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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 09.01.2013, Az.: 5 STR 395/12

Entscheidungsgründe

Die Schwurgerichtskammer hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

Während die auch vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft zum Schuldspruch keinen Erfolg hat, führt ihr Rechtsmittel mit der Sachrüge aber zur Aufhebung des Strafausspruchs.

1. Zum Tatgeschehen in den frühen Morgenstunden des 12. Juli 2011 hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte und der gesondert verfolgte O. befanden sich mit zwei Prostituierten auf dem Weg zu deren Appartements. Dabei wurden sie von dem Zeugen B., der zu einer Gruppe von weiteren drei Personen gehörte, despektierlich angesprochen. Da sich der Angeklagte und O. hierdurch in ihrer Ehre angegriffen fühlten, entspann sich zunächst ein Wortgefecht, das wenig später in eine Schlägerei ausartete. Der Angeklagte, dem es darauf ankam, die gegnerische Gruppe zu bestrafen, sah, wie O. zu Boden ging und dabei weiter geschlagen und getreten wurde. Es gelang ihm, sich von seinem Kontrahenten loszureißen. Während der Angeklagte die Absicht hatte, zu O. zu gelangen, bemerkte er den mit dem Kopf auf den Gehwegplatten liegenden, den stark betrunkenen (BAK 4,1 ‰) Nebenkläger K. Da dieser ebenfalls zur gegnerischen Gruppe gehörte, lief der bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,8 ‰ enthemmte Angeklagte zwei bis drei Schritte auf den Nebenkläger zu und trat ihm mit Verletzungsvorsatz "wuchtig von oben nach unten" (UA S. 5) auf den Kopf. Der Nebenkläger blieb sofort reglos liegen. Es bildete sich eine Blutlache unter dem Kopf und aus einem Ohr lief ebenfalls Blut. Als der Angeklagte dies bemerkte, "hielt er sofort wie erschrocken inne" (UA S. 6). Die Schlägerei hörte abrupt auf, weil auch die Umstehenden wahrgenommen hatten, dass der Nebenkläger möglicherweise tödlich verletzt worden sein konnte. Der Angeklagte bewegte sich darauf einige Schritte rückwärts und flüchtete.

Der Nebenkläger erlitt durch den Tritt einen Bruch des Gehörgangbodens, eine Fraktur der Kiefergelenkpfanne und eine Schädelbasisfraktur. Nach einem fünftägigen Krankenhausaufenthalt war er sechs Wochen arbeitsunfähig. Dauerhafte Folgeschäden sind indes, soweit ersichtlich, nicht zu erwarten.

b) Trotz der "brutalen" und "unfairen" Vorgehensweise (UA S. 12) hat das Landgericht einen Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint, weil eine lebensgefährdende Handlungsweise nicht zwingend die Annahme eines Tötungsvorsatzes nach sich ziehe. Es lägen in diesem Falle vielmehr mit dem dynamischen Kampfgeschehen Umstände vor, die dem entgegenstünden. Darüber hinaus habe der Angeklagte auch nicht die Angriffsart zum entscheidenden (Tötungs-)Schlag gewechselt. Im Übrigen habe nicht festgestellt werden können, ob der Angeklagte die Wucht des spontanen Trittes "genauer" (UA S. 13) abgemessen habe und ob ihm diese Überlegung in der vorliegenden Situation überhaupt möglich gewesen sei. Schließlich spreche die unmittelbare Reaktion des Angeklagten schon nach dem einzigen Tritt - sein erschrocken wirkendes Innehalten - für eine nicht bedachte bzw. unterschätzte Handlung.

c) Bei der Bemessung der Höhe der Freiheitsstrafe war für die Schwurgerichtskammer entscheidend, dass der zuvor zwar 2004 einschlägig zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilte Angeklagte seitdem nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und ihn die mehr als sechs Monate dauernde, wenn auch nicht erstmalige Untersuchungshaft durch die Versäumung der Geburt seines Kindes erheblich getroffen hat.

2. Die Ablehnung des Tötungsvorsatzes durch das Landgericht begegnet entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft keinen Bedenken.

