Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 27.02.1975, Az.: 4 STR 310/74
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 19. Dezember 1973 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Entscheidungsgründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (schweren) räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 252, 249, 250 Abs. 1 Nr. 1, 223, 223 a, 73 StGB a.F.) und wegen Diebstahls in zwei schweren Fällen (§§ 242, 243 Nr. 2, 74 StGB) zur Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er Verletzung des sachlichen Rechts rügt, ist unbegründet.
Wegen der beiden Diebstähle hatte die Staatsanwaltschaft beim Schöffengericht Gelsenkirchen Anklage erhoben. Bevor dieses Gericht das Hauptverfahren eröffnet hatte, hat das Landgericht Essen, zu dessen Bezirk das Amtsgericht Gelsenkirchen gehört, beim Beginn der Hauptverhandlung in vorliegender Sache mit Einverständnis aller Beteiligten beide Sachen zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden. Dieser Verbindungsbeschluà hatte für die beim Schöffengericht Gelsenkirchen angeklagte Sache die Wirkung eines Eröffnungsbeschlusses (BGH Urteile vom 30. Juli 1974, 1 StR 200/74, und vom 6. August 1974, 1 StR 226/74).
Die Verurteilung wegen räuberischen Diebstahls ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ihr liegen folgende Feststellungen zu Grunde; Der Angeklagte ist mit einem Schlüssel, den er angeblich in seinem Wagen gefunden hatte, in die Wohnung der Frau C. in diebischer Absicht eingedrungen, während die Wohnungsinhaberin abwesend war. Er hat die Wohnung durchsucht und Schmuck, einen Fotoapparat und Scheckformulare weggenommen und in eine Aktentasche, die er mitgebracht hatte, gepackt. In dieser Aktentasche hatte er einen 30 bis 40 cm langen Holzknüppel mitgebracht, den er nach seiner unwiderlegten Einlassung als Pannenhilfe stets bei sich führte. Als er im Begriffe war, die Wohnung zu verlassen, hörte er, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Er versteckte sich hinter einer Zimmertür und nahm den Knüppel in die Hand. Als Frau C. das Zimmer betrat, versetzte er ihr mit dem Knüppel mehrere Schläge auf den Kopf, bis sie zu Boden ging. Dann verliess er fluchtartig die Wohnung. Aus Angst vor Entdeckung entledigte er sich später in einem Park der Beute.
Der Tatbestand des räuberischen Diebstahls setzt eine vollendete Vortat voraus, d.h. der Diebstahl muà im Zeitpunkt der Anwendung von Gewalt oder Drohungen vollendet gewesen sein. Der Zeitpunkt der Vollendung, nicht derjenige der tatsächlichen Beendigung des Diebstahls entscheidet nach fast einhelliger Ansicht in der Rechtsprechung und im Schrifttum über die Abgrenzung des räuberischen Diebstahls vom Raub (RGSt 73, 343, 346; BGHSt 9, 255, 257; 13, 64; 16, 271, 277; BGH NJW 1968, 2386; BGH bei Dallinger MDR 1969, 359; BGH Urteil vom 21. Juni 1967 - 4 StR 475/66 - besprochen von Dallinger in MDR 1967, 896; Baldus in LK § 252 StGB Rnr. 5; Schönke/Schröder 17. Aufl. § 252 StGB Rnr, 3; Lackner/MaaÃen, § 252 StGB Anm. 2; a.A. Dreher 35. Aufl. § 252 StGB Anm. 1 B, der sich jedoch zu Unrecht auf BGHSt 20, 194 beruft, vgl. LK a.a.O.).
