Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 26.04.2012, Az.: 4 STR 51/12
Entscheidungsgründe
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen verurteilt; bei den Angeklagten P., W. und S. hat es die Vollstreckung der Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen beanstandet die Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts insbesondere die Verneinung der Tatvarianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils saßen die Angeklagten mit B. am Abend des 6. April 2011 in der Wohnung der Angeklagten S. in G. zusammen. Der Angeklagte W. ärgerte sich über früheres Verhalten B. und entschloss sich gegen 23.15 Uhr, B. einen "Denkzettel" zu verpassen. Er versetzte B. unvermittelt sechs oder sieben Faustschläge gegen Kopf und Oberkörper, warf eine halbgefüllte Bierflasche nach ihm, die B. verfehlte und an der Wand zerschellte und versetzte ihm zwei weitere Faustschläge gegen den Kopf. Die Angeklagte S. äußerte sich lautstark beifällig zu dem Geschehen. Angestachelt dadurch kamen alle vier Angeklagten stillschweigend überein, den "Denkzettel" für B. zu intensivieren und ihm weitere Verletzungen zuzufügen.
Die Angeklagte S. versetzte B. eine Ohrfeige. Der Angeklagte P. schlug und stieß ihn mehrfach mit Fäusten und seinem Knie. Der Angeklagte W. schlug zweimal peitschenartig mit einer Hundeleine aus Nylongewebe zu, so dass B. von dem metallenen Karabinerhaken am Ende der Leine an Kopf und Rücken getroffen wurde. Der Angeklagte M. versetzte B. mehrere Faustschläge gegen den Kopf. B. rutschte infolgedessen vom Sofa. Die Angeklagte S., die ihm gegenüber saß, stieß ihn mit der Ferse gegen die linke Gesichtshälfte. Auf ihre Aufforderung versuchte der völlig eingeschüchterte B., sein auf Sofa und Fußboden getropftes Blut mit einem Handtuch aufzuwischen. Unter weiteren Beschimpfungen schlug ihm die Angeklagte S. eine gefüllte Bierflasche auf den Kopf. Der Angeklagte P. versetzte ihm mehrere Schläge, und der Angeklagte M. trat ihm mehrmals gegen den Kopf.
Der Angeklagte P. zog nun die Angeklagten M. und S. von B. weg und half ihm aufzustehen. B. begab sich ins Bad, wo er sich das Blut abwusch und um 23.55 Uhr per Handy die Polizei zur Hilfe rief. Als B. zurück ins Wohnzimmer ging, wurde er vom Angeklagten M., der sich Quarzhandschuhe angezogen hatte, zweimal mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Gegen Mitternacht klingelten Polizeibeamte an der Wohnungstür.
Aus Verärgerung stieß die Angeklagte S. B. heftig gegen eine Schrankwand. Sein Kopf prallte gegen die Schrankwand und schlug dann auf dem Boden auf. Er blieb auf dem Boden liegen und gab schnarchartige Geräusche von sich. Nach dem Eintreffen von Verstärkung verschafften sich die Polizeibeamten um 0.55 Uhr Zutritt zu der Wohnung, wo sie B. bewusstlos vorfanden und sofort Rettungsmaßnahmen einleiteten. B. erlitt durch die Tat eine ausgedehnte Blutung unter der Hirnhaut, einen Bruch der linken Augenhöhle, einen Rippenbruch und Hautunterblutungen im Gesicht und am Oberkörper.
Im Universitätsklinikum H. wurde im Wege einer Notoperation die Schädeldecke eröffnet, um die Blutung unter der Hirnhaut zu entleeren. Ohne ärztliche Hilfe wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer irreparablen Hirnschädigung, möglicherweise sogar zum Tod gekommen.
