Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 11.11.2010, Az.: III ZR 57/10
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 3. März 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrechtszugs hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte bietet Telekommunikationsleistungen an. Im Mai 2007 stellte sie aufgrund eines entsprechenden Vertrags mit dem Kläger einen DSL-Anschluss her, über den dieser an seinem seinerzeitigen Wohnsitz Zugang zum Internet einschließlich Internettelefonie erhielt. Außerdem beinhaltete der Vertrag die Nutzung eines Mobiltelefons mit einem Pauschaltarif (Handy Flatrate). Der Vertrag war auf die Dauer von zwei Jahren geschlossen. Im November 2007 verzog der Kläger in eine im selben Landkreis gelegene andere Gemeinde. Dort liegen keine DSL-fähigen Leitungen, so dass die Beklagte nicht in der Lage war, am neuen Wohnort des Klägers einen DSL-Anschluss zu installieren. Nachdem sie ihm dies mit Schreiben vom 6. November 2007 mitgeteilt hatte, erklärte der Kläger unter dem 11. November 2007 die 'Sonderkündigung' des Vertrags.
Die Beklagte beansprucht dessen ungeachtet die vereinbarte monatliche Grundgebühr für die vorgesehene Laufzeit des Vertrags. Sie beauftragte mit der Einziehung von drei Monatsbeträgen nebst Zinsen ein Inkassounternehmen.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Feststellung, dass der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag durch die Kündigung zum 12. November 2007 wirksam beendet worden und er nicht verpflichtet ist, 221,52 € (drei Monatsbeträge nebst Zinsen und Kosten) zu zahlen. Ferner hat er die Verurteilung der Beklagten zum Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten beantragt. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die vom Kläger ausgesprochene Kündigung das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis nicht beendet. Der Umzug des Klägers an einen Ort, an dem die Beklagte einen DSL-Anschluss nicht herstellen könne, sei kein Grund zu einer außerordentlichen Kündigung im Sinne der §§ 314, 626 BGB. Der Wohnortwechsel gehöre allein zur Risiko- und Verantwortungssphäre des Kunden. Es sei auch nicht unzumutbar, den Kläger an dieser Zuordnung und damit am Bestehen des Vertrags festzuhalten. Er habe sich zur Eingehung einer Dauerschuldverpflichtung entschlossen, welche ihn in den Genuss einer vergleichsweise niedrigen monatlichen Pauschalgebühr unter Inkaufnahme einer längeren Laufzeit gebracht habe. Er sei dem Vortrag der Beklagten nicht entgegen getreten, dass es am Markt auch kurzfristig kündbare DSL-Anschlussverträge gebe, welche dem Flexibilitätsbedürfnis des Kunden Rechnung trügen, jedoch nur gegen Aufpreis angeboten würden. Es sei allgemein bekannt, dass die technischen Voraussetzungen für die Bereitstellung von DSL nicht überall in Deutschland gegeben seien. Der Kläger habe deshalb auch nicht erwarten können, dass die Beklagte sich habe verpflichten wollen, die DSL-Dienstleistungen allenthalben zu garantieren.
Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen sei allenfalls anzunehmen, wenn der Kunde aus unabweisbaren beruflichen Gründen zu einem Ortswechsel gezwungen sei. Hierzu habe der Kläger aber trotz entsprechenden Hinweises nichts vorgetragen.
II.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Klage ist unbegründet. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dem Kläger habe für seine Kündigung des Vertrags kein wichtiger Grund zur Seite gestanden. Das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis ist dementsprechend nicht beendet. Der Zahlungsanspruch der Beklagten ist nicht unbegründet, und schließlich kann der Kläger auch nicht Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangen.
