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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 02.11.2011, Az.: 2 STR 375/11

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags, Nötigung und versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und ihn vom Vorwurf einer versuchten räuberischen Erpressung aus rechtlichen Gründen sowie vom Vorwurf einer versuchten Nötigung oder Bedrohung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen die Verurteilung richtet sich die Revision des Angeklagten mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision die Freisprechung des Angeklagten vom Vorwurf einer versuchten räuberischen Erpressung in einem weiteren Fall sowie die Strafzumessung in den Fällen, in denen er verurteilt wurde. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang zum Teil Erfolg.

Nach den Feststellungen des Landgerichts war der - nicht vorbestrafte - Angeklagte der für die Disziplin und Ordnung zuständige "Sergeant at Arms" im "Chapter Bo." des Motorrad- und Rockerclubs "Hells Angels". Vor diesem Hintergrund kam es zu folgendem Geschehen:

1. Der Zeuge C. war als Mitglied des Motorradclubs unter anderem für Beschaffung und Verkauf von "Support"-Artikeln, wie Jacken, Hemden und Kappen mit Emblemen der "Hells Angels", zuständig. Er hatte den Warenbestand zu verwalten und ein Kassenbuch zu führen, ferner sollte er Mitgliedsbeiträge einfordern. Im Jahr 2008 kam es zu einem Fehlbestand an Warenvorräten sowie zu Ausfällen bei den Mitgliedsbeiträgen, was aus der Sicht des Motorradclubs der Zeuge C. zu vertreten hatte. Deshalb wurde gegen diesen eine Forderung in Höhe von insgesamt 15.319 Euro geltend gemacht, er zahlte jedoch nicht. Der Angeklagte wollte Druck auf C. ausüben und suchte ihn im November 2008 zusammen mit den gesondert verfolgten Clubmitgliedern S. und K. auf. Der Angeklagte schlug zur Erledigung der Angelegenheit vor, dass C. auf die Forderung einen Teilbetrag in Höhe von 7.000 Euro bezahle, und bemerkte: "Dann brauchen wir nicht über `bad standing´ zu reden". Damit war die Gepflogenheit der "Hells Angels" gemeint, im Unfrieden ausscheidende Mitglieder Repressalien durch andere Clubmitglieder auszusetzen. Tatsächlich befürchtete C., wie der Angeklagte wusste und beabsichtigte, aufgrund der Äußerung des Angeklagten derartige Rachehandlungen.

An später tatsächlich angewendeter Gewalt durch andere Clubmitglieder war der Angeklagte nicht beteiligt; es ist auch nicht festgestellt, dass er davon wusste. C. erbrachte danach Ratenzahlungen auf die vom Angeklagten auf 7.000 Euro reduzierte Forderung, die formal als Darlehen deklariert wurde. Dabei stand er auch noch unter dem Eindruck des drohenden Hinweises des Angeklagten auf ein "bad standing". Das Landgericht hat die Handlung des Angeklagten als Nötigung bewertet (Fall II.1 der Urteilsgründe).

2. Die Zeugin V. ging seit 2006 auf einem Parkplatz im Sperrbezirk in D. der Prostitution nach, wozu sie ein von dem Zeugen Kr. angemietetes Wohnmobil verwendete. Im Jahr 2009 kamen die Zeuginnen W. und M. als Konkurrentinnen hinzu, im Juli 2009 auch die Zeugin G., die in Begleitung ihres Verlobten T., eines Mitglieds der "Hells Angels", sowie des Angeklagten erschien. Kurze Zeit später berichtete die Zeugin G. ihrem Verlobten und dem Angeklagten, dass es Ärger mit der Zeugin V. gebe, die unter anderem angekündigt habe, ihren Chef "vorbeizuschicken".

Der Angeklagte und T. beschlossen, die Zeugin V. durch Drohungen von ihrem Standplatz zu vertreiben. Deshalb traten beide am 5. oder 6. August 2009 - mit "Kutten" der "Hells Angels" bekleidet - gegenüber der Zeugin V. auf und drohten ihr "Ärger" sowie ein "blaues Wunder" an, um sie zur Aufgabe ihres Standplatzes zu bewegen. T. fügte im Einvernehmen mit dem Angeklagten hinzu, falls seine Verlobte von weiteren Streitereien berichten sollte, werde er die Zeugin V. "einen Kopf kürzer machen".

