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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 24.04.1952, Az.: III ZR 100/51

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Köln vom 14. Dezember 1950 wird zurückgewiesen.

Die kosten des Rechtsmittels fallen den Klägern zur Last.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Ehemann der Erstklägerin und Vater des Zweitklägers wurde in Jahre 1937 von einen der Beklagten gehörenden und von einen ihrer Angestellten gesteuerten Kraftwagen angefahren. Infolge des Unfalls wurde ihm das rechte Bein abgenommen; er trug danach eine Prothese und ging unter Zuhilfenahme von zwei Stöcken. In einem Rechtsstreit, den er gegen die Beklagte und deren Angestellten führte, wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts in Bonn vom 16. August 1939 (Aktenzeichen 2 O 93/39) festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet waren, dem Ehemann der Erstklägerin allen durch den Unfall vom 1. Februar 1937 noch entstehenden Schaden zu ersetzen. Ausserdem wurden die Beklagten verurteilt, an ihn vom 1. März 1939 bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres (4. Mai 1953) eine monatliche Rente von 157,20 RM zu zahlen. Die Beklagten dieses Vorprozesses hatten den Anspruch dem Grunde nach nicht bestritten und Einwendungen nur gegen die Höhe und Dauer der Rente erhoben.

Der Ehemann bezw. Vater der Kläger wurde am 31. März 1945 in Müllekoven, wo er mit den Klägern wohnte, durch Artilleriebeschuss verletzt und starb am 5. April 1945 im Krankenhaus infolge dieser Verletzung. Er pflegte in der fraglichen Zeit mit den Klägern abends einen Bunker aufzusuchen. Am Nachmittag des 31. März 1945 lag der Ort unter Artilleriefeuer. Die Familie des Klägers blieb deshalb zunächst in Haus und begab sich erst nach Aufhören des Feuers auf den Weg zum Bunker. Als die drei Personen unterwegs waren, setzte überraschend das Feuer wieder ein. Die Erstklägerin lief bis zu einem Hause, in dem sie Deckung nahm. Der Zweitkläger eilte zu dem Bunker. Der Ehemann bezw. Vater der Kläger setzte seinen Weg auf der Strasse fort, den er wegen seiner Beinbehinderung nur langsam zurücklegen konnte. Bevor er ein Haus oder den Bunker erreichte, wurde er durch einen Granatsplitter verletzt.

Die Erstklägerin erhält von der Landesversicherungsanstalt wegen des Todes ihres Ehemannes eine Rente von 60 DM monatlich. Das Verfahren über einen entsprechenden Anspruch des Zweitklägers ist noch nicht erledigt.

Die Kläger sehen den Tod ihres Ehemannes bezw. Vaters als eine weitere Folge des Kraftfahrzeugunfalls aus dem Jahre 1937 an und verlangen deshalb von der Beklagten Ersatz des ihnen infolge des Todes entzogenen Unterhalts. Die Erstklägerin verlangt auch Ersatz der Kosten für Arzt, Krankenhaus und Beerdigung. Die Kläger rechnen die der Erstklägerin von der Landesversicherung gewährte monatliche Rente von 60 DM an und wollen gegebenenfalls eine dem Zweitkläger zufliessende Rente auch anrechnen.

Die Erstklägerin fordert für die Zeit bis einschliesslich Dezember 1948 338 DM sowie für die Zeit vom 1. Januar 1949 bis zum 4. Mai 1953 als monatlich Unterhaltsdifferenz eine Rente von 20 DM.

Der Zweitkläger fordert für die Zeit bis einschliesslich Dezember 1948 169 DM sowie für die Zeit vom 1. Januar 1949 bis zum 4. Mai 1953 eine monatliche Unterhaltsrente von 20 DM abzüglich einer von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz noch zu gewährenden Waisenrente.

