Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 26.02.2009, Az.: 5 STR 572/08
Entscheidungsgründe
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen versuchten Raubes und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unterlassener Hilfeleistung, zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten, den Angeklagten H. S. wegen gefährlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung (in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen) und Unterschlagung - unter Freisprechung im Übrigen - ebenfalls zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 2007 tranken die Angeklagten, die u. a. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung rechtskräftig verurteilten bisherigen Mitangeklagten I. (verurteilt zu fünf Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe) und M. S. (verurteilt zu sieben Jahren und vier Monaten Freiheitsstrafe und Unterbringung nach § 64 StGB) sowie der Nebenkläger K. im Übermaß Alkohol. Während die Angeklagten und die Mitverurteilten in ihrer Steuerungsfähigkeit deshalb erheblich eingeschränkt waren, war der Nebenkläger stark betrunken und weitgehend hilflos. Auf dem Nachhauseweg versuchten G. und I., den Nebenkläger zu berauben. Anschließend schlugen und traten sie gemeinsam mit H. S. den Nebenkläger gegen Kopf und Oberkörper. H. S. eignete sich dem erheblich verletzten, blutenden Opfer zur weiteren Demütigung ausgezogene Sportschuhe an. G., der erkannte, dass dem Nebenkläger trotz seines Zustandes gegenwärtig war, wer ihm die Verletzungen beigebracht hatte, sagte zu den anderen sinngemäß: "Der hat alles mitgekriegt, der muss weg, ich habe keine Lust, ins Gefängnis zu gehen!" (UA S. 25).
Die vier jungen Männer brachten den Nebenkläger zu seiner Wohnung. H. S. zog den vor seiner Wohnungstür fallen gelassenen Nebenkläger in das Wohnzimmer, "wo dieser in die Ecke kroch, in der er völlig apathisch liegen blieb" (UA S. 25). M. S., der sich zur Tötung des Nebenklägers entschlossen hatte, um ihn als Zeugen vorangegangener Straftaten auszuschließen, äußerte daraufhin gegenüber den anderen: "Nun fangt mal an, ihr habt doch so eine große Klappe gehabt" (UA S. 25). Mit ihm waren G. und auch I. spätestens jetzt zur Tötung entschlossen, um den Nebenkläger als Zeugen auszuschalten. H. S. war nach Feststellung der Jugendkammer einverstanden, den Nebenkläger durch weitere Körperverletzungen zu erniedrigen und zu quälen, "jedoch ging er nicht davon aus, dass K. nunmehr zu Tode gebracht werden sollte, und war damit auch nicht einverstanden" (UA S. 25).
Durch seine vorangegangene Äußerung in "Zugzwang" gesetzt, bildete G. mit seinem Ledergürtel eine Schlaufe. Als er dennoch den Gürtel nicht um den Hals des Nebenklägers legte, nahm M. S. den Gürtel und strangulierte den Nebenkläger im Einverständnis mit G. und I. mit Tötungsvorsatz. Als der Gürtel riss, nahm M. S. einen Schal, drosselte den Nebenkläger wiederum und zerrte diesen auf dem Fußboden einige Meter durch die Wohnung, bis der Nebenkläger im Gesicht rot anzulaufen begann und erkennbar keine Luft mehr bekam.
I. war mit dem Geschehen nun nicht mehr einverstanden. Auf seine Aufforderung ließ M. S. zunächst von einer weiteren Strangulation ab, H. S. lockerte den Schal, "um dem Opfer ein unbedrängtes Atmen zu ermöglichen" (UA S. 26), und G. nahm den Schal ganz ab.
Nach einer Pause, während deren Dauer von mindestens fünf Minuten die jungen Männer rauchend um ihr am Boden liegendes Opfer herumstanden, versuchte G., aus der Wohnung zu flüchten, was ihm aber wegen einer Verkantung des Schlosses der Wohnungseingangstür nicht gelang. I. entschloss sich nunmehr, die Tötung des Nebenklägers doch zu vollenden, um ihn als Zeugen auszuschalten, strangulierte ihn mit aller Kraft mit dem Schal, bis er ihn für tot hielt, und versetzte ihm dann noch wenigstens zwei massive Fußtritte gegen den Kehlkopf. M. S. brachte dem Opfer sodann, als er noch Lebenszeichen bei ihm bemerkte, mit einem Küchenmesser mit einer 20 cm langen Klinge zwei tiefe Schnittwunden an der Kehle bei, um dessen Tod sicher herbeizuführen.