Ein von der Zeugin V. vermitteltes Telefongespräch des Angeklagten mit der Zeugin Kr., der Ehefrau des "Chefs", blieb ergebnislos (Fall IV. der Anklage). Die Zeugin V. gab in der Folgezeit der Drohung durch den Angeklagten und seinen Clubkameraden T. nicht nach und behauptete ihren Standplatz schließlich bis zur behördlichen Durchsetzung der Sperrbezirksverordnung im September 2009. Dies hat das Landgericht als versuchte räuberische Erpressung des Angeklagten zum Nachteil der Zeugin V. angesehen (Fall II.2 der Urteilsgründe), ihn aber vom Vorwurf einer versuchten Nötigung oder Bedrohung der Zeugin Kr. freigesprochen (Fall IV. der Anklage), was wegen einer Revisionsbeschränkung der Staatsanwaltschaft nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist.

3. Die gesondert verfolgte Ke., Schwester der Verlobten des Angeklagten, schloss am 8. Dezember 2008 einen Vertrag mit dem Sportstudio "F." der Zeugen und Gü. Der Vertrag sah die Teilnahme an einer vierwöchigen "Einführung in das Gesundheitstraining" vor. Dies war mit einer vorläufigen Mitgliedschaft im Sportstudio verbunden, die zur Vollmitgliedschaft werden sollte, falls nicht während der Dauer des Einführungskurses ein Widerruf erklärt würde. Ke. widerrief den Vertrag nicht. Das Sportstudio machte deshalb später eine Forderung in Höhe von 910 Euro gegen sie geltend und buchte diesen Betrag von ihrem Konto ab. Danach kam es zum Streit um die Berechtigung von Zahlungsforderungen des Sportstudios.

Ke. leistete ab dem 23. November 2009 keine Mitgliedsbeiträge mehr. Sie wandte sich an den Angeklagten und behauptete, dass sie keinen Vertrag mit dem Sportstudio abgeschlossen habe; gleichwohl sei von ihrem Konto Geld abgebucht worden. Der Angeklagte bot ihr an, dass er mit den Inhabern des Sportstudios sprechen und dazu weitere Mitglieder der "Hells Angels" mitnehmen werde. Auf ein Vergleichsangebot der Zeugin Gü. wollten sich Ke. und der Angeklagte nicht einlassen. Die Inhaber des Sportstudios sollten vielmehr durch Drohungen zur Rückzahlung des abgebuchten Betrages sowie zum Verzicht auf weitere Beiträge gezwungen werden. Der Angeklagte ging dabei davon aus, dass die Forderung von Ke. berechtigt sei. Er begab sich mit den Mitgliedern der "Hells Angels" T. und Bou. in das Sportstudio, gab sich dort gegenüber Gü. als Freund von Ke. zu erkennen und erklärte, er übernehme nun die Regelung des Problems. Gü. wies ihn zurück. Der Angeklagte kündigte an, wenn der Streit nicht im Sinne von Ke. beigelegt werde, komme er mit seinen Begleitern wieder, dann sehe "hier alles ganz anders aus". Im Weggehen fügte er hinzu, sie wüssten, welches Auto die Zeugin Gü. fahre und man werde noch von ihnen hören. Dabei rechnete er damit, dass seine Äußerungen dazu genügen könnten, dass sich die Zeugin Gü. den Forderungen beugen werde. Er erwog aber auch weitere Maßnahmen und erörterte das künftige Vorgehen am 23. Januar 2010 in einem Telefongespräch mit Bec., der Mutter von Ke. Diese riet dazu, ein Gespräch zwischen ihrer Tochter und der Zeugin Gü. abzuwarten. Der Angeklagte meinte, Ke. sei nicht stark genug, um einer polizeilichen Befragung nach den Beteiligten Stand zu halten, falls es zu weiteren "Auftritten" der "Hells Angels" komme. Er zweifelte daran, dass sich dieser "Auftrieb" lohne. Bei einem Telefonat am 25. Januar 2010 stimmte er Bec. zu, dass es sinnvoller wäre, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Am Folgetag, dem 26. Januar 2010, kam es zu einem Gespräch zwischen Ke. und Gü., die ein Vergleichsangebot unterbreitete und angab, andernfalls werde sie einen Rechtsanwalt einschalten. Hiernach drängte der Angeklagte auch Ke. dazu, einen Anwalt einzuschalten, was sie schließlich tat. Danach wurde unter Mitwirkung von Rechtsanwälten ein gerichtlich protokollierter Vergleich herbeigeführt.

