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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 09.02.1967, Az.: III ZR 188/64

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Hamm (Westf.) vom 7. Juli 1964 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Parteien sind Geschwister. Ein weiterer Bruder Heinrich ist ebenso wie der Kläger vermißt. Die Mutter der Parteien ist am 6. Dezember 1958 im Alter von fast 80 Jahren gestorben, der Vater am 18. März 1961 im Alter von 88 Jahren.

Am 13. Mai 1959 schloß der Vater mit der Beklagten einen notariellen Übergabevertrag. Der Vater übertrug seine Besitzung A., B. Str. ... auf die Beklagte, desgleichen sein bewegliches Vermögen, insbesondere das Inventar und den Waronbestand des von ihm betriebenen Tabak- und Lebensmittelgeschäfts; ausgenommen von der Übertragung blieben seine persönlichen Sachen, eine Schlafzimmereinrichtung, seine Rente, Bargeld und Guthaben.

Der Vater behielt sich auf Lebenszeit das Recht der Verwaltung und Nutznießung vor. Für den Fall, daß er im Haushalt der Beklagten lebte, war diese verpflichtet, ihn zu beköstigen und zu pflegen; er hatte zu diesen Kosten monatlich 50 DM beizutragen; für seine Kleidung hatte er selbst zu sorgen.

In § 5 Abs. 1 des Vertrags verpflichtete sich die Beklagte, an die beiden vermißten Brüder oder deren Abkömmlinge drei Monate nach dem Tode des Vaters eine Abfindung von je 600 DM zu zahlen.

In § 5 Abs. 2 heißt es: "Mit den vorstehend genannten Beträgen sollen die Söhne Heinrich und Ferdinand bzw. deren Abkömmlinge restlos abgefunden sein. Bei der Festsetzung der Abfindungsbeträge ist berücksichtigt, daß die Sohne Heinrich und Ferdinand bis zu ihrer Verheiratung im Haushalt des Maters gewohnt und gelebt und nur ein sehr geringes Kostgeld gezahlt haben. Dadurch wurde es ihnen ermöglicht, von ihren Löhnen erhebliche Beträge zu sparen. Ich ordne hiermit ausdrücklich an, daß sämtliche Zuwendungen, die meine Söhne Heinrich und Ferdinand zu meinen Lebzeiten erhalten haben, auf die gesetzlichen erbrechtlichen Ansprüche angerechnet werden. Ferner ist berücksichtigt, daß die Erschienene zu 2) (Beklagte) bis zu ihrem 34. Lebensjahr im elterlichen Haushalt und im Geschäft mitgearbeitet hat, ohne eine Vergütung dafür erhalten zu haben."

In § 6 des Vertrages verpflichtete sich die Beklagte, die Kosten einer standesgemäßen Beerdigung und der Grabpflege zu tragen. Etwaige Sterbegelder sollte sie erhalten.

In § 8 schlossen der Vater und die Beklagte einen Erbvertrag, durch den die Beklagte zur alleinigen Erbin bestimmt wurde.

Der Kläger behauptet, der Wert des der Beklagten geschenkten Grundbesitzes, eines Wohn- und Geschäftshauses, betrage 50.000 DM. Ein Sechstel davon macht er als Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend.

Er hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 8.333 DM nebst Zinsen zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie gibt den Wert des Grundstücks mit 36.000 DM, den des übrigen Nachlasses mit 2.000 DM zuzüglich 400 DM Sterbegeld und die von ihr bezahlten Beerdigungskosten mit 1.000 DM an. Sie ist der Ansicht, bei der Grundstücksübertragung habe es sich nicht um eine Schenkung gehandelt. Sie behauptet, sie habe eine erhebliche Forderung gegen den Vater gehabt. Sie habe von 1926 bis 1946 ohne Vergütung im Haushalt und Geschäft gearbeitet. Sie habe auch Feldarbeiten auf 2 Morgen Pachtland leisten müssen. Es sei auch Vieh zu versorgen gewesen. Die Betreuung der im Hause wohnenden Söhne habe viel Arbeit verursacht. Sie habe nur ein ganz geringes Taschengeld erhalten und habe nie Urlaub gehabt. Bei einem durchschnittlichen Barlohn von 200 RM monatlich betrage ihre Forderung 48.000 RM. Wo vor Ansprüche habe sie deshalb, weil sie nicht sozialversichert gewesen sei und weil sie den Vater 2 Jahre lang nach Abschluß des Übertragsvertrages gepflegt habe. Zudem habe sie sich bei der Arbeit im Jahre 1939 einen Gelenkrheumatismus zugezogen und 5 Monate gelegen. Da sie nicht versichert gewesen sei, habe sie nur zuhause gepflegt werden können. Eine Kur habe sie aus Mangel an Geld nicht machen können.

