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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 30.11.1999, Az.: 2 STR 320/04

Entscheidungsgründe

Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts merkt der Senat an:

1. Die Verfahrensrügen (§ 244 Abs. 2 und 3 StPO) haben keinen Erfolg.

Unter Beweis gestellt wurde nur, daß die Zeugin A. anderen Zeugen mitgeteilt hat, daß sie freiwillig der Prostitution nachging und der Angeklagte nicht auf sie eingewirkt hat, um sie zur Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen.

Diese Äußerungen der Zeugin durfte die Kammer als bedeutungslos ansehen, da sie davon ausging, daß die Zeugin A. freiwillig und ohne einwirkendes Bestimmen des Angeklagten der Prostitution nachging. Soweit in der Revisionsbegründung als Beweisthema nachgeschoben wird, daß es auch um ein "Dazubringen" im Sinne des § 180 b Abs. 2 Nr. 2 StGB a.F. und die Glaubwürdigkeit der Zeugin gegangen sei, kann sie damit nicht gehört werden.

2. Der Schuldspruch ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Der Tatrichter durfte hinsichtlich des Menschenhandels das Tatzeitrecht (§ 180 b Abs. 2 Nr. 2 StGB) zugrundelegen. Durch das 37. Strafrechtsänderungsgesetz (vom 11. Februar 2005; in Kraft seit 19. Februar 2005) wurde § 180 b StGB aufgehoben. Dies ist im Revisionsverfahren gemäß § 354 a StPO, § 2 Abs. 3 StGB zu beachten. Doch sind §§ 232, 233, 233 a und 233 b StGB gleichzeitig neu eingefügt worden, wodurch das Verhalten des Angeklagten jetzt erfaßt wird. § 232 StGB (Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung) stellt im Sinne notwendiger Unrechtskontinuität eine Nachfolgeregelung zu § 180 b StGB dar.

Es liegt nahe, daß der Angeklagte hier die Voraussetzungen nicht nur des § 232 Abs. 1 StGB n.F., sondern auch die der Qualifikation des § 232 Abs. 3 Nr. 3 StGB n.F. (gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat) erfüllt hat. Danach kann ausgeschlossen werden, daß der Tatrichter einen minder schweren Fall gemäß § 232 Abs. 5 StGB n.F. angenommen hätte. Somit ist das neue Recht nicht das mildere Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) und es bleibt beim Tatzeitrecht.

3. Dadurch, daß das Landgericht im Falle II 5 der Urteilsgründe (= Anklagepunkt 7) nur eine Freiheitsstrafe von vier Monaten statt von sechs Monaten (oder mehr) wie für die Fälle II 14 (= Anklagepunkt 19) und II 17 (= Anklagepunkt 24) verhängt hat, ist der Angeklagte nicht beschwert.

4. Das Revisionsgericht hat von Amts wegen einen Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu berücksichtigen, der nach Verkündung des angefochtenen Urteils eingetreten ist. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, die eine Strafmilderung nach sich zieht, liegt hier jedoch nicht vor.

Ein derartiger Verstoß ist durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2005 (2 BvR 109/05) nicht festgestellt. Zum einen befaßt sich dieser Beschluß nicht entscheidungserheblich mit dem Problem einer Strafmilderung, sondern mit Fragen der Haftfortdauer (u.a. §§ 120, 121 StPO), zum anderen geht das Verfassungsgericht bei seinen Berechnungen davon aus, daß der Senat erst am 15. Juni 2005 über alle Revisionen entscheiden wird und nicht wie jetzt bereits am 15. März 2005 über die Angeklagtenrevision.

Bei der Frage, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, sind insbesondere die Art und Schwere des Tatvorwurfs, die Art und Weise der Ermittlungen, die Komplexität des Sachverhalts, das Verhalten des Beschuldigten sowie die durch das Verfahren entstehenden Belastungen für den Beschuldigten zu berücksichtigen (vgl. u.a. BGH, wistra 2004, 140). Nach der Rechtsprechung des EGMR und des Verfassungsgerichts (vgl. u.a. EGMR in EUGRZ 1983, 371 f., 379; EGMR in EUGRZ 2001, 299 f., 301 = auszugsweise in NJW 2002, 2856 f.; BVerfG NJW 1993, 3254, 3255; NJW 2003, 2225 f. und 2228 f.; BVerfG JZ 2003, 999 ff. und BVerfG, Beschluß vom 21. Januar 2004 - 2 BvR 1471/03) sind Faktoren, die regelmäßig von Bedeutung sind, insbesondere der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes sowie das Ausmaß der mit der Dauer des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Entscheidend ist hierbei auch, ob die Sache insgesamt in angemessener Frist verhandelt worden ist, wobei eine gewisse Untätigkeit innerhalb einzelner Verfahrensabschnitte dann nicht zu einer Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK führt, wenn dadurch die Gesamtdauer des Verfahrens nicht unangemessen lang wird.

Gemessen an diesen Grundsätzen scheidet hier ein zur Strafmilderung führender Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK aus.

Hierbei ist auch zu sehen, daß es sich um eine - von Amts wegen zu prüfende - 255 Seiten lange Anklageschrift gegen elf Beschuldigte handelt, denen in verschiedener Beteiligung insgesamt 26, teilweise schwerwiegende, Taten vorgeworfen wurden. Im Revisionsverfahren lagen zum Zeitpunkt der Terminsbestimmung vier Revisionen der Staatsanwaltschaft und vier Revisionen von Nebenklägern sowie eine Angeklagtenrevision vor, die eine umfassende Überprüfung des gesamten Sachverhalts schon im Hinblick auf § 301 StPO und § 357 StPO erforderte. Hinzu kommt die am 19. Februar 2005 in Kraft getretene Aufhebung des § 180 b StGB mit der Frage der Ersetzung durch § 232 ff. StGB n.F.

In Anbetracht aller Umstände des vorliegenden konkreten Einzelfalles, insbesondere auch der vertretbaren Gesamtdauer des Verfahrens ist keine Verletzung des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu sehen; nicht jede - geringfügige - Verzögerung stellt sich als eine rechtsstaatswidrige dar.

Unabhängig davon hält der Senat sowohl die ausgeworfenen Einzelstrafen als auch die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten ohne weiteres für tat- und schuldangemessen (§ 354 Abs. 1 a und Abs. 1 b StPO).