G. hatte vom Flur aus die Angriffe des I. gesehen, aber nichts unternommen, um ihn davon abzuhalten, obgleich er erkannte, dass der Nebenkläger Hilfe benötigte. H. S. beobachtete das gesamte Vorgehen von I. und M. S., war dabei aber nach Auffassung der Jugendkammer lediglich mit Körperverletzungen einverstanden, nicht aber mit der Tötung des Nebenklägers. Dieser überlebte trotz der ihm zugefügten lebensgefährlichen Verletzungen.
2. Mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen greift die Staatsanwaltschaft lediglich die Beurteilung des Tatgeschehens in der Wohnung des Nebenklägers bei den Angeklagten G. und H. S. an. Sie erstrebt insoweit auch deren Verurteilung wegen versuchten Mordes. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
Das angefochtene Urteil leidet an einem unauflöslichen Widerspruch. Die Jugendkammer sieht einerseits aufgrund der mindestens fünf Minuten währenden Pause zwischen dem abgebrochenen Drosselvorgang und dem unmittelbar durch die beiden rechtskräftig Verurteilten ausgeführten Tötungsversuch eine Zäsur, vor der sie einen Rücktritt vom unbeendeten Tötungsversuch und nach der sie einen neuen Tötungsentschluss annimmt. Andererseits beurteilt sie die Tathergänge in der Wohnung des Nebenklägers ohne ersichtliche Einschränkung als tateinheitlich.
1. Dies hat sich jedenfalls unmittelbar zum Vorteil des Angeklagten G. ausgewirkt. Angesichts des durchgängigen Tötungsmotivs und des engen zeitlichen Zusammenhanges liegt die Annahme einer einheitlichen Tötung deutlich näher. Jedenfalls bei dieser Betrachtungsweise scheidet ein strafbefreiender Rücktritt des Angeklagten G. aus, der den gemeinschaftlichen Tötungsentschluss bei den Mittätern sogar initiiert hatte. Denn die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 StGB liegen schon mangels jeglichen Versuchs der Verhinderung der Vollendung der gemeinschaftlichen Tötung offensichtlich nicht vor. G. wäre demnach - im Ergebnis nicht anders als die rechtskräftig Verurteilten - wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu verurteilen gewesen.
2. Bei abweichender Beurteilung und Zubilligung eines Rücktritts vom Versuch hätte das Landgericht das Vorliegen eines anschließend verübten - tatmehrheitlich - versuchten Tötungsdelikts durch Unterlassen bei dem Angeklagten G. nicht verneinen dürfen.
a) Zu Unrecht geht das Landgericht davon aus, dass dieser Angeklagte keine Garantenstellung hatte. Beteiligen sich nämlich mehrere an noch nicht einmal lebensgefährlichen Misshandlungen eines Opfers und zielen die weiteren Tathandlungen eines Tatgenossen auf die Tötung des Opfers ab, so kann ein lediglich zuvor an den Gewalttätigkeiten Beteiligter nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtlich als Garant mit der Folge der Verpflichtung zur Abwendung des drohenden Tötungserfolges anzusehen sein (BGH NStZ 1985, 24; NJW 1999, 69, 71 f.; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7), wenn durch sein Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolges besteht (BGH NStZ 1998, 83, 84; 2004, 89, 91; NStZ-RR 1997, 292, 293). Dies kann dadurch bewirkt werden, dass der zur Tötung des Opfers bereite Tatgenosse durch die übrigen Tatbeteiligten in seinen, die Misshandlung des Opfers übersteigenden und nunmehr auf dessen Tötung gerichteten Handlungen bestärkt wird (BGH NStZ 1992, 31; NJW 1999 aaO; NStZ 2000, 583).
