Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 08.07.1980, Az.: 5 STR 686/79
Tenor
Hat das Amtsgericht den Betroffenen darauf hingewiesen, daà die im BuÃgeldbescheid bezeichnete Tat als Straftat gewürdigt werden könne, so kann er seinen Einspruch gegen diesen BuÃgeldbescheid nicht mehr zurücknehmen.
Entscheidungsgründe
Die Verwaltungsbehörde hatte gegen den Angeklagten wegen Nichtbeachtens der Vorfahrt gegenüber einem Radfahrer eine GeldbuÃe von 145,00 DM festgesetzt. Hiergegen legte der Angeklagte frist- und formgerecht Einspruch ein. Die Staatsanwaltschaft beantragte darauf beim Amtsgericht Feine, vom BuÃgeldverfahren in das Strafverfahren überzugehen, und bejahte das besondere öffentliche Interesse an der Verfolgung der Tat als fahrlässige Körperverletzung. Das Amtsgericht wies den Angeklagten mit der Ladung zur Hauptverhandlung darauf hin, daà das Verfahren nunmehr unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer fahrlässigen Körperverletzung geführt werde. Darauf nahm der Angeklagte den Einspruch vor der Hauptverhandlung zurück. Das Amtsgericht führte das Verfahren zunächst nicht weiter. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft stellte das Landgericht Hildesheim mit Beschluà vom 16. März 1979 fest, daà das Strafverfahren durch die Rücknahme des Einspruchs nicht erledigt und somit fortzuführen sei. Das Amtsgericht setzte nunmehr einen neuen Termin zur Hauptverhandlung an. Es verurteilte den Angeklagten am 4. Mai 1979 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von sechs Tagessätzen zu je 30,00 DM.
Der Angeklagte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt und sie mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Er macht mit der Verfahrensbeschwerde geltend, das Amtsgericht hätte das Verfahren nicht fortsetzen und ihn nicht verurteilen dürfen, weil er den Einspruch wirksam zurückgenommen habe und der BuÃgeldbescheid damit rechtskräftig geworden sei. Das Oberlandesgericht Celle hält diese Rüge für begründet und möchte deshalb der Revision stattgeben. Es sieht sich daran jedoch durch das Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 23. Januar 1975 - RReg 2 St 1/75 - (BayObLGSt 1975, 4 = MDR 1975, 515 - JR 1976, 209 mit Anm. Göhler = VRS 48, 448) gehindert. Das Bayerische Oberste Landesgericht vertritt dort die Ansicht, daà die Rücknahme des Einspruchs gegen einen BuÃgeldbescheid nach dem Ãbergang in das Strafverfahren nicht mehr zulässig sei und daher die Verurteilung des Angeklagten wegen einer Straftat in demselben Verfahren nicht hindern könne.
Das Oberlandesgericht Celle hat deshalb die Sache. dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Frage vorgelegt:Kann der Einspruch gegen einen BuÃgeldbescheid noch wirksam zurückgenommen werden, nachdem das BuÃgeldverfahren durch Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes gemäà § 81 Abs. 2 OWiG in ein Strafverfahren übergeleitet worden ist?
Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 GVG für die Vorlage sind gegeben. Das Oberlandesgericht Celle würde sich mit der beabsichtigten Entscheidung sowohl zu dem genannten Urteil als auch zu dem Beschluà des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 5. Oktober 1977 - RReg 2 St 303/77 - (BayObLGSt 1977, 161 = Rpfleger 1978, 27 - VRS 54, 294) in Widerspruch setzen, der die angeführte Ansicht bestätigt hat. Daà das Oberlandesgericht Celle über eine Sprungrevision nach § 335 StPO zu entscheiden hat, die in § 121 Abs. 2 GVG nicht besonders erwähnt ist, berührt die Vorlagepflicht nicht (BGHSt 2, 63, 64, 65).
Der Senat schlieÃt sich der Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts an.
Nach § 71 OWiG richtet sich das Verfahren nach zulässigem Einspruch, soweit das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten nichts anderes bestimmt, nach den Vorschriften der StrafprozeÃordnung, die nach zulässigem Einspruch gegen einen Strafbefehl gelten, also u.a. nach den §§ 411, 412 StPO. Diese Verweisung gilt aber nur für das BuÃgeldverfahren. Es endet mit dem Ãbergang in das Strafverfahren, der durch den Hinweis des Gerichts auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes bewirkt wird (§ 81 OWiG). Mit diesem Hinweis erhält der Betroffene die Stellung eines Angeklagten (§ 81 Abs. 2 Satz 2 OWiG). Dabei ersetzt der BuÃgeldbescheid mit der darin enthaltenen Beschuldigung, welche die Staatsanwaltschaft durch Vorlage der Akten an den Richter beim Amtsgericht (§ 69 Abs. 1 Satz 1 OWiG) aufrechterhalten hat, und mit der in dem Hinweis bekanntgegebenen abweichenden rechtlichen Würdigung den hier fehlenden EröffnungsbeschluÃ.
