Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 29.06.1995, Az.: III ZR 196/94
Tatbestand
Der Kläger ist Landwirt. Der beklagte Abwasserverband betreibt eine Abwasserkanalisationsanlage, die unter anderem auch durch ein vom Kläger angepachtetes Wiesengrundstück verläuft. Der Kläger hat behauptet, er sei am 1. Juli 1991 beim Mähen der Wiese mit seinem Frontkreiselmäher gegen den aus dem Erdreich ragenden Deckel eines Kanalschachts dieser Anlage gestoßen; dadurch sei der Mäher beschädigt worden.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von 5.937, 29 DM Reparaturkosten nebst pauschalen Nebenkosten und Zinsen in Anspruch.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht eine Schadensersatzpflicht des Beklagten verneint.
1. Das Berufungsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, daß die Kanalisationsanlage zu den unter § 2 HaftpflG fallenden Rohrleitungen gehört und bei einer Wasser- bzw. Abwasserleitung auch die Kanalschächte und Kanaldeckel Teile dieser Anlage sind (vgl. Filthaut, Haftpflichtgesetz, 4. Aufl., § 2, Rn. 14 m.N.). Da der nach dem Vortrag des Klägers entstandene Schaden jedenfalls nicht auf die Wirkungen des mittels der Kanalisation transportierten Abwassers zurückzuführen ist, kommt dabei nur die sogenannte Zustandshaftung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 HaftpflG in Betracht.
2. Das Berufungsgericht stellt fest, daß die eigentliche Rohrleitungsanlage einschließlich des hier interessierenden Kanalschachts bzw. -deckels für sich genommen zum Unfallzeitpunkt keine die Sicherheit der Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 HaftpflG berührenden Mängel aufgewiesen, sich mithin in einem ordnungsgemäßen, d.h. den anerkannten Regeln der Technik entsprechenden und unversehrten Zustand befunden hat. Dies läßt keine Rechtsfehler erkennen und wird von der Revision auch nicht angegriffen.
3. Das Berufungsgericht hält weiter für möglich, daß infolge von Setzungen des Erdbodens der Kanaldeckel, gegen den der Frontkreiselmäher des Klägers gestoßen sein soll, um bis zu 5 cm hervorgestanden hat. Das Berufungsgericht meint, daß dessen ungeachtet eine Haftung des Beklagten nach § 2 Abs. 1 Satz 2 HaftpflG ausscheide. Hierzu führt es aus: Der Erdboden, der eine unterirdisch verlegte Rohrleitungsanlage abdecke, sei nicht Bestandteil dieser Anlage. Zwar könne - wie hier - durch Setzungen des Erdreichs ein Kanaldeckel zu einem Hindernis werden und hierdurch eine Gefahrenlage entstehen. Die strenge Zustandshaftung nach dem Haftpflichtgesetz solle aber nur die Verantwortlichkeit des Inhabers für diejenigen Schäden begründen, die allein auf mechanischen Einwirkungen der Anlage als solcher beruhten. Demgegenüber bezwecke das Gesetz nicht den Schutz vor Gefahren, die lediglich auf eine Veränderung der Umgebung der Anlage zurückzuführen seien. Dies sei auch sachgerecht, weil derartige Veränderungen nicht ohne weiteres in den beherrschbaren Risikobereich des Betreibers der Anlage fielen. Gerade bei landwirtschaftlich genutzten Grundstücken seien Veränderungen an der Oberfläche des Erdbodens infolge zweckentsprechender Bewirtschaftung in Betracht zu ziehen, die der Betreiber der Anlage nicht verhindern könne oder müsse.
