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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 28.01.1991, Az.: II ZR 20/90

Tatbestand

Die Kläger zu 1 bis 3, der Beklagte und W. S. gründeten 1976 die S. -T. -Pumpen GmbH & Co. KG (T. KG). Am Kapital waren nur die Kommanditisten beteiligt, und zwar die Kläger zu 2 und 3 sowie der Beklagte zu je 30 % und W. S. zu 10 %. Im selben Verhältnis waren die Kommanditisten auch Gesellschafter der S. -T. -Pumpen GmbH, der Klägerin zu 1, die 1976 ebenfalls gegründet worden war und persönlich haftende Gesellschafterin der T. KG wurde. Geschäftsführer war der Beklagte. Der Gesellschaftszweck der T. KG bestand vor allem darin, die Erzeugnisse der S. -Kolbenpumpenfabrik O. S. KG, der Klägerin zu 4, zu vertreiben. Alleingesellschafter dieser Kommanditgesellschaft, die im Jahre 1984 W. S. in dessen Gesellschafterstellung nachfolgte, waren die Kläger zu 2 und 3. Am 25. April 1984 wurde der Beklagte als Geschäftsführer der Klägerin zu 1 abberufen.

Die Kläger haben Klage mit dem Antrage erhoben, den Beklagten aus der T. KG auszuschließen. Dieser Rechtsstreit wurde am 21. November 1985 durch Teilvergleich in der Weise erledigt, daß der Beklagte mit Wirkung 31. Dezember 1984 aus der T. KG ausschied. Die Auseinandersetzung ist bisher nicht abgeschlossen.

Der Beklagte hat Widerklage erhoben. Er will festgestellt wissen, daß die am 24. August 1984 beschlossene Feststellung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 1983 nichtig ist, soweit darin eine Rückstellung für Entwicklungskosten zugunsten der Klägerin zu 4 in Höhe von 380.000, -- DM sowie Rückstellungen für Garantieleistungen und Provisionen in Höhe von 80.000,-- DM bzw. 60.000, -- DM gewinnmindernd ausgewiesen worden sind. Das Landgericht hat die Widerklage abgewiesen; das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag weiter, soweit dieser die Rückstellung für Entwicklungskosten betrifft.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Die Feststellungsklage ist zulässig. Beschließen die Kommanditisten einer Kommanditgesellschaft, wie das in diesem Falle gemäß § 9 des Gesellschaftsvertrages zulässig war, mit mehr als 2/3 des vertretenen Kapitals die Feststellung einer Bilanz, so hat der überstimmte Gesellschafter die Möglichkeit, Mängel dieser Bilanz durch Urteil gegen seine Mitgesellschafter feststellen zu lassen. Unerheblich ist, daß der Beklagte inzwischen als Gesellschafter ausgeschieden ist. Sein Feststellungsinteresse folgt aus der Tatsache, daß er am Bilanzstichtage (31. Dezember 1983) der Gesellschaft noch angehörte.

2. Mängel des Beschlusses sind - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - nicht durch Fristablauf geheilt. Zwar ist die Feststellungsklage erst am 26. Februar 1985 und damit rund 6 Monate nach Beschlußfassung (24. August 1984) beim Gericht eingereicht worden. Ein halbjähriges Untätigsein allein vermag jedoch nicht einen Mangel zu heilen, wie er hier geltend gemacht wird. Im - verglichen mit dem Personenhandelsgesellschaftsrecht wesentlich strengeren - Aktienrecht kann nach § 256 Abs. 6 AktG die Nichtigkeit eines festgestellten Jahresabschlusses erst nach Ablauf von 3 Jahren seit dessen Offenlegung nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Mangel - wie hier behauptet - darin besteht, daß entgegen §§ 249, 253 Abs. 1 Satz 2 HGB Rückstellungen in der Bilanz überhaupt oder mit einem zu hohen Ansatz passiviert worden sind. Der Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft mag aufgrund seiner Treuepflicht im Einzelfall gehalten sein, nicht derart lange zu warten, vielmehr in kürzerer Frist die Mängel der Bilanz feststellen zu lassen; doch braucht darauf in diesem Falle nicht näher eingegangen zu werden. Denn gemessen an der 3-Jahres-Frist des Aktienrechts ist eine Frist von 6 Monaten angemessen, falls nicht Umstände hinzukommen, die allein oder im Zusammenwirken mit der Dauer der verstrichenen Zeit eine Verwirkung nahelegen. Etwas anderes würde beispielsweise gelten, wenn der Beklagte in irgendeiner Weise zu erkennen gegeben hätte, daß er seine in der Abgabe der Gegenstimmen am 24. August 1984 zum Ausdruck gekommene ablehnende Haltung gegen die Rückstellung aufgegeben hat oder zumindest gegen den Beschluß nichts unternehmen wird, und wenn die Mitgesellschafter sich hierauf eingerichtet hätten. Dergleichen hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