b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegt nach den Feststellungen des Landgerichts - auch hinsichtlich aller subjektiven Voraussetzungen - eine Garantenstellung des Angeklagten G. auf der Hand: Dieser sah vom Flur aus die Angriffe des I. gegen den Hals des Nebenklägers. Er hielt es für möglich, dass der Nebenkläger noch lebte, unternahm aber nichts, um I. von seinem Tun abzuhalten, obwohl es ihm möglich war. Zuvor hatte er wesentlich zur Eskalierung des Tatgeschehens beigetragen, da er sich schon im Laufe der Nacht an verschiedenen Orten an den Misshandlungen des Nebenklägers beteiligt, den ersten Ansatz zu dessen Tötung in der Wohnung initiiert und daran aktiv mitgewirkt hatte. I.s Bestärkung hierdurch wird durch seine vom Landgericht festgestellte Äußerung zu Beginn des erneuten Strangulierens: "Gebt her, ihr kriegt das ja nicht hin" (UA S. 27), hinreichend deutlich belegt. Dass G. nach seiner Vorstellung keine Möglichkeit zu wirksamer Einflussnahme auf seine bisherigen Mittäter gehabt hätte, hat das Landgericht - wie dessen Schuldspruch wegen unterlassener Hilfeleistung beweist - nicht angenommen und liegt auch sonst gänzlich fern.
3. Hinsichtlich der Verantwortung als Unterlassungstäter gälte für den Angeklagten H. S. nichts anderes. Auch er war an den Gewalthandlungen gegenüber dem Nebenkläger im Vorfeld beteiligt. Während des ersten Tötungsanlaufs war er mit weiteren Gewalthandlungen einverstanden gewesen.
Abgesehen davon liegt - weitergehend - in der Sache gänzlich fern, dass der Angeklagte H. S., der das gesamte Geschehen verfolgte und eingestandenermaßen mit weiteren gemeinsamen Gewalthandlungen zum Nachteil des Nebenklägers einverstanden war, hierbei ungeachtet der von den Mittätern offen ausgesprochenen Tötungsmotivation und der bemerkten konkreten gegen das Opfer angewendeten Gewalt dessen Tötung nicht mindestens billigend in Kauf genommen hat. Da es insoweit an jeglicher nachvollziehbarer Begründung fehlt, ist die Verneinung des Tötungsvorsatzes bei H. S. nur auf eine nicht tragfähige Unterstellung von dessen eingeschränkten Vorstellungen zurückzuführen; sie kann daher keinen Bestand haben.
Die Aufhebung der von der widersprüchlichen und lückenhaften Beurteilung betroffenen Schuldsprüche zu den Taten in der Wohnung des Nebenklägers gegen die beiden Angeklagten, gegen die sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft richten, berührt nicht die rechtsfehlerfrei weitgehend aufgrund der Geständnisse der Angeklagten getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatablauf; sie bleiben aufrechterhalten. Das neue Tatgericht wird lediglich die bislang widersprüchlich beurteilte Frage einer relevanten Zäsur zwischen den Tatabschnitten neu bewerten und bei dem Angeklagten H. S. insgesamt sowie bei dem Angeklagten G. für den Fall der Annahme einer Zäsur für den zweiten Tatabschnitt Feststellungen zu Tötungsvorsatz und -motiv zu treffen haben.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten und zu ihrer Schuldfähigkeit sind ebenfalls rechtsfehlerfrei getroffen und bleiben aufrechterhalten. Danach erweisen sich für beide Angeklagte die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit einschließlich der Verneinung der Voraussetzungen des § 64 StGB und die Anwendung von Jugendstrafrecht als nicht beanstandenswert; dies ist für das neue Tatgericht, das folgerichtig nunmehr keinen Sachverständigen mehr hinzuzuziehen haben wird, verbindlich. Da eine maßgeblich mildere Beurteilung als die bisherige bei beiden Angeklagten aus Rechtsgründen ausscheidet, hat es bei der Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld, bei H. S. auch wegen schädlicher Neigungen zu verbleiben. Das neue Tatgericht hat lediglich über deren Höhe nach Maßgabe des von ihm gefundenen Schuldspruchs neu zu befinden. Selbst bei Annahme gemeinschaftlich versuchten Mordes werden mildere Sanktionen als bei den rechtskräftig abgeurteilten, insoweit deutlich aktiver an dem Tatgeschehen beteiligten Mitangeklagten nahe liegen. Neben den notwendigen wenigen neuen Feststellungen zum Schuldspruch dürfen dem erneuten Urteil neue Feststellungen allenfalls zugrunde gelegt werden, wenn sie den bisher getroffenen aufrechterhaltenen Feststellungen nicht widersprechen.