Diese Ausführungen sind, wie die Revision zu Recht rügt, von Rechtsfehlern beeinflußt.
a) Die vom Berufungsgericht in den Vordergrund gestellte Erwägung, daß das eine unterirdisch verlegte Rohrleitungsanlage im Sinne des § 2 HaftpflG umgebende Erdreich kein Bestandteil der Anlage sei (vgl. hierzu auch Senat, Urteil vom 3. März 1994 - III ZR 183/92 - NJW-RR 1994, 857), wäre allenfalls dann durchgreifend, wenn das Arbeitsgerät des Klägers beim Mähen der Wiese durch - etwa infolge nicht ordnungsgemäßer Verfüllung aufgetretener - Setzungen oder Unebenheiten des Erdreichs beschädigt worden wäre, ohne hierbei mit dem Kanalschacht bzw. dem Kanaldeckel in Berührung gekommen zu sein. So liegt der Fall nicht. Nach dem als wahr zu unterstellenden Sachvortrag des Klägers ist der Schaden durch den Anstoß des Mähers an den Kanaldeckel - also einen Teil der Anlage selbst - entstanden. Damit steht aber unabhängig von der Beschaffenheit des Erdreichs nach Beendigung der Bauarbeiten - nach dem Vorbringen des Klägers bestand zu dieser Zeit zwischen dem Kanaldeckel und dem Wiesengelände kein Niveauunterschied - und etwaiger nachträglicher Veränderungen (Setzungen) fest, daß der Schaden auf das Vorhandensein (eines Teils) der Rohrleitungsanlage zurückzuführen ist.
Auch unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks ergibt sich vorliegend nichts anderes. Danach soll zwar mit der Zustandshaftung der Inhaber der Anlage für solche Schäden haftbar gemacht werden, die durch "von der Anlage ausgehende mechanische Einwirkungen" verursacht werden, wobei in den Gesetzesbegründungen als Fallbeispiele Schäden durch Umstürzen von Leitungsmasten, Herabfallen von Drähten und Leitungsrohren genannt werden (Amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Reichshaftpflichtgesetzes vom 15. August 1943, DJ 1943, 430 und Däubler, DJ 1943, 414, 415 sowie die Begründung des Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 16. August 1977, BT-Drucks. 8/108, S. 12; vgl. auch Senat, Urteil vom 17. Oktober 1985 - III ZR 99/84 - NJW 1986, 2312, 2315). Aus diesen Formulierungen darf jedoch - worauf die Revision zu Recht hinweist - angesichts des klaren Wortlauts der Norm nicht geschlossen werden, daß nach § 2 Abs. 1 Satz 2 HaftpflG nur der durch die "bewegend wirkende Kraft" der Anlage oder von Teilen der Anlage hervorgerufene Schaden zu ersetzen sei. Eine solche der Vorschrift des § 836 Abs. 1 Satz 1 BGB zugrundeliegende besondere Art der Schadensverursachung (vgl. hierzu nur Senat, Urteil vom 17. März 1983 - III ZR 116/81 - VersR 1983, 588), setzt die Zustandshaftung nach dem Haftpflichtgesetz nicht voraus. Sie kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn - wie hier - ein in Bewegung befindliches Gerät gegen den "festen" Teil einer Rohrleitungsanlage gestoßen und dadurch beschädigt worden sein soll (vgl. auch Filthaut, aaO., § 2, Rn. 32, 40).
b) Die Frage nach der Reichweite der Haftungsnorm in Fällen wie dem vorliegenden läßt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht allein durch eine isolierte Betrachtung der Beschaffenheit der Anlage als solcher bzw. ihrer Teile beantworten; vielmehr sind hierbei - wie die Revision zu Recht geltend macht - auch die jeweiligen örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. So kann etwa bei der Errichtung bzw. dem Betrieb einer Stromleitungsanlage ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik darin begründet liegen, daß ein Leitungsmast in unmittelbarer Nähe eines Baumes aufgestellt ist (Filthaut, aaO., Rn. 36 unter Hinweis auf LG Tübingen, VersR 1958, 695 mit Wirkung Böhmer) oder die Leitungsdrähte in unzureichendem Abstand an einem Baum vorbeiführen (vgl. die - freilich vor der einschlägigen Änderung des Reichshaftpflichtgesetzes ergangene - Entscheidung RG JW 1938, 1254 unter Angabe der einschlägigen VDE-Vorschriften). Würde man bei einer solchen Fallgestaltung im Schadensfalle eine nach § 2 Abs. 1 Satz 2 HaftpflG im übrigen tatbestandlich gegebene Haftung allein wegen des technisch einwandfreien Zustands der Anlage als solcher verneinen und den Anspruchsteller insoweit auf eine etwaige deliktische Haftung des Anlagenbetreibers wegen Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht verweisen, so liefe das im Ergebnis darauf hinaus, daß an den Inhaber einer Anlage hinsichtlich der Sicherheit derselben im Bereich der Gefährdungshaftung nicht - wie vom Gesetz gewollt - strengere, sondern geringere Anforderungen als im Bereich der Verschuldenshaftung gestellt würden. Demzufolge kann es bezüglich der Zustandshaftung des Inhabers einer Kanalisationsanlage keinen Unterschied machen, ob der schadensursächliche Kanaldeckel über eine mangelnde Festigkeit verfügte, sich aus der Fassung gelöst hat oder - was hier allein in Frage kommt - gefährlich hochstand (vgl. Filthaut, aaO., Rn. 40 mit Nachweisen aus der instanzgerichtlichen Rechtsprechung).
