Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 08.10.2013, Az.: 4 STR 339/13
Entscheidungsgründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Anstiftung zur schweren räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt; ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr der Freiheitsstrafe vor der Maßregel angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die auf eine Verfahrens-und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Einstellung des Verfahrens, weil das Landgericht die Tat nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, sie anschließend aber gleichwohl abgeurteilt hat.
1. In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift wird dem Angeklagten Anstiftung zur schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Bedrohung zur Last gelegt. Er soll in der Nacht zum 11. Oktober 2012 gegen 2.00 Uhr den gesondert verfolgten D., der ihm Geld aus Drogengeschäften schuldete, gedrängt haben, ein Internetcafé in Gelsenkirchen zu überfallen. "Andernfalls drohte der Angeschuldigte dem gesondert verfolgten D., ihn oder seinen Bruder 'kalt zu machen'. ... Aufgrund der von dem Angeschuldigten ausgesprochenen Drohungen gegen ihn und seinen Bruder führte der gesondert verfolgte D. den Überfall aus." In der Hauptverhandlung vom 4. April 2013 beantragte der Staatsanwalt, "das Verfahren, soweit es den Vorwurf der Bedrohung betrifft, gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf den anderen Tatvorwurf einzustellen." Dem kam die Strafkammer nach; sie beschloss, dass "das Verfahren ..., soweit es den Vorwurf der Bedrohung betrifft, gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf den Anklagevorwurf eingestellt" wird. Anschließend folgten die Schlussvorträge, das letzte Wort und die Urteilsverkündung.
In den im Urteil mitgeteilten Feststellungen wird die Drohung des Angeklagten nicht mehr erwähnt. Die Strafkammer sieht das Bestimmen im Sinn des § 26 StGB darin, dass der Angeklagte den gesondert verfolgten D. "drängte", das Internetcafé zu überfallen; das dabei erbeutete Geld sollte er dem Angeklagten aushändigen und im Gegenzug Schuldenfreiheit und weitere Drogen erlangen (UA S. 9). Bei dem Treffen am 11. Oktober 2012 gegen 2.00 Uhr habe der Angeklagte dem D. unter anderem ein Messer, Klebeband und ein CO-Spray zur Tatbegehung ausgehändigt und ihn aufgefordert, die Gegenstände zur Erzwingung der Herausgabe der Tatbeute und ggf. zur Fesselung des Ladenangestellten zu benutzen; ferner habe er weitere Einzelheiten zu der von ihm geplanten Tatausführung vorgegeben und zugesagt, dass D. unter anderem die Drogenschulden erlassen werden (UA S. 10). Hiermit wollte der Angeklagte - so die Strafkammer - den Tatentschluss im Zeugen D. hervorrufen, durch Anwendung oder Androhung von Gewalt mittels der mitgeführten Waffen gegenüber den im Ladenlokal Anwesenden diese zur Herausgabe der im Tresor und in der Kasse befindlichen Gelder zu nötigen (UA S. 10).
2. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Anstiftung zur (besonders) schweren räuberischen Erpressung steht die Einstellung "der Bedrohung" nach § 154 Abs. 2 StPO entgegen. Hierin liegt ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis.
a) Das Absehen von der Verfolgung einer Tat nach § 154 Abs. 1 oder 2 StPO bezieht sich auf die gesamte prozessuale Tat (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. Oktober 1974 - 4 StR 453/74, BGHSt 25, 388, 390; Beulke in Löwe/ Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 154 Rn. 11 jeweils mwN; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 154 Rn. 1). Sollen abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen sind, von der Verfolgung ausgenommen werden, findet - nach dessen Absatz 1 Satz 1 - § 154a StPO Anwendung.
Die Tat im prozessualen Sinn ist der geschichtliche - und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte - Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen, und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Sie beschränkt sich nicht auf eine konkrete Handlung, sondern erfasst den gesamten Lebenssachverhalt einschließlich aller damit zusammenhängenden Vorgänge, die für die strafrechtliche Beurteilung von Bedeutung sein können, somit das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen, inhaltlich zusammenhängenden Lebensvorgang darstellt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. März 2006 - 2 BvR 111/06 [Rn. 7]; vom 16. März 2001 - 2 BvR 65/01 [Rn. 3]; BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - 1 StR 415/12 [Rn. 36], jeweils mwN).
b) Die Drohung des Angeklagten, den gesondert verfolgten D. oder dessen Bruder "kalt zu machen", war Teil des geschichtlichen Vorgangs, innerhalb dessen der Angeklagte den Straftatbestand der Anstiftung zur (besonders) schweren räuberischen Erpressung verwirklicht haben soll und nach den Feststellungen der Strafkammer - sollte er die Drohung ausgesprochen haben - verwirklicht hat.
Dies zeigt sich schon darin, dass Anklageschrift und Urteilsfeststellungen das Bestimmen im Sinn des § 26 StGB allein oder zumindest maßgeblich aus dem Inhalt des Gesprächs zwischen dem Angeklagten und D. am 11. Oktober 2012 gegen 2.00 Uhr herleiten, innerhalb dessen der Angeklagte laut Anklage auch die Drohung ausgesprochen haben soll, um D. hierdurch zur Tatbegehung zu veranlassen. Sämtliche Vorgänge innerhalb dieses Treffens stehen in einem sachlichen und motivatorischen, aber auch in einem engen zeitlichen Zusammenhang; sie waren allesamt auf den - kurz darauf stattfindenden - Überfall auf das Internetcafé gerichtet. Sprechen aber die für die Bestimmung der Reichweite des Verfahrensgegenstandes maßgeblichen tatsächlichen Momente des Lebenssachverhalts, wie die hier vorliegenden, für die Annahme einer einheitlichen prozessualen Tat, kann die Heranziehung normativer Gesichtspunkte allein nicht dazu führen, entgegen dem sich durch die faktischen Verhältnisse ergebenden Bild eine einheitliche Tat im Sinn des § 264 StPO zu verneinen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - 1 StR 415/12 [Rn. 38]).
