Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 23.05.1975, Az.: I ZR 39/74
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. März 1974 im Kostenpunkt und teilweise hinsichtlich der Entscheidung zur Sache aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefaßt:
Unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin im übrigen wird das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Koblenz vom 1. März 1972 teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zum Betrage von 500.000,00 Deutsche Mark oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, es zu unterlassen,
Kunden der Klägerin die unrichtige Auskunft zu erteilen, diese könnten mit ihr, der Beklagten, einen Vertrag über die Aufstellung eines Softeis-Automaten und den Vertrieb der damit produzierten Erzeugnisse ohne Verletzung ihrer vertraglichen Bindung an die Klägerin abschließen, wenn der Beklagten zwar das Bestehen vertraglicher Beziehungen zwischen den Kunden und der Klägerin, aber keine Einzelheiten über den Inhalt der Verträge bekannt sind.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand
Die Klägerin beliefert u.a. Einzelhändler mit ihren abgepackten Speiseeiserzeugnissen und stellt ihnen zur Lagerung eine Tiefkühltruhe kostenlos zur Verfügung.
Die Beklagte liefert Eisgrundstoffe und stellt ihren Kunden das zur Zubereitung von Softeis erforderliche Gerät kostenlos zur Verfügung.
Die Klägerin hatte mit dem Bäcker Manfred O. in K. für die Zeit vom 1. Januar 1968 bis 31. Dezember 1969 einen Vertrag über die Abnahme ihrer Speiseeiserzeugnisse geschlossen, wonach O. sich u.a. verpflichtet hatte, in seiner Verkaufsstelle an Speiseeis und speiseeisähnlichen Erzeugnissen nur Produkte der Klägerin zu verkaufen.
Am 12. Juni 1969 schlossen die Vertreter D. und Wenzel für die Beklagte einen Vertrag mit O. über die Abnahme von Eispulver und die Aufstellung eines Gerätes zur Herstellung von Speiseeis. Was im einzelnen vor dem Abschluß des Vertrages zwischen den Vertretern der Beklagten und O. besprochen worden ist, ist unter den Parteien streitig.
Die Klägerin hat behauptet, O. habe auf das Angebot der Vertreter der Beklagten darauf hingewiesen, daß er für den Eisverkauf bereits vertraglich an die Klägerin gebunden sei und nicht wisse, ob er noch mit einer anderen Firma abschließen dürfe. Da der Vertrag mit der Klägerin nicht greifbar gewesen sei, habe er deswegen die Vertreter befragt. Diese hätten, obwohl ihnen die ausschließliche Bindung von O. an die Klägerin bekannt gewesen sei, wahrheitswidrig versichert, er dürfe den Vertrag mit der Beklagten bedenkenfrei abschließen und mehrere Eissorten führen.
Die Beklagte hat bestritten, daß ihren Vertretern die Ausschließlichkeitsbindung bekannt gewesen sei, und hat behauptet, die Klägerin schließe mit ihren Kunden nicht nur Verträge mit Ausschließlichkeitsbindung ab. In vielen Fällen würden von den Kunden der Klägerin vielmehr gleichzeitig auch andere Eissorten geführt. Sie hat ferner bestritten, daß ihre Vertreter die vertragliche Bindung an die Klägerin als unerheblich hingestellt hätten.
Die Klägerin sieht in dem Vorgehen der Vertreter der Beklagten eine unlautere Wettbewerbshandlung, die sich die Beklagte zurechnen lassen müsse; da die Beklagte es abgelehnt habe, sich für den Fall weiterer Zuwiderhandlungen einer Vertragsstrafe zu unterwerfen, bestehe auch die Wiederholungsgefahr.