1. a) Der Senat neigt dazu, den Vertrag, durch den sich der Anbieter von Telekommunikationsleistungen verpflichtet, einem Kunden den Zugang zum Internet herzustellen, als Dienstvertrag zu qualifizieren (Beschluss vom 23. März 2005 - III ZR 338/04 - NJW 2005, 2076). Er hat die Frage bisher offen lassen können. Auch jetzt muss sie nicht entschieden werden. Ob sich das Recht des Klägers zur außerordentlichen Kündigung des Vertrags mit der Beklagten nach § 626 BGB oder nach § 314 BGB richtet, kann auf sich beruhen. Denn die Anforderungen an einen wichtigen Grund zur Kündigung des Rechtsverhältnisses im Sinne des § 626 Abs. 1 und des § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB sind, wie sich aus dem Wortlaut der beiden Vorschriften ergibt, inhaltlich im Wesentlichen gleich.
b) Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann (z.B. BGH, Urteile vom 13. Februar 1995 - II ZR 225/93 - BGHR BGB § 626 Abs. 1 wichtiger Grund 7; vom 9. November 1992 - II ZR 234/91 - aaO wichtiger Grund 4 und vom 19. Oktober 1987 - II ZR 97/87 - aaO wichtiger Grund 1; zu § 314 BGB: BGH, Urteil vom 9. März 2010 - VI ZR 52/09 - NJW 2010, 1874 Rn. 15; siehe ferner zu § 313 BGB: BGH, Urteil vom 30. April 2009 - I ZR 42/07 - BGHZ 181, 77 Rn. 72). Dies ist im Allgemeinen nur dann anzunehmen, wenn die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2010 aaO m.w.N.). Wird der Kündigungsgrund hingegen aus Vorgängen hergeleitet, die dem Einfluss des Kündigungsgegners entzogen sind und aus der eigenen Interessensphäre des Kündigenden herrühren, rechtfertigt dies nur in Ausnahmefällen die fristlose Kündigung (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1995 - XII ZR 185/93 - ZMR 1996, 309, 311 und vom 29. November 1995 - XII ZR 230/94 - BGHR BGB § 242 Kündigung, wichtiger Grund 10 jew. zum Mietvertrag). Die Abgrenzung der Risikobereiche ergibt sich dabei aus dem Vertrag, dem Vertragszweck und den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2010 aaO m.w.N.).
Ob nach diesen Kriterien bestimmte Umstände als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung zu werten sind, hat in erster Linie der Tatrichter zu entscheiden. Die revisionsgerichtliche Kontrolle erstreckt sich allein darauf, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff des wichtigen Grunds richtig erfasst, ob es aufgrund vollständiger Sachverhaltsermittlung geurteilt und ob es in seine Wertung sämtliche Umstände des konkreten Falls einbezogen hat (z.B. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2007 - II ZR 289/06 - BGHR § 626 Abs. 1 wichtiger Grund 12; Urteil vom 24. Februar 2003 - II ZR 243/02 - ZIP 2003, 759, 760; vgl. auch Urteil vom 9. März 2010 aaO Rn. 17).
c) Nach diesen Maßstäben sind die Würdigung des Berufungsgerichts und die ihr zugrunde liegende Interessenabwägung nicht zu beanstanden.
aa) Der Gläubiger einer Dienstleistung, der die Leistung infolge Wohnsitzwechsels nicht mehr in Anspruch nehmen kann, hat zwar im Ausgangspunkt unter dem Blickwinkel der Vertragsparität ein nachvollziehbares Interesse daran, dem Leistungsanbieter kein Entgelt mehr zu entrichten. Das Berufungsgericht ist jedoch in Übereinstimmung mit der zuvor zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zutreffend davon ausgegangen, dass der Kunde, der einen längerfristigen Vertrag über die Erbringung einer Dienstleistung abschließt, grundsätzlich das Risiko trägt, diese aufgrund einer Veränderung seiner persönlichen Verhältnisse nicht mehr nutzen zu können. Dementsprechend stellt ein Umzug, etwa aus familiärer oder beruflicher Veranlassung, prinzipiell keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB dar (so für einen Telefonfestnetzvertrag LG München I ZGS 2008, 357, 360; a.A. AG Ulm BeckRS 2008, 22785). Die Gründe für einen solchen Wohnsitzwechsel des Dienstberechtigten liegen allein in dessen Sphäre und sind von dem Anbieter der Leistung nicht beeinflussbar.
