zurück zur Übersicht

Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 25.11.1954, Az.: 3 STR 523/54

Tenor

Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts in Darmstadt vom 13. Mai 1954 werden verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels, die Staatskasse die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft zu tragen.

Entscheidungsgründe

Der Angeklagte ist wegen fortgesetzter Unzucht mit einem Kinde, begangen durch zweimalige Verleitung eines 13-jährigen Jungen zum geflissentlichen Anhören unzüchtiger Redensarten, zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Die Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden.

Gegen das Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Der Angeklagte greift das Urteil mit der Verfahrens- und Sachbeschwerde in vollem Umfange an. Die Staatsanwaltschaft ficht es mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts insoweit an, als dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt worden ist.

1.Die Revision des Angeklagten.

a)Die Verfahrensrüge ist nicht der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend ausgeführt und daher unbeachtlich.

b)Die auf die allgemeine Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils lässt eine Verletzung des Strafgesetzes zum Nachteile des Angeklagten weder im Schuldspruch noch im Strafausspruch erkennen. Dass das Verleiten eines Kindes zum aufmerksamen Anhören unzüchtiger Redensarten den Verbrechenstatbestand des § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB in der zweiten Begehungsform erfüllen kann, ist in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs anerkannt (u.a. RG JW 1936, 1972, RGSt 76, 165, BGHSt 1, 169 [BGH 18.05.1951 - 1 StR 156/51] [172 ff], BGH 3 StR 173/51vom 28. Juni 1951, 2 StR 90/53 vom 24. Februar 1954). Das Urteil leidet zwar an dem Mangel, dass es den näheren Inhalt der "Witze mit sexuellem Einschlag", die der Angeklagte dem verletzten Kinde erzählt hat, nicht wiedergibt. Das Landgericht hat jedoch festgestellt, dass es sich dabei um mehr als bloss oberflächliche Witzerzählungen gehandelt hat und dass sie über eine Beleidigung des Kindes hinausgegangen sind. Welche "Witze" dabei in Frage standen, ist der Bemerkung des Angeklagten im zweiten Falle zu entnehmen, der Junge solle sich ein Mädchen suchen, es ausziehen, unten anschauen und "seinen dort reinstecken", das sei schön. Dass der Tatrichter solche Äusserungen als unzüchtig angesehen und demgemäss ihr aufmerksames Anhören seitens des Jungen als Vornahme einer unzüchtigen Handlung durch diesen angesehen hat, zu der der Angeklagte den Jungen verleitet hat, ist rechtlich bedenkenfrei. Da der Angeklagte das Alter des Kindes gekannt und in wollüstiger Absicht gehandelt hat, ist der Schuldspruch wegen Verbrechens nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu beanstanden, Durch die Annahme von Fortsetzungszusammenhang ist der Angeklagte nicht beschwert.

Auch der Strafausspruch lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteile des Angeklagten erkennen. Das Landgericht hat dem Angeklagten mildernde Umstände zugebilligt und auf die gesetzliche Mindeststrafe erkannt.

2.Die Revision der Staatsanwaltschaft.

Sie ist zulässigerweise auf den Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt. Sachlich muss auch ihr der Erfolg versagt bleiben.

Die Staatsanwaltschaft vermisst im Urteil die Prüfung der Frage, ob das öffentliche Interesse die Vollstreckung der gegen den Angeklagten ausgesprochenen Freiheitsstrafe erfordert (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 StGB). Der Angeklagte habe, so führt die Revision aus, durch sein Verhalten dazu beigetragen, dass sich der verletzte Junge bald nach den abgeurteilten Vorgängen an einem noch nicht schulpflichtigen Mädchen unzüchtig vergangen habe. Damit habe er die Belange der Allgemeinheit unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen, da es ihm gleich gewesen sei, an welchem Mädchen sich der Junge vergehen würde. Die Verfehlung des Angeklagten habe auch ihrer Art und ihrer fortgesetzten Begehung wegen die öffentliche Ordnung gefährdet. Diese Umstände würden nicht nur eine empfindliche. Freiheitsstrafe, sondern auch deren Vollstreckung erfordern.

