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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 27.05.2014, Az.: 2 STR 354/13

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln in 705 Fällen und wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahren an eine Person unter 18 Jahren in 31 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es angeordnet, dass für den Fall des Widerrufs der Bewährung drei Monate als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte als Substitutionsarzt tätig und verfügte über eine Sonderbedarfszulassung der Kassenärztlichen Vereinigung zur Behandlung von 100 Substitutionspatienten. Tatsächlich substituierte der Angeklagte jedoch etwa 400 Patienten. Im Zeitraum zwischen Juli 2006 und Februar 2009 überließ der Angeklagte neun Patienten in 705 Fällen Methadon und L-Polamidon in unterschiedlicher Menge zur eigenverantwortlichen Verwendung und händigte ihnen die für mehrere Tage vordosierten Substitutionsmittel zur freien Verfügung aus (Fälle A.VI.1. [Fälle 91 bis 93 der Anklageschrift] und A.VI.2. bis 9. der Urteilsgründe). In den Fällen A.VI.1. der Urteilsgründe (Fälle 45 bis 75 der Anklageschrift) überließ er der im Tatzeitraum siebzehnjährigen V. in 31 Fällen jeweils 40 mg Methadon zur unmittelbaren Einnahme in der Praxis.

2. Das Landgericht hat in der Mitgabe der vordosierten Substitutionsmittel eine unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln gesehen. Es sei zwar nicht festzustellen, dass die Substitutionsbehandlungen und die "Take-Home-Verschreibungen" medizinisch nicht indiziert gewesen seien (UA S. 32); der Angeklagte sei aber nicht befugt gewesen, die Substitutionsmittel an seine Patienten abzugeben, da er nicht im Besitz einer Erlaubnis gemäß § 3 BtMG gewesen sei und auch die Ausnahmeregelung des § 13 BtMG nicht eingreife. In den Fällen A.VI.1. der Urteilsgründe (Fälle 45 bis 75 der Anklageschrift) hat die Strafkammer den Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahren an eine Person unter 18 Jahren verurteilt, da der Angeklagte die Substitutionsbehandlung ohne Einverständnis der Eltern durchgeführt habe.

1. Die Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt zur Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen A.VI.1. (Fälle 45 bis 75 der Anklageschrift), der Einzelstrafaussprüche in den Fällen A.VI.1. (Fälle 91 bis 93 der Anklageschrift) und A.VI.2. bis 9. der Urteilsgründe und zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

a) Soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen A.VI.1. der Urteilsgründe (Fälle 45 bis 75 der Anklageschrift) wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahren an eine Person unter 18 Jahren in 31 Fällen verurteilt hat (§ 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG), hält der Schuldspruch revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die Substitutionsmittel nicht an die Patientin V. abgegeben; vielmehr nahm diese das Methadon unmittelbar in der Praxis ein. Sie erhielt daher lediglich die Konsummöglichkeit, erlangte an den Betäubungsmitteln aber keine eigene Verfügungsgewalt. Darin liegt ein Überlassen zum unmittelbaren Gebrauch (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 15 Rn. 100 f.).

Das Landgericht hätte daher Feststellungen treffen müssen, ob die Überlassung der Betäubungsmittel den Vorgaben des § 13 Abs. 1 BtMG iVm § 5 BtMVV entsprach, die in ihrem Zusammenspiel die materiellen Voraussetzungen einer erlaubten ärztlichen Substitutionsbehandlung normieren (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 - 1 StR 494/13, NStZ-RR 2014, 147). Entsprechende Feststellungen enthalten die Urteilsgründe indes nicht. Ihnen ist insbesondere nicht zu entnehmen, ob die Substitutionsbehandlung aus den in § 5 Abs. 2 BtMVV genannten Gründen unzulässig war (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 - 1 StR 494/13, aaO).

Die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe den Straftatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG erfüllt, da er gewusst (vgl. UA S. 30) bzw. zumindest damit gerechnet habe (vgl. UA S. 14), dass die Substitutionsbehandlung ohne Zustimmung der Eltern der Patientin erfolgt sei, trägt den Schuldspruch nicht. Das Fehlen einer Zustimmung der Erziehungsberechtigten ist kein Tatbestandsmerkmal des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG und mit Blick auf den Zweck der §§ 29 ff. BtMG, den illegalen Umgang mit Betäubungsmitteln möglichst wirkungsvoll zu bekämpfen (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 1 Rn. 1), für die Frage der Strafbarkeit ohne Bedeutung.

b) Soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen A.VI.1. (Fälle 91 bis 93 der Anklageschrift) und A.VI.2. bis 9. der Urteilsgründe wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln in 705 Fällen verurteilt hat, ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei; jedoch sind die Einzelstrafen aufzuheben.

aa) Die Mitgabe der vordosierten Substitutionsmittel durch den Angeklagten stellt eine gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG tatbestandsmäßige Abgabe von Betäubungsmitteln dar. Eine Abgabe ist gegeben, wenn es dem Empfänger - wie hier - freigestellt wird, über die Betäubungsmittel zu verfügen und er an den Betäubungsmitteln Besitz erlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 1998 - 1 StR 482/98).