Die Beklagte bestreitet die Klagansprüche nach Grund und Höhe und weist darauf hin, dass das Urteil, im Vorprozess keine Rechtskraft zwischen den Parteien des jetzigen Rechtsstreits schaffe. Zwischen dem Kraftwagenunfall und der Verletzung des Ehemannes durch Granatsplitter bestehe kein adäquat-ursächlicher Zusammenhang. Den Getöteten treffe auch ein eigenes Verschulden, da er zu spät aus seiner Wohnung weggegangen sei und auch unterwegs nicht Deckung gesucht habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Ansprüche weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision konnte keinen Erfolg haben.

Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Beklagten für die Folgen des Verkehrsunfalls, den der Ehemann der Erstklägerin im Jahre 1937 erlitten hat, grundsätzlich bejaht und ein Mitverschulden des Ehemanns bei der Verletzung, die er am 31. März 1945 in M. auf der Strasse bei Artilleriebeschuss erlitten hat, verneint. Das Berufungsgericht hat aber, insoweit im Ergebnis mit dem Landgericht übereinstimmend, einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen den von der Beklagten zu vertretenden Verkehrsunfall und dem infolge der Granatsplitterverletzung eingetretenen Tod des Ehemannes der Erstklägerin verneint und zur Begründung ausgeführt, das Ableben des Ehemanns der Erstklägerin sei durch "ein ganz ungewöhnliches, nicht voraussehbares Ereignis" verursacht worden. Es komme nicht darauf an, ob im Jahre 1937 bereits mit der Möglichkeit eines Krieges zu rechnen gewesen sei. Mit einer gewissen Möglichkeit, dass der durch den Unfall Verletzte einem Artillerietreffer zum Opfer fallen werde, hätte jedenfalls nicht gerechnet werden können. Eine solche Möglichkeit gehöre auch nicht zu den typischen Gefahren, die sich aus einer Beinverletzung ergäben, denn es handele sich um keine nach dem ersten Unfall als möglich zu erwartende oder in Rechnung zu stellende Folge. Zwar könne in einem Kriege noch nicht schlechthin eine Unterbrechung jedes ursächlichen Zusammenhangs gesehen werden. Die hier eingetretene Verletzung durch Artilleriefeuer sei der Beklagten aber nicht mehr als eine ihr zur Last fallende Unfallfolge anzurechnen. Die von den Klägern angeführte Entscheidung des Reichsgerichts RGZ 119, 204 betreffe eine ganz typische Unfallgefahr; der Beinverletzte sei gerade infolge seiner Behinderung im Zimmer ausgerutscht und habe sich dadurch weiteren Schaden zugezogen; mit einem derartigen Unfall eines Beinbeschädigten sei - anders als im vorliegenden Fall - nach der allgemeinen Lebenserfahrung durchaus zu rechnen.

Die Revision rügt eine Verkennung des Begriffs des adäquaten Kausalzusammenhangs. Da das Berufungsgericht die Frage offen lasse, ob im Jahre 1937 mit der Möglichkeit eines Krieges zu rechnen gewesen sei, müsse für den Revisionsrechtszug die Voraussehbarkeit eines solchen Krieges unterstellt werden. Es sei aber allgemein bekennt gewesen, dass ein neuer Krieg grosse Gefahren auch für die Zivilbevölkerung mit sich bringen würde. Der Verletzte sei im Falle des Krieges wie jeder andere Kriegsgefahren, auch der Verletzung durch Artilleriefeuer, ausgesetzt und hierbei wegen seiner Gehbehinderung besonders gefährdet gewesen. Im übrigen sei aber die Frage der Voraussehbarkeit für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs nur ausnahmsweise von Bedeutung, und zwar nicht in Bezug auf die besondere, als solche vielleicht ungewöhnliche unmittelbare und letzte Ursache im konkreten Fall (Granatsplitterverletzung), sondern nur mit Bezug darauf, ob die erste Ursache (Unfall mit folgender Gehbehinderung) einen Gefahrenzustand erzeugen würde, der in zahlreichen im einzelnen gar nicht übersehbaren Fällen die Wahrscheinlichkeit der Entstehung weiteren Schadens begründen oder erhöhen würde. Im vorliegenden Fall sei von vornherein voraussehbar gewesen, dass die Gehbehinderung eine ständige, das normale Mass weit übersteigende Gefahr für Leib und Leben des Verletzten in all den Fällen darstellen würde, in denen es entscheidend auf normale Bewegungsfreiheit, ankomme. Da mindestens zu unterstellen, sei, dass der Kläger nicht verwundet worden wäre, wenn er sich laufend hätte fortbewegen können, könnte die Gehbehinderung des Verletzten nur dann nicht als adäquate Ursache angesehen werden, wenn das Verhalten des Verletzten den ursächlichen Zusammenhang unterbrochen hätte. Das sei aber nach den Ausführungen, des Berufungsgerichts nicht der Fall.