Der Diebstahl war vollendet, als der Angeklagte gegen die Wohnungsinhaberin Gewalt anwendete. Er hatte die Diebesbeute in seine Aktentasche gepackt und war im Begriff, die Wohnung zu verlassen. Wann ein Diebstahl vollendet ist, ist wesentlich Tatfrage. Entscheidend ist, ob der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt hat, daà er sie ohne Behinderung durch den früheren Gewahrsamsinhaber ausüben konnte. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens (BGHSt 16, 271, 273). Bei unauffälligen, leicht zu transportierenden und zu verbergenden Sachen, wie Schmuck, Papiere und dergleichen, läÃt die Verkehrsauffassung für eine Vollendung der Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache für die Vollendung genügen, jedenfalls aber ein Einstecken in die Kleidung oder in eine mitgebrachte Tasche. Der Annahme eines Gewahrsamswechsels steht in diesen Fällen auch nicht entgegen, daà sich der erbeutete Gegenstand noch in der Wohnung, somit im Gewahrsamsbereich des Berechtigten befindet. Die Vollendung des Diebstahls setzt keinen gesicherten Gewahrsam voraus (BGHSt 23, 254, 255 mit weiteren Nachweisen).
Die Wohnungsinhaberin hat den Angeklagten auf frischer Tat betroffen. Dieses Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, obwohl nicht feststeht, daà sie den Angeklagten gesehen oder sonstwie bemerkt hatte, bevor er sie niederschlug.
Nach der in der Rechtsprechung und im Schrifttum herrschenden Auffassung wird ein Dieb auf frischer Tat betroffen, wenn er alsbald nach der Vollendung der Tat am Tatort oder in deren Nähe von einer anderen Person wahrgenommen oder bemerkt wird (RGSt 73, 346; BGHSt 9, 255, 257; 16, 271, 277; BGH JZ 1951, 376; BGH GA 1968, 304; BGH NJW 1958, 1547; LK 9. Aufl. § 252 StGB Rnr. 7; Schönke/Schröder 17. Aufl. § 252 StGB Rnr. 4; Dreher 35. Aufl, § 252 StGB Anm. 1 C). Der Senat ist jedoch der Ansicht, daà zu dem Betreffen eines Diebes auf frischer Tat nicht unter allen Umständen auch ein Wahrnehmen gehört.
Die Wortauslegung nötigt nicht zu der von der herrschenden Ansicht vertretenen Einschränkung. Die Worte "auf frischer Tat betreffen" bedeuten in dem gegebenen Zusammenhang nicht mehr als das bewuÃte oder unbewuÃte, geplante oder zufällige, raumzeitliche Zusammentreffen einer Person mit dem Dieb alsbald nach der Vollendung des Diebstahls. Jemand kann im reinen Wortsinn einen Dieb betreffen, ohne daà ihm dessen Anwesenheit bewuÃt wird.
Der Sinn der Strafbestimmung gegen den räuberischen Diebstahl legt andererseits eine Auslegung nahe, die jedenfalls in einem Fall, wie dem vorliegenden, auf das Erfordernis des Bemerktwerdens verzichtet. Nach den Motiven zum Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund von 1869, dessen § 227 Abs. 2 der geltende § 252 StGB wörtlich entspricht, findet die Gleichstellung des räuberischen Diebstahls mit dem Raub ihre Rechtfertigung darin, daà die Gewaltanwendung und die Bedrohung hierbei in ursächlichem Zusammenhang mit der Vollendung oder Ausnutzung des Diebstahls stehen (Motive Seite 168 zu § 227). Der Dieb, der nach der Vollendung des Diebstahls und in unmittelbarem Zusammenhang mit ihm gegen eine Person Gewalt anwendet, um seinen unrechtmässigen Gewahrsam zu sichern, wird gleich einem Räuber bestraft, weil es nahe liegt, daà er dieselbe Gewalt angewendet hätte, wenn er vor Vollendung des Diebstahls betroffen worden wäre. Das Merkmal des "Betreffens auf frischer Tat" dient mithin nur dazu, die Voraussetzungen, unter denen ein Dieb einem Räuber gleichzustellen ist, zeitlich und örtlich einzugrenzen (vgl. RGSt 73, 343, 345; BGHSt 9, 255, 257; BGH NJW 1968, 2386; vgl. dazu auch Bindokat NJW 1956, 1686). Diese Erwägung führt folgerichtig dazu, daà der Dieb, der die Person, die ihn unmittelbar nach dem Diebstahl am Tatort überrascht, niederschlägt, um sich im Besitz des Diebesgutes zu erhalten, auch dann einem Räuber gleich zu achten ist, wenn ihn die Person noch gar nicht bemerkt hatte. Hätte Frau C. ihre Wohnung schon betreten, als der Angeklagte noch dabei war, zu stehlen, und hätte er sie sofort niedergeschlagen, wäre er nach § 249 StGB wegen Raubes zu bestrafen gewesen. Hätte ihn Frau C. bereits bemerkt gehabt, als er Gewalt gegen sie anwandte, wäre er nach § 252 StGB gleich einem Räuber zu bestrafen. Es leuchtet nicht ein und ist mit dem Sinn des § 252 StGB kaum vereinbar, daà der Angeklagte bloà deswegen nicht als Räuber mit allen gesetzlichen Folgen, insbesondere der Anwendung des § 250 StGB, behandelt werden soll, weil er dem Bemerktwerden durch schnelles Zuschlagen zuvorgekommen ist. Ein Dieb, der Gewalt übt, unmittelbar bevor er bemerkt wird, muà genau so behandelt werden wie einer, der zuschlägt, nachdem er bemerkt wurde.