Das Landgericht hat deshalb angenommen, der Angeklagte sei strafbefreiend vom Versuch der räuberischen Erpressung zurückgetreten (Fall II.3 der Urteilsgründe).

4. Im Februar und März 2010 entstanden Gerüchte, dass ein Mitglied des verfeindeten Motorradclubs "Bandidos" ein Mitglied der "Hells Angels" töten oder zumindest schwer verletzen wolle, um sich einen Aufnäher mit dem Schriftzug "Expect no Mercy" sowie eine Prämie von 25.000 Euro zu verdienen. Hintergrund dafür war, dass am 8. Oktober 2009 A. als Mitglied der "Hells Angels" ein Mitglied der "Bandidos" erschossen hatte. Der Zeuge L., der Anwärter ("Hangaround") auf eine Vormitgliedschaft ("Prospekt") bei den "Bandidos" war, der aber zugleich Kontakte zu Mitgliedern der "Hells Angels" unterhielt, erteilte eine Warnung. Er gab an, der Zeuge Le., ein weiterer "Hangaround" bei den "Bandidos", plane den Angriff und führe unter anderem zu diesem Zweck eine abgesägte Schrotflinte in seinem Auto mit. Am 13. März 2010 wurde L. wegen seiner Kontakte zu den "Hells Angels" von Mitgliedern der "Bandidos" verprügelt und aus ihrem Club vertrieben. Danach stellten der Angeklagte und seine Clubkameraden T. und Bou. den Zeugen L. am 16. März 2010 zur Rede. Er bestritt aber eigene Angriffsabsichten und behauptete, tatsächlich berühme sich L. seiner Angriffsabsichten gegen die "Hells Angels". Der Angeklagte war danach davon überzeugt, dass jedenfalls irgendein Mitglied der "Bandidos" tatsächlich einen Angriff auf ein Mitglied der "Hells Angels" plane.

In der Zwischenzeit ermittelten die Strafverfolgungsbehörden gegen Mitglieder der "Hells Angels" wegen der Tat zum Nachteil der Zeugin V. (oben I.2). Das Amtsgericht Ko. erließ zehn Durchsuchungsbeschlüsse gegen verschiedene Mitglieder des Motorradclubs "Hells Angels". Einer der Beschlüsse betraf die Durchsuchung von Wohnhaus und Fahrzeug des Angeklagten. Ziel der Maßnahme sollte das Auffinden von Beweismitteln über die Drohungen des Angeklagten und weiterer Mitlieder der "Hells Angels" gegen die Zeugin V. sein. Aus taktischen Gründen sollten alle Durchsuchungen zur gleichen Zeit stattfinden. Weil der Angeklagte als gewaltbereit eingeschätzt wurde und - mit behördlicher Erlaubnis - über Schusswaffen verfügte, beschloss das Landeskriminalamt, dass ein Spezialeinsatzkommando eingesetzt werden solle, um gewaltsam in das Haus des Angeklagten einzudringen, diesen im Schlaf zu überraschen, eine "stabile Lage" herzustellen und eine ungestörte Durchsuchung zu ermöglichen. Dazu wurden zehn Beamte des Spezialeinsatzkommandos kurz vor 06.00 Uhr am 17. März 2010 am Zugriffsort eingesetzt.