Die Abgabe war auch unerlaubt. Der Angeklagte, der nicht über eine Erlaubnis gemäß § 3 BtMG verfügte (vgl. UA S. 34), war als Arzt nicht generell von der Erlaubnispflicht befreit. Auch ein Substitutionsarzt macht sich daher strafbar, wenn er sich - wie hier - nicht an die Voraussetzungen der § 13 BtMG, § 5 BtMVV hält (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 2008 - 2 StR 577/07, BGHSt 52, 271, 273; BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338).

Gemäß § 13 Abs. 1 BtMG darf der Arzt Betäubungsmittel lediglich verschreiben, verabreichen oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch überlassen. Die Abgabe von Betäubungsmitteln ist dagegen - von dem Ausnahmefall des zum Tatzeitpunkt nicht geltenden und hier nicht einschlägigen § 13 Abs. 1a BtMG abgesehen - nur im Rahmen des Betriebs einer öffentlichen Apotheke erlaubt (§ 4 Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 2 BtMG). Dementsprechend lässt auch die auf der Grundlage des § 13 Abs. 3 BtMG erlassene Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung, die in § 5 BtMVV die Voraussetzungen für eine ärztliche Substitutionsbehandlung normiert, eine Abgabe von Betäubungsmitteln durch den Arzt nicht zu.

Die Abgabe der Substitutionsmittel war dem Angeklagten auch nicht in entsprechender Anwendung des § 13 Abs. 2 BtMVV erlaubt (offen gelassen von BGH, Beschluss vom 28. Juli 2009 - 3 StR 44/09, BGHR BtMG § 13 Abs. 1 Abgabe 1). Die Voraussetzungen einer Analogie liegen nicht vor. Die Regelung des § 13 Abs. 2 BtMG, die eine Abgabe von Betäubungsmitteln im Rahmen einer ärztlichen Behandlung nicht vorsieht, beruht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 8/3551, S. 31 f.). Sie soll die Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs gewährleisten und dazu beitragen, Missbräuche zu verhindern (vgl. Weber, BtMG, 4. Aufl., § 29 Rn. 1477; Winkler, A&R 2010, 38, 39). Die Abgabe von Betäubungsmitteln durch einen Arzt ist daher auch dann strafbar, wenn sie im Rahmen einer Substitutionsbehandlung erfolgt (vgl. Hügel/Junge/Lander/Winkler, Deutsches Betäubungsmittelrecht, 8. Aufl., § 5 BtMVV Rn. 12.1; Nestler, MedR 2009, 211, 213; Winkler, aaO; Weber, aaO Rn. 1476 f.).

bb) Dagegen hat der Strafausspruch in den Fällen A.VI.1. (Fälle 91 bis 93 der Anklageschrift) und A.VI.2. bis 9. der Urteilsgründe keinen Bestand.

Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung nicht erkennbar berücksichtigt, dass der Unrechtsgehalt der Taten erheblich verringert war, da die Taten anlässlich der ärztlichen "Behandlung einer Opiatabhängigkeit" (vgl. § 5 Abs. 1 BtMVV) begangen wurden. Erfolgt die Abgabe von Betäubungsmitteln im Rahmen einer Substitutionsbehandlung, stellt dies jedenfalls dann einen bestimmenden Strafmilderungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO dar, wenn - wie hier (vgl. UA S. 32) - feststeht oder nicht auszuschließen ist, dass die Behandlung medizinisch indiziert war (vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. September 1994 - 4 StR 280/94 NStZ 1995, 85, 86; Urteil vom 5. Dezember 2002 - 3 StR 161/02, NJW 2003, 1198, 1200). Dies führt zur Aufhebung aller Einzelstrafen. Da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt, können die zugehörigen Feststellungen bestehen bleiben.

c) Infolge der Aufhebung der Einzelstrafen entfällt zugleich die Grundlage für den Gesamtstrafenausspruch.

3. Die aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung getroffene Kompensationsentscheidung wird von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht berührt und kann daher bestehen bleiben.