Der Vater und sie seien bei der Übergabe des Grundstücks der Auffassung gewesen, daß es sich um ein entgeltliches Geschäft handele. Die empfangenen Leistungen hätten ihr zugestanden. Dessen sei sich der Vater bewußt gewesen. Im übrigen sei der Nachlaß durch ihre Forderungen erschöpft gewesen. Falls man aber eine Schenkung annehme, liege eine Anstandsschenkung im Sinne des § 2330 BGB vor.

Nach einem vom Landgericht eingeholten Sachverständigen-Gutachten, das die Parteien nicht angegriffen haben, betrug der Verkehrswert des Grundstücks im Mai 1959 38.000 DM.

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, 6.466,67 DM nebst Zinsen zu zahlen, und im übrigen die Klage abgewiesen. Es geht von dem Grundstückswert von 38.000 DM und einem Nachlaßwert von 800 DM, nämlich 2.400 DM abzüglich 1.000 DM Beerdigungskosten und 600 DM Zuwendungen an den Kläger laut Übergabevertrag aus und spricht dem Kläger 1/6 der Summe von 38.800 DM zu.

Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

Unbegründet sind allerdings im wesentlichen ihre Hauptangriffe, die sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichts wenden, bei der Vermögensübertragung habe es sich wenigstens teilweise um eine Schenkung gehandelt. Jedoch hat das Berufungsgericht sein Ergebnis, der Wert der Schenkung betrage 38.000 DM, nicht rechtsirrtumsfrei begründet.

1.Eine Schenkung liegt dann vor, wenn der eine Vertragsteil den anderen durch eine Vermögenszuwendung bereichert und beide einig sind, daß die Zuwendung unentgeltlich erfolgt (§ 516 BGB; BGH LM § 2325 BGB Nr. 1 = NJW 1961, 604). Daß diese Voraussetzungen gegeben seien, hat im Streitfall derjenige zu beweisen, der aus dem Vorliegen der Schenkung Ansprüche herleitet, hier also der Kläger. Das hat das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision nicht verkannt. Ist Vermögen durch einen notariell Beurkundeten Vertrag übertragen worden, dann ist, wie es das Berufungsgericht richtig getan hat, bei der rechtlichen Beurteilung vom Inhalt der Urkunde auszugehen, die die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich hat. Die Auslegung der Urkunde, die das Berufungsgericht vorgenommen hat, ist als tatrichterliche Feststellung für das Revisionsgericht bindend, wenn sie nicht auf rechtlichen Fehlern beruht. Das ist hier nicht der Fall. Übergabeverträge zwischen Eltern und Kindern, durch die wirtschaftlich die künftige Erbfolge vorweggenommen wird, sind regelmäßig auch dann nicht vollentgeltliche Rechtsgeschäfte, wenn die Kinder sich zu Untorhaltsieistungen an den Übergeber und zu Herauszahlungen an andere Erbberechtigte verpflichten, weil der Wert dieser Leistungen den des übertragenen Vermögens nicht zu erreichen pflegt; rechtlich sind derartige Geschäfte regelmäßig als gemischte Schenkungen zu beurteilen. Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, daß der Wortlaut der Urkunde im vorliegenden Fall Anlaß zu einer anderen Beurteilung gebe: Im Gegenteil zeigen die von der Beklagten übernommenen Pflichten zur Herauszahlungen an die Brüder und die Anordnung des Erblassers, die Brüder müßten sich alle Vorempfänge anrechnen lassen, daß der Erblasser beim Abschluß des Vertrages nicht von der Vorstellung ausging, der Beklagten stehe ein Vergütungsanspruch in Höhe des Wertes des Hauses zu. Dementsprechend hat das Berufungsgericht unangefochten festgestellt, der Erblasser habe die Beklagte bevorzugen wollen. Die Beklagte muß den Vertrag gegen sich gelten lassen, so wie sie ihn geschlossen hat und wie er nach der Verkehrsauffassung auszulegen ist. Daß sie ihn aufgrund eines Irrtums in dieser Form abgeschlossen habe, hat sie selbst nicht geltend gemacht.