Sie umstellten das Haus des Angeklagten, wodurch Fluchtmöglichkeiten ausgeschlossen wurden. Fünf Beamte, denen das Eindringen in das Haus als erste Einsatzkräfte oblag, postierten sich an der Vorderfront nahe der Eingangstür dicht an der Hauswand. Darunter befand sich der Beamte Kop. als Türöffnungsspezialist. Dieser sollte mit einem hydraulischen Gerät das Türschloss sowie zwei Zusatzverriegelungen zerstören, die der Angeklagte nach früheren Einbrüchen von Dieben in sein Haus angebracht hatte, die Tür dann mit einer Ramme aus dem Rahmen drücken und so das Eindringen ermöglichen. Alle Beamten waren bewaffnet, mit Sturmhauben zur Tarnung und mit Helmen nebst Visier sowie Schutzwesten mit der Aufschrift "Polizei" ausgerüstet. In einiger Entfernung hielten sich weitere Einsatzkräfte der Sondereinheit, ein Notarztteam, der Einsatzleiter, der ermittelnde Staatsanwalt sowie Beamte der N. Polizei bereit.

Der Einsatz begann um 06.00 Uhr bei Dämmerung. Im Haus des Angeklagten brannte kein Licht. Die Rollläden der Fenster waren ganz oder teilweise geschlossen. Der Beamte Kop. setzte, vor der Haustür kniend, das hydraulische Gerät zur Türöffnung zwischen Zarge und Türblatt an und bediente die Hydraulik, worauf eine der Verriegelungen mit lautem Knacken zerbrach. Der Beamte brachte das Gerät danach an der rechten Türseite in Höhe des Türschlosses an, das sodann wiederum mit lautem Knacken aufgebrochen wurde. Schließlich musste in einem dritten Arbeitsgang noch eine letzte Türverriegelung an der Oberkante der Tür geöffnet werden. Die Ramme zum Eindrücken der Tür wurde schon herbeigeholt. Inzwischen war der Angeklagte, der zusammen mit seiner Verlobten S. K. im Obergeschoss geschlafen hatte, von dieser geweckt worden, weil sie Geräusche gehört hatte; er hatte vergeblich versucht, durch das Schlafzimmerfenster Personen zu erkennen und hatte Geräusche sowie Stimmen an der Haustür gehört. Er nahm an, dass er das Opfer des angekündigten Überfalls von "Bandidos" werden sollte. Er nahm eine Pistole, über die er mit behördlicher Waffenbesitzerlaubnis verfügte, lud sie mit einem Magazin mit acht Patronen und betätigte den Lichtschalter für die Beleuchtung von Flur und Treppe. Seine Verlobte, die ihm folgen wollte, wies er an, ins Schlafzimmer zurückzugehen, die Tür zu schließen und mit dem Mobiltelefon ihre Mutter und seinen Bruder von dem - vermeintlichen - Überfall zu benachrichtigen. Er ging dann die Treppe hinab und nahm wahr, dass trotz des eingeschalteten Lichts weiter an der Haustür gearbeitet wurde. Die Beamten hatten über die Hörsprecheinrichtung ihrer Helme die Meldung "Licht" erhalten, gingen aber gleichwohl weiter verdeckt vor und gaben sich nicht zu erkennen. Aus der Fortsetzung der Aufbruchtätigkeiten an der Haustür trotz Einschaltung der Beleuchtung im Hause schloss der Angeklagte, dass es sich nicht um normale Einbrecher handelte, sondern um den befürchteten, gegen sein Leben und das seiner Verlobten gerichteten Angriff von "Bandidos". Es kam ihm nicht in den Sinn, dass es sich um einen Polizeieinsatz handeln könne. Durch zwei 10,5 mal 44 cm große Ornamentgläser in der Haustür konnte er keine Einzelheiten erkennen, sah aber Umrisse einer Person. Er blieb am Treppenabsatz in Deckung stehen und rief: "verpisst euch", was jedoch von den Beamten nicht gehört wurde, die das Aufbrechen der Haustür fortsetzten.