Das Landgericht hat alle Angeklagten einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB für schuldig befunden, die Angeklagten W. und S. darüber hinaus der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB wegen der Verwendung der Hundeleine und der gefüllten Bierflasche. Die Verwendung dieser Gegenstände hat es den jeweils anderen Mitangeklagten nicht zugerechnet, weil dies vom gemeinsamen Tatentschluss nicht umfasst gewesen sei, es sich mithin um Exzesshandlungen einzelner Angeklagter gehandelt habe. Zu Gunsten des Angeklagten M. ist es davon ausgegangen, dass die - nicht sichergestellten - Quarzhandschuhe lediglich dem Passivschutz des Trägers dienten und deshalb nicht als gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen seien. Auch eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hat das Landgericht nicht festgestellt.
Jeder der Angeklagten habe unwiderlegbar angegeben, die eigenen Tritte und Schläge nicht besonders kraftvoll ausgeführt und diejenigen der Mittäter nicht ununterbrochen beobachtet zu haben. Diejenigen Tathandlungen, die sie beobachtet hätten, hätten sie nicht als lebensgefährdend eingeschätzt. Aus diesen Erwägungen hat das Landgericht auch bei keinem der Angeklagten einen Tötungsvorsatz festgestellt.
1. Die vom Landgericht zu § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB und zur subjektiven Tatseite des § 212 StGB getroffenen Feststellungen beruhen allein auf den Einlassungen der Angeklagten, die das Landgericht als glaubhaft angesehen hat. Diese Bewertung hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.
Entlastende Angaben eines Angeklagten, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, darf der Tatrichter nicht ohne weiteres seiner Entscheidung zugrunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Die Zurückweisung einer Einlassung erfordert auch nicht, dass sich ihr Gegenteil positiv feststellen lässt. Vielmehr muss sich der Tatrichter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung bilden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16. August 1995 - 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6; Beschluss vom 25. April 2007 - 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324, 325; Urteil vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08, BGHSt 53, 145, 163 Rn. 51). Dies gilt umso mehr, wenn objektive Beweisanzeichen festgestellt sind, die mit Gewicht gegen die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten sprechen.
Die danach gebotene Gesamtwürdigung hat das Landgericht nicht vorgenommen. Die von ihm als "nachvollziehbar" bezeichnete Darstellung aller Angeklagten, die Tätlichkeiten der jeweiligen Mittäter nicht ununterbrochen beobachtet zu haben, widerspricht dem Umstand, dass die Mitangeklagten nach den Urteilsausführungen die Tatbeiträge der Angeklagten S. stimmig übereinstimmend geschildert haben, worauf insoweit die Feststellungen auch beruhen. Im Übrigen hat der unbeteiligte Zeuge K. Pe. die Tatbeiträge der Angeklagten und die Reihenfolge der einzelnen Übergriffe glaubhaft bekundet.
Dass Mitangeklagte, die sich in demselben Raum aufhielten, durch Fernseher oder Telefonate so vom Tatgeschehen abgelenkt wurden, dass sie anders als der Zeuge Verletzungshandlungen durch Mittäter nicht bemerkten, liegt nicht nahe und hätte vom Landgericht näher begründet werden müssen.
Das Landgericht hätte auch die Einlassung der Angeklagten, sie selbst hätten jeweils nicht kraftvoll zugeschlagen und die beobachteten Tathandlungen der Mittäter nicht für lebensgefährdend gehalten, einer näheren Prüfung unterziehen müssen. Das Tatopfer B. wurde mit einer gefüllten Bierflasche auf den Kopf geschlagen und gegen den Kopf getreten. Jedenfalls den Schlag der Angeklagten S. mit der Bierflasche haben die Mitangeklagten gesehen. Dass eine derartige Behandlung, wie auch Tritte gegen den Kopf, generell potentiell lebensgefährdend ist (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 224 Rn. 12b mwN), ist allgemein bekannt. Für die Massivität der Verletzungshandlungen insgesamt sprechen hier bereits die Knochenbrüche des Opfers. Darauf, dass B. dennoch weiter ansprechbar und handlungsfähig war, eine konkrete Lebensgefahr mithin möglicherweise noch nicht eingetreten war, kommt es nicht an (vgl. Fischer aaO Rn. 12 mwN).
