Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 29.04.1993, Az.: III ZR 3/92
Tatbestand
Der Kläger verlangt von dem beklagten Land Schadensersatz, insbesondere Zahlung eines Schmerzensgeldes, wegen eines Gesundheitsschadens, den er auf erlittene Untersuchungshaft und den Vollzug einer Freiheitsstrafe zurückführt.
Der Kläger leidet seit seiner Kindheit an einer bleibenden spastischen Lähmung der Beine und einer andauernden neurogenen Mastdarm- und Blasenentleerungsschwäche als Folge einer Rückenmarkserkrankung. Durch ständige und aufwendige Therapien sowie Beherrschung spezieller Verhaltensregeln gelang es ihm, diese Behinderung auszugleichen. Bis zu seiner Inhaftierung ging er in vollem Umfang seiner beruflichen und politischen Tätigkeit nach.
Am 1. November 1985 wurde der Kläger, gegen den der Verdacht der Bestechlichkeit bestand, wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft genommen. Bei seiner Inhaftierung wurde er ärztlich untersucht und ihm eine Reihe von Medikamenten und TherapiemaÃnahmen verordnet. An der ab April 1986 durchgeführten Hauptverhandlung nahm der Kläger bis zu deren 18. Tag teil, bevor er ab 8. Juli 1986 mehrfach an anberaumten Verhandlungstagen verhandlungsunfähig war. Vom 23. Juli 1986 an wurde er wegen urologischer, orthopädischer und psychotherapeutischer Befunde bis 7. Oktober 1986 (mit Ausnahme zweier Tage) in einem externen Krankenhaus stationär behandelt, davon ca. sechs Wochen in einer Rehabilitationsklinik. Dann wurde er in das Vollzugskrankenhaus M. zurückverlegt. Am 24. Oktober 1986 war der Kläger aus ärztlicher Sicht infolge seines psychischen und körperlichen Zustandes verhandlungs- und vollzugsunfähig. Dennoch verwarf die Strafkammer mit an diesem Tage ergangenen Beschluà den Antrag des Klägers, ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Die Beschwerde hiergegen blieb erfolglos. Am 7. November 1986 wurde die Blase des Klägers, dessen Zustand sich weiter verschlechtert hatte, wegen eines Infekts mit erneutem Sediment- und Blasenhochstand mittels eines Cystofixes durch die Bauchdecke künstlich entleert. Eine dabei eintretende Komplikation machte eine eineinhalbstündige Notoperation notwendig, zu der der Kläger ins Klinikum St. verlegt wurde. Auf ärztlichen Rat blieb er dort bis zur Haftverschonung am 12. Dezember 1986.
Durch - rechtskräftiges - Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Dezember 1986 wurde der Kläger wegen Bestechlichkeit und Vorteilsannahme zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
Vor der Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde der Kläger, der seine Vollzugsuntauglichkeit eingewandt hatte, erneut ärztlich untersucht. Der gerichtsmedizinische Sachverständige Prof. Dr. Sch. sah eine VerbüÃung im normalen Vollzug als lebensgefährlich an. Nur bei Haftbedingungen, die den vitalen Lebensinteressen des Klägers entgegenkämen, bestehe Hoffnung, daà das Krankheitsbild sich nicht lebensbedrohlich verschlechtere. Der zur Prüfung der Schaffung individueller Haftbedingungen von der Staatsanwaltschaft hinzugezogene leitende Arzt der inneren Abteilung des Krankenhauses der Berliner Vollzugsanstalten (KBVA) schloà sich dieser Bewertung an und setzte in seiner Stellungnahme vom 17. März 1987 voraus, daà schon bei Haftantritt eine dieser Gefahr entgegenwirkende Vollzugsgestaltung, die Absprachen und terminliche Koordinierungen bedinge, sichergestellt sei.