In dieser von ihm als lebensbedrohlich empfundenen Situation gab der Angeklagte, der damit rechnete, er könne alsbald durch die Tür oder sofort nach dem unmittelbar drohenden Aufbrechen der Tür von den vermeintlichen Angreifern beschossen werden, zu seiner Verteidigung zwei Schüsse auf die Tür ab, die der Bewegung der Person folgten, die sich an der Tür zu schaffen machte und die sich gerade aus gebückter Position aufrichtete. Bei der Schussabgabe nahm der Angeklagte billigend in Kauf, dass ein Mensch tödlich getroffen werden könnte. Der erste Schuss, der 111,5 cm über dem Boden die Haustür durchschlug, ging fehl; der zweite durchschlug 121 cm über dem Boden die Tür und traf den Beamten Kop. unter den erhobenen linken Arm. Das Geschoss drang durch die Öffnung des Schutzpanzers am Oberarm in den Brustkorb ein und verletzte den Beamten tödlich. Nun rief ein anderer Beamter:

"Sofort aufhören zu schießen. Hier ist die Polizei."

Der Angeklagte legte die Waffe sofort weg, lief zum Fenster und rief:

"Wie könnt ihr so was machen? Warum habt ihr nicht geklingelt? Wieso gebt ihr euch nicht zu erkennen?".

Er ließ sich widerstandslos verhaften, wobei er verletzt wurde (Fall II.4 der Urteilsgründe).

Das Landgericht hat die Handlung des Angeklagten als Totschlag bewertet. Es habe keine Notwehrlage vorgelegen, vielmehr ein rechtmäßiger Polizeieinsatz. Die Durchsuchung habe zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere schriftlichen Aufzeichnungen, über die Tat zum Nachteil der Zeugin V. gedient. Die Einschaltung des Spezialeinsatzkommandos habe dafür eine "stabile Lage" herstellen sollen. Zugleich sei der Schutz der Beamten bezweckt worden. Wenn sich diese dazu entschlossen hätten, auch noch nach dem Einschalten des Lichts an der Treppe und im Flur durch den Angeklagten weiter verdeckt vorzugehen und sich nicht zu erkennen zu geben, so erscheine dies nachträglich als Fehleinschätzung; dies ändere jedoch nichts an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Angesichts der Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens sei auch weder ein rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) noch ein Strafausschließungsgrund wegen Notwehrüberschreitung (§ 33 StGB) oder ein Schuldausschließungsgrund wegen Notstands (§ 35 StGB) anzunehmen.

Putativnotwehr (§§ 32, 16 Abs. 1 StGB) könne gleichfalls nicht angenommen werden; denn auch als vermeintliche Notwehrhandlung sei der sofortige Schusswaffeneinsatz gegen einen Menschen nicht geboten gewesen. Zuvor wäre die Abgabe eines Warnschusses erforderlich gewesen. Einen möglichen Verbotsirrtum habe der Angeklagte vermeiden können.

Die Revision des Angeklagten hat einen Teilerfolg.

1. Die Verfahrensrüge ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Revisionshauptverhandlung erläuterten Gründen unbegründet.

2. Die sachlich-rechtlichen Beanstandungen des Urteils durch den Angeklagten dringen zum Teil durch. Sie sind unbegründet, soweit der Angeklagte wegen Nötigung verurteilt wurde (Fall II.1 der Urteilsgründe des Landgerichts), führen aber zur Schuldspruchänderung von versuchter räuberischer Erpressung zu versuchter Nötigung und zur Aufhebung der diesbezüglichen Einzelstrafe (Fall II.2) sowie zur Urteilsaufhebung und Freisprechung des Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags (Fall II.4).

a) Die Sachrüge des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen seine Verurteilung wegen Nötigung des Zeugen C. wendet (Fall II.1). Aufgrund der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist das Landgericht zutreffend von einer vollendeten Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB ausgegangen. Da es sich hier um einen einheitlichen, wenngleich zeitlich gestreckten Tathergang handelte, ist dem Angeklagten der Erfolgseintritt durch Ratenzahlungen des Zeugen C. an das "Hells Angels"-Mitglied K. zuzurechnen, obwohl er an zwischenzeitlichen weiteren Nötigungshandlungen der gesondert verfolgten "Hells Angels"-Mitglieder H., Ca. und R. persönlich nicht beteiligt war. Bei der sukzessiven Tatausführung (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1995 - 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368, 369) ist keine Zäsur eingetreten. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei von der Fortwirkung der Drohungen des Angeklagten zur Zeit der Ratenzahlungen des Genötigten an K. auf die vom Angeklagten reduzierte Forderung ausgegangen. Damit hat sich die Nötigungshandlung durch Eintritt des Nötigungserfolges in einer dem Vorsatz des Angeklagten entsprechenden Weise ausgewirkt. Ein überholender, die von dem Angeklagten begründete Kausalkette abbrechender Geschehensverlauf, der zur Nichtzurechnung des Erfolgseintritts führen könnte, liegt nicht vor. Die weiteren Nötigungshandlungen richteten sich auf dasselbe Ziel und hielten sich im Rahmen des vom Angeklagten ausdrücklich angedrohten "bad standing".