Der Revision ist darin beizustimmen, dass das Landgericht in den Gründen des angefochtenen Urteils ausdrücklich nur die persönliche Aussetzungswürdigkeit des Angeklagten (§ 23 Abs. 2 StGB), nicht auch die Frage erörtert hat, ob das öffentliche Interesse die Vollstreckung der Strafe erfordert (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 StGB). Das wäre ein Rechtsfehler, wenn zu besorgen wäre, dass der Tatrichter sich diese Frage überhaupt nicht gestellt oder sie aus rechtsirrigen Erwägungen verneint hat. Denn Strafaussetzung darf auch bei persönlicher Aussetzungswürdigkeit des Verurteilten nicht gewährt werden, wenn der unbedingte Versagungsgrund des § 23 Abs. 1 Nr 1 StGB vorliegt (BGHSt 6, 125). Daraus, dass sich das Urteil mit dieser Vorschrift nicht ausdrücklich auseinandersetzt, kann indes nicht ohne weiteres gefolgert werden, dass sie vom Landgericht nicht geprüft oder dass sie zu Unrecht nicht angewendet worden ist. Ebenso wie der Tatrichter unter Umständen von einer Erörterung der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung in den Urteilsgründen völlig absehen kann (vgl BGHSt 6, 68, 168 [172]), braucht er nicht immer zu allen Voraussetzungen der Strafaussetzung ausdrücklich Stellung zu nehmen. Sein Schweigen beeinträchtigt den Bestand der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung dann nicht, wenn sich dem Zusammenhang der Urteilsgründe mit ausreichender Sicherheit entnehmen lässt, dass er alle in Frage kommenden Gesichtspunkte bedacht und ohne Rechts- und Ermessensfehler beurteilt hat.

Ein solcher Sachverhalt liegt hier vor. Die Strafkammer hat die Tat des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung unter anderem deshalb als nicht besonders strafwürdig erachtet, weil es sich nach ihrer - vertretbaren - Meinung um einen Grenzfall handelt, der sich dem Tatbestand des § 185 StGB nähert, und weil schwere Schädigungen durch die Tat des Angeklagten nicht eingetreten sind. Daraus spricht die Überzeugung des Tatrichters, dass weder der Gedanke der Sühne für begangenes Unrecht noch die Notwendigkeit der Abschreckung anderer die Vollstreckung der Strafe gegen den Beschwerdeführer erfordert. Sie ist aus Rechtsgründen nicht zu bemängeln.

Die Revision weist allerdings darauf hin, dass der Angeklagte durch sein Verhalten zu der späteren sittlichen Verfehlung des Jungen gegenüber dem noch nicht schulpflichtigen Mädchen beigetragen habe. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Landgericht nicht nur als nicht erwiesen angesehen hat, dass die Verfehlung des Jungen auf das Tun des Angeklagten zurückzuführen ist und dieser sie wollte, sondern auch festgestellt hat, dass der Angeklagte angesichts der auf Bauplätzen üblichen Redensachten die möglichen Folgen seines Verhaltens gegenüber dem Jungen nicht richtig übersehen hat. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob die Auffassung der Revision zutrifft, durch die Tat des Angeklagten sei die Allgemeinheit unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen worden, weil es diesem gleichgültig gewesen sei, an welchem Mädchen der Junge den ihm erteilten "Ratschlag" verwirklichen würde.

Auch dass die Straftat des Angeklagten nach der Meinung der Revision wegen ihrer Art und wegen ihrer fortgesetzten Begehung die öffentliche Ordnung gefährdet hat, begründet nicht notwendig ein öffentliches Interesse an dem Vollzug der Strafe. Eine solche Auffassung würde auf einen unzulässigen Ausschluss von Sittlichkeitsverbrechen der vom Angeklagten begangenen Art und von Fortsetzungstaten überhaupt von der Möglichkeit bedingter Strafaussetzung hinauslaufen (vgl BGHSt 6, 125 [126] und die dort angeführten weiteren Entscheidungen).

Der Oberbundesanwalt hat die Revision der Staatsanwaltschaft nicht vertreten.