Unter den vorliegenden Umständen ist es in diesem Zusammenhange ohne Bedeutung, daß das Berufungsgericht nicht Beweis über die Behauptung der Beklagten erhoben hat, die Eltern hätten ihr das Haus zum Ausgleich für ihre Dienste versprochen. Entscheidend für die Beurteilung des Vertrages sind nicht früher geäußerte Absichten oder selbst Versprechungen, die mangels Einhaltung der vorgeschriebenen Form keine Verbindlichkeit zu begründen vermochten, sondern der Inhalt des Vertrages.

Danach ist die Vermögensübertragung insgesamt als gemischte Schenkung anzusehen.

2.Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, steht dem Kläger nach §§ 2325, 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB ein Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 1/6 des Betrages der Schenkung zu, allerdings nur, soweit nicht eine mit Rücksicht auf eine sittliche Pflicht oder den Anstand gemachte Schenkung vorliegt (§ 2330 BGB). Bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs haben daher Leistungen des Schenkers auszuscheiden, die nicht unentgeltlich sind, und außerdem solche, die zwar eine Schenkung darstellen, aber durch eine sittliche Pflicht oder den Anstand geboten waren.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Beklagten hätten aufgrund ihrer Dienstleistungen keine Ansprüche gegen ihren Vater zugestanden. Entgegen der Meinung der Revision ist es richtig, daß keine Tatsachen vorgetragen sind, aus denen sich das Bestehen arbeitsrechtlicher Ansprüche ergeben könnte. Die Tatsache allein, daß ein Kind im Haushalt und im Geschäft seiner Eltern Dienste leistet, begründet solche Ansprüche noch nicht. Es muß hinzukommen, daß ausdrücklich oder mindestens stillschweigend ein Arbeitsverhältnis oder, was dem gleichkommt, die Zahlung einer Vergütung vereinbart ist.

Dagegen hat das Berufungsgericht nicht geprüft, ob der Beklagten etwa dann, wenn ihr das Haus nicht übertragen worden wäre, ein Bereicherungsanspruch deshalb zugestanden hätte, weil sie die Dienste aufgrund formloser Versprechungen des Vaters in der Erwartung geleistet hat, das Haus zu erhalten, und der Vater diese Erwartung erkannt und die Dienste der Klägerin in dieser Erkenntnis hingenommen hat (vgl. BGB RGRK 11. Aufl. § 812 Anm. 100; BGHZ 44, 321, 323) [BGH 29.11.1965 - VII ZR 214/63]. In diesem Falle wäre die Übertragung des Hauses, wenn und soweit der Bereicherungsanspruch durch sie abgegolten wurde, möglicherweise nicht unentgeltlich gewesen. Mit der vom Berufungsgericht angestellten Erwägung, die frühere Benachteiligung der Beklagten sei dadurch wettgemacht, daß sie als Alleinerbin eingesetzt und nur Pflichtteilsansprüche zu erfüllen habe, kann das Bestehen eines Bereicherungsanspruches nicht verneint werden.

Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt: Es liege auf der Hand, daß es sich bei dem Umfang der Schenkung nicht um eine solche im Sinne des § 2330 BGB handele. Dem kann nicht gefolgt werden. Es ist zwar richtig, daß die genannte Bestimmung, nach der die Vorschriften über die Pflichtteilsergänzung keine Anwendung auf Schenkungen finden, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird, in der Regel den Fall verhältnismäßig geringwertiger Zuwendungen trifft, die etwa für erwiesene Gefälligkeiten, zu Jubiläen, bei Geburts- oder Namenstagen, bei familiären Ereignissen, wie Verlobung, Hochzeit oder Geburt eines Kindes und aus ähnlichen Anlässen gegeben werden. Es ist aber anerkannten Rechts, daß auch eine größere Schenkung einer sittlichen Pflicht entsprechen kann, unter Umständen selbst eine solche, die den Nachlaß im wesentlichen erschöpft. Bestand zwar eine sittliche Pflicht zu einer Schenkung, ist deren Wert aber höher als durch die Pflicht geboten, dann ist die Schenkung nur insoweit ergänzungspflichtig, als das gebotene Maß überschritten ist (u.a. BGB RGRK § 2330 Anm. 1). Andernfalls käme man zu dem widersinnigen Ergebnis, daß derjenige, dem aufgrund einer sittlichen Pflicht ein Geschenk in der gebotenen Höhe gemacht wird, möglicherweise besser stünde als derjenige, dem mehr als das Gebotene zugewendet ist. Jener könnte sich auf § 2330 BGB berufen, dieser müßte sich das Geschenk in voller Höhe anrechnen lassen. Das kann nicht richtig sein. Es sind hier vielmehr die Grundsätze entsprechend anzuwenden, die die Rechtsprechung für die sogenannte gemischte Schenkung entwickelt hat: Die Schenkung ist insoweit gemäß § 2330 BGB bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs unberücksichtigt zu lassen, als sie sittlicher Pflicht oder dem Anstand entspricht, nur mit dem Mehrwert kann der Beschenkte zur Pflichtteilsergänzung herangezogen werden. Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe von ihrer Schulentlassung an bis zu ihrem 34. Lebensjahr ohne Entgelt im Haushalt und Geschäft der Eltern mitgearbeitet, während die Söhne ihren Lohn zum großen Teil hätten behalten dürfen; sie sei nicht sozialversichert gewesen und sie habe sich bei ihrer Tätigkeit ein chronisches Rheumatismus-Leiden zugezogen. Dieser Vortrag, von dem mangels entgegenstehender Feststellungen im Berufungsurteil für das Revisionsverfahren auszugehen ist, legt die Möglichkeit nahe, daß für den Vater eine sittliche Pflicht bestand, die Beklagte für ihre Opfer zu entschädigen, auch wenn eine Rechtspflicht hierzu nicht gegeben war. Denn das sittliche Gebot, Kinder gleich zu behandeln, steht Mehrzuwendungen an ein Kind nicht entgegen, das den Eltern oder der Familie besondere Dienste geleistet hat. Vielmehr kann es in einem solchen Falle gerade sittlich geboten sein, diesem Kinde eine besondere Entschädigung für seine Leistungen zu gewähren. Es wäre daher zu prüfen gewesen, ob und inwieweit die Vermögensübertragung auf die Beklagte, soweit sie nicht durch vertraglich übernommene Gegenleistungen abgegolten war, einer sittlichen Pflicht des Vaters entsprach.

Aufgrund der Feststellungen des Berufungsurteils vermag das Revisionsgericht nicht abschließend zu beurteilen, ob und inwieweit der Beklagten etwa ein Bereicherungsanspruch zustand oder die Vermögensübertragung einer sittlichen Pflicht oder dem Anstand entsprach. Mit der gegebenen und auch mit anderer Begründung kann das Berufungsurteil daher nicht gehalten werden, vielmehr muß es aufgehoben und die Sache zum anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Für die weitere Verhandlung und Entscheidung ist zu bemerken: Auf die Frage, ob der Beklagten ein irgendwie gearteter Rechtsanspruch gegen den Kläger zustand, kommt es möglicherweise nicht an, dann nämlich, wenn im Falle des Nichtbestehens eines Anspruchs die Schenkung in der Hohe sittlich geboten war, in der ein Anspruch äußerstenfalls in Betracht gekommen wäre; denn es ist für das Ergebnis gleichgültig, ob ein der Beklagten zugeflossener Wert bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs deshalb ausscheidet, weil er nicht geschenkt ist, oder aber deshalb, weil die Schenkung durch sittliche Pflicht geboten war.