b) Rechtsfehlerhaft ist die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung gemäß §§ 253, 255, 22 StGB zum Nachteil der Prostituierten V. (Fall II.2). Insoweit liegt nur eine versuchte Nötigung im Sinne der §§ 240 Abs. 1 und 2, 22 StGB vor.

Geschütztes Rechtsgut der §§ 253, 255 StGB ist das Vermögen. Versuchte räuberische Erpressung läge deshalb nur vor, wenn der Tatentschluss des Angeklagten darauf gerichtet gewesen wäre, dem Vermögen des Opfers einen Nachteil zuzufügen. Der Verlust einer bloßen ungesicherten Aussicht eines Geschäftsabschlusses kann grundsätzlich noch nicht als Vermögensschaden angesehen werden. Erwerbsund Gewinnaussichten können nur ausnahmsweise Vermögensbestandteil sein, wenn sie so verdichtet sind, dass ihnen der Rechtsverkehr bereits einen wirtschaftlichen Wert beimisst, weil sie mit einiger Wahrscheinlichkeit einen Vermögenszuwachs erwarten lassen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1962 - 1 StR 496/61, BGHSt 17, 147, 148; Urteil vom 19. Januar 1965 - 1 StR 497/64, 20, 143, 145 f.; Urteil vom 28. Januar 1983 - 1 StR 820/81, 31, 232, 234). Die Standposition der Zeugin V. als Prostituierte war in diesem Sinne kein von § 253 StGB geschützter Vermögensbestandteil. Aus ihr resultierte keine gesicherte Erwerbsaussicht, insbesondere auch weil die Ausübung der Prostitution im Sperrbezirk jederzeit behördlich unterbunden werden konnte. Auf die nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes geänderte Beurteilung der Wirksamkeit einer Geldforderung der Prostituierten nach der Erbringung ihrer vereinbarten Leistung (vgl. zur diesbezüglichen Erpressung BGH, Beschluss vom 18. Januar 2011 - 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278, 279) kommt es hier nicht an.

Der Senat ändert daher den Schuldspruch in versuchte Nötigung (§§ 240 Abs. 1 und 2, 22 StGB). § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil auszuschließen ist, dass sich der Angeklagte gegen den minderen Vorwurf anders als geschehen hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs im Fall II.2 führt zur Aufhebung der Einzelstrafe; diese muss neu zugemessen werden.

c) Keinen Bestand haben kann die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags (Fall II.4 der Urteilsgründe des Landgerichts).

aa) Eine Notwehrlage hätte für ihn vorgelegen, wenn der Polizeieinsatz in seiner konkreten Gestalt nicht rechtmäßig war. Gegen die Rechtmäßigkeit könnte sprechen, dass es sich bei einer Durchsuchung um eine grundsätzlich offen durchzuführende Maßnahme handelt. Ob sich für das konkrete Vorgehen der Polizei in den §§ 102 ff. StPO eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2007 - StB 18/06, BGHSt 51, 211, 212 f.), kann zweifelhaft sein. § 164 StPO erlaubt ein Einschreiten nur gegen eine tatsächlich vorliegende oder konkret bevorstehende Störung der Durchsuchung (vgl. LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 5/26 Qs 6/08 - mit Anm. Jahn JuS 2008, 649 ff.; Eisenberg in Festschrift für Rolinski, 2002, S. 165, 175 f.; Erb in LR, StPO, 26. Aufl., § 164 Rn. 8; C. Müller, Rechtsgrundlagen und Grenzen zulässiger Maßnahmen bei der Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen, 2003, S. 86 f.). Ob präventiv-polizeirechtliche Regeln das Verfahren der strafprozessualen Durchsuchung abändern können, ist fraglich (abl. C. Müller aaO S. 58 ff. mwN).

