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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 17.07.2014, Az.: 4 STR 158/14

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von vier Vorverurteilungen zu der Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat weitgehend Erfolg.

1. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des heimtückisch begangenen Mordes (§ 24 Abs. 1 StGB) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger einen wuchtigen Stich mit einem Küchenmesser - Klingenlänge ca. 17 cm - in den oberen Rückenbereich, um ihn zu töten. Auf Aufforderung des Geschädigten versuchte er anschließend, das Messer wieder herauszuziehen; er ließ den Griff jedoch sofort wieder los, weil der Nebenkläger zu große Schmerzen erlitt. Beide gingen anschließend zu dem bis zu 300 Meter vom Tatort entfernt abgestellten Pkw des Nebenklägers, der seinen Wagen aufschloss und den Angeklagten bat, mit dessen im Auto zurückgelassenen Handy einen Krankenwagen herbeizurufen. Der Angeklagte nahm auf dem Fahrersitz Platz, täuschte aber einen Anruf lediglich vor; die Frage des misstrauisch gewordenen Nebenklägers, "ob er das mit dem Messer gewesen sei," verneinte er. Dem Wunsch des Nebenklägers, den Fahrersitz freizumachen, kam der Angeklagte nicht nach. Er nahm an, sein zögerliches Verhalten werde dazu führen, dass der Geschädigte in absehbarer Zeit vor Ort versterben werde. Der Nebenkläger ging sodann mit dem Messer im Rücken zu einer etwa 700 m entfernten Gaststätte. Der Angeklagte folgte ihm "in einigem Abstand" und schloss, kurz bevor der Geschädigte die Gaststätte erreichte, zu diesem auf. Er betrat die Gaststätte in geringem Abstand zum Nebenkläger; dort anwesende Personen setzten sogleich einen Notruf an die Rettungsleitstelle ab. Letztlich konnte der Nebenkläger durch eine Notoperation gerettet werden.

b) Die Annahme des Landgerichts, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, von dem der Angeklagte in Ermangelung von Rettungsbemühungen nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen der Jugendkammer zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.

aa) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur - Großer Senat -, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist allerdings in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber "nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums" von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteile vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14, und vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274; Beschluss vom 7. Mai 2014 - 4 StR 105/14; vgl. weiter BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 24 Rn. 15a; MüKo-StGB/Herzberg/Hoffmann-Holland, 2. Aufl., § 24 Rn. 80: "kurzzeitige Fehlvorstellung"). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt (BGH, Beschluss vom 7. November 2001 - 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73, 74; Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 526/12, NStZ 2013, 463). So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 15. August 2001 - 3 StR 231/01: das Opfer verfolgte den Täter "über eine längere Strecke"; Urteil vom 11. November 2004 - 4 StR 349/04, NStZ 2005, 331 f.: das Opfer lief die Treppe von der Empore zum Eingangsbereich der Diskothek hinunter; s. weiter BGH, Urteile vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, vom 29. September 2004 - 2 StR 149/04, NStZ 2005, 150, 151, und vom 8. Februar 2007 - 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399 f.). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (BGH, Urteil vom 11. November 2004, aaO; Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336).

bb) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht. Es ist zwar rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte, nachdem er dem Nebenkläger das Messer in den Rücken gestoßen hatte, den Erfolgseintritt für möglich hielt (UA 36); auch ging er nach Rückkehr zum PKW des Verletzten davon aus, dass dieser alsbald versterben werde (UA 12). Die Jugendkammer hat aber keine Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass sich der Nebenkläger zu der Gaststätte begab. Seinem nicht stark blutenden (UA 28) und noch nicht in akuter Lebensgefahr befindlichen (UA 15) Opfer, das nach dem Stich bereits bis zu seinem Auto gelaufen war und dort nachdrücklich die Hilfe des Angeklagten eingefordert hatte, gelang es nämlich, aus eigener Kraft die Strecke von ca. 700 Metern zu bewältigen. Unterwegs bat er noch vier Personen - vergeblich - um Hilfe. Diese Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte infolge des Verhaltens des Geschädigten sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Nebenkläger habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689).

c) Auf dem aufgezeigten Erörterungsmangel beruht der Schuldspruch wegen versuchten Mordes. Die bisher getroffenen Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten im Rücktrittshorizont lassen einen sicheren Schluss auf einen Fehlschlag des Versuchs (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2014 - 4 StR 82/14 und 4 StR 105/14) nicht zu. Erst im Zusammenhang mit dem passiven Verhalten des Angeklagten in der Gaststätte hält das Landgericht dafür, "dass der Angeklagte in diesem Moment erkannt hat, dass sein Vorhaben gescheitert ist, den Tod (des Nebenklägers) herbeizuführen und ihn diese Erkenntnis niederdrückt" (UA 35); das vermag jedoch die erforderlichen Feststellungen zu einem zeitlich vorgelagerten Zeitpunkt nicht zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - 1 StR 735/13, NStZ-RR 2014, 201, 202). Zwar hat das Landgericht bei der Erörterung eines Rücktritts auch ausgeführt, der Angeklagte habe nach seiner Vorstellung keine naheliegenden weiteren Möglichkeiten gehabt, auf den Geschädigten einzuwirken: "Wegen seiner Unfähigkeit mit Blut umzugehen, war er nicht in der Lage, etwa das Messer herauszuziehen und erneut einzusetzen oder andere blutige Verletzungen hervorrufende Hilfsmittel einzusetzen" (UA 36). Es ist aber schon fraglich, ob die Jugendkammer mit diesen Ausführungen einen auf einen früheren Zeitpunkt bezogenen Fehlschlag begründen wollte. Denn die zitierte Wendung schließt unmittelbar an die Bejahung eines beendeten Versuchs an. Die tatsächliche Bewertung der weiteren Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten steht zudem - wie der Generalbundesanwalt mit Recht ausgeführt hat - in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den weiteren Feststellungen. Es war der Angeklagte, der mit direktem Vorsatz (UA 34) unter Verwendung eines Küchenmessers mit einer langen Klinge auf den Nebenkläger einstach und ferner - auf die Bitte des Geschädigten - versuchte, das Messer aus dem Rücken herauszuziehen. Diesen Versuch brach er nicht etwa deswegen ab, weil er "kein Blut sehen kann" (UA 12), sondern weil der Nebenkläger hierdurch große Schmerzen erlitt. Dass 7 sich der Angeklagte, der naheliegend weiterhin Zugriff auf die im Rücken des Nebenklägers steckende Tatwaffe hatte, an einer Tatvollendung auf dem Weg zur Gaststätte gehindert sah, versteht sich deshalb nicht von selbst.

2. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).

Allerdings bedarf es nur der Aufhebung der Feststellungen zu dem dem Messerstich nachfolgenden Geschehen, bis der Nebenkläger die Gaststätte erreichte (§ 353 Abs. 2 StPO).

Die Aufhebung erfasst nicht den Adhäsionsausspruch (Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 406a Rn. 8).