Die Stellung des Angeklagten in diesem Verfahren ist nicht zu vergleichen mit der eines Angeklagten, der gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt hat. Der Strafbefehl ergeht auf Antrag der Staatsanwaltschaft zwar in einem "summarischen Verfahren" (BVerfGE 3, 248, 253), jedoch auf Grund einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch das Gericht (§§ 407, 408 StPO). Er enthält einen strafrechtlichen Schuldspruch und setzt eine strafrechtliche Rechtsfolge gegen den Beschuldigten fest. Erhebt dieser nicht rechtzeitig Einspruch oder nimmt er den Einspruch zurück, so erlangt der Strafbefehl die Wirkung eines rechtskräftigen Strafurteils (§ 410 StPO). Der Angeklagte kann durch die Rücknahme des Einspruchs, die nach den §§ 411 Abs. 3, 303 StPO bis zur Verkündung des Urteils, nach Beginn der Hauptverhandlung allerdings nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft zulässig ist, ein ihn schlechter stellendes Urteil (§ 411 Abs. 4 StPO) vermeiden, sich der strafrechtlichen Ahndung der Tat aber nicht entziehen. Er wird mit der Rücknahme des Einspruchs zum Verurteilten. Dagegen wird der BuÃgeldbescheid ohne gerichtliche Prüfung von der Verwaltungsbehörde erlassen. Er beurteilt die Tat nur unter dem Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit und setzt lediglich GeldbuÃe und gegebenenfalls die im Ordnungswidrigkeitenrecht vorgesehenen Nebenfolgen fest. Der BuÃgeldbescheid ist kein Straferkenntnis. Seine Rechtskraft schlieÃt nur die erneute Verfolgung der Tat als Ordnungswidrigkeit aus, steht aber ihrer Verfolgung als Straftat nicht entgegen (§ 84 OWiG).
Wenn das Gericht das BuÃgeldverfahren nach zulässigem Einspruch in das Strafverfahren überleitet (§ 81 OWiG), gibt es damit zu erkennen, daà es sich nicht mit der vom Betroffenen angestrebten Ãberprüfung des BuÃgeldbescheides nach Ordnungswidrigkeitenrecht begnügen, sondern die Tat umfassend auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten würdigen wird. Der Betroffene kann die Ãberleitung nicht anfechten. Er wird mit dem Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes zum Angeklagten und muà als solcher sich dem Verfahren stellen. Seine prozessuale Lage ähnelt der eines Angeklagten, gegen den die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl beantragt, der Richter jedoch Hauptverhandlung anberaumt hat (§ 408 Abs. 2 StPO). Die Vorschriften der StrafprozeÃordnungüber das Verfahren nach zulässigem Einspruch gegen einen Strafbefehl passen auf dieses Verfahren nicht. Das ist für § 412 StPO offensichtlich, gilt aber auch für § 411 StPO. Die StrafprozeÃordnung läÃt es auch sonst nicht zu, daà ein Angeklagter durch einseitige Erklärung aus dem Verfahren ausscheidet, bevor ein Urteil oder ein ihm gleichstehendes gerichtliches Erkenntnis gegen ihn ergangen ist.
Diese Auffassung entspricht auch dem mit den §§ 81 ff OWiG angestrebten Ziel, die Tat unter den Gesichtspunkten einer Straftat und einer Ordnungswidrigkeit in ein und demselben Verfahren zu beurteilen; sie dient zugleich einer zügigen Erledigung der Sache. Würde der Angeklagte den Einspruch gegen den BuÃgeldbescheid auch nach dem Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes nach § 81 OWiG zurücknehmen können, müÃte die Staatsanwaltschaft ein neues Verfahren gegen ihn einleiten, dem die Rechtskraft des BuÃgeldbescheides nicht entgegenstände (§ 84 OWiG). Der damit verbundene Mehraufwand an Zeit und Mühe würde nicht durch schutzwürdige Belange des Angeklagten gerechtfertigt. Sein Interesse an einer wirksamen Verteidigung ist beim Ãbergang in das Strafverfahren vor der Hauptverhandlung schon durch die Vorschrift über die Ladungsfrist (§ 217 StPO) und bei einer Ãberleitung in der Hauptverhandlung schon durch die Vorschriften über die Anwesenheitspflicht (§ 230 StPO) und über sein Recht, die Unterbrechung der Hauptverhandlung zu verlangen (§ 81 Abs. 2 Satz 3 und 4 OWiG), ausreichend gewahrt.
Deshalb kann der Betroffene nach dem Hinweis, daà die im BuÃgeldbescheid bezeichnete Tat als Straftat gewürdigt werden könne, seinen Einspruch gegen diesen BuÃgeldbescheid nicht mehr zurücknehmen.
Der Senat hatte nicht darüber zu entscheiden, ob und wie lange in einem Verfahren, das Ordnungswidrigkeiten und Straftaten zum Gegenstand hat (§ 83 OWiG), der Angeklagte seinen Einspruch gegen einen BuÃgeldbescheid zurücknehmen kann, der ausschlieÃlich Taten betrifft, die als Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, zu beschlieÃen: Der Einspruch gegen einen BuÃgeldbescheid kann nach der Ãberleitung des BuÃgeldverfahrens in ein Strafverfahren durch einen Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes nach § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG bis zum Beginn der Hauptverhandlung ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft zurückgenommen werden.