Zwar liegt es, was die Schwurgerichtskammer nicht verkennt, bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit Tötungsvorsatz handelt. Denn in derartigen Fällen ist in der Regel ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen eines Täters auf seine innere Einstellung im Sinne eines bedingten Tötungsvorsatzes zu ziehen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207 mwN). Trotz dieses gewichtigen Beweisanzeichens ist aber in einer Gesamtschau auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 - 1 StR 179/11, StV 2012, 89, 90, und Urteil vom 15. April 1997 - 1 StR 144/97, NStZ-RR 1997, 233). Diese Gesamtschau hat das Landgericht im Rahmen möglicher und damit revisionsrechtlich hinzunehmender Beweiswürdigung rechtsfehlerfrei vorgenommen. Es hat in seine Überlegungen nicht nur das dynamische Kampfgeschehen im Allgemeinen, sondern auch die spontane Handlungsweise des Angeklagten gegenüber dem Nebenkläger eingestellt. In diesem Zusammenhang ist es im Rahmen tatrichterlicher Beweiswürdigung vom Revisionsgericht hinzunehmen, dass die Schwurgerichtskammer das Tatgeschehen als einheitlichen dynamischen Verlauf gewertet und entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft die Situation des Nebenklägers nicht isoliert betrachtet hat. Nach den Feststellungen gehörte der Nebenkläger zu der gegnerischen Gruppe und lag lediglich zwei bis drei Schritte (UA S. 5) von den in weiterer körperlicher Auseinandersetzung befindlichen Gruppenmitgliedern entfernt auf dem Boden. Darüber hinaus hat das Landgericht die Tatausführung (ein Tritt) sowie das Nachtatverhalten des Angeklagten (erschrockenes Innehalten - UA S. 6) in den Blick genommen und damit insgesamt Gegebenheiten gewürdigt, die das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes nachvollziehbar fraglich erscheinen lassen und lediglich die Annahme eines Körperverletzungsvorsatzes rechtfertigen.

3. Allerdings hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Entscheidend für dessen Aufhebung ist, dass nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer zur Schwere der Tat und zu ihren Folgen bei dem von § 224 Abs. 1 StGB vorgesehenen Regelstrafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe die verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung unvertretbar milde ist. Damit ist dem maßgeblichen Erschwerungsgrund der brutalen Tatausführung gegenüber dem auf dem Boden liegenden, hoch alkoholisierten, außer Gefecht gesetzten Nebenkläger, zudem eingedenk des der Auseinandersetzung zugrunde liegenden nichtigen Anlasses, nicht ausreichend Rechnung getragen. Daran ändern auch die hier vorliegenden einfachen Milderungsgründe wie das Geständnis des Angeklagten und seine Tatspontanität nichts. Dies gilt auch, wenn man es noch als hinnehmbar ansieht, die (erneut) erlittene Untersuchungshaft in diesem Fall als weiteren Strafmilderungsgrund heranziehen zu können. Denn damit hat sich das Landgericht den Blick für die gewichtige Tatschwere verstellt. Bei einem Tatbild im - hier gegebenen - Grenzbereich zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und bewusster oder gröbster Fahrlässigkeit in Bezug auf eine mögliche Todesfolge ist ein erheblicher Unterschied im konkreten Strafmaß zwischen Verurteilungen wegen versuchten Totschlags und wegen bloßer gefährlicher Körperverletzung - wie im Fall des Todeserfolgs zwischen Verurteilungen wegen Totschlags und wegen Körperverletzung mit Todesfolge - regelmäßig nicht gerechtfertigt (vgl. BGH, Urteile vom 4. Oktober 1999 - 5 StR 712/98, BGHSt 45, 219, 227, und vom 26. Januar 2005 - 5 StR 290/04, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 59).

Ob, wie die Staatsanwaltschaft meint, bei der Bestimmung der Höhe der Strafe in diesem Falle auch generalpräventive Überlegungen hätten einfließen müssen (zur generellen Zulässigkeit vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - 4 StR 95/05, StV 2005, 387, 388 mwN), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Eine gemeinschaftsgefährdende Zunahme solcher oder ähnlicher Taten ist vom Landgericht nicht festgestellt worden; sie ist auch nicht offenkundig (vgl. dagegen Pfeiffer, Die Macht der gefühlten Kriminalität, Forschung/Gesellschaft, Centaur 2/2011, S. 14 ff.; Kriminalitätsfurcht, Strafbedürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Forschungsbericht 117, S. 145 ff.).

Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer gemäß § 74 Abs. 1 GVG, weil nunmehr die Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer nicht mehr gegeben ist. Das neue Tatgericht wird für seine Rechtsfolgenentscheidung insbesondere erneut Feststellungen zum Ausmaß der Beeinträchtigung der Hemmungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung und zur Frage einer etwa vom Angeklagten bemerkten Mitwirkung des Nebenklägers an der Eskalation des unmittelbaren Vorgeschehens zu treffen haben.