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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 19.11.2013, Az.: 4 STR 292/13

Entscheidungsgründe

Die Angeklagte wurde im ersten Rechtsgang vom Landgericht wegen Betrugs und Beihilfe zur Untreue in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Auf ihre Revision hob der Senat mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 (4 StR 491/11) die Verurteilung wegen Betrugs und wegen Beihilfe zur Untreue in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen sowie den Gesamtstrafenausspruch auf. Die Feststellungen zur Tatvorgeschichte, zum äußeren Tatgeschehen und zur Kenntnis der Angeklagten vom Nichtbestehen der geltend gemachten Forderungen blieben bestehen. Die weiter gehende Revision wurde verworfen. Mit dem angefochtenen Urteil hat das 1 Landgericht die Angeklagte nunmehr wegen Betrugs und wegen Beihilfe zur Untreue in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die erneute Revision der Angeklagten mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Berichtigung des Schuldspruchs. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Der Schuldspruch war im Fall II. 1. der Urteilsgründe dahingehend zu berichtigen, dass die Angeklagte wegen Computerbetrugs gemäß § 263a Abs. 1, 2. Var. StGB und nicht wegen Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB schuldig ist.

1. Nach den Feststellungen beantragte die Angeklagte am 3. Februar 2007 beim Amtsgericht im automatisierten Mahnverfahren einen Mahnbescheid über eine Hauptforderung in Höhe von 180.960 Euro gegen die B. GbR mbH. Als Anspruchsgrund gab sie einen "Dienstleistungsvertrag gem. Rechnung vom 02.11.06" an. Dabei war ihr bewusst, dass ein solcher Vertrag tatsächlich nicht geschlossen worden war und ihr deshalb keine Ansprüche gegen die Antragsgegnerin zustanden. Der antragsgemäß erlassene Mahnbescheid wurde entsprechend den Angaben der Angeklagten der früheren Mitangeklagten U. B. (ihrer Mutter) unter deren Wohnanschrift zugestellt, die - obgleich sie als Mitgesellschafterin der B. GbR mbH dazu verpflichtet gewesen wäre - abredegemäß keinen Widerspruch einlegte und auch die weitere Mitgesellschafterin nicht von dem Mahnbescheid informierte. Nachdem die Angeklagte auf die gleiche Weise auch einen Vollstreckungsbescheid erwirkt hatte, beantragte sie auf dessen Grundlage einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in Bezug auf Forderungen der B. GbR mbH gegen die Bank. Nach dessen antragsgemäßen Erlass wurden 184.324,60 Euro gepfändet und auf ein Konto der Angeklagten überwiesen.

2. Die Verurteilung wegen Betrugs wird von den Feststellungen nicht getragen.

a) Das Landgericht meint, die Angeklagte habe sich bei der Beantragung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Betrugs durch Unterlassen schuldig gemacht, weil sie den zuständigen Rechtspfleger nicht über die Umstände der Titelerlangung aufgeklärt habe. Hierzu sei sie nach § 13 Abs. 1 StGB aus dem Gesichtspunkt der Ingerenz verpflichtet gewesen, weil der Vollstreckungsbescheid zuvor von ihr vorsätzlich in sittenwidriger Weise erwirkt worden sei.

Gegen diese Wertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Eine Garantenstellung aus Ingerenz ergeben die Feststellungen nicht.

Ein (pflichtwidriges) Vorverhalten führt nur dann zu einer Garantenstellung aus Ingerenz, wenn dadurch die naheliegende Gefahr des Eintritts des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht worden ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 47 Rn. 21; Urteil vom 23. September 1997 - 1 StR 430/97, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 14). Der durch die Vorhandlung herbeigeführte Zustand muss so beschaffen sein, dass bereits ein bloßes Untätigbleiben die Gefahr vergrößert, dass es zum Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges kommt oder ein bereits eingetretener Schaden vertieft wird (vgl. BGH, Urteil vom 3. Oktober 1989 - 1 StR 372/89, BGHSt 36, 255, 258; Stree/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 13 Rn. 39, 42).