Die Darlegungen der Revision sind nicht geeignet, die Annahme einer adäquaten Verursachung zu rechtfertigen.

Während das Landgericht festgestellt hat, dass der Ehemann der Erstklägerin "nicht verwundet worden wäre, wenn er sich, wie die Kläger, hätte laufend bewegen können", hat das Berufungsgericht nicht ausdrücklich Stellung genommen zu der Frage, ob die Gehbehinderung im vorliegenden Fall eine conditio sine qua non für den weiteren Geschehensablauf, der zum Tode des Ehemanns der Erstklägerin geführt habe, gewesen sei. Es ist deshalb für den Revisionsrechtszug zu unterstellen, dass der Ehemann der Klägerin, wenn er nicht durch die Beinverletzung behindert gewesen wäre, ebenso wie seine Ehefrau und sein Sohn in ein Haus oder in den Bunker gelaufen und nicht von einem Granatsplitter getroffen worden wäre. Ob er sich im vorliegenden Fall auch trotz der Gehbehinderung durch rechtzeitiges Hinlegen vor der Granatsplitterwirkung hätte schützen können, kann dahingestellt bleiben.

Auch wenn die Gehbehinderung des Ehemannes der Erstklägerin im vorliegenden Fall als eine conditio sine qua non (BGHZ 2, 138 [140 f]) für die erlittene Granatsplitterverletzung angesehen wird, kann sie die Haftung der Beklagten nicht begründen, weil es am adäquaten Kausalzusammenhang zwischen der unfallbedingten Gehbehinderung und dem durch Artilleriebeschuss erfolgten Tod fehlt. Ein adäquater Zusammenhang liegt nur dann vor, "wenn eine Tatsache im allgemeinen und nicht unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmässigen Verlauf der Dinge ausser Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges geeignet war" (RGZ 188, 126 [127] und die spätere ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts). Bei der Prüfung, ob "Adäquanz" gegeben ist, handelt es sich nicht eigentlich um eine Frage der Kausalität, sondern um die Ermittlung der Grenze, bis zu der dem Urheber einer Bedingung eine Haftung für ihre Folgen billigerweise zugemutet werden kann. Da es sich bei dieser Haftungsbegrenzung um eine urteilende, abschätzende Wertung handelt, die ihrer Natur nach dem richterlichen Ermessen einen gewissen Spielraum gewährt,lässt sich zwar insbesondere nach der unteren Grenze der Wertung hin eine gewisse Unbestimmtheit, ob noch ein erfahrungsgemäss erheblich zu nennendes Mass von Begünstigung des Erfolges vorliegt, nicht ausschliessen. Eine solche Unbestimmtheit lässt sich aber auch bei Anwendung anderer wichtiger Rechtsbegriffe, wie des Verstosses gegen die guten Sitten, des wichtigen Grundes und vor allem des Grundsatzes von Treu und Glauben, nicht vermeiden. Der Gedanke der adäquaten Verursachung kann lediglich eine allgemeine Richtlinie geben. Die Frage, ob und in welchem Umfang ein haftungsauslösender Ursachenzusammenhang gegeben ist, wird sich durch abstrakte Regeln nie völlig erschöpfend beantworten lassen, sondern wird in Zweifelsfällen nur unter Würdigung aller Umstände durch den Richter nach freiem Ermessen entschieden werden können; und nur wenn berücksichtigt wird, dass die Lehre von der adäquaten Verursachung eine in §242 BGB ihre Grundlage findende Laftungsbegrenzung zum Gegenstand hat, wird die Gefahr einer Schematisierung der Formel vermieden und die Ermittlung richtiger Ergebnisse gewährleistet (BGHZ 3, 261 [267]; Lindenmaier in Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht Bd. 113 S 239-248).