bb) Zutreffend ist auch die auf den konkreten Vertrag bezogene weitere Erwägung des Berufungsgerichts, dass die relativ lange, an die Grenze des nach § 309 Nr. 9 Buchst. b BGB in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Zulässigen gehende Vertragslaufzeit von zwei Jahren die wirtschaftliche 'Gegenleistung' des Klägers für einen niedrigeren monatlichen Grundpreis war und auch ein Vertragsschluss mit kürzerer Laufzeit oder monatlicher Kündbarkeit zu höheren Kosten möglich gewesen wäre. Hieraus ergibt sich, dass auch nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag das Risiko der Verwendbarkeit des DSL-Anschlusses während der vereinbarten Laufzeit beim Kläger liegt, denn dieser hat um seines pekuniären Vorteils Willen die vergleichsweise lange Vertragsdauer in Kauf genommen.
cc) In diesem Zusammenhang ist in die Interessenabwägung weiter einzustellen, dass bei der Beklagten, wie sie mit Schriftsatz vom 23. September 2008 unwidersprochen vorgetragen hat, mit der Bereitstellung des DSL-Anschlusses erhebliche Kosten, insbesondere für die Überlassung von Geräten (Router, WLAN-Stick), anfallen, die sich infolge der geringen monatlichen Grundgebühren regelmäßig erst während des zweiten Vertragsjahrs rechnen. Der Beklagten ist es nicht zuzumuten, aufgrund von allein aus der Sphäre des Kunden stammenden Umständen auf die Amortisation ihrer Anfangskosten zu verzichten. Gleiches gilt für den während der vereinbarten Mindestlaufzeit kalkulierten Gewinn, den sie anschließend erzielen kann und auf den sie vertrauen darf. Andererseits wird der Kläger durch die Fortentrichtung der moderaten monatlichen Grundbeträge nicht in wirtschaftlich unzumutbarer Weise belastet. Dies gilt umso mehr, als er mit dem Gebrauch des Mobiltelefons die der Beklagten obliegende Leistung teilweise auch weiterhin in Anspruch nehmen kann.
dd) Nicht zu beanstanden ist auch die weitere zulasten des Klägers in die Abwägung einbezogene Überlegung des Berufungsgerichts, es sei allgemein bekannt, dass nicht an jedem beliebigen Ort in Deutschland die technischen Voraussetzungen für DSL-Anschlüsse erfüllt sind. Damit hat der Kläger gewusst, zumindest aber damit rechnen können und müssen, dass bei einem Umzug nicht gewährleistet war, dass die Beklagte imstande sein würde, auch an dem neuen Wohnort ihre Leistung zu erfüllen. Somit hat der Kläger in - ihm zumindest möglicher - Kenntnis der Umstände das Risiko übernommen, dass bei einem Wohnortwechsel während der von ihm in Kauf genommenen längeren Mindestvertragslaufzeit die Vertragserfüllung aus in seiner Sphäre liegenden Umständen unmöglich werden würde.