3. a) Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die festgestellte Bilanz des Geschäftsjahres 1983 nicht deshalb mangelhaft, weil darin eine Rückstellung in Höhe von 380.000,-- DM für eine Finanzhilfe passiviert worden ist, mit der die T. KG sich an den Entwicklungskosten der Klägerin zu 4 beteiligt. Hierbei habe es sich - so das Berufungsgericht - um Aufwand gehandelt, zu dem die T. KG wegen ihres Alleinvertriebsrechts der Klägerin zu 4 als der Herstellerin der Pumpen zwar nicht rechtlich, wohl aber tatsächlich verpflichtet gewesen sei, weil die Pumpen von der ersteren mit Gewinn, von der letzteren wegen der hohen Entwicklungskosten nicht einmal kostendeckend verkauft worden seien. Die Kosten hätten ihren Ursprung in den Geschäften des abgelaufenen Geschäftsjahres gehabt; denn bei normaler Kalkulation hätte die Herstellerin die erhöhten Entwicklungskosten bereits zum Zeitpunkt ihrer Entstehung in die Abgabepreise der damals zum Verkauf anstehenden Produkte einrechnen müssen. Weil die Preise im Jahre 1983 nicht erhöht worden seien, habe das Vertriebsunternehmen die Pumpen in diesem Jahr billiger erhalten, als das bei normaler Kalkulation möglich gewesen wäre. Die Beurteilung, daß aus diesem Grunde zu Recht eine Rückstellung gebildet worden sei, greift die Revision ohne Erfolg an.

b) Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß nämlich für eine rechtlich erst künftig entstehende Verbindlichkeit, die in der abgelaufenen Periode wirtschaftlich verursacht ist und der sich der Verpflichtete am Bilanzstichtag aus sittlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht entziehen kann, eine Rückstellung zu bilden ist, ist rechtlich einwandfrei (vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, 5. Aufl., HGB § 249 Rdn. 53 ff; Kropff in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 152 Rdn. 57; Mellerowicz in GroßKomm. z. AktG, 3. Aufl., § 152 Anm. 62; Scholz/Crezelius, GmbHG, 7. Aufl., Anhang § 42 a Rdn. 196, 198; Niehus/Scholz in Meyer-Landruth u.a., GmbHG, HGB §§ 238 bis 335 Rdn. 585; Hachenburg/Goerdeler/Müller, GmbHG, 7. Aufl., § 42 Rdn. 113).

Die Revision ist zu Unrecht der Meinung, daß die gesetzlichen Vorschriften zur Rückstellung auf einen Sachverhalt wie den vorliegenden nicht anwendbar seien. Sie macht geltend, daß nach § 152 Abs. 7 Nr. 2 AktG a.F. für Kulanzleistungen Rückstellungen nur gebildet werden dürften, soweit sie Gewährleistungen betreffen, um die es hier nicht geht. Für die Richtigkeit dieser Meinung könnte sprechen, daß es in der genannten Bestimmung weiter heißt, daß für andere als die dort genannten Zwecke keine Rückstellungen gebildet werden dürfen. Richtigerweise sind aber die im Gesetz ausdrücklich erwähnten Gewährleistungen aus Kulanzgründen schon als Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten auszuweisen, wenn die Gesellschaft sich der Leistung aus wirtschaftlichen Gründen nicht entziehen kann. Die Passivierungspflicht bei Gewährleistungen ist ausdrücklich aufgeführt, um die steuerliche Anerkennung sicherzustellen (Scholz/Crezelius, GmbHG, 7. Aufl., Anhang § 42 a Rdn. 197; Niehus/Scholz in Meyer-Landruth u.a., GmbHG, HGB §§ 238 bis 335 Rdn. 601; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, 5. Aufl., HGB § 249 Rdn. 125; Moxter, BB 1985, 1101, 1102; Kropff in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 152 Rdn. 50, 78). Wirtschaftlich oder tatsächlich veranlaßte Leistungspflichten, die aus anderen als Gewährleistungsgründen zu erfüllen sind, fallen unter die ungewissen Verbindlichkeiten des § 152 Abs. 7 AktG a.F.

