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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 11.03.1960, Az.: 4 STR 574/59

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts in Essen vom 10. Juni 1959 wird verworfen.

Er hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Ihm wird die in dieser Sache seit dem 11. Juni 1959 erlittene Untersuchungshaft, soweit sie drei Monate übersteigt, je zur Hälfte auf die Mindest- und Höchstdauer der unbestimmten Jugendstrafe angerechnet." (1)

Entscheidungsgründe

I.Die Jugendstrafkammer hat den Angeklagten in einer Beine von Fällen wegen schwerer und wegen einfacher Diebstähle, von denen ein Teil vollendet, ein Teil nur versucht war, und wegen anderer Straftaten, darunter auch wegen eines Verbrechens des schweren Raubes und wegen eines Vergehens der Sachhehlerei, zu einer Jugendstrafe von unbestimmter Dauer (mindestens zwei Jahre sechs Monate, höchstens vier Jahre) verurteilt. Er (2) hat als gesetzliche Vertreterin gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Seine (3) schriftliche Revisionsbegründung enthält nur die allgemeine, nicht naher ausgeführte Sachrüge. Dagegen hat der Verteidiger des Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Senat einen sachlichrechtlichen Einwand gegen die Strafzumessung nachgeholt. Die Revision hat keinen Erfolg.

II.Außer der Verurteilung wegen schweren Raubes und der wegen Sachhehlerei gibt das Urteil des Landgerichts, soweit es den Angeklagten betrifft, dem Senat keinen Anlaß zu näheren Ausführungen zum Schuldspruch. Auch diese beiden Verurteilungen begegnen keinen sachlichrechtlichen Bedenken.

1.Der Verurteilung wegen schweren Raubes, liegen folgende Feststellungen zu Grunde: Aus einem früheren erfolgreichen Einsteigediebstahl, den der Angeklagte in das in einem Garten alleinstehende Wohnhaus einer Frau S. ("Villa Sch.") in V. ausgeführt hatte, vermutete er, daß sich in dem Sekretär des Zimmers, in das er damals über einen Balkon eingestiegen war, und zwar in einer Kassette, noch Geld befinde. Mit drei Spießgesellen verabredete er, am 7. Juli 1958 nachts neuerdings in dieses Zimmer der Villa einzusteigen, um wiederum in den Besitz von Geldmitteln zu gelangen. Da er nach jener ersten Tat bereits ein zweites Mal in diebischer Absicht den Balkon vor dem Zimmer erklettert hatte, damals aber nicht einstieg, weil er eine darin schlafende Frau schnarchen hörte - es war Frau K., die Schwester der Hauseigentümerin -, ging er behutsam zu Werke. Er kletterte mit zwei Komplicen auf den Balkon. Dann kroch er vorsichtig durch das offene Oberlichtfenster, wobei er auch dieses Mal Frau K. schnarchen hörte, und öffnete das untere Fenster. Durch dieses stieg sein Kamerad F. in das Zimmer nach. Beide gingen möglichst geräuschlos vor. Der Angeklagte hatte eine Taschenlampe bei sich, deren Licht er mit der Hand abschirmte, um zu vermeiden, daß das volle Licht in das Zimmer falle. Da er von seiner ersten Tat her wußte, daß die Verschlußklappe des Sekretärs beim Öffnen laut knarrte, sagte er leise zu F.: "Paß auf, der Schrank quietscht. Halt Frau K. den Mund zu." Dabei leuchtete er einmal kurz mit der Taschenlampe auf das Bett hin. Während er die wiederum knarrende Klappe des Sekretärs öffnete, zog F. der Frau K. die Bettdecke über das Gesicht, um sie am Schreien und Aufstehen zu hindern. Dabei traf er - ob vorsätzlich, ließ sich nicht klären - Frau K. am Auge, so daß sie einen erheblichen Bluterguß erlitt. Der Angeklagte holte die Kassette aus dem Schrank und warf sie dem Mittäter zu, der auf dem Balkon geblieben war. Dieser warf sie weiter nach unten in den Garten einem vierten Mittäter zu, der dort auf Posten geblieben war. Der Angeklagte und F. verließen nach gelungener Tat rasch das Schlafzimmer von Frau K..

