zurück zur Übersicht

Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 30.08.2011, Az.: 3 STR 210/11

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuldspruch wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie die hierfür verhängte Einzelstrafe richtet. Dagegen kann die Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge keinen Bestand haben. Insoweit rügt der Beschwerdeführer zu Recht, dass sich das Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf Beweise gestützt hat, die es nicht hätte verwerten dürfen, da sie bei Wohnungsdurchsuchungen gewonnen worden waren, die unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt der Art. 13 Abs. 2 GG und § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO durchgeführt worden und daher rechtswidrig waren.

1. Folgendes liegt zugrunde:

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte unter anderem vor dem 17. Februar 2010 insgesamt 1.938,95 Gramm Marihuana und 377,16 Gramm Haschisch, die er zum Teil in dem von ihm in der elterlichen Wohnung genutzten Zimmer deponierte. Dort bewahrte er außerdem für seinen Zugriff einen Schlagring auf, der zur Verletzung von Personen geeignet und vom Angeklagten dazu bestimmt war. Die restlichen Betäubungsmittel lagerte er mit Wissen seiner früheren Freundin in deren Zimmer, das sich in der von ihrem Vater gemieteten Wohnung befand und in dem sich der Angeklagte regelmäßig - gelegentlich auch über Nacht - aufhielt. Neun Zehntel der Betäubungsmittel waren zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt.

b) Das Landgericht hat seine Überzeugung von diesem Sachverhalt trotz des Widerspruchs des Angeklagten gegen die Beweisverwertung in der Hauptverhandlung auf die bei den Durchsuchungen der genannten Räume in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar 2010 erlangten Erkenntnisse und ergänzend - die im Zimmer der Freundin deponierten Betäubungsmittel betreffend - auf deren Zeugnis in der Hauptverhandlung gestützt. Zu diesen Durchsuchungen kam es wie folgt:

Die polizeilichen Ermittlungen gegen den Angeklagten wurden im November 2009 aufgrund eines anonymen telefonischen Hinweises aufgenommen. Im Januar 2010 folgten Erkenntnisse aus der Vernehmung einer Vertrauensperson. Auf richterliche Anordnung wurde ab Januar 2010 die Telekommunikation des Angeklagten überwacht. In der ersten Februarhälfte ergaben mitgeschnittene Telefonate Anhaltspunkte dafür, der Angeklagte sei am 11./12. Februar 2010 zwecks Beschaffung von Betäubungsmitteln in die Niederlande gefahren und habe dort eine Anzahlung geleistet, habe die ihm angebotenen Betäubungsmittel aber wegen ihrer schlechten Qualität nicht in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt. Am Mittag des 17. Februar 2010 ergab die Überwachung der Telekommunikation, dass der Angeklagte mit der Mitangeklagten A. K. sowie seiner früheren Freundin noch an diesem Tag erneut in die Niederlande mit dem Ziel der Beschaffung von Betäubungsmitteln fahren werde. Ab dem frühen Abend hielten sich Einsatzkräfte der Polizei für eine spätere Wohnungsdurchsuchung bereit und observierten den Angeklagten, der - wie die Mitangeklagte A. K. und seine frühere Freundin - nach der Wiedereinreise kurz nach 22.00 Uhr desselben Tages vorläufig festgenommen wurde. Der sachbearbeitende Polizeibeamte kontaktierte zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr die diensthabende Staatsanwältin, die Durchsuchungen in den Wohnungen der vorläufig Festgenommenen wegen Gefahr im Verzug anordnete. Die Anordnung wurde in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrem Erlass nicht schriftlich dokumentiert. Der sachbearbeitende Polizeibeamte hatte sich vor dem Ende des richterlichen Bereitschaftsdienstes bei dem Amtsgericht Düsseldorf um 21.00 Uhr nicht um den Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen durch den Ermittlungsrichter bemüht, weil er die bis zum Nachmittag des 17. Februar 2010 erlangten Erkenntnisse für zu vage hielt, im Verlauf des 17. Februar 2010 mit sonstigen Dingen befasst war und die Erfahrung gemacht hatte, Durchsuchungsbeschlüsse aufgrund von Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung würden nicht "auf Halde produziert".

2. Vor diesem Hintergrund unterliegen die aus den Durchsuchungen erlangten Erkenntnisse - entgegen der Ansicht des Landgerichts - einem Beweisverwertungsverbot.

a) Die in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar 2010 durchgeführten Durchsuchungen waren wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Die Anordnung der diensthabenden Staatsanwältin beruhte nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme ihrer sich aus § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Eilkompetenz.

Zwar darf Gefahr im Verzug angenommen werden, falls die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet (BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142, 154; BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 288). Es steht aber nicht im Belieben der Strafverfolgungsbehörden, wann sie eine Antragstellung in Erwägung ziehen. Sie dürfen nicht so lange mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter warten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist, und damit die von Verfassungs wegen vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen (BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142, 155; Beschluss vom 4. Februar 2005 - 2 BvR 308/04, NJW 2005, 1637, 1638 f.). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für erforderlich halten (BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 288 f.).

