Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 05.04.1951, Az.: 4 STR 129/51
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts in Lüneburg vom 14. Dezember 1950 im Strafausspruch mit den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision des Angeklagten verworfen.
Entscheidungsgründe
Der Angeklagte ist wegen versuchten schweren Raubes zu Gefängnis verurteilt. Seine Revision wendet sich, zwar "wegen" der Höhe der Strafe, aber doch gegen das Urteil insgesamt. Sie ist nur zur Straffrage begründet.
Die Tatfeststellungen des Urteils geben über die Teilnahmehandlungen des Angeklagten sehr knappen Aufschluss. Immerhin ergibt sich aus ihnen, dass der Angeklagte mit zwei Polen am 1. September 1949 in grossen Zügen einen Einsteigediebstahl bei einer vermeintlichen Besitzerin grosser Dollar beträge verabredet und die Einzelheiten später mit dem Mittäter W. besprochen hat. Wenige Stunden vor der Tat, schon in der Nähe des Tatorts, hat der Angeklagte dann noch erfahren, dass die Einschläferung der Frau mit einem Betäubungsmittel geplant sei und dass W., der unmittelbar ausführende Täter, zur Sicherheit eine Pistole mit sich führe. Gegen diese unangreifbaren tatrichterlichen Feststellungen wendet sich die Revision vergeblich (§ 261 StPO). Zur weiteren Tatteilnahme des Angeklagten steht noch fest, dass er in Kenntnis aller dieser Umstände mit vier Teilnehmern, darunter W., nachts zum Tatort gegangen ist und sich dort aufgehalten hat, bis die von W. inzwischen überfallene Frau um Hilfe rief, dass er die zum Einsteigen verwendete Leiter ins Gebüsch geworfen und dass er bei der Tat auf einen Beuteanteil gerechnet hat. An anderer Stelle führt das Urteil noch aus, der Angeklagte habe, als er von der geplanten Anwendung des Betäubungsmittels und dem Mitführen der Pistole hörte, seine Teilnahme aufgeben wollen, sich dann aber "gefügt" und "Schmiere gestanden". Diese Tatfeststellungen reichen aus, die Verurteilung nach den §§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 1, 47, 43 StGB zu tragen.
Der Senat tritt auch der rechtlichen Würdigung der Strafkammer bei, der von den Tätern und damit auch von dem Angeklagten unternommene Versuch, der schlafenden Frau überraschend, und nicht gewaltsam ein Betäubungsmittel bei zubringen, sei ein Versuch,Gewalt im Sinne des § 249 StGB anzuwendend. Chloraethyl ist ein chemisches Betäubungsmittel und die Täter haben es, wie das Urteil ergibt, als solches zur Tat verwenden wollen, mögen sie es auch nach der erfolglosen Anwendung als für diesen Zweck ungeeignet gehalten haben.
Zwar ist die Rechtsfrage streitig, ob das listige, nicht gewaltsame Beibringen eines Betäubungsmittels "Gewalt gegen eine Person" im Sinne der §§ 249 ff StGB ist. Das Reichsgericht hat das bis zuletzt verneint, immerhin aber ein rechtspolitisches Bedürfnis nach einer gegenteiligen Lösung der Frage in RGSt 58, 98 und 72, 349 zum Ausdruck kommen lassen. Die Verneinung hat es darauf gestützt, dass zur Gewalt beim Täter körperliche Kraftanwendung gehöre (RGSt 58, 98); daran sei auch wegen der Wortfassung des § 177 StGB festzuhalten (RGSt 72, 349). Andererseits hat es aber auch von seinem Standpunkt aus Gewalt gegen eine Person schon in der Freiheitsberaubung durch bloÃes Einschliessen erblickt (RGSt 73, 344, 345), ebenso auch in der Abgabe von Schreckschüssen - sowohl scharfer Schüsse wie solcher aus einer Schreckschusspistole -, und zwar sowohl bei der Nötigung (RGSt 60, 157), wie beim räuberischen Diebstahl (RGSt 66, 335), obwohl in keinem dieser Fälle feststand, dass zum Einschliessen oder zum Schiessen etwa ausnahmsweise nennenswerte körperliche Kraftanwendung der Täter gehört hat. Gewaltanwendung gegen eine Person hat das Reichsgericht in diesen Fällen deshalb angenommen, weil die Einwirkungen dieser Art von den vergewaltigten Personen nicht nur als ein seelischer, sondern als unmittelbarer körperlicher Zwang empfunden worden seien (RGSt 60, 158). Schon diese Entscheidungen ergeben, dass es nicht notwendig zum Gewaltbegriff gehören kann, dass der Täter erhebliche körperliche Kraft gegen das Opfer anwendet. Auch wenn eine solche Kraftanwendung der Regelfall sein mag, so kann sich nach dem Sinn des Gesetzes der Gewaltbegriff darin nicht erschöpfen. Entscheidend nach dem Zwecke der Strafdrohungen der §§ 249 ff StGB muss vielmehr sein, ob der Täter durch körperliche Handlung die Ursache dafür setzt, dass der wirkliche oder erwartete Widerstand des Angegriffenen durch ein unmittelbar auf dessen Körper einwirkendes Mittel gebrochen oder verhindert wird, gleichviel, ob der Täter dazu grössere oder nur geringe Körperkraft braucht. Vom Opfer her gesehen ist die rasch lähmende Wirkung eines Betäubungsmittels ebenso eine körperlicheÃberwindung oder Verhinderung des Widerstandes, wie etwa ein betäubender Schlag oder anderer Körperzwang, dessen Eigenschaft als Gewaltanwendung nicht bezweifelt wird. Auch eine mechanische Körperverletzung wird die den Widerstand brechende Wirkung - auf die es hier allein ankommt -, häufig nicht durch Verletzungen, sondern durch eine Lähmung im Nervensystem ausüben. Wird die den Widerstand brechende Lähmung durch ein Betäubungsmittel herbeigeführt, dann ist es für die strafrechtliche Beurteilung unwesentlich, welches Maà körperlicher Betätigung der Täter zur Beibringung des Betäubungsmittels aufwenden muss.