Die Frage der Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes und eines hieraus folgenden möglichen Notwehrrechts des Angeklagten hiergegen kann aber im Ergebnis offen bleiben; denn jedenfalls befand sich der Angeklagte in einem Erlaubnistatbestandsirrtum.

bb) Die Voraussetzungen eines Irrtums über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes liegen vor. Dies führt entsprechend § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Ausschluss der Vorsatzschuld.

Der Angeklagte ging nach den Feststellungen des Landgerichts aufgrund der Hinweise vom Vortag durch die Zeugen L. und Le. von einem Überfall durch ein Rollkommando der verfeindeten "Bandidos" aus. Er schloss einen "normalen Einbruch" angesichts des Vorgehens der Angreifer, die sich auch durch Einschalten der Beleuchtung im Haus und den Ruf "verpisst euch" nicht aufhalten ließen, aus. Die Bedrohung war aus seiner Sicht akut, da die Angreifer die Haustür bereits weitgehend aufgebrochen hatten und das Eindringen unmittelbar bevorstand, weil er mit einer nicht abschätzbaren Zahl von Angreifern mit unbekannter Bewaffnung und Ausrüstung und mit einem besonders aggressiven Vorgehen rechnete. Wenn diese irrtümliche Annahme des Angeklagten zutreffend gewesen wäre, wäre der sogleich auf eine Person gerichtete Schusswaffeneinsatz als erforderliche Notwehrhandlung gerechtfertigt gewesen.

Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, dann ist sie grundsätzlich dazu berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; der Angegriffene muss sich nicht mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist. Das gilt auch für die Verwendung einer Schusswaffe. Nur wenn mehrere wirksame Mittel zur Verfügung stehen, hat der Verteidigende dasjenige Mittel zu wählen, das für den Angreifer am wenigsten gefährlich ist. Wann eine weniger gefährliche Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei und sofort endgültig zu beseitigen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Senat, Urteil vom 5. Oktober 1990 - 2 StR 347/90, NJW 1991, 503, 504). Unter mehreren Abwehrmöglichkeiten ist der Verteidigende zudem nur dann auf die für den Angreifer weniger gravierende verwiesen, wenn ihm genügend Zeit zur Wahl des Mittels sowie zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juni 2004 - 2 StR 82/04, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 17). In der Regel ist der Angegriffene bei einem Schusswaffeneinsatz zwar gehalten, den Gebrauch der Waffe zunächst anzudrohen oder vor einem tödlichen Schuss einen weniger gefährlichen Einsatz zu versuchen. Die Notwendigkeit eines Warnschusses kann aber nur dann angenommen werden, wenn ein solcher Schuss auch dazu geeignet gewesen wäre, den Angriff endgültig abzuwehren (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 1992 - 2 StR 300/92, StV 1993, 241, 242). Das war hier nicht der Fall, zumal der Angeklagte damit rechnete, dass er seinerseits von den Angreifern durch die Tür hindurch beschossen werden könne. Ihm blieb angesichts seiner Annahme, dass ein endgültiges Aufbrechen der Tür und das Eindringen mehrerer bewaffneter Angreifer oder aber ein Beschuss durch die Tür unmittelbar bevorstand, keine Zeit zur ausreichenden Abschätzung des schwer kalkulierbaren Risikos.

Bei dieser zugespitzten Situation ist nicht ersichtlich, warum die Abgabe eines Warnschusses die Beendigung des Angriffs hätte erwarten lassen (vgl. Senat, Urteil vom 2. Oktober 1996 - 2 StR 332/96; BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 13). Ein Warnschuss ist im Übrigen auch nicht erforderlich, wenn dieser nur zu einer weiteren Eskalation führen würde (vgl. Rönnau/Hohn in LK StGB § 32 Rn. 177). Hier war aus Sicht des Angeklagten zu erwarten, dass die hartnäckig vorgehenden Angreifer ihrerseits gerade dann durch die Tür schießen würden, wenn sie durch einen Warnschuss auf die Abwehrbereitschaft des Angeklagten aufmerksam gemacht worden wären. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muss sich ein Verteidiger nicht einlassen. Daher waren beide Schüsse, die der Angeklagte durch die Tür abgegeben hat, aus seiner Sicht erforderliche Notwehrhandlungen (vgl. Senat, Urteil vom 1. Juni 1994 - 2 StR 195/94, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 10). Dieser Irrtum führt zum Wegfall der Vorsatzschuld.