Diese Tat des Angeklagten hat die Strafkammer als ein Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 249, 250 Nr. 4 StGB gewertet. Sie ist der Meinung, er habe bei ihrer Ausführung das Merkmal der Gewaltanwendung dadurch verwirklicht, daß F. mit seinem Wissen und Wollen Frau K. ein Schreien und am Aufstehen hinderte, wobei diese Gewaltanwendung der gleichzeitigen Durchführung der Entwendung diente. Der Angeklagte sei auch im Sinne dieser Bestimmung eingeschlichen. Weil er gewußt habe, daß im Zimmer jemand schlief, habe er Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Er habe sich nämlich die Mühe gemacht, durch das Oberlicht einzusteigen, statt das Fenster einfach zu zerschlagen. Er habe es außerdem vermieden, das volle Licht der Lampe aufscheinen zu lassen, um ohne Willen und Wissen eines Hausbewohners in das Gebäude gelangen zu können.

Diese Beurteilung läßt im Ergebnis keinen Rechtsfehler erkennen. Unter "Einschleichen" ist nach feststehender Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs ein heimliches Eindringen zu verstehen, bei dem der Täter sich der Wahrnehmung anderer durch besondere Vorsichtsmaßnahmen entzieht. Ein bloß geräuschloses Hineingehen in ein Haus reicht zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals Einschleichen nicht aus. Zu der Heimlichkeit muß noch irgendeine Vorsichtsmaßnahme, eine listige Art der Ausführung hinzukommen (BGHSt 9, 253, 255) [BGH 01.06.1956 - 2 StR 127/56].

Dieses zusätzliche Maß an listiger Vorsicht hat der Angeklagte beim Eindringen in das Schlafzimmer der Frau K. angewandt. Er ist nicht auf dem üblichen Weg unter bloßer Vermeidung von Geräuschen dorthin gelangt. Hätte er sich so ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen Zugang zur Wohnung verschafft, so läge darin kein Einschleichen. Er wählte jedoch das zwar mit Mühe verbundene, ihm aber zur Verheimlichung seines Vorhabens geeignet erscheinende und hierfür auch taugliche Hineinkriechen durch ein offenes Oberlichtfenster. Schon dieses mit erhöhter Vorsicht bewirkte und ihn vor vorzeitiger Entdeckung sichernde Vorgehen genügte zur Verwirklichung des Merkmals "Einschleichen" im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Zwar würde er dann, wenn er in der Wohnung keinen Raub, sondern nur einen Diebstahl begangen hätte, neben einen Diebstahl mittels Einschleichens (§ 243 Nr. 7 StGB) zugleich einen solchen mittels Einsteigens (§ 243 Nr. 2 a.a.O.). begangen haben. Denn sein Eindringen in das Schlafzimmer geschah auch durch Einsteigen, weil er in diesen Raum auf einem zu dessen Betreten nicht bestimmten Weg und nach Überwindung eines Hindernisses gelangte. Daß er dies durch Einkriechen erreichte, steht der Annahme des Einsteigens nicht entgegen (RGSt 13, 257; RG HRR 1939 Nr. 660). Umgekehrt bildet die Verwirklichung des Merkmals "Einsteigen" kein Hindernis für die Annahme, die besondere Art dieses Einsteigens, nämlich das vorsichtige Hineinkriechen, genüge wegen der damit verbundenen besonderen Vorsicht dem Merkmal des Einschleichens. Der Angeklagte durfte und mußte daher für den begangenen Raub nach der strengen Vorschrift des § 250 Abs. 1 Nr. 4 StGB verurteilt werden. Auch der weitere Umstand, daß der Angeklagte das Licht seiner Taschenlampe mit der Hand abschirmte, um auch dadurch ein Erwachen der Schlafenden zu vermeiden, ist, wie die Strafkammer mit Recht erwähnt, geeignet, sein Vorgehen als ein mit besonderer Vorsicht verbundenes Eindringen und damit als Einschleichen zu kennzeichnen.