Die Klägerin hat, nachdem ihre Klage vom Landgericht abgewiesen worden war, im zweiten Rechtszug beantragt:die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung einer vom Gericht für Jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Geldstrafe in unbeschränkter Höhe oder Haftstrafe bis zu 6 Monaten zu unterlassen, auf Kunden der Klägerin, die mit dieser Verträge über den ausschließlichen Bezug von Eiscreme und/oder Tiefkühlwaren abgeschlossen haben, während der Gültigkeit dieser Verträge, in Kenntnis dessen, daß vertragliche Bindungen nicht im einzelnen bekannten Inhalts zwischen den Kunden und der Klägerin bestehen, in der Weise einzuwirken, daß diese Kunden von der Beklagten Softeisautomaten aufstellen lassen und den Vertrieb des darin produzierten Softeises übernehmen, ohne daß sich zuvor die Beklagte durch Rückfrage bei der Klägerin oder Einsichtnahme in die vertraglichen Abmachungen zwischen den Kunden und der Klägerin darüber Gewißheit verschafft hat, daß solche vertraglichen Abmachungen nicht entgegenstehen,
hilfsweise,es zu unterlassen,auf Kunden der Klägerin, die mit dieser Verträge über den ausschließlichen Bezug von Eiscreme und/oder Tiefkühlwaren abgeschlossen haben, während der Gültigkeit und in Kenntnis dieser Verträge in der Weise einzuwirken, daß diese Kunden von der Beklagten Softeisautomaten aufstellen und den Vertrieb des darin produzierten Softeises übernehmen sollen,
ganz hilfsweise,es zu unterlassen,auf Kunden der Klägerin, die mit dieser Verträge über den ausschließlichen Bezug von Eiscreme und/oder Tiefkühlwaren abgeschlossen haben, während der Gültigkeit dieser Verträge, unter bewußtem Inkaufnehmen des Bestehens solcher Verträge, in der Weise einzuwirken, daß diese Kunden von der Beklagten Softeisautomaten aufstellen lassen und den Vertrieb des darin produzierten Softeises übernehmen.
Das Oberlandesgericht hat der Klage nach dem Hauptantrag stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt; die Klägerin bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.Das Berufungsgericht läßt offen, ob die Vertreter der Beklagten vorsätzlich oder bedingt vorsätzlich den Bäckermeister Ochtendung zum Vertragsbruch verleitet hätten. Jedenfalls hätten die Vertreter der Beklagten den Vertragsbruch in wettbewerbswidriger Weise ausgenutzt. Im einzelnen führt das Berufungsgericht aus, nach dem Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz habe O. bei den Verhandlungen mit ihren Vertretern am 12. Juni 1969, wenn auch nur beiläufig, so doch erwähnt, daß er schon einen Vertrag über Fertigeis mit der Klägerin habe, der aber nicht greifbar sei. O. habe den Vertreter D, sodann gefragt, ob er mit der Beklagten noch abschließen könne, wenn er an die Klägerin gebunden sei. Wenn D. daraufhin die Frage des O. mit dem Hinweis bejaht habe, daß viele Eisverkäufer zugleich Eis von anderen Firmen vertreiben würden, und deshalb auch O. verschiedene Eissorten verkaufen könne, liege entgegen der Meinung der Beklagten gerade darin der Vorwurf grobfahrlässigen wettbewerbswidrigen Verhaltens begründet. Aus der Formulierung der Frage des O., insbesondere aus der Formulierung, ob er "noch" mit einer weiteren Firma abschließen dürfe, wenn er bereits an die Klägerin vertraglich gebunden sei, ergebe sich eindeutig, daß die Bedenken des O. aus einer für möglich gehaltenen Ausschließlichkeitsbindung an die Klägerin herrührten. Der Gesamtzusammenhang ergebe deutlich genug, daß O. damit gerechnet habe, durch den Inhalt des im Augenblick nicht greifbaren Vertrages mit der Klägerin sei der Abschluß eines Vertrages mit einer anderen Firma über Eiserzeugnisse untersagt. Es sei aus dem Zusammenhang auch für den Vertreter D. ganz eindeutig gewesen, daß es sich hier nicht um die allgemeine Frage gehandelt habe, ob noch weitere Verträge abgeschlossen werden dürften, sondern daß diese Bedenken gerade wegen des Inhalts des Vertrages mit der Klägerin seitens des O. erhoben worden seien. Wenn der Vertreter gleichwohl geäußert habe, der Abschluß des Vertrages sei zulässig, ohne sich näher über den Inhalt des Vertrages mit der Klägerin zu informieren, so könne dies zumindest nur unter leichtfertigster Verdrängung des Gedankens, daß eine Ausschließlichkeitsbindung bestehe, erfolgt sein. Deshalb könne die Beklagte ihre Vertreter und sich selbst nicht damit entlasten, daß die Klägerin jedenfalls zur fraglichen Zeit mit ihren Abnehmern nicht nur Verträge mit Ausschließlichkeitsbindung abgeschlossen habe. Durch sein wettbewerbswidriges Verhalten habe D. an dem Vertragsbruch des O. mitgewirkt und ihn ausgenutzt.
