Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 27.04.1967, Az.: II ZR 74/65
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 25. Januar 1965 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Am 10. September 1957 wurde ein von der Firma Verpackungsindustrie Dipl. Ing. Ste. KG (künftig Firma Ste. genannt) gekaufter Hochleistungs-Dosenprüfautomat auf einem von der Beklagten ausgeführten Transport von Braunschweig nach Lübeck schwer beschädigte. Die Klägerin als Transportversicherer hat aus übergegangenem und abgetretenem Recht u.a. Schadensersatz in Höhe von 78.178,80 DM verlangt. Dieser Anspruch ist dem Grunde nach rechtskräftig für gerechtfertigt erklärt worden (Urteil des BGH v. 26. März 1962 - II ZR 128/60 - VersR 1962, 465; NJW 1962, 1059). Die Beklagte hat den Schadensersatzanspruch in Höhe von 40.000 DM anerkannt und diesen Betrag am 26. Februar 1963 bezahlt. Beide Parteien haben die Hauptsache insoweit für erledigt erklärt. Im Verfahren über den Betrag des Anspruchs hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 38.178,80 DM nebst 5 % Zinsen aus 78.178,80 DM seit dem 10. Dezember 1957 bis zum 26. Februar 1963 und aus 38.178,80 DM seit dem 27. März 1963 zu zahlen. Die Beklagte hat zunächst unbeschränkt Berufung eingelegt, dann aber die Berufung in Höhe des Betrages von 1.465 DM zurückgenommen. Sie hat beantragt, "die Klage insoweit abzuweisen, als die Beklagte über den Betrag von DM 1.465,- nebst 5 % Zinsen hinaus zur Zahlung verurteilt worden ist", und die Kosten des Rechtsstreits im entsprechenden Verhältnis der Beklagten aufzuerlegen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen.
Mit der Revision, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Beide Parteien haben in der Revisionsinstanz erklärt, sie seien einig darüber, daß die Werte "nebst 5 % hinaus" in den Schlußanträgen der Beklagten in der Berufungsinstanz sich auf den anerkannten Betrag von 41.465 DM und nicht nur auf den Betrag von 1.465 DM bezögen, daß also die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 5 % Zinsen aus 40.000 DM vom 10. Dezember 1957 bis zum 26. Februar 1963 und aus 1.465 DM seit dem 10. Dezember 1957 rechtskräftig ist.
Entscheidungsgründe
I.Das Berufungsgericht führt aus:
Die Entscheidung der Frage, ob der an dem Automaten eingetretene Schaden als Totalschaden oder nur als. Teilschaden anzusehen sei, hänge davon ab, ob eine Wiederherstellung der Maschine nach fachmännischen Gesichtspunkten möglich und außerdem zumutbar gewesen sei. Die Wiederherstellung sei möglich gewesen, da der Automat von der Firma Ste. tatsächlich wiederhergestellt worden sei. Der Zeuge Ste. habe zwar bekundet, daß der im Betrieb seiner Firma reparierte Automat nie völlig einwandfrei gearbeitet habe; das Prüfrad müsse häufiger nachreguliert werden als das Rad einer neuen Maschine; auch sei es vor gekommen, daß mit dem reparierten Automaten geprüfte Konservendosen nicht dicht gewesen seien. Der Zeuge habe jedoch eingeräumt, daß dies bei anderen Prüfrädern ebenfalls vorkomme.
Für die Frage, ob der Geschädigte den Ersatz des vollen Fakturenwerts verlangen könne, müsse aber von der Beurteilung im Zeitpunkt des Schadenseintritts ausgegangen werden, weil eine Reparatur, die nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur vollwertigen Wiederherstellung der beschädigten Sache führe, dem Geschädigten nicht zuzumuten sei. Bei Schadenseintritt im September 1957 habe nicht damit gerechnet werden können, daß der Automat nach durchgeführter Reparatur wieder einwandfrei arbeiten werde. Wie die Beweisaufnahme ergeben habe, hätte die Herstellerfirma im Falle einer Reparatur für die reparierte Maschine nicht dieselbe Garantie übernommen wie für eine neue Maschine. Die schwere, komplizierte Maschine habe beim Sturz vom fahrenden Lastzug an einer großen Zahl von wichtigen Einzelteilen schwere und unbehebbare Schäden erlitten. Zwar habe eine große Zahl von Einzelteilen für die Wiederherstellung des Automaten noch verwendet werden können. Das sei aber für die Frage, ob ein Totalschaden vorgelegen habe, nicht entscheidend. Die Maschine müsse in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Ein solch hochqualifizierter, für den Einzelfall hergestellter Automat könne nicht mit einem am Fließband hergestellten Serienfabrikat verglichen werden. Einzelne Teile des Automaten hätten nicht einfach ausgetauscht werden können, sie hätten vielmehr jedes Mal besonders eingepaßt und aufeinander abgestimmt werden müssen. Eine erfolgreiche Wiederherstellung sei zumindest fraglich und damit für die Firma Ste. unzumutbar gewesen. Nach Ansicht des gerichtlichen Sachverständigen hätten die Reparaturen bei einer Maschinenbaufirma - ohne Garantie - mindestens 60-65.000 DM gekostet. Auf den von der Beklagten zu ersetzenden Fakturenwert könne daher nur der auf 1.300 DM zu schätzende Schrottwert angerechnet werden. Ein Weiterverkauf der Maschine an Dritte zu einem höheren als dem Schrottwert sei im Jahre 1957 nicht möglich gewesen.