2.Gegen die Verurteilung wegen Sachhehlerei hat der Vertreter der Bundesanwaltschaft in der Hauptverhandlung vor dem Senat Bedenken insoweit geäußert, als das Tatbestandsmerkmal des Vorteils im Sinne des § 259 StGB in Betracht kommt.

Aus den Feststellungen der Strafkammer ergibt sich insoweit, daß der Angeklagte für ein neues Hemd, das er dem ihm bekannten Vetter lieh, einen Fotoapparat und einen Männerknirps zum Pfand nahm. Beide Sachen hatte Vetter, wie der Angeklagte wußte, aus einem Personenwagen gestohlen.

Das Urteil der Strafkammer läßt nicht erkennen, ob der Angeklagte zu der gleichen Zeit, als er dem Vetter sein Hemd lieh, von diesem die gestohlenen Sachen zum Pfand nahm oder erst später, etwa deshalb, weil er nachträglich befürchtete, Vetter werde ihm das Hemd nicht zurückgeben. Diese Unklarheit kann jedoch auf sich beruhen. Denn der Wert der vom Angeklagten angenommenen Pfandgegenstände übertraf den seines Hemdes beträchtlich; er wollte offensichtlich aus ihrer späteren Verwertung mehr als den Gegenwert für sein Hemd erlangen und behalten. Deshalb lag seinem Verhalten ein Vorteilsstreben zugrunde. Bei diesem Sachverhalt braucht nicht entschieden zu werden, ob die Absicht des Angeklagten auch dann auf einen Vorteil im Sinne des § 259 StGB gerichtet gewesen wäre, wenn er durch die Pfandnahme lediglich seinen Anspruch auf Rückgabe seines Hemdes hätte sichern wollen.

III.Gegen die Strafzumessung hat sich der Verteidiger des Angeklagten in Ausführungen vor dem Senat deshalb gewandt, weil die Strafkammer den Zeitraum zwischen der zu verbüßenden Mindest- und Höchststrafe nicht auf zwei Jahre, sondern nur auf ein Jahr sechs Monate bemessen hat. Dieser Einwand gegen das Strafmaß ist unbegründet. Zwar soll nach § 19 Abs. 2 Satz 3 JGG der Unterschied zwischen der Mindest- und Höchststrafe bei unbestimmter Verurteilung nicht weniger als zwei Jahre betragen. Schon der Wortlaut der Vorschrift, die eine bloße Sollbestimmung ist, läßt die Absicht des Gesetzgebers erkennen, daß der Tatrichter von der gesetzlichen Regel dann abweichen darf, wenn er hierfür beachtliche und billigenswerte Gründe hat und wenn er sich darüber in seinem Urteil in den wesentlichen Punkten ausspricht. Das hat die Strafkammer im vorliegenden Fall getan. Sie weist in ihren Strafzumessungserwägungen darauf hin, daß eine Mindeststrafe von nur zwei Jahren der langen Serie von Verbrechen, insbesondere dem schweren Raub des Angeklagten nicht angemessen wäre und daß als Sühne eine Verbüßung von wenigstens zwei Jahren und sechs Monaten erforderlich sei. Deshalb müsse in Kauf genommen werden, daß der für den Regelfall vorgeschriebene geringste Unterschied zwischen Mindest- und Höchstmaß der unbestimmten Jugendstrafe nicht eingehalten werden kann.

Diese Ausführungen sind rechtsfehlerfrei. Was die Strafkammer zur Begründung dafür, daß sie von der gesetzlichen Regel abweicht, darlegt, enthält eine billigenswerte und rechtlich beachtliche Begründung.