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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 14.09.2011, Az.: 2 STR 145/11

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Annahme eines minderschweren Falls gemäß § 213 2. Alt. StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf Verfahrensrügen sowie die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte nach zwei missglückten Hüftgelenksoperationen seit 2009 auf einen Rollstuhl angewiesen. Außerdem leidet er an einer Netzhauterkrankung mit der Folge zunehmender Erblindung. Vor diesem Hintergrund wurde er - von seiner Ehefrau Monika M. umsorgt - immer depressiver. Die Ehe war harmonisch; beide Partner hatten allerdings Alkoholprobleme. Zu Beginn des Jahres 2009 verlor Monika M. deshalb ihren Arbeitsplatz, was sie zunächst innerhalb der Familie verschwieg. Sie erlitt durch ihre Alkoholerkrankung eine Hirnschädigung; danach litt sie an Epilepsie. Außerdem hatte sie Asthma. Ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend, sie lag meist auf der Couch oder im Bett und nahm 20 kg ab. Der Angeklagte versorgte sie so gut er konnte. Er sah auf einem Auge nichts mehr; auf dem anderen Auge hatte er nur noch eine Sehfähigkeit von 30 %. Außerdem hörte er schlecht. Er war der Situation nicht mehr gewachsen, gab dies aber nach außen nicht zu erkennen.

Seine Ehefrau hatte am Morgen des 15. Januar 2010 einen epileptischen Anfall, weshalb der Angeklagte den Notarzt rief. Dieser wollte die Patientin in eine Klinik einweisen, was diese jedoch ablehnte. Daher informierte der Notarzt den Hausarzt, der für 13.00 Uhr zum Hausbesuch erscheinen wollte. Der Angeklagte war nach dem Besuch des Notarztes erschöpft und schlief auf der Couch ein. Als er wieder wach wurde, hatte seine Ehefrau erneut einen epileptischen Anfall. Der Angeklagte rief diesmal nicht den Notarzt, weil er meinte, dass dieser die Lage doch nicht dauerhaft bessern könne. Monika M. äußerte dann erstmals, dass sie nicht mehr leben wolle. Der Angeklagte entschloss sich daraufhin, seine Ehefrau und sich selbst zu töten. Er trank sich in der Küche mit Glühwein Mut an. Nach einem weiteren epileptischen Anfall seiner Ehefrau holte er einen Steakhammer und ein Messer, schlug ihr mit dem Hammer auf die Stirn, um sie zu betäuben, und stach ihr mit dem Messer sieben Mal in den Hals, wodurch sie alsbald verstarb. Nach der Tat trank der Angeklagte den restlichen Glühwein, setzte sich auf die Bettkante, stach sich mit dem Messer in den Hals und versuchte sich die Pulsadern zu öffnen. Er wurde daraufhin bewusstlos, überlebte aber den Selbsttötungsversuch.

Das Landgericht hat eine Privilegierung der Tat als Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB abgelehnt. Es sei bereits zweifelhaft, ob von Monika M. tatsächlich die Tötung verlangt oder nur zum Ausdruck gebracht worden sei, dass sie die Situation nicht mehr ertrage. Jedenfalls wäre ein Tötungsverlangen nicht ernstlich erfolgt. Auch eine irrtümliche Annahme der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens habe nicht vorgelegen. Ein Eingangsmerkmal für eine Beeinträchtigung der Unrechtseinsichtsund Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nach §§ 20, 21 StGB habe nicht vorgelegen. Der Alkoholkonsum des Angeklagten vor der Tat sei dafür nicht ausreichend. Zwar habe zur Tatzeit eine akute Belastungsreaktion vorgelegen; diese erfülle jedoch kein Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB.

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 10. Mai 2011 genannten Gründen keinen Erfolg. Auch die Sachrüge zeigt keinen Rechtsfehler auf. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

Der objektive Tatbestand der Tötung auf Verlangen kommt nicht in Betracht. Gemäß § 216 Abs. 1 StGB setzt die Privilegierung voraus, dass das Tötungsverlangen des Opfers, welches den Täter zur Tat bestimmt, ausdrücklich und ernsthaft ist. Ernstlich ist ein derartiges Verlangen nur, wenn es auf fehlerfreier Willensbildung beruht. Der seinen Tod verlangende Mensch muss dazu die Urteilskraft besitzen, um die Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses zu überblicken und abzuwägen. Dem entsprechend ist einem Tötungsverlangen die Anerkennung im Sinne des Privilegierungstatbestands für den Täter zu versagen, wenn das Opfer durch eine Erkrankung in seiner natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit beeinträchtigt war und es deshalb die Tragweite seines Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht überblickte. Unbeachtlich ist aber auch ein Tötungsverlangen in depressiver Augenblicksstimmung, zumindest wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen wird (BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 - 3 StR 168/10).

Nach diesem Maßstab hat das Landgericht die erstmalige Äußerung des Todeswunsches durch die Ehefrau des Angeklagten zwischen mehreren epileptischen Anfällen zu Recht nicht als ernstliches Verlangen einer Tötung bewertet, zumal deren Zeit und Ausführungsart unbestimmt geblieben waren.

Geht der Täter allerdings irrtümlich davon aus, dass der Getötete seine Tötung ernstlich verlangt habe, dann greift § 16 Abs. 2 StGB ein, so dass die Privilegierung gemäß § 216 StGB im Ergebnis ebenfalls zu seinen Gunsten zur Anwendung kommen kann (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 216 Rn. 14; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 216 Rn. 11). Ein auf Tatsachen bezogener Irrtum des Angeklagten in diesem Sinne ist jedoch vom Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen worden. Der Angeklagte kannte alle Umstände, die zu der Äußerung des Todeswunsches seiner Ehefrau geführt hatten. Auch die besondere Befindlichkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt hat das Landgericht - wie sich den Urteilsgründen noch entnehmen lässt - hinreichend bedacht.

Auch die Voraussetzungen des § 21 StGB sind vom Landgericht rechtsfehlerfrei verneint worden. Eine akute Belastungsreaktion, wie sie nach den Urteilsfeststellungen zur Tatzeit beim Angeklagten vorgelegen hatte, erfüllt im Allgemeinen nicht das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB. Als schwer kann nur eine solche seelische Abartigkeit gelten, bei der sich nach dem Erscheinungsbild und Ausprägungsgrad der psychischen Störung eine Aufhebung der Unrechtseinsichts- oder Steuerungsfähigkeit oder eine erhebliche Minderung des Hemmungsvermögens geradezu aufdrängt (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 20 Rn. 73) oder bei der die Störung das Gewicht krankhafter seelischer Störungen erreicht (vgl. BGHSt 34, 22, 24 f.; 35, 76, 78 f.; 37, 397, 401). Es muss feststehen, dass der Täter aus einem für ihn mehr oder weniger unüberwindlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 70, 71). Einen solchen Fall hat das Landgericht mit Hinweis darauf ausgeschlossen, dass der Angeklagte die Tat planmäßig in Etappen ausgeführt habe, ein Impulskontrollverlust nicht eingetreten sei, Empathie vorgelegen habe, die Wahrnehmung des Geschehens und seine Erinnerung hieran nicht beeinträchtigt gewesen sei, der Notarzt sein Verhalten kurz vor der Tat als normal beschrieben habe und erst nach der Tat eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome eingetreten sei. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.