Das Landgericht hat aus denselben fehlerhaften Erwägungen heraus auch einen Tötungsvorsatz der Angeklagten verneint. Aus diesem Grunde führt der Rechtsfehler zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt.
2. Auch der vom Landgericht mit einer pauschalen Begründung bejahte Mittäterexzess der Angeklagten W. und S. in Bezug auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar kann einem Mittäter das Handeln eines anderen Mittäters, das über das gemeinsam Gewollte hinausgeht, nicht zugerechnet werden (BGH, Urteil vom 25. Juli 1989 - 1 StR 479/88, BGHSt 36, 231, 234; Fischer aaO § 25 Rn. 20 mwN). Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Zurechnung keine ins Einzelne gehende Vorstellung von den Handlungen des anderen Tatbeteiligten erfordert. Regelmäßig werden die Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden musste, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sie sich nicht besonders vorgestellt hat (BGH, Urteil vom 1. September 1999 - 2 StR 94/99, NStZ 2000, 29 f.; BGH, Urteil vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, NStZ 2005, 261 f.). Dasselbe gilt, wenn ihm die Handlungsweise des Mittäters gleichgültig ist (BGH, Urteil vom 27. Mai 1998 - 3 StR 66/98, NStZ 1998, 511 f.; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09 Rn. 101).
Alle vier Angeklagten entschlossen sich hier, den "Denkzettel" zu intensivieren, nachdem bereits der Angeklagte W. mit einer teilweise gefüllten Bierflasche nach B. geworfen hatte. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass sie mit der Verwendung vorgefundener Gegenstände gegen B. einverstanden waren oder ihnen dies zumindest gleichgültig war. Alle haben auch weiter selbst auf B. eingeschlagen, nachdem ihn W. mit der Hundeleine geschlagen hatte, ohne sich von dem Werkzeugeinsatz zu distanzieren. Auf der Grundlage der Feststellungen liegt die Annahme eines Mittäterexzesses daher eher fern. Jedenfalls hätten seine Bejahung näherer Begründung und der Ausschluss einer vom Schwurgericht nicht angesprochenen sukzessiven Mittäterschaft der Erörterung bedurft.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Quarzhandschuhe sind in der Regel gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Ein gefährliches Werkzeug ist ein solches, das nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen auszuführen. Eingenähter Sand in Handschuhen verstärkt deren Schlagwirkung und hat eine solche Wirkung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. September 1997 - 4 StR 438/97 und vom 10. Januar 2011 - 5 StR 515/10, NStZ-RR 2011, 111 f.; vgl. auch Urteil vom 13. Januar 2005 - 4 StR 469/04 zu mit Plastik verstärkten Bikerhandschuhen).
b) Der neue Tatrichter wird auch zu klären haben, ob das von den Angeklagten S. und M. bei ihren Tritten gegen den Kopf des Opfers getragene Schuhwerk als gefährliches Werkzeug zu bewerten ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. September 2010 - 2 StR 395/10).
c) Der Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1 StGB setzt einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftaten verursachten Folgen gerichtet sein muss; das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch einer Einbeziehung des Opfers genügt nicht. Regelmäßig sind dazu Feststellungen erforderlich, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat und wie sicher die Erfüllung der über den bisher gezahlten Betrag hinausgehenden weiteren Schmerzensgeldzahlungsverpflichtung ist (vgl. BGH, Urteile vom 27. August 2002 - 1 StR 204/02, BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 6, und vom 9. September 2004 - 4 StR 199/04). Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, dass das Opfer die erbrachten Leistungen oder Bemühungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Dagegen könnte hier sprechen, dass eine Vereinbarung über den Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht getroffen war und der Angeklagte P. die 200 - die angesichts der schweren Verletzungen des Tatopfers zum Ausgleich des immateriellen Schadens völlig unzureichend sind - bei seiner Verteidigerin hinterlegt hat.