c) Eine Rückstellung für eine faktische ungewisse Verbindlichkeit ist zu bilden, wenn am Bilanzstichtag ein faktischer Leistungszwang bestand, wenn sich - mit anderen Worten - ein Kaufmann auch ohne Rechtspflicht einer Leistung nicht entziehen kann und wenn die Verpflichtung vor oder während der betreffenden Bilanzperiode wirtschaftlich verursacht war. Die Frage, ob ein faktischer Zwang so stark ist, daß der Kaufmann sich ihm nicht entziehen kann und deshalb die Bildung einer Rückstellung geboten ist, ist unter objektiven Gesichtspunkten aus der Sicht eines ordentlichen Kaufmanns zu beurteilen. Dem hat das Berufungsgericht Rechnung getragen. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht den tatsächlichen oder wirtschaftlichen Zwang, einen Teil der Entwicklungskosten zu übernehmen, aus der Tatsache hergeleitet hat, daß die Klägerin zu 4 über kein eigenes Vertriebssystem verfügte und daß umgekehrt die T. KG vorwiegend die Produkte der Klägerin zu 4 vertrieb (§ 3 des Gesellschaftsvertrages). Sind Hersteller und Vertrieb in dieser Weise wirtschaftlich voneinander abhängig, kann sich letzterer nicht der Notwendigkeit verschließen, einen Teil der Entwicklungskosten übernehmen zu müssen, wenn diese über die Preise auf den Markt nicht abgewälzt werden konnten und aus diesem Grunde die Existenz des Herstellers und damit wiederum auch die des Vertriebsunternehmens gefährdet ist.

d) Zu Unrecht macht die Revision ferner geltend, die Rückstellung sei am Bilanzstichtag nicht wirtschaftlich verursacht gewesen. Als Begründung hierfür führt sie an, daß allenfalls das Schreiben der Klägerin zu 4 vom 2. Dezember 1983, in dem diese um eine Beteiligung an den Entwicklungskosten ersucht, als hinreichender tatsächlicher Anlaß für die Bildung einer Rückstellung angesehen werden könne; wie mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts - zu unterstellen sei, hätten aber sowohl der Beklagte als Geschäftsführer wie der Mitgesellschafter W. S. es abgelehnt, Entwicklungskosten zu übernehmen; aus diesem Grunde habe eine Rückstellung für diese Kosten in der Bilanz für 1983 nicht gebildet werden dürfen, hieran habe sich auch nicht dadurch etwas geändert, daß die neue Geschäftsleitung nach Ablösung des Beklagten als Geschäftsführer im Jahre 1984 eine andere Entscheidung getroffen habe. Diesem Gedanken ist das Berufungsgericht zu Recht nicht nachgegangen. Zutreffend ist der Ausgangspunkt der Revision, wonach für die Bildung einer Rückstellung außer dem faktischen Leistungszwang erforderlich ist, daß die Verpflichtung wirtschaftlich in abgelaufenen Geschäftsjahren verursacht ist. Dies setzt die konkretisierte Zugehörigkeit künftiger Ausgaben zu bereits realisierten Erträgen voraus. Ist eine ungewisse Verbindlichkeit eng mit zukünftigen Gewinnchancen verbunden, so ist kein Raum für die Annahme, sie sei in der Vergangenheit verursacht. Eine Verpflichtung muß, um rückstellungsfähig zu sein, nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten (vgl. BFH, Urteile v. 28. Juni 1989 - I R 86/85, BB 1989, 1946, 1947; v. 25. August 1989 - III R 95/87, BB 1989, 2078, 2079; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, 5. Aufl., HGB § 249 Rdn. 70; Moxter, BB 1984, 1780, 1784; ders. Handels- und Steuerrecht FS. f. Döllerer, 1988, S. 447, 456; Groh, BB 1989, 1586, 1588; Herzig, DB 1990, 1341, 1347 [BAG 01.03.1990 - 6 AZR 649/88]; Herzig/Hötzel, BB 1991, 99, 100).