II.Die gegen diese Ausführungen gerichteten Angriffe der Revision haben teilweise Erfolg.
1.Das Berufungsgericht sieht zutreffend ein wettbewerbswidriges Verhalten des Vertreters der Beklagten darin, daß dieser die Frage des O., ob er mit der Beklagten noch abschließen könne, wenn er an die Klägerin gebunden sei, ohne Kenntnis der Einzelheiten des Vertrages mit dem Hinweis bejaht habe, daß viele Eisverkäufer zugleich Eis von anderen Firmen vertrieben und deshalb auch O. verschiedene Eissorten verkaufen könne. Diese Antwort war angesichts der Ausschließlichkeitsbindung des O. unrichtig; sie hat mit zum Abschluß des Vertrages des O. mit der Beklagten und zum Vertragsbruch des O. beigetragen. Der Vertreter der Beklagten hat O. zu Zwecken des Wettbewerbs zum Vertragsbruch verleitet und damit zu einem Verhalten, das auch ohne das Hinzutreten weiterer Umstände den Anschauungen eines anständigen Durchschnittsgewerbetreibenden widerspricht und tatbestandsmäßig § 1 UWG erfüllt (vgl. BGH GRUR 56, 273, 275 - Drahtverschluß; GRUR 69, 474 - Bierbezug; GRUR 71, 121, 122 - Gummischutzmittelautomaten). Auch die subjektiven Voraussetzungen für die Annahme der Unlauterkeit sind erfüllt; denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Vertreter die Zulässigkeit eines Vertragsabschlusses mit der Beklagten bejaht, ohne die Einzelheiten des von O. mit der Klägerin geschlossenen Vertrages zu kennen, und dabei, wie das Berufungsgericht darlegt, bewußt in Kauf genommen, zumindest aber leichtfertig den Gedanken verdrängt, in dem Vertrag sei eine ausschließliche Belieferung durch die Klägerin vorgesehen; der Vertreter hat sich damit zumindest bewußt der Kenntnis der Umstände, hier des Bestehens einer Ausschließlichkeitsklausel verschlossen und entzogen und ist daher so zu behandeln, als ob er die den Vertragsbruch begründenden Umstände gekannt hätte (vgl. BGH GRUR 55, 411, 414 - Zahl 55; Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 11. Aufl. Rdn. 100 zu Einl. UWG). Der Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte ist nach § 13 Abs. 3 UWG begründet.
2.Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts rechtfertigt dieses Verhalten jedoch nicht in vollem Umfang den Antrag der Klägerin, der Beklagten zu verbieten, auf Kunden der Klägerin in Kenntnis dessen, daß vertragliche Bindungen nicht im einzelnen bekannten Inhalts zwischen den Kunden und der Klägerin bestehen, in der Weise einzuwirken, daß diese Kunden von der Beklagten Softeisautomaten aufstellen lassen und den Vertrieb des darin produzierten Softeises übernehmen, ohne sich vorher Gewißheit über den Inhalt der mit der Klägerin bestehenden Verträge zu verschaffen.