Die Staatsanwaltschaft sah aufgrund dieser ärztlichen Stellungnahmen den Kläger als grundsätzlich vollzugstauglich an und lud ihn zum Haftantritt am 26. März 1987. Seinen Einwand, er sei u.a. wegen Fehlens geeigneter Vollzugsbedingungen vollzugsuntauglich, und seinen Antrag, ihm zur Durchführung einer orthopädischen Kurbehandlung bis 4. Mai 1987 Vollstreckungsaufschub zu gewähren, wies sie zurück. Den Antrag des Klägers auf Vollstreckungsaufschub bis zur gerichtlichen Entscheidung verwarf die Strafkammer (als unzulässig) am 26. März 1987, da er (vorsorglich) schon vor der Entscheidung der Staatsanwaltschaft gestellt worden war. Am Nachmittag dieses Tages stellte der Kläger sich im Vollzugskrankenhaus M. zum Haftantritt. Nach sechs Tagen wurde der bis dahin ärztlich untersuchte Kläger in die Justizvollzugsanstalt T. verlegt und in einem behindertengerecht ausgestatteten Haftraum untergebracht. Die medizinisch indizierten BehandlungsmaÃnahmen verzögerten sich anfangs, u.a. weil bei Vollzugsbeginn erforderliche Terminsabsprachen mit externen Einrichtungen nicht getroffen worden waren. Zur Behandlung der regelmäÃig an Wochenenden auftretenden krankheitsbedingten, behandlungsbedürftigen und schmerzhaften Verschlimmerungszustände fehlte es an urologischer fachärztlicher Hilfe. Bereits am 21. April 1987 wurde der Kläger, der trotz zusätzlicher medizinischer Anstrengungen zusehends verfiel, in ein externes Krankenhaus eingewiesen. Dort verblieb er - bis auf wenige Tage, während der er nochmals in das KBVA verlegt wurde - bis zur Unterbrechung der Strafvollstreckung am 10. Juni 1987.
Der Kläger, der aufgrund dieser Ereignisse im Vollzug von Untersuchungs- und Strafhaft die Ursache für seinen gesundheitlichen Verfall sieht, verlangt von dem beklagten Land ein Schmerzensgeld und eine monatliche Schmerzensgeldrente. Er begehrt auÃerdem die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger materieller Schäden aus dem Verhalten der Bediensteten des beklagten Landes in der Zeit vom 4. November 1985 bis zum 10. Juni 1987.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat durch Teil- und Zwischenurteil den Zahlungsanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das beklagte Land verfolgt mit der Revision sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht sieht in der Inhaftierung des Klägers in der Untersuchungshaft seit dem 22. August 1986 und in der Strafvollstreckung eine rechtswidrige Entziehung seiner Freiheit im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK), die schon als solche - ohne das Erfordernis eines Schuldvorwurfs - die Zubilligung eines Schmerzensgeldes rechtfertige. Der Vollzug der Untersuchungshaft vom 22. August 1986 an und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe seien rechtswidrig gewesen, weil die Vollzugsuntauglichkeit des Klägers von einer nahen Lebensgefahr abhängig gemacht und verkannt worden sei, daà ein Haftvollzug, der eine schwerwiegende gesundheitliche Schädigung des Betroffenen befürchten lasse, ein Ãbermaà und deshalb ein Vollzugshindernis darstellen könne. Auch gegenüber dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse hätte die von ärztlichen Erkenntnissen getragene Sorge, der während der Haft eingetretene zeitweise Verlust der Gehfähigkeit könne zu einem Dauerzustand werden, Anlaà zur Beendigung der Haft sein müssen. Hinzu seien weitere schwerwiegende Gesundheitsschäden insbesondere urologischer und psychischer Art gekommen. Die Gefahr der gesundheitlichen Schädigung habe sich bei Beginn des Strafvollzugs eher noch deutlicher als während der Untersuchungshaft gezeigt, zumal der Vollstreckungsbehörde von ärztlicher Seite erklärt worden sei, daà der wesentliche Teil der nötigen organisatorischen und medizinischen Voraussetzung in der Haft praktisch nicht realisierbar sei.
II. Die hiergegen gerichtete Revision des beklagten Landes hat teilweise Erfolg.
1. Die Annahme des Berufungsgerichts, die gegen den Kläger vom 22. August 1986 an vollzogene Untersuchungshaft und die Vollstreckung der gegen ihn erkannten Freiheitsstrafe seien rechtswidrig gewesen, wird nur für die Zeit vom 24. Oktober bis zum 12. Dezember 1986 (Untersuchungshaft) und vom 26. März bis zum 21. April 1987 (Strafhaft) von den Feststellungen getragen. Für die genannten Zeiträume steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 MRK zu.
Nach Art. 5 Abs. 5 MRK hat jeder, der entgegen den Bestimmungen des Art. 5 MRK von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, Anspruch auf Schadensersatz. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK - soweit hier einschlägig - darf einem Menschen die Freiheit nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Wege entzogen werden,
- wenn er rechtmäÃig nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird (Buchst. a),
- wenn er rechtmäÃig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, sofern hinreichender Verdacht dafür besteht, daà der Betreffende eine strafbare Handlung begangen hat, oder begründeter Anlaà zu der Annahme besteht, daà es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung oder an der Flucht nach einer solchen zu hindern (Buchst. c).
Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt innerstaatlich mit Gesetzeskraft und gewährt in Art. 5 Abs. 5 dem Betroffenen einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch, wenn seine Freiheit dem Art. 5 Abs. 1 MRK zuwider beschränkt wurde (Senatsurteil BGHZ 45, 46).
2. Ein Verstoà gegen die in Art. 5 Abs. 1 MRK selbst normierten Haftvoraussetzungen ist nicht ersichtlich. Die Inhaftierung des Klägers war aber zeitweise innerstaatlich rechtswidrig, so daà der Freiheitsentzug (mittelbar) konventionswidrig war, auch wenn die Anforderungen der Konvention an die Voraussetzungen, unter denen Untersuchungshaft angeordnet werden kann, geringer sind als die der deutschen StrafprozeÃordnung (vgl. Senatsurteil BGHZ 57, 33 (38)).
Art. 5 MRK schützt allerdings nicht unmittelbar die körperliche Unversehrtheit (vgl. Guradze, EMRK-Kommentar, Art. 5 Anm. 1, 3; Frowein/Peukert, EMRK, 1985, Art. 5). Der Betroffene soll zwar vor der Beeinträchtigung der Person, der Ehre und des Vermögens durch rechtswidrige Festnahme oder Haft bewahrt werden (vgl. österrOGH vom 15. Juli 1981 - 1 Ob 35/80 - ÃJZ 1981 EvBl Nr. 208). Die Garantie bezieht sich aber nur auf die Freiheitsentziehung als solche, nicht auf die Modalitäten des Vollzugs der Untersuchungs- oder Strafhaft (vgl. Partsch, Die Rechte und Freiheiten der EMRK, in: Bettermann/Neumann/Nipperdey, Die Grundrechte Bd. I/1, S. 358); daher ergeben sich aus ihr keine Rechte von verhafteten Personen in bezug auf ihre Behandlung in der Haft (Frowein/Peukert, aaO, Anm. 8; Ganter, die Spruchpraxis der EMRK auf dem Gebiet des Strafvollzugs, 1974, S. 68, 71 f insbes. Fn. 267). Die Umstände des Vollzugs können aber die RechtmäÃigkeit der Haft in Frage stellen (Frowein/Peukert, aaO). Gerade in Fällen, in denen die im Vollzug zur Verfügung stehenden Fürsorgemittel nicht ausreichen, um von der Haft ausgehende Gesundheitsbeeinträchtigungen abzuwenden, wird die Vollzugstauglichkeit zur Voraussetzung für die RechtmäÃigkeit der Haft.
a) Die gegen den Kläger vollzogene Untersuchungshaft war vom 24. Oktober 1986 an rechtswidrig.
aa) An dieser Würdigung ist der Senat nicht dadurch gehindert, daà dem Untersuchungshaftvollzug richterliche Haftentscheidungen zugrunde lagen.
Der Bundesgerichtshof hat allerdings in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, daà staatsanwaltschaftliche Entscheidungen im Ermittlungsverfahren und im gerichtlichen Strafverfahren, bei denen dem Staatsanwalt ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, im Amtshaftungsprozeà nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen sind (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 21. April 1988 - III ZR 255/86 - BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Staatsanwalt 1 = VersR 1988, 911; Senatsbeschluà vom 27. September 1990 - III ZR 314/89 - BGHR aaO Nr. 3). Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die Entscheidung nicht mehr verständlich ist.
Diese Grundsätze sind auch auf den Richter anwendbar, der - auÃerhalb des Richterspruchprivilegs (vgl. Senatsurteil BGHZ 27, 338 (346)), so daà die von der Revision aufgeworfene Frage, ob der Haftungsausschluà des § 839 Abs. 2 BGB auch für den Schadensersatzanspruch aus Art. 5 Abs. 5 MRK gilt, nicht beantwortet werden muà - über die Anordnung oder Fortdauer von Untersuchungshaft zu entscheiden hat. Sie finden ihre Rechtfertigung darin, daà einerseits das Legalitätsprinzip kein Ermessen zuläÃt, andererseits aber die vorzunehmende Abwägung in Gestalt einer Gesamtschau nicht allein aus der Natur der Sache zum Ergebnis führt, sondern regelmäÃig auch subjektiv nicht näher verifizierbare Wertungen des Abwägenden einflieÃen, wobei verschiedene Betrachter, ohne pflichtwidrig zu handeln, durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können (Senatsurteil vom 21. April 1988 aaO). Hat die Gesamtschau aber stattgefunden, dann ist die Entscheidung mit den nach pflichtgemäÃem Ermessen ausgewählten Mitteln umzusetzen. Dabei ist auch dem für die Untersuchungshaft in den §§ 112 Abs. 1 Satz 2 und 116 StPO konkretisierten VerhältnismäÃigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen.
bb) Danach hätte der Kläger vom 24. Oktober 1986 an vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont werden müssen. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft über diesen Zeitpunkt hinaus war rechtswidrig.