Eine solche Gefahrlage bestand hier nicht. Wäre die Angeklagte nach dem Erlass des von ihr erwirkten Vollstreckungsbescheides untätig geblieben, hätte sich für das Opfervermögen keine zusätzliche Gefährdung ergeben. Die Pfändung und Überweisung wurde erst durch den nachfolgenden Antrag nach § 829 ZPO veranlasst, der auf einem neuen Tatentschluss der Angeklagten beruhte.

Der Senat muss unter diesen Umständen nicht entscheiden, ob ein vorsätzliches Vorverhalten, das auf denselben Erfolg gerichtet ist wie das nachfolgende Unterlassen, überhaupt eine Garantenstellung aus Ingerenz zu begründen vermag (verneinend BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 - 1 StR 465/95, BGHR StGB § 221 Konkurrenzen 1; offen gelassen im Urteil vom 12. Dezember 2002 - 4 StR 297/02, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 15; aA das überwiegende Schrifttum, vgl. MüKo-StGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 130; SSW-StGB/Kudlich, § 13 Rn. 22; Stein, JR 1999, 265).

b) Die Angeklagte hat bei der Stellung des Antrags auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses auch nicht konkludent über das Bestehen einer vollstreckbaren Forderung getäuscht, sodass eine Strafbarkeit wegen Betrugs durch ein aktives Tun gleichfalls nicht in Betracht kommt.

aa) Ob in einer bestimmten Kommunikationssituation neben einer ausdrücklichen auch eine konkludente Erklärung abgegeben worden ist und welchen Inhalt sie hat, bestimmt sich nach dem objektiven Empfängerhorizont, der unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und der Verkehrsanschauung festzulegen ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 - 4 StR 55/12, NStZ 2013, 234, 235; Urteil vom 26. April 2001 - 4 StR 439/00, BGHSt 47, 1, 3 f.; Urteil vom 10. November 1994 - 4 StR 331/94, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Irrtum 10). Findet die Kommunikation - wie hier - im Rahmen eines geregelten Verfahrens statt, wird der Inhalt der abgegebenen Erklärungen maßgeblich durch die diesem Verfahren zugrunde liegenden Vorschriften geprägt. Dies sind hier die Bestimmungen der Zivilprozessordnung (Wagemann, GA 2007, 146, 148).

bb) Danach ist davon auszugehen, dass bei der Beantragung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses der Bestand der titulierten Forderung kein Gegenstand der Kommunikation zwischen dem Antragsteller und dem Rechtspfleger ist. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der Rechtspfleger als Vollstreckungsorgan hat bei Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nur die formalen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung zu untersuchen. Eine Prüfungskompetenz hinsichtlich der zu vollstreckenden Forderung (Titelforderung) steht ihm nicht zu (vgl. RGSt 23, 286, 287; Stöber, Forderungspfändung, 16. Aufl., Rn. 464). Der Titelgläubiger ist daher auch nicht gehalten, die materiell-rechtliche Grundlage der titulierten Forderung in seinem Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses näher zu bezeichnen (vgl. § 2 Nr. 2 Zwangsvollstreckungsformularverordnung i.V.m. deren Anlage 2; Musielak/Becker, ZPO, 10. Aufl., § 829, Rn. 3). Einwendungen gegen die Berechtigung der titulierten Forderung können grundsätzlich allein mit der Vollstreckungsabwehrklage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszugs und nur innerhalb der Grenzen des § 767 Abs. 2 ZPO geltend gemacht werden, nicht aber gegenüber dem Rechtspfleger bei Erlass von Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011- VII ZB 89/10, BGHZ 190, 172, 183 Tz. 26). Dies zeigt auch die Regelung in § 775 ZPO, nach dessen Ziff. 4 und 5 eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur erfolgen kann, wenn die Befriedigung des Gläubigers durch Urkunden nachgewiesen wird, nicht aber bei Geltendmachung sonstiger Einwendungen gegen den Bestand der Titelforderung. Auch die in Ausnahmefällen mögliche Klage auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung und Herausgabe des Titels nach § 826 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 - VI ZR 165/87, BGHZ 103, 44; Urteil vom 24. September 1987 - III ZR 187/86, BGHZ 101, 380; Urteil vom 9. Februar 1999 - VI ZR 9/98, BGHR BGB § 826 Rechtskraftdurchbrechung 18) ist vor dem Zivilgericht zu erheben und führt als solche nicht zu einem vom Rechtspfleger als Vollstreckungsorgan zu beachtenden Vollstreckungshindernis.