Der Antrag geht zu weit, weil im Streitfall das "Hinwirken" auf den Abschluß eines Vertrages nur deshalb als Verstoß gegen § 1 UWG anzusehen ist, weil es in einer unrichtigen Auskunft über das Ausmaß der vertraglichen Bindung des O. an die Klägerin bestand, eine Auskunft, die erteilt wurde, obwohl dem Vertreter der Beklagten die Einzelheiten der vertraglichen Beziehung zwischen O. und der Klägerin unbekannt waren und er - angesichts der ihm bekannten Geschäftspraxis der Klägerin - damit rechnen mußte, daß unter Umständen eine Ausschließlichkeitsbindung bestehen konnte. Dagegen würde allein die Kenntnis von dem Bestehen vertraglicher Bindungen des Umworbenen zu einem Konkurrenzunternehmen den Werbenden ohne das Hinzutreten besonderer Umstände in der Regel noch nicht verpflichten, von jedwedem "Hinwirken" auf einen Vertragsschluß - das auch ohne Erteilung unrichtiger Auskünfte geschehen kann - Abstand zu nehmen, bevor er sich nicht über den Inhalt dieser vertraglichen Bindung Gewißheit verschafft hat. Bei einem solchen Sachverhalt eine Wettbewerbswidrigkeit schlechthin zu bejahen, ginge zu weit: Es besteht regelmäßig kein Anlaß, dem Verhalten der Umworbenen hinsichtlich ihrer eigenen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Dritten nur eine mindere Bedeutung beizumessen und das Schwergewicht beim Einwirken des Konkurrenten zu sehen; andererseits würde die Geschäftstätigkeit immer dann, wenn schon vertragliche Beziehungen bestehen, unzumutbar beschränkt. Der erkennende Senat hat daher eine Wettbewerbswidrigkeit dann bejaht, wenn zur bloßen Kenntnis von vertraglichen Bindungen weitere Umstände hinzukommen; so dann, wenn der Anmietende die Augen vor der ohne weiteres erkennbaren Tatsache verschlossen hatte, daß eine Gebäudefläche bereits einem Dritten zu demselben Zweck ausschließlich eingeräumt war (BGH GRUR 67, 138 - Streckenwerbung), also das Verbot, einen weiteren Vertrag zu schließen, klar erkennbar war. In dem Senatsurteil vom 4. Mai 1973 - I ZR 11/72 - (GRUR 74, 97, 98 - Spielautomaten II) ist ausgeführt, daß der damalige Beklagte selbst bestrebt war, mit seinen Kunden Ausschließlichkeitsverträge abzuschließen und deshalb mit der Möglichkeit rechnen mußte, daß auch der Aufsteller des vorhandenen Geräts mit dem Gastwirt eine entsprechende Verabredung getroffen hatte. Die Auskunft des Gastwirts, es beständen keinerlei vertragliche Bindungen mehr in bezug auf den Automaten, das Gerät werde in den nächsten Tagen abgeholt, ließ der Senat nicht als entlastend gelten, weil das Vertragsangebot des damaligen Beklagten wegen der mit dem Aufstellvertrag verbundenen Darlehnsgewährung verlockend war und dazu verleiten konnte, mit wahrheitsgemäßen Angaben über vertragliche Bindungen zurückzuhalten. Auch in diesem Falle kamen zu der bloßen Kenntnis einer irgendwie gearteten vertraglichen Bindung zu einem Konkurrenten Umstände hinzu, die ein Hinwirken auf den Abschluß eines Vertrages ohne vorherige Feststellung des genauen Inhalts des bereits bestehenden Vertrages unlauter und wettbewerbswidrig erscheinen ließen.
Im Streitfall sind solche besonderen Umstände - abgesehen von der Erteilung der unrichtigen Auskunft - nicht ersichtlich: Die Beklagte strebt selbst keine Ausschließlichkeitsbindung an und auch die Klägerin stellt nicht in Abrede, daß sie nicht in allen Verträgen eine Ausschließlichkeitsklausel vereinbart. Infolgedessen ist nicht allgemein ein "Einwirken" auf einen Vertragsschluß zu verbieten, sondern nur unter den im konkreten Fall als wettbewerbswidrig festgestellten Umständen.
III.Auf die Revision war demnach das Berufungsurteil teilweise aufzuheben und die Verurteilung neu zu fassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.