Maßgebend für die Beurteilung, ob am Bilanzstichtag von einem faktischen Leistungszwang und einer wirtschaftlichen Verursachung der Verpflichtung in den abgelaufenen Geschäftsjahren auszugehen war, sind allein objektive Kriterien. Entgegen der Ansicht der Revision kommt es nicht zusätzlich darauf an, wie der Kaufmann die Verpflichtung im konkreten Falle am Bilanzstichtag beurteilt. Daß es auf das Wissen des Kaufmanns am Bilanzstichtag nicht ankommt, ergibt sich aus § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB. Danach sind bei der Bewertung der im Jahresabschluß ausgewiesenen Vermögensgegenstände und Schulden alle voraussehbaren Risiken und Verluste zu berücksichtigen, selbst wenn sie erst zwischen Abschlußstichtag und dem Tag der Aufstellung der Jahresbilanz bekannt geworden sind. Für die Frage, ob ein faktischer Leistungszwang besteht und die Verbindlichkeit am Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht ist, gilt nichts anderes. Hierfür reicht es aus, daß spätestens bis zum Tag der Bilanzaufstellung der Anspruch gegenüber dem Verpflichteten geltend gemacht wird oder wenigstens die den Anspruch begründenden Tatsachen im einzelnen bekannt geworden sind (vgl. BFH, Urteil v. 17. Januar 1963 - IV R 165/59 S, NJW 1963, 1423; vgl. auch Herzig/Hötzel, BB 1991, 99, 100). In Fällen dieser Art kann der Kaufmann erst nach dem Bilanzstichtag entscheiden, ob er dem faktischen Zwang nachkommen und die Rückstellung bilden oder ob er - ungeachtet der drohenden wirtschaftlichen Nachteile - die Erfüllung verweigern und von einer Rückstellung absehen will. Er kann seine Meinung zu diesem Punkt bis zur Aufstellung der Bilanz auch mehrfach ändern. Nichts anderes gilt, wenn der Kaufmann schon am Bilanzstichtag die Verpflichtung kannte und entschlossen war, sie nicht zu erfüllen. Dieser Mangel an Leistungsbereitschaft vermag an der Tatsache nichts zu ändern, daß die Verpflichtung wirtschaftlich eng mit den Erträgen der Vergangenheit verbunden und damit nicht künftig, sondern bereits am Bilanzstichtag verursacht ist. Deshalb ist die Rückstellung geboten, wenn der Kaufmann seine ablehnende Haltung bis zur Aufstellung der Bilanz aufgibt.

Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllt. Nicht mit zurückliegenden, sondern mit künftigen Gewinnchancen wirtschaftlich eng verbunden gewesen wären die Entwicklungskosten dann, wenn die Klägerin zu 4 sie regelmäßig in die Preise des jeweils entwickelten und erst künftig abzusetzenden Produkts einfließen ließe; in dem Falle hätte die Übernahme von Entwicklungskosten nicht die vergangenen, sondern die künftigen Umsätze der T. KG betroffen. Die Klägerin zu 4 kalkuliert ihre Preise jedoch anders. Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, läßt sie die Kosten, die durch die Entwicklung neuer Produkte während einer Bilanzperiode entstehen, in die Preise der Produkte einfließen, die sie während dieser Periode absetzt. Weil das im Jahre 1983 nicht hinsichtlich aller Entwicklungskosten geschehen ist, hat die T. KG die Produkte billiger erhalten, als das bei einer an sich gebotenen Kalkulation der Fall gewesen wäre. Durch den Ausgleich dieser Preisdifferenz hat die T. KG einen Aufwand übernommen, der ihre bis zum Stichtag realisierten Geschäftsergebnisse betrifft, so daß das Berufungsgericht mit Recht den Standpunkt eingenommen hat, daß der faktische Leistungszwang in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht war. Auch die Revision greift die Feststellungen zu der Art, wie die Klägerin zu 4 ihre Entwicklungskosten an ihre Abnehmer weiterzugeben pflegt, nicht an.

4. Nach alledem ist die Ansicht des Berufungsgerichts, die Rückstellung sei zu Recht passiviert worden, nicht zu beanstanden. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen.