Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 20.12.2011, Az.: 1 STR 547/11
Entscheidungsgründe
1. Die Rüge einer Verletzung des § 252 StPO ist unbegründet.
a) Dieser Rüge liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:
Der Angeklagten liegt zur Last, ihrem Ehemann mit einem Butterflymesser zwei Stichverletzungen in den linken Oberkörperbereich versetzt zu haben, nachdem dieser sich schützend vor seine neue Partnerin gestellt hatte, der die Angeklagte als Nebenbuhlerin das Gesicht zerschneiden wollte. Der Geschädigte - als Ehemann der Angeklagten gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt - hatte zunächst die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. In der Hauptverhandlung machten dann sowohl der Geschädigte (gemäß § 52 StPO, UA S. 28) als auch die behandelnden Ärzte (gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO, UA S. 38), gegenüber denen der Geschädigte mittlerweile die Entbindung von der Schweigepflicht widerrufen hatte, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Das Landgericht hat deshalb die Angaben des behandelnden Arztes Dr. S. über die Verletzungen des Geschädigten dadurch in die Hauptverhandlung eingeführt, dass es die polizeiliche Vernehmungsbeamtin K. zu den von diesem im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben vernommen hat (UA S. 39 ff.). Zum Zeitpunkt seiner polizeilichen Vernehmung waren die behandelnden Ärzte vom Geschädigten von der Schweigepflicht entbunden gewesen (UA S. 40). Das Landgericht hat die auf diese Weise in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des Arztes Dr. S. über die Verletzungen des Geschädigten dem Urteil auch zugrunde gelegt (UA S. 41).
b) Entgegen der Annahme der Revision stand der Verwertung dieser Angaben kein sich aus § 252 StPO ergebendes Verwertungsverbot entgegen.
aa) Zwar ist die Vorschrift des § 252 StPO grundsätzlich auch auf Berufsgeheimnisträger i.S.v. § 53 StPO anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1962 - 5 StR 462/62, BGHSt 18, 146; Beschluss vom 24. September 1996 - 5 StR 441/96, StV 1997, 233). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, an der der Senat festhält, darf aber der Ermittlungsrichter über den Inhalt der Aussage eines gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Arztes vernommen werden, die dieser vor dem Ermittlungsrichter gemacht hat, wenn der Arzt bei dieser Aussage gemäß § 53 Abs. 2 StPO von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden war; § 252 StPO ist dann nicht anwendbar (BGHSt 18, 146; BGH StV 1997, 233; glA Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 53 Rn. 49 und § 252 Rn. 3; Diemer in KK-StPO, 6. Aufl., § 252 Rn. 6; Ignor/Bertheau in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 53 Rn. 83; Neubeck in KMR-StPO § 53 Rn. 41; Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 252 Rn. 4; aA OLG Hamburg, NJW 1962, 689, 691; Geppert, Jura 1988, 305, 311 f.; Eb. Schmidt JR 1963, 267).
Grund hierfür ist, dass in einem solchen Fall der Pflichtenwiderstreit, auf den das Verwertungsverbot des § 252 StPO Rücksicht nimmt, nicht auftreten kann (zutr. Diemer aaO). Denn durch das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 StPO wird der Berufsgeheimnisträger geschützt und nicht diejenige Person, die ihn von der Schweigepflicht entbinden kann. Ihr Recht beschränkt sich darauf, darüber zu entscheiden, ob sie den Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht entbindet oder nicht. Sie hat indes keinen Anspruch darauf, dass der Berufsgeheimnisträger die Aussage verweigert und das Gericht nicht verwertet, was er gleichwohl ausgesagt hat (BGHSt 18, 146, 147). War der Berufsgeheimnisträger zum Zeitpunkt seiner Aussage vor dem Ermittlungsrichter von der Schweigepflicht befreit, befand er sich nicht in einem Pflichtenwiderstreit zwischen Wahrheitspflicht und Schweigepflicht.
bb) Für die hier vorliegende Fallkonstellation, dass der zunächst von der Schweigepflicht entbundene Berufsgeheimnisträger im Ermittlungsverfahren seine Angaben nicht vor einem Ermittlungsrichter, sondern im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemacht hat, führt ebenfalls nicht zum Vorliegen eines Verwertungsverbots gemäß § 252 StPO. Denn die Verwertbarkeit der Angaben der Vernehmungsperson ergibt sich im Fall der Vernehmung einer jedenfalls zu diesem Zeitpunkt von der Schweigepflicht entbundenen Person nicht erst aus der besonderen Bedeutung der richterlichen gegenüber einer sonstigen Vernehmung (vgl. dazu BGHSt 49, 72, 77; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 252 Rn. 14 mwN), sondern bereits daraus, dass die Vorschrift des § 252 StPO mangels der von ihr vorausgesetzten Pflichtenkollision des bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren von seiner Schweigepflicht entbundenen Berufsgeheimnisträgers von vornherein nicht anwendbar ist (vgl. BGH StV 1997, 233). Die vom Zeugen Dr. S. nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben durften daher auch nach Widerruf der Entbindungserklärung seitens des Geschädigten durch Vernehmung der polizeilichen Vernehmungsbeamtin in die Hauptverhandlung eingeführt und im Urteil verwertet werden.
2. Die Rüge einer Verletzung des sich aus Art. 6 I Satz 1 und 6 III Buchst. d MRK ergebenden Konfrontationsrechts, weil dem behandelnden Arzt des Geschädigten, dem Zeugen Dr. S., keine "dem kontradiktorischen Verfahren entsprechenden Fragen" hätten gestellt werden können, ist bereits unzulässig.
Zum einen ist die Rüge nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 StPO erhoben worden, sondern erst in der Gegenerklärung auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Zum anderen genügt die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil sie sich lediglich auf die Behauptung einer Verletzung des Konfrontationsrechts beschränkt und weder Angaben zum Inhalt der Vernehmung noch dazu enthält, ob die Angeklagte oder die Verteidigung von dem Vernehmungstermin unterrichtet waren, wann sie vom Inhalt der Vernehmung Kenntnis erlangt haben und ob sie zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens die Gelegenheit hatten, den Zeugen Dr. S. zu befragen oder befragen zu lassen (vgl. dazu BGHSt 51, 150, 154 ff. sowie Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 22a mwN). Es wird nicht einmal mitgeteilt, ob sie einen derartigen Versuch unternommen haben. Schließlich teilt die Revision auch nicht mit, welche über die von den vernehmenden Polizeibeamten gestellten hinausgehenden weiteren Fragen aus ihrer Sicht dem Zeugen hätten gestellt werden sollen.