cc) Fahrlässigkeit im Sinne von §§ 16 Abs. 1 Satz 2, 222 StGB ist dem Angeklagten ebenfalls nicht vorzuwerfen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er seinen Irrtum über die Identität und Absicht der Angreifer hätte vermeiden können.

Das ist ausgeschlossen, weil der Angeklagte nach den rechtsfehlerfreien und lückenlosen Feststellungen des Landgerichts mit plausiblen Gründen von einem lebensbedrohenden Angriff durch "Bandidos" ausging, ferner weil die tatsächlich angreifenden Polizeibeamten sich auch nach Einschaltens der Beleuchtung im Haus nicht zu erkennen gaben und weil der Angeklagte wegen ihres verdeckten Vorgehens keine Möglichkeit hatte, rechtzeitig zu erkennen, dass es sich um einen Polizeieinsatz handelte (vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Juli 1998 - 4 StR 261/98).

dd) Da keine weitergehenden Feststellungen zu erwarten sind, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten, ist der Angeklagte freizusprechen. Die Einsatzstrafe entfällt; daher muss auch die Gesamtstrafe aufgehoben werden.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet, soweit sie den Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der versuchten räuberischen Erpressung zum Nachteil der Zeugin Gü. bekämpft (Fall II.3). Im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.

1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei vom beendeten Versuch der räuberischen Erpressung zum Nachteil der Zeugin Gü. strafbefreiend zurückgetreten, begegnet rechtlichen Bedenken.

Der Versuch war möglicherweise fehlgeschlagen, bevor der Angeklagte, dessen Rücktritt im Übrigen auch nach § 24 Abs. 2 StGB zu beurteilen ist, seine Rücktrittshandlung am 26. Januar 2010 durch das Verlangen gegenüber Ke., einen Rechtsanwalt einzuschalten, vorgenommen hat. Der Angeklagte hatte am 23. Januar 2010 zunächst die Lage dahin neu bewertet, dass Ke. einer polizeilichen Befragung nicht Stand halten würde, so dass das Entdeckungsrisiko hoch erschien. Er erwog, dass weitere Auftritte der "Hells Angels" gegenüber B. Gü. nicht mehr erfolgen sollten. Darin alleine lag nach den bisherigen Feststellungen noch nicht eindeutig ein Rücktritt vom Versuch der Tat. Am 25. Januar 2010 erkannte der Angeklagte nach dem Gespräch zwischen Ke. und B. Gü., dass seine anfänglichen Drohungen nicht mehr zum Erfolg führen würden. Zu jenem Zeitpunkt war der Versuch der räuberischen Erpressung mit den anfänglichen Drohungen aus der Sicht des Angeklagten fehlgeschlagen. Danach konnte er nicht mehr am 26. Oktober 2010 durch den Vorschlag an Ke., einen Rechtsanwalt einzuschalten, strafbefreiend zurücktreten. Ob dies vorher bereits geschehen war, wird der neue Tatrichter nochmals zu prüfen haben.

2. Der Strafausspruch in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe weist keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.

Es ist nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu befürchten, dass das Landgericht die rechtsfeindliche Gesinnung des Angeklagten, der wiederholt zur "Selbstjustiz" gegriffen hatte, übersehen hat.

Generalpräventive Erwägungen waren auch sonst im Fall II.2 der Urteilsgründe des Landgerichts nicht ausdrücklich deswegen als Strafschärfungsgrund zu erörtern, weil der Gesetzgeber des Prostitutionsgesetzes den Prostituierten mehr Freiheit bei der Berufsausübung zubilligen wollte. Die an sich verbotene Ausübung der Prostitution durch die Zeugin V. im Sperrbezirk war nicht schutzwürdig.