In Übereinstimmung mit beiden Vorinstanzen ist im vorliegenden Fall eine adäquate Verursachung zu verneinen, ohne dass es hier eines Eingehens auf die verschiedenen von der Rechtslehre aufgestellten Formulierungen bedürfte, die sich vor allem darauf beziehen, ob eine Voraussehbarkeit des Erfolges zu fordern und nach welchen Regeln sie festzustellen ist. Die "Adäquanz" scheidet hier schon deshalb aus, weil die Gehbehinderung ihrer allgemeinen Natur nach die Wahrscheinlichkeit, bei Artilleriebeschuss getroffen zu werden, nicht in einem erfahrungsgemäss erheblich zu nennenden Mass erhöht hat. Ein ursächlichlicher Zusammenhang im Rechtssinn ist aber, wie oben erwähnt, nur gegeben, wenn die vom Schädiger gesetzte Bedingung generell geeignet ist, den in Frage stehenden Schaden herbeizuführen, wobei besonders eigenartige, ganz unwahrscheinliche und nach dem regelmässigen Lauf der Dinge nicht in Betracht zu ziehende Umstände auszuscheiden haben. Es kommt bei der Beurteilung des Sachverhalts also darauf an, ob eine "generelle Begünstigungstendenz" gegeben ist, wobei eine so unerhebliche Begünstigung, dass die Lebenserfahrung nicht mit ihr zu rechnen braucht, ausser Betracht zu lassen ist (Lindenmaier a.a.O. S 227; Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht 13. Bearb 1950 S 63, Fussnote 6). Ein solcher ausserhalb der erfahrungsmässigen Wahrscheinlichkeit liegender Erfolg muss als zufällige, nicht mehr zurechenbare Folge gelten. So liegt es aber in vorliegenden Fall, denn eine Gehbehinderung als solche kann jedenfalls nach allgemeiner Erfahrung noch nicht als ein die Gefahr der Verwundung in beachtlichem Umfang erhöhender Umstand angesehen werden. Bei Granatfeuer ist die Möglichkeit des Getroffenwerdens für jedermann, auch für gesunde Personen, gegeben. Es ist in keiner Weise vorauszusehen, wie das feindliche Feuer geleitet wird. Für die Zivilbevölkerung hatten die Granateinschläge als "neue, selbständige Ereignisse" (vgl. RGZ 170, 311 [314]) reinen Zufallscharakter.

Die Gefahr konnte zwar in gewissen Umfang dadurch vermindert werden, dass man sofort Deckung suchte. Ob es aber im allgemeinen "richtig" war, noch bis zu benachbarten Häusern oder bis zum Bunker zu laufen, konnte zumindest sehr zweifelhaft sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kläger, als sie davon liefen, um in einen Hause oder in Bunker Deckung zu suchen, noch getroffen werden konnten, war noch allgemeinem Erfahrungswissen nicht in erheblichem Masse für geringer zu erachten als die für den Verunglückten im Falle des Stehenbleibens oder des Hinlegens gegebene Gefahr. Bei dieser "reinen Zufallswirkung" der wenigen kurz aufeinander folgenden Einschläge hätte sich das Davonlaufen als "falsch" und das Stehenbleiben oder Einlegen als "richtig" erweisen können. Angesichts des Zusammentreffens solcher rein zufälligen Bedingungen kann die Granatsplitterverletzung des Ehemannes der Erstklägerin nicht mehr als eine zurechenbare, haftungauslösende Folge des im Jahre 1987 erlittenen Verkehrsunfalls angesehen werden.

Aus diesen Gründen musste die Revision mit der Kostenfolge aus §97 ZPO zurückgewiesen werden.