c) Der Senat weicht damit nicht gemäß § 132 Abs. 2 GVG von dem Beschluss des 1. Strafsenats vom 25. April 2001 ab (1 StR 82/01, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 19). Der 1. Strafsenat hat in dieser Entscheidung die Strafbarkeit eines nach § 63 StGB untergebrachten Beschuldigten wegen Betrugs bejaht, der mit Hilfe eines erschlichenen Vollstreckungstitels zwei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse erwirkt hatte. Da in dem einen Fall die Zwangsvollstreckung bereits eingestellt war, als der Beschuldigte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beantragte (vgl. Kretschmer, GA 2004, 458, 472), liegt der Annahme eines Betruges ein anderer Sachverhalt zugrunde. In der Beantragung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses lag in jenem Fall eine konkludente Täuschung über das Nichtvorliegen eines Vollstreckungshindernisses (vgl. § 775 ZPO) und damit über die vom Rechtspfleger zu prüfende Vollstreckbarkeit des Titels. Soweit der 1. Strafsenat auch in der zweiten von ihm entschiedenen Sachverhaltskonstellation, in der die Zwangsvollstreckung erst am Tag nach der Beantragung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses eingestellt wurde (vgl. Kretschmer, aaO), die Verwirklichung des Betrugstatbestandes angenommen hat, ist diese Rechtsauffassung für die Entscheidung nicht tragend gewesen.

d) Da aus den vorgenannten Gründen bereits eine Täuschungshandlung fehlt, kann offen bleiben, ob der Rechtspfleger, wie das Landgericht meint, einem Irrtum über das Bestehen der titulierten Forderung unterlag. Die Annahme eines ausreichenden "sachgedanklichen Mitbewusstseins" wäre insoweit nur tragfähig, wenn sich dieses - etwa aufgrund vorheriger Kontrollen des Erklärungsempfängers - auf eine hinreichende Tatsachengrundlage stützen kann, woran hier aus den vorgenannten Gründen Zweifel bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1985 - 4 StR 213/85, BGHSt 33, 244, 249).

3. Die Feststellungen des Landgerichts tragen aber die Verurteilung wegen Computerbetruges gemäß § 263a Abs. 1, 2. Var. StGB. Die Beantragung eines Mahn- und eines Vollstreckungsbescheides im automatisierten Mahnverfahren auf der Grundlage einer fingierten, tatsächlich nicht bestehenden Forderung stellt eine Verwendung unrichtiger Daten dar.

a) Der Tatbestand des § 263a StGB ist betrugsäquivalent auszulegen (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 - 3 StR 80/13, NStZ 2013, 586, 587). Maßgebend ist deshalb, ob die Handlung des Täters einer Täuschung i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB entspricht (BGH, Beschluss vom 21. November 2001 - 2 StR 260/01, BGHSt 47, 160, 163).