Für diese Auslegung sprechen im Grundgedanken schon die erwähnten Entscheidungen des Reichsgerichts in den Schreckschussfällen, bei denen ebenfalls nicht der Fingerdruck des Täters, sondern die durch den Schuss verursachte lähmende Angst auf den Körper des Bedrohten wirkt. Die Auslegung entspricht aber auch allein der natürlichen Betrachtung, und zwar ganz "besonders, nachdem auch im allgemeinen Leben die Betätigung reiner Körperkraft hinter der Heranziehung anderer Naturkräfte immer mehr zurückgetreten ist. Für die natürliche Betrachtung als Gewaltanwendung bleibt es gleich, ob sich der Täter zur körperlichen Ãberwältigung nur seiner Muskelkraft - in grösserem oder geringerem Umfange -, oder auch anderer Naturkräfte bedient, etwa solcher physikalischer, chemischer oder anderer Art. Für die Ausnutzung der Schwerkraft oder der Hebelwirkung durch Schlagwerkzeuge ist das von jeher anerkannt. Es muss aber auch für solche nachdrückliche Einwirkungen auf das Nervensystem oder sonst den Körper des Betroffenen gelten, für die chemische Stoffe oder der elektrische Strom benutzt werden.
Das Schrifttum vertritt weitgehend und zum Teil seit langem diese Ansicht (Mezger LK 7. Aufl § 176 A 3 a und ZStW 33, 898, 900; Nagler LK § 249 B 1 c; Olshausen § 249 Anm. 4 c und das dort angegebene Schrifttum; Schönke IV 1), ebenso auch die Entwürfe zum Allg. DStGB, die ausdrücklich als "Gewalt im Sinne desStrafgesetzbuches" auch die Anwendung eines betäubenden Mittels zum Zwecke verstehen, jemanden gegen seinen Willen widerstandsunfähig zu machen. In der Begründung wird ausgeführt, dass damit nur eine im geltenden Recht streitige Frage bejaht werde (Entwürfe 1924/27 und 1930§ 9 Ziff 6, Entwarf 1925 § 11 Ziff 6). Die früher vom Reichsgericht aus der Fassung des § 177 StGB hergeleiteten Schlüsse sprechen wegen des ganz anders gearteten Aufbaus und Zwecks der Vorschrift nicht entscheidend gegen diese Auslegung. Zum Schuldspruch ist der Strafkammer daher beizutreten.
Die Strafzumessung erweckt dagegen Rechtsbedenken. Die Strafkammer hält die Schuld des Angeklagten auch deshalb für sehr schwer, weil er, nach seiner Behauptung Abiturient, trotz seiner "humanistischen Schulbildung" nicht eingesehen habe, dass er der Tat fernbleiben müsse. Ob der Angeklagte wirklich höhere Schulbildung hat, lässt die Strafkammer aber in den Strafzumessungsgründen offen, während sie es beim Lebenslauf des Angeklagten als Feststellung anführt, so daà sie sich möglicherweise keine Gewissheit darüber verschafft hat. Unterstellungen sind aber nur zu Gunsten, nicht zu Lasten des Angeklagten zulässig. Auch wenn dem Angeklagten mildernde Umstände zugebilligt worden sind, lässt es sich nicht ausschliessen, dass eine blosse Unterstellung, der Angeklagte habe das Unrecht der Tat wegen besserer Schulbildung besonders leicht erkennen und sie als besonders verwerflich empfinden müssen, die Bemessung der Strafe zu seinem Nachteil beeinflusst hat.
Andererseits ist der Gedanke der gleichmässigen Bestrafung der mehreren Täter als ein Strafmilderungsgrund möglicherweise missverständlich verwendet. Die Strafkammer musste die Strafe nach den Strafzwecken, der Tatschwere und der Persönlichkeit des Angeklagten auf Grund eigener Erwägungen bestimmen. Der Umstand, dass Mittäter des Angeklagten von anderen Gerichten in bestimmter Weise bestraft worden sind, durfte für sich allein nicht dahin wirken, den Angeklagten ebenso oderähnlich zu bestrafen. Nur die in den anderen Fällen etwa angeführten Strafzumessungsgründe durfte die Strafkammer im Rahmen ihrer eigenen Erwägungen verwerten, aber auch nur, soweit sie sie selbst billigte. Ein Grundsatz, dass Mittäter, wenngleich von verschiedenen Gerichten, bei vermeintlich gleicher Tatbeteiligung gleich hoch zu bestrafen seien, besteht nicht und kann in dieser Form nicht bestehen, weil die Vergleichsmöglichkeiten zwischen den in verschiedenen Verfahren gewonnenen Ergebnissen zu gering sind, ganz besonders zur inneren Tatseite und zum MaÃe der Schuld. Die Urteilsfassung lässt die Möglichkeit offen, dass diese Rechtslage verkannt ist.