Dem stehe nicht entgegen, daß es der Firma Ste. in der Folgezeit gelungen sei, den Automaten mit einem Materialaufwand von rund 24.000 DM wieder gebrauchsfähig zu machen. Dieser geringe Materialaufwand sei nur dadurch zu erklären, daß die Firma Ste. auf eigenes Risiko Teile der Maschine repariert, geschweißt und bearbeitet habe, die eine Maschinenbaufirma als Schrott hätte behandeln müssen. Für die Wiederherstellung im eigenen Betrieb der Firma Ste. sei im übrigen entscheidend, daß sie nach Beendigung der risikovollen Ausbesserungsarbeiten den Automaten so lange in ihrem Betrieb habe probieren, ändern und einstellen können, bis die Maschine verhältnismäßig einwandfrei gearbeitet habe.
Zur Reparatur im Wege der Schadensminderung (§ 254 BGB) sei die Firma Ste. nicht verpflichtet gewesen. Denn sie habe zur Zeit des Schadenseintritts gar nicht damit rechnen können, daß der Automat nach der Reparatur auf die Dauer wieder einwandfrei arbeiten werde. Auch sei zu berücksichtigen, daß die Firma Ste. im Jahre 1957 für ihre laufende Fabrikation in kürzester Zeit eine einwandfreie Maschine benötigte. Für die Wiederherstellung seien aber Monate erforderlich gewesen.
II.Die Revision rügt außer der Verletzung von Verfahrensbestimmungen die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Meinung, die Klägerin müsse sich die Vorteile anrechnen lassen, die ihre Rechtsvorgängerin, die Firma Ste., dadurch erlangt habe, daß sie die Maschine im eigenen Betrieb wiederhergestellt habe und verwende. Unter Berücksichtigung der Wertminderung der wiederhergestellten Maschine gegenüber einem neuen Automaten und der Aufwendungen, die durch die Wiederherstellung entstanden seien, sei die Beklagte nur zu einer Schadensersatzleistung von 41.465 DM verpflichtet, wie sich aus dem Gutachten ihres Sachverständigen Sto. ergebe, dem das Berufungsgericht unter Verfahrensverstoß nicht gefolgt sei. Zum mindesten hätte der Wert der wiederverwendeten unbeschädigten Teile der Maschine berücksichtigt werden müssen.
III.Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Die Schadensersatzpflicht der Beklagten bemißt sich nach den Vorschriften der §§ 29 ff KVO Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. § 29 KVO verpflichtet den Beförderungsunternehmer, alle an den beförderten Gütern entstandenen direkten Schäden zu ersetzen. Gemäß § 35 Abs. 1 KVO gilt bei Totalschaden als Ersatzwert der Fakturenwert zuzüglich der Spesen und Kosten und des entgangenen Gewinns bis höchstens 10 % des Fakturenwertes. Nach § 35 Abs. 3 KVO wird (abweichend von § 430 Abs. 2 HGB) bei teilweiser Beschädigung einer Sendung der Schadensersatz nur für den beschädigten Teil in Höhe des festgesetzten Minderwerts geleistet; die Errechnung des Minderwerts hat auf Grund des tatsächlichen Schadens zu erfolgen.
Gegenüber dem allgemeinen Schadensersatzrecht der §§ 249 ff BGB weist die Regelung der KVO (neben der Beschränkung der Schadensersatzpflicht auf direkte Schäden) einmal die Besonderheit auf, daß dem Gläubiger im Falle der Beschädigung einer Sendung kein Anspruch auf Naturalherstellung (§ 249 S. 1 BGB) und daneben - im Sinne einer echten Ersetzungsbefugnis (vgl. BGH LM Nr. 3 zu § 249 (Gb) BGB) - ein Anspruch auf Geldersatz zusteht, sondern sein Anspruch ausschließlich auf Geldersatz gerichtet ist. Sodann gilt die Besonderheit, daß bei teilweiser Beschädigung grundsätzlich nur die tatsächlichen Aufwendungen des Gläubigers zuzüglich des Minderwerts der wiederhergestellten Sache erstattet werden; eine teilweise Beschädigung wird in der Regel dann vorliegen, wenn die beschädigte Sache tatsächlich wieder instandgesetzt worden ist. Dagegen enthält die KVO keine besondere Regelung über den Zeitpunkt, der der Schadensberechnung zugrunde zu legen ist. Insoweit gelten die allgemeinen Vorschriften. Danach kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts, sondern auf den des Schadensausgleichs an (vgl. BGHZ 1, 34, 40) [BGH 01.11.1951 - III ZR 83/50]. Ist der Schadensausgleich im Falle eines Rechtsstreits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter noch nicht vollzogen, so ist in der Regel dieser Zeitpunkt maßgebend, es sei denn, daß die Höhe des Ersatzanspruches durch frühere Umstände bereits festgelegt ist (Palandt BGB, 26. Auflage, Vorbem. 9 vor § 249).
