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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 17.06.1997, Az.: 5 STR 232/97

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 8. Oktober 1996 nach § 349 Abs. 4 StPO

mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen 3 bis 12 (Taten zum Nachteil der Stieftochter Madlen) verurteilt ist,

hinsichtlich des Falles 2

im Schuldspruch dahingehend geändert, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen schuldig ist,

im Ausspruch der Einzelstrafe mit den Feststellungen aufgehoben,

im Ausspruch der Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs Schutzbefohlener in 239 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes, "wobei es sich in einem Fall um einen versuchten besonders schweren Fall handelt", sowie in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in weitem Umfang Erfolg.

1.Zur Verurteilung wegen der Taten zum Nachteil der Stieftochter Madlen hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:"Diese hatte - zumindest nicht ausschließbar - in allen Fällen bereits das 16. Lebensjahr vollendet, so daß nur eine Verurteilung aus § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB in Betracht kommt. Die Urteilsfeststellungen belegen jedoch nicht die Voraussetzungen dieser Bestimmung.Anders als § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt die Anwendung des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht nur voraus, daß der Schutzbefohlene dem Täter zur Erziehung und Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist. Vielmehr muß er die sexuellen Handlungen unter Mißbrauch einer mit diesem festgestellten Obhutsverhältnis verbundenen Abhängigkeit des Schutzbefohlenen vorgenommen haben (vgl. BGH, NStZ 1991, 81/82 m.w.N.).Die Strafkammer hat nicht erkennbar geprüft, ob der Angeklagte ein Abhängigkeitsverhältnis in diesem Sinne mißbraucht hat. Dies versteht sich hier auch nicht von selbst."

2.Im Fall 2 versuchte der Angeklagte, an seiner zwölfjährigen Stieftocher Kathrin den Beischlaf zu vollziehen. Das Landgericht hat dies als sexuellen Mißbrauch einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit dem "Versuch eines besonders schweren Falls des sexuellen Mißbrauchs von Kindern ... (§§ 176 Abs. 1 und 3, Ziffer 1, 22 StGB)" bewertet und gar Erwägungen zum Rücktritt vom Versuch angestellt.

In diesem Fall hat der Angeklagte sich wegen eines sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht.

Den "Versuch eines besonders schweren Falles" gibt es im System des Strafgesetzbuches nicht, weil die Vorschriften über besonders schwere Fälle, insbesondere die gesetzlichen Regelbeispiele keine Tatbestände im engeren Sinn, sondern lediglich Strafzumessungsregeln enthalten. Allerdings ist es möglich, daß der Tatrichter - als Ergebnis der ihm aufgegebenen umfassenden Würdigung - in dem "Versuch" der Erfüllung eines Regelbeispiels das Vorliegen eines besonders schweren Falles findet.

Der Senat ändert daher in diesem Fall den Schuldspruch und hebt die zugehörige Einzelstrafe auf.

3.Dies alles führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe.

4.Danach ist der Angeklagte rechtskräftig wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen schuldig gesprochen (Fälle 1 und 2) und wegen des ersten dieser beiden Fälle zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Der neue Tatrichter hat über die Fälle 3 bis 12, in denen es um den Mißbrauch der Autoritätsstellung geht (vgl. dazu Laufhütte in LK 11. Aufl. § 174 Rdn. 16), in vollem Umfang, zum Fall 2 über die Einzelstrafe und schließlich über eine neue Gesamtstrafe zu entscheiden.