Der Bundesgerichtshof hat zwar, wie erwähnt, in mehreren Entscheidungen ebenfalls die Ansicht geäuÃert, Betroffenwerden im Sinne des § 252 StGB bedeute wahrgenommen, bemerkt werden. Keine dieser Entscheidungen beruht jedoch auf dieser Auffassung.
Nach den Feststellungen hat der Angeklagte gegen die Wohnungsinhaberin Gewalt angewendet, um sich im Besitz der gestohlenen Sachen zu erhalten. Daà dies nicht der alleinige Beweggrund für sein Vorgehen war, schliesst, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, die Anwendung des § 252 StGB nicht aus (BGHSt 9, 162; 13, 64).
Zu Recht hat das Landgericht die Tat als schweren räuberischen Diebstahl im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. beurteilt. Dem stand nicht entgegen, daà der Angeklagte den EntschluÃ, Gewalt anzuwenden, unwiderlegbar erst während der Tatausführung gefaÃt hat (BGHSt 13, 259; 20, 194, 197; 22, 227, 228). Der Knüppel war eine Waffe im nichttechnischen Sinn, und der Angeklagte hat sie als solche benutzt. Durch Art. 18 Nr. 115 EGStGB ist § 250 StGB geändert und an § 244 StGB i.d.F. des 1. Str. RG angeglichen worden. Der Raub mit Waffen, ausgenommen SchuÃwaffen, ist jetzt in § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB geregelt. Die Neufassung ist aber im vorliegenden Fall nicht ein milderes Gesetz im Vergleich zur früheren Fassung. Die Grundsätze, welche die Rechtsprechung zu § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. entwickelt hat, soweit es sich um die Benutzung nichttechnischer Waffen handelt, müssen auch für den neuen § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB gelten. Hiernach genügt es, wenn sich der Räuber erst während des Tathergangs entschlieiÃt, einen mitgebrachten oder am Tatort gefundenen, dazu geeigneten Gegenstand als Waffe zur Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder als Drohmittel zu benutzen (BGHSt 13, 259; 20, 194, 197). Diesen Grundsatz dahin einzuschränken, daà der Erschwerungsgrund nur gegeben sei, wenn der Täter von Anfang an vorhat, das mitgeführte Werkzeug oder Mittel zum Verhindern oder Brechen von Widerstand zu benutzen, hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des Gesetzes nicht beabsichtigt. Die erwähnte Rechtsprechung war ihm bekannt. Hätte er hieran etwas ändern wollen, so wäre dies mindestens in der Begründung des Regierungsentwurfs eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch zum Ausdruck gekommen. Dies ist indessen nicht geschehen (vgl. Bundestagsdrucksache 7. Wahlperiode, 7/550, Seite 248).
Die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung ist rechtlich unbedenklich.
Soweit sich die Revision gegen die Verurteilung wegen zweier Diebstähle richtet, ist sie offensichtlich unbegründet.
Auch die Strafaussprüche und ihre Begründung lassen keine Rechtsfehler erkennen.