Im vorliegenden Fall hat die Firma Ste. nach Eintritt des Schadensereignisses eine fabrikneue Maschine gleicher Art bestellt und erhalten, um sich wegen des eingetretenen Schadens schadlos zu halten. In diesem Zeitpunkt, also vor der Wiederherstellung der beschädigten Maschine in dem Betrieb der Firma Ste., mußte nach der rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung des Berufungsgerichts bei objektiver Beurteilung davon ausgegangen werden, daß die Beschädigung der Maschine zu einem Totalschaden geführt hatte. Gegen die von der Firma Ste. selbst vorgenommene Schadensbeseitigung sind seinerzeit von der Beklagten keine Einwände erhoben worden, weil auch sie damals ihre Schadensersatzpflicht nach Lage der Dinge auf keine andere Weise als durch Zahlung des Geldbetrages für die Bestellung einer neuen Maschine bei der Herstellerfirma erfüllen konnte. Das bedeutet, daß die Firma Ste. für die Herbeiführung des Schadensausgleichs einen Geldanspruch in Höhe des Fakturenwerts für die neue Maschine (unter Abzug des Schrottwerts der beschädigten Maschine) erhielt. Denn im Zeitpunkt der Bestellung der neuen Maschine war nach der Feststellung des Berufungsgerichts davon auszugehen, daß die beschädigte Maschine einen Totalschaden erlitten und die Beklagte diesen Totalschaden zu ersetzen hatte. Damit war die Höhe des Geldersatzanspruchs der Firma Steinle festgelegt.
Gegenüber der Feststellung des Berufungsgerichts, im Zeitpunkt des Schadenseintritts (und damit auch im Zeitpunkt der Bestellung der neuen Maschine) habe ein Totalschaden vorgelegen, ist der Vorwurf der Revision, die Klägerin habe der Beklagten den Gegenbeweis unmöglich gemacht, nicht begründet. Die Behauptung der Beklagten, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe dem Privatgutachter Ste. der Beklagten die Besichtigung der reparierten Maschine verweigert, ließe allenfalls dann auf einen Verfahrensmangel schließen, wenn der Beklagten und ihrem Gutachter die Teilnahme an der Besichtigung der Maschine durch den gerichtlichen Sachverständigen, der die Parteien von dem Besichtigungstermin benachrichtigt hatte, seitens der Firma Ste. verweigert worden wäre. Das ist aber nicht behauptet.
Die Entwicklung, die die Dinge nach der Entstehung des Erstattungsanspruchs in Höhe des Fakturenwerts genommen haben, ist für die Beurteilung des hier geltend gemachten Anspruchs ohne Belang. Die Rechtslage ist insoweit nicht anders, als wenn die Beklagte selbst damals den für die Lieferung einer anderen fabrikneuen Maschine erforderlichen Geldbetrag zur Verfügung gestellt hätte. Auch in diesem Fall hätte sich die Beklagte später nicht darauf berufen können, daß es der Firma Ste. unter Übernahme des damit verbundenen Risikos gelungen sei, die beschädigte Maschine wieder in einen betriebsfähigen Zustand zu versetzen. So wie in diesem Fall müssen auch hier die nach Entstehung des Schadensersatzanspruchs eingetretenen Umstände außer Betracht bleiben.
Es ist daher im Ergebnis dem Berufungsgericht beizutreten, wenn es von einem Totalschaden ausgegangen ist und auf die Ersatzpflicht der Beklagten die Vorschrift des § 35 Abs. 1 KVO angewendet hat.
Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht des weiteren nur den Schrottwert auf die Ersatzforderung der Klägerin angerechnet. Der Ansicht der Revision, die Geschädigte hätte sich im Wege der Vorteilsausgleichung den Wert der unbeschädigten Teile der Maschine anrechnen lassen müssen, kann nicht zugestimmt werden. Da es sich bei der Maschine um kein Serienfabrikat, sondern um einen komplizierten und empfindlichen Automaten handelt, hatten die einzelnen nicht beschädigten Teile objektiv nur Schrottwert. An dem objektiv vorliegenden Schrottwert hat sich nichts dadurch geändert, daß die Firma Ste. unter Übernahme eigenen Risikos sich zur Reparatur entschloß und die Reparatur dank der besonderen Geschicklichkeit und Mühewaltung dieser Firma tatsächlich erfolgreich war.
Aus diesen Gründen kommt auch eine Vorteilsausgleichung im übrigen nicht in Frage. Daran scheitert auch die Rüge der Revision, die Firma Ste. hätte wegen ihrer Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) die Maschine reparieren müssen. Mit Recht hat das Berufungsgericht unter den gegebenen umständen eine Pflicht zur Schadensminderung abgelehnt.
IV.Die Kosten ihrer erfolglosen Revision fallen der Beklagten zur Last (§ 97 Abs. 1 ZPO).