Wird im automatisierten Mahnverfahren eine fiktive Forderung geltend gemacht, liegt darin ein täuschungsäquivalentes Verhalten (vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 21; NK-StGB/Kindhäuser, 4. Aufl., § 263a Rn. 18; Haft, NStZ 1987, 6, 8; Möhrenschlager, wistra 1986, 128, 132; Münker, Der Computerbetrug im automatischen Mahnverfahren, 2000, S. 183; aA Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 263a Rn. 6; SSW-StGB/Hilgendorf, § 263a Rn. 6; SK-StGB/Hoyer, 8. Aufl., 65. Lfg., § 263a Rn. 30), da bei gleichem Vorgehen gegenüber einem Rechtspfleger ein Vorspiegeln von Tatsachen im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB (falsche Behauptung eines Sachverhaltes, aus dem sich die angebliche Forderung ergeben soll) anzunehmen wäre.

Aus dem Umstand, dass das Gericht im Mahnverfahren die inhaltliche Berechtigung des Anspruchs nicht prüft (vgl. § 692 Abs. 1 Nr. 2 ZPO), ergibt sich nichts anderes. Im Gegensatz zum Vollstreckungsverfahren dient das Erkenntnisverfahren der Überprüfung der Berechtigung der geltend gemachten materiellen Forderung. Während der Rechtspfleger im Vollstreckungsverfahren nicht zur Prüfung der titulierten Forderung berechtigt ist, müsste er im Erkenntnisverfahren bei Kenntnis der Nichtexistenz der geltend gemachten Forderung den Erlass eines Mahn- oder Vollstreckungsbescheids ablehnen (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 4 StR 491/11, NStZ 2012, 322, 323; OLG Düsseldorf, NStZ 1991, 586). Erlässt er den beantragten Bescheid, so geschieht dies in der Vorstellung, dass die nach dem Verfahrensrecht ungeprüft zu übernehmenden tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers gemäß der sich aus § 138 Abs. 1 ZPO ergebenden Verpflichtung der Wahrheit entsprechen (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 4 StR 491/11, NStZ 2012, 322, 323; Urteil vom 25. Oktober 1971 - 2 StR 238/71, BGHSt 24, 257, 260 f. (zum vor 1977 geltenden Zivilprozessrecht); offen gelassen im Beschluss vom 25. April 2001 - 1 StR 82/01, BGHR § 263 Abs. 1 StGB Täuschung 19; OLG Celle, NStZ-RR 2012, 111, 112; Münker, Der Computerbetrug im automatischen Mahnverfahren, 2000, S. 183; aA LK-StGB/Tiedemann, 12. Aufl., § 263, Rn. 90; MüKo-StGB/Hefendehl, 2. Aufl., § 263, Rn. 129; Kretschmer GA 2004, 458, 470).

b) Die weiteren Voraussetzungen des § 263a StGB liegen vor. Der vermögensrelevante Datenverarbeitungsvorgang wirkte sich unmittelbar vermögensmindernd aus (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 - 3 StR 80/13, NStZ 2013, 586), denn schon durch die Erwirkung des rechtskräftigen Vollstreckungsbescheides wurde das Vermögen der geschädigten Gesellschaft vermindert (vgl. RGSt 59, 104, 106; MüKo-StGB/Hefendehl, 2. Aufl., § 263, Rn. 674). Dass es noch der Zustellung dieses Bescheides bedurfte, ändert daran nichts, weil es sich dabei lediglich um die Umsetzung des Ergebnisses des Datenverarbeitungsvorgangs ohne inhaltliche Kontrolle handelt (BGH aaO).

§ 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich die geständige Angeklagte bei zutreffender rechtlicher Bewertung der Taten nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können, zumal ihr mit der Anklage die betrügerische Erwirkung von Mahnbescheiden und anschließend Vollstreckungsbescheiden zur Last gelegt wird.

Soweit die Angeklagte in den Fällen II. 2. und II. 3. der Urteilsgründe jeweils wegen Beihilfe zur Untreue verurteilt worden ist, lässt dies Rechtsfehler nicht erkennen.

Die Schuldspruchänderung lässt den Strafausspruch unberührt. Da § 263a Abs. 1 und § 263 Abs. 1 StGB denselben Strafrahmen aufweisen, kann der Senat ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtlich zutreffender Bewertung im Fall II. 1. eine noch niedrigere Einzel- oder eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.