrsrechtssammlung Bd 4, S 44).
Der Senat hat den Schuldspruch demgemäss geändert. Die Bestimmung des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da eine andere Verteidigung des Angeklagten in tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung nach Lage des Falls nicht in Betracht kommt. Es bedurfte jedoch der Zurückverweisung zur erneuten Straffestsetzung. Die Einziehung des Kaffees und der Zigaretten findet ihre Rechtfertigung in der zwingenden Vorschrift des § 401 RAbgO; sie wird durch den Fehler nicht berührt. Das gleiche gilt, wie noch darzulegen ist, von der Einziehung des Kraftwagens.
II.Gegen die Zulässigkeit der Revision des Nebenbeteiligten bestehen keine Bedenken (RGSt 69, 32, 35 ff). Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.
Der Nebenbeteiligte ist Inhaber des "Schotterwerkes Mathias Franssen". Er hatte dem Angeklagten, seinem Sohn, durch eine Generalvollmacht die Verfügungsgewalt über das Unternehmen übertragen und ihn zum Betriebsleiter bestellt. Den zur Schmuggelfahrt verwendeten Personenkraftwagen hatte der Angeklagte gekauft, ihn aber bald darauf an das Schotterwerk veräussert. Der Wagen stand ihm auch in der Folgezeit zur Verfügung; er benutzte ihn fast ständig, insbesondere bei seinen täglichen Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte.
Das Landgericht ist der Ansicht, dass der Nebenbeteiligte, die Einziehung gemäss §§ 401 Abs. 1, 414 RAbgO zu dulden habe, weil er mit der Straftat seines Sohnes habe rechnen müssen.
Die Ausführungen der Strafkammer stehen mit den vom Senat in dem Urteil vom 9. Oktober 1951 (BGHSt 1, 351) aufgestellten Grundsätzen im Einklang und lassen keinen Rechtsirrtum erkennen.
Soweit die Revision unter dem Vorwand, die §§ 244, 261 StPO seien verletzt, die Feststellungen des Tatrichters angreift oder einen abweisenden Sachverhalt vorträgt, sind ihre Angriffe unzulässig (§ 337 StPO). Das Landgericht hat mit Recht ein Verschulden des Nebenbeteiligten angenommen. Es handelte sich nicht um die erste derartige Verfehlung des Angeklagten, Dieser war vielmehr in den Jahren 1948 und 1949 schon dreimal rechtskräftig wegen Vergehens gegen die Reichsabgabenordnung bestraft; ein weiteres Verfahren wegen eines Bandenschmuggels, bei dem er ebenfalls einen Personenkraftwagen eingesetzt hatte, lief gegen ihn. Davon hatte der Nebenbeteiligte Kenntnis. Auch er wohnte unmittelbar an der Grenze und war mit den dortigen Verhältnissen, "insbesondere auch mit dem Schmuggel in allen seinen Erscheinungsformen vollständig vertraut." Ihm war ferner bekannt, dass sich sein Sohn trotz seiner günstigen wirtschaftlichen Lage die früheren Bestrafungen nicht hatte zur Warnung dienen lassen und die sich ihm ständig bietende Gelegenheit zum Schmuggel immer wieder ausgenutzt hatte. Unter diesen Umständen lag für ihn die Annahme nahe, dass der Angeklagte auch in Zukunft von seinem Verhalten nicht ablassen und dabei den ihm zur freien, nicht überwachten Verfügung überlassenen Kraftwagen einsetzen werde. Der Nebenbeteiligte handelte fahrlässig, wenn er dagegen nicht einschritt, und kann somit gegen die Einziehung keine begründeten Einwendungen erheben. Offensichtlich fehl geht das Vorbringen in der Hauptverhandlung vor dem Senat, es sei dem Nebenbeteiligten darauf angekommen, "den gestrauchelten Sohn durch Aufbürdung von Verantwortung zu festigen".
Bei dieser Sachlage bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob die Einziehung auch in entsprechender Anwendung der Ausführungen in dem Urteil des Senats vom 29. April 1952 (BGHSt 2, 328, 330 f) zulässig wäre.
Die Revision des Nebenbeteiligten muss also mit der sich aus § 473 StPO ergebenden Kostenfolge verworfen werden.