Dies war hier nach jeglicher kriminalistischer Erfahrung spätestens am Nachmittag des 17. Februar 2010 der Fall, als sich die für diesen Abend geplante Beschaffungsfahrt in die Niederlande konkret abzeichnete. Dass noch im Verlauf des 17. Februar 2010 vom Angeklagten und seiner früheren Freundin bewohnte Zimmer zu durchsuchen seien, drängte sich auf. Nur durch einen alsbaldigen Zugriff wäre auszuschließen gewesen, dass mögliche Mittäter in den Wohnungen befindliche Betäubungsmittel beseitigten. Dementsprechend hielten sich bereits ab dem frühen Abend des 17. Februar 2010 Polizeikräfte zur Durchführung der Durchsuchungen bereit. Schon daher konnte die erst nach 22.00 Uhr erlassene Durchsuchungsanordnung der Staatsanwaltschaft - jenseits jeder fehlenden Dokumentation - nicht mehr auf Gefahr im Verzug gestützt werden. Hinzu kommt, dass dem sachbearbeitenden Polizeibeamten bereits seit Januar 2010 Erkenntnisse vorlagen, die zu einer richterlichen Anordnung der Überwachung der Telekommunikation geführt hatten, so dass sich die Notwendigkeit einer alsbaldigen Wohnungsdurchsuchung evident ergab, mithin nicht einer überraschenden Verfahrenssituation entsprang.

b) Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt hier zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel.

Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs wegen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61; Beschluss vom 16. März 2006 - 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684, 2686; Beschluss vom 20. Mai 2011 - 2 BvR 2072/10, DAR 2011, 457, 459). Ein solcher schwerwiegender Verstoß liegt aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Die Feststellungen des Landgerichts, der sachbearbeitende Polizeibeamte sei am Nachmittag des 17. Februar 2010 stark beansprucht gewesen, habe seine Erkenntnisse zugleich noch für zu vage gehalten und schlechte Erfahrungen mit der Beschaffung von Anordnungen auf Vorrat gemacht, ändern an dieser Bewertung nichts. Wenn sich der sachbearbeitende Polizeibeamte Gedanken darum machte, ob ein Ersuchen um Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses erfolgversprechend sei, war er - von einem sonst möglicherweise bestehenden Organisationsmangel abgesehen - ersichtlich nicht durch eine Überlastung daran gehindert, die Gesetzmäßigkeit seines Vorgehens zu überprüfen. Seine Annahme, die von ihm gewonnenen Erkenntnisse hätten zwar im Januar 2010 für den Erlass einer Anordnung auf der Grundlage der §§ 100a, 100b StPO ausgereicht, eine Anordnung nach §§ 102, 105 StPO am Nachmittag des 17. Februar 2010 trotz der weiteren Verdichtung des Tatverdachts aber (noch) nicht getragen, ist nicht nachzuvollziehen. Da am Nachmittag des 17. Februar 2010 feststand, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit noch am selben Tag eine vorläufige Festnahme des Angeklagten erfolgen werde, die eine Durchsuchung nach sich ziehen werde, konnte auch ein "Erfahrungswert" des sachbearbeitenden Polizeibeamten zu Vorratsbeschlüssen des Ermittlungsrichters offensichtlich keine Verbindlichkeit beanspruchen.

c) Dem - für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten - Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (BGH, Urteil vom 17. März 1983 - 4 StR 640/82, BGHSt 31, 304, 306; Urteil vom 15. Februar 1989 - 2 StR 402/88, NStZ 1989, 375, 376; Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 455/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) kann bei solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 295 f.). Die Einhaltung der durch Art. 13 Abs. 2 GG und § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als Abwägungskriterium bei der Prüfung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das wesentliche Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 296).

d) Ob vorliegend der Gesichtspunkt einer fehlenden Berührung des Rechtskreises des Angeklagten (BGH, Beschluss vom 21. Januar 1958 - GSSt 4/57, BGHSt 11, 213, 214 ff.; Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 220; Urteil vom 21. Juli 1994 - 1 StR 83/94, BGHSt 40, 211, 217) der Anerkennung eines Verwertungsverbots entgegenstehen könnte, soweit Erkenntnisse anlässlich der Durchsuchung des Zimmers der früheren Freundin gewonnen wurden, bedarf keiner Vertiefung. Der Angeklagte war zur Zeit der Durchsuchung berechtigter Mitnutzer und damit in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 und 2 GG einbezogen (von Mangoldt/ Klein/Starck/Gornig, GG, Bd. 1, 5. Aufl., Art. 13 Rn. 28; Herdegen in Bonner Kommentar zum GG, Art. 13 Rn. 36 [Stand: Oktober 1993]).

e) Da ein Beweisverwertungsverbot schon aus anderen Gründen eingreift, kann der Senat weiter offen lassen, ob das Fehlen eines richterlichen Bereitschaftsdienstes während der Nachtzeit in einer Großstadt wie Düsseldorf als ein schwerwiegender Organisationsmangel anzusehen ist (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - 3 StR 530/09, wistra 2010, 231, 232).

3. Die Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kann danach keinen Bestand haben. Damit entfällt der Gesamtstrafenausspruch.

Eine eigene Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1 StPO ist dem Senat nicht möglich. Er kann den Angeklagten nicht vom Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freisprechen, denn es ist nicht völlig auszuschließen, dass in der neuen Hauptverhandlung auch ohne Verwertung aller anlässlich der Durchsuchungen gewonnenen Erkenntnisse noch Feststellungen getroffen werden können, die einen Schuldspruch tragen.