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann für das Eingreifen der Zustandshaftung auch nicht danach differenziert werden, ob der vom Kläger behauptete Höhenunterschied zwischen dem Kanaldeckel und dem umgebenden Erdreich bereits von Anfang an bei Herstellung bzw. Inbetriebnahme der Kanalisationsanlage vorhanden war oder erst durch nachträgliche Senkungen des Erdreichs entstanden ist (so im Ergebnis auch Filthaut, aaO., Rn. 37). Das folgt schon aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes, wonach der Zeitpunkt der Schadensverursachung für die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit der Anlage maßgeblich ist (§ 2 Abs. 1 Satz 2 HaftpflG) bzw. eine Anlage nur solang als ordnungsgemäß angesehen werden kann, wie sie den anerkannten Regeln der Technik entspricht und unversehrt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 3 HaftpflG). Die in diesem Zusammenhang angestellte Überlegung des Berufungsgerichts, nachträgliche Bodenveränderungen der vom Kläger behaupteten Art könnten auch infolge der landwirtschaftlichen Bearbeitung auftreten, was vom Anlagenbetreiber nicht ohne weiteres zu verhindern sei, geht fehl. Weist eine Anlage im Sinne des § 2 HaftpflG zum Unfallzeitpunkt Mängel auf, die die Sicherheit der Anlage berühren, so ist es für die Frage der Zustandshaftung - soweit nicht, was vorliegend zu Recht weder vom Berufungsgericht noch von den Parteien in Erwägung gezogen worden ist, der Haftungsausschluß des § 2 Abs. 3 Nr. 3 HaftpflG (höhere Gewalt) in Betracht kommt - ohne Belang, ob diese Mängel auf unsachgemäße Herstellung bzw. Wartung der Anlage, auf Naturereignisse oder Eingriffe Dritter zurückzuführen sind. In all diesen Fällen folgt die Einstandspflicht des Anlageninhabers unmittelbar aus der der Gefährdungshaftung zugrundeliegenden Gefahren- und Lastenzuweisung; ob und gegebenenfalls welche Abwehr- oder Kostenerstattungsansprüche dem Anlagenbetreiber bei Eingriffen oder Einwirkungen Dritter zustehen, ist eine andere Frage (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 1989 - VI ZR 191/88 - VersR 1989, 633).
3. Ungeachtet der aufgezeigten Rechtsfehler hält der Senat angesichts des geringfügigen Niveauunterschiedes von höchstens 5 cm die von den Vorinstanzen ausgesprochene Abweisung der Klage im Ergebnis für zutreffend.
Schadensfälle durch herausragende Kanaldeckel oder sonstige Unebenheiten des Untergrunds, und zwar insbesondere auf öffentlichen Straßen und Gehwegen, haben die Rechtsprechung schon häufig beschäftigt (vgl. nur die Nachweise bei Filthaut, aaO., § 12, Rn. 64). Dabei werden im öffentlichen Straßenraum im allgemeinen Höhendifferenzen von bis zu 2 cm als noch hinnehmbar erachtet. Auf landwirtschaftlich genutzten Grundstücken, auf denen - wie hier - kein öffentlicher Verkehr st