c) Die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO durch die Strafkammer führt auch hier zu einem Verfahrenshindernis, das nur durch eine Wiederaufnahme durch das Tatgericht beseitigt werden kann.
aa) Mit der Einstellung durch einen Gerichtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO entsteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis; denn das Verfahren ist - soweit es diese Tat betrifft - nach einer solchen Einstellung nicht mehr anhängig (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1956 - 1 StR 337/56, BGHSt 10, 88, 89; Beschluss vom 9. September 1981 - 3 StR 290/81, BGHSt 30, 197, 198). Zur Beseitigung dieses Verfahrenshindernisses ist ein Wiederaufnahmebeschluss gemäß § 154 Abs. 5 StPO erforderlich (BGH, Beschlüsse vom 9. September 1981 - 3 StR 290/81, BGHSt 30, 197, 198; vom 9. November 2011 - 4 StR 300/11). Ist ein solcher Beschluss nicht ergangen, ist das weitere, also das nach der Einstellung fortgeführte Verfahren einzustellen (BGH, Beschlüsse vom 30. April 1980 - 2 StR 104/80, GA 1981, 36 m. Anm. Rieß; vom 27. April 2000 - 4 StR 85/00; vom 4. Juni 2013 - 4 StR 192/13).
bb) Dies gilt auch, wenn das Gericht - wie naheliegend hier - irrtümlich nach § 154 Abs. 2 StPO anstatt nach § 154a Abs. 2 StPO verfahren ist.
In Fällen einer fehlerhaften Verfahrensweise nach § 154 Abs. 1 StPO (anstatt nach § 154a Abs. 1 StPO) durch die Staatsanwaltschaft hat diese durch eine anschließende Anklageerhebung das Verfahren zumindest konkludent wieder aufgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 - 1 StR 438/05, NStZ-RR 2007, 20; Meyer-Goßner, aaO, § 154 Rn. 21a). Hat sie nach Anklageerhebung in einem anderen, dieselbe Tat betreffenden Verfahren das bei ihr noch offene Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt, vermag dies jedenfalls nach Eröffnung des anderen Hauptverfahrens dem Gericht die Befugnis und Verpflichtung zur Aburteilung der Tat nicht mehr zu entziehen (vgl. § 156 StPO; ferner BGH, Urteil vom 24. Oktober 1974 - 4 StR 453/74, BGHSt 25, 388, 390; Beulke, aaO, § 154 Rn. 13, sowie Meyer-Goßner, aaO, § 154a Rn. 29; Weßlau in SK-StPO, § 154 Rn. 42).
Hat indes das Gericht den Tatbegriff des § 154 StPO verkannt oder meint es rechtsfehlerhaft, nach dieser Vorschrift könnte innerhalb einer prozessualen Tat auch die Verfolgung einzelner Straftatbestände ausgeschieden werden, so ändert dies nichts daran, dass es eine Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO beschließen wollte und beschlossen hat. Auch eine nicht etwa nur die Form der Entscheidung, sondern bezüglich ihres Inhalts rechtsfehlerhafte gerichtliche Entscheidung hat aber grundsätzlich bis zu ihrer Korrektur oder Beseitigung in dem dafür vorgesehenen Verfahren die in ihr angeordneten oder mit ihr verbundenen Wirkungen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1999 - 4 StR 19/99, BGHSt 45, 58, 60 ff.; Meyer-Goßner, aaO, Einl. Rn. 105 ff.). Auch eine rechtsfehlerhafte Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO lässt daher die Anhängigkeit der Tat entfallen und kann nur durch Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigt werden (vgl. für das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren auch Beulke, aaO, § 154 Rn. 13). Eine solche Wiederaufnahme hat jedoch nicht stattgefunden.
Dass der Strafkammer bei der Beschlussfassung lediglich eine Falschbezeichnung der angewendeten Vorschrift unterlaufen ist (§ 154 Abs. 2 StPO statt § 154a Abs. 2 StPO), schließt der Senat aus. Hiergegen spricht auch der ausdrücklich auf § 154 Abs. 2 StPO gerichtete - nicht nur die Zustimmung gemäß § 154a Abs. 2 StPO erklärende - Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft.
d) Der Senat kann das Verfahrenshindernis nicht selbst beseitigen. Denn für die Wiederaufnahme ist das Gericht zuständig, das die Entscheidung ausgesprochen hat (BGH, Beschluss vom 30. April 1980 - 2 StR 104/80, GA 1981, 36 m. Anm. Rieß). Für die Wiederaufnahme teilt der Senat - jedenfalls bei Fallgestaltungen wie hier - aus den sich aus obigen Ausführungen ergebenden Gründen nicht die Ansicht, dass insofern die tatsächlich anzuwendenden, nicht die irrig angewendeten Vorschriften maßgeblich seien (so Meyer-Goßner, aaO, § 154a Rn. 29; Weßlau, aaO, § 154 Rn. 42); daher hat die Wiederaufnahme - ohne dass hierbei die Wiederaufnahmegründe nach § 154 Abs. 3, 4 StPO Bedeutung erlangen - durch Gerichtsbeschluss nach § 154 Abs. 5 StPO zu erfolgen.