Die zu diesem Punkt erhobenen Rügen der Revision sind unbegründet. Sie meint, entscheidend seien - die zum Nachteil der Beklagten zu beantwortenden - Fragen, ob der Kunde, der im selben Landkreis innerhalb einer relativ geringen Entfernung umziehe, damit rechnen müsse, dass am neuen Wohnort ein DSL-Anschluss nicht verfügbar sei, und ob die Beklagte verpflichtet sei, ihre Kunden darauf hinzuweisen, dass sie eine allenthalben vorhandene Leistungsverfügbarkeit nicht garantieren könne. Ist, wovon nach den insoweit von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts auszugehen ist, zumindest bei Kunden, die sich, wie der Kläger, für einen DSL-Anschluss interessieren, allgemein bekannt, dass diese Technik in Deutschland noch nicht allerorten verfügbar ist, muss ein Anschlussinhaber gewärtigen, dass auch bei einem Umzug innerhalb desselben Landkreises am neuen Wohnort die DSL-Technik noch nicht nutzbar ist. Ob dies der Fall ist, hängt von den vorhandenen Leitungen ab, deren Verlegung sich, womit auch der Kunde rechnen kann, nicht an den kommunalen Grenzen orientiert, sondern an den jeweiligen technischen und geografischen Gegebenheiten. Die Revision hat auch keinen übergangenen Sachvortrag des Klägers aufgezeigt, wonach der die Beklagte über die Verfügbarkeit der DSL-Technik falsch oder unzureichend unterrichtet hat.
2. Ein Kündigungsrecht des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage). Auch bei Anwendung des § 313 BGB ist zu beachten, dass grundsätzlich jede Partei ihre aus dem Vertrag ersichtlichen Risiken selbst trägt (BGH, Urteil vom 30. April 2009 - I ZR 42/07 - BGHZ 181, 77 Rn. 71). Insbesondere kann derjenige, der die entscheidende Änderung der Verhältnisse, wie hier den Umzug, selbst bewirkt hat, aufgrund dieser Änderung keine Rechte herleiten (BGH aaO). Umstände, die ausnahmsweise ein Abweichen von diesen Grundsätzen rechtfertigen könnten, bestehen aus den vorstehenden Gründen nicht.
3. Der Kläger ist auch dann zur Entrichtung der verlangten monatlichen Grundgebühren verpflichtet, wenn man dafür hielte, der Beklagten sei die ihr obliegende Leistung infolge des Umzugs des Klägers (teilweise) unmöglich geworden, so dass dessen Anspruch aus dem Vertrag gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen wäre. Die Beklagte behielte ihren Anspruch auf die Gegenleistung jedenfalls gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB. Aus diesem Grunde ist die Klage auch insoweit unbegründet, als der Kläger die Feststellung verlangt, er sei zur Entrichtung der drei von der Beklagten über das Inkassounternehmen geltend gemachten Monatsbeträge einschließlich Nebenkosten nicht verpflichtet. Gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Schuldner, der von seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB frei wird, die Gegenleistung weiterhin verlangen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der zum Fortfall der Leistungspflicht führt, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Die Verantwortlichkeit des Gläubigers kann sich nicht nur aus Verstößen gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten (§ 276 BGB) ergeben, sondern auch daraus, dass er nach der vertraglichen Risikoverteilung die Gefahr für ein bestimmtes Leistungshindernis übernommen hat (so bereits zu § 324 BGB a.F. Senatsurteil vom 18. Oktober 2001 - III ZR 265/00 - NJW 2002, 595 m.w.N.; weiterhin Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 326 Rn. 9; Bamberger/Roth/Grothe, BGB, 2. Aufl., § 326 Rn. 14). Der Umzug des Klägers, der zum Fortfall der Leistungspflicht der Beklagten geführt hat, fällt aus den oben angeführten Gründen in seine vertragliche Risikosphäre.
Die Höhe der von der Beklagten geltend gemachten Forderungen begegnet keinen Bedenken. Auch die Revision erhebt insoweit keine Rügen.
4. Schließlich kann der Kläger auch nicht Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangen (§ 280 Abs. 1 BGB), da die Beklagte mit der Geltendmachung ihres Rechtsstandpunkts keine Pflichten aus dem Vertragsverhältnis verletzt hat.
Schlick Dörr Herrmann Seiters Tombrink Vorinstanzen:
AG Montabaur, Entscheidung vom 02.10.2009 - 15 C 443/08 -
LG Koblenz, Entscheidung vom 03.03.2010 - 12 S 216/09 -