Damit folgt der Senat nicht der Würdigung des Berufungsgerichts, schon der Beschluà der Strafkammer über die Fortdauer der Untersuchungshaft vom 22. August 1986 sei rechtswidrig gewesen. Für einen vor diesem Zeitpunkt liegenden Zeitraum macht der Kläger selbst nicht geltend, daà seine Inhaftierung als solche rechtswidrig gewesen sei. Sein Vortrag beschränkt sich für diesen Zeitraum darauf, Mängel innerhalb des Vollzugs darzustellen.
Die weitere Inhaftierung eines Beschuldigten ist unter dem Gesichtspunkt der VerhältnismäÃigkeit erst dann rechtswidrig, wenn ihre UnverhältnismäÃigkeit objektiv erkennbar ist. Insoweit kann nichts anderes gelten als bei der Beurteilung der objektiven Pflichtwidrigkeit einer Amtshandlung im Rahmen des § 839 BGB. Dies war für die Zeit vom 22. August bis zum 23. Oktober 1986 noch nicht der Fall. Das Berufungsgericht kommt zu seiner anderen Bewertung, an die das Revisionsgericht nicht gebunden ist, zum einen, weil es die vorrangigen Mittel des Vollzugs zur Gefahrenbeseitigung nicht ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt hat, so daà es die Notwendigkeit einer Haftverschonung bereits zu einem Zeitpunkt als gegeben ansah, als der Gesundheitsgefahr noch im Vollzug begegnet werden konnte. Zum anderen hat es eine rein rückschauende Betrachtung angestellt und dabei übersehen, daà auch die vom Haftrichter zugezogenen medizinischen Sachverständigen die Behandelbarkeit des Klägers mit den Mitteln des Vollzugs bis zum 23. Oktober 1986 nicht ausgeschlossen haben.
Die gesetzliche Wertung des § 455 StPO, die auch Eingang in die Entscheidungen über die Untersuchungshaft findet (vgl. Boujong in: KK-StPO, 2. Aufl., § 112 Rn. 45, 52; Kleinknecht/Meyer/Meyer-GoÃner, StPO, 40. Aufl., § 112 Rn. 11; OLG Frankfurt Beschluà vom 10. September 1968 - 1 Ws 296/68 - NJW 1968, 2302), verbietet einen Vollzug, von dem nahe Lebensgefahr oder eine schwere Gesundheitsgefahr droht. Allerdings muà bei einer solchen Gefahr nicht stets die Haft unterbrochen werden. Vom Vollzug droht die Gefahr nämlich auch dann nicht mehr, wenn er Mittel zur Abhilfe hat (vgl. amtliche Begründung zu § 455 StPO in BT-DruckS. 10/2720 S. 16; OLG Karlsruhe Beschluà vom 21. Dezember 1990 - 1 Ws 275/901 - NStZ 1991, 302; OLG Hamburg Beschluà vom 21. Dezember 1981 - VAs 17/81 - NStZ 1982, 264). Solche Mittel sind nicht nur die in § 455 Abs. 4 Nr. 3 StPO ausdrücklich genannte Untersuchung und Behandlung in Vollzugseinrichtungen, sondern auch diejenigen im externen Krankenhaus, die ebenfalls ohne Unterbrechung des Vollzugs vonstatten gehen können (§ 65 Abs. 2 StVollzG, vgl. amtl. Begründung aaO; OLG München Beschluà vom 8. Januar 1981 - 1 VAs 19/80 - NStZ 1981, 240; OLG Hamm Beschluà vom 31. Oktober 1980 - 1 VAs 60/80 - JMBl NW 1981, 130; OLG Karlsruhe aaO; Schwindt/Böhm-Romkopf, StVollzG, 2. Aufl., § 65 Rn. 3; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 5. Aufl., § 65 Rn. 4; Chlosta in: KK-StPO, 2. Aufl. § 455, Rn. 13; Wendisch, in: Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. 1989, § 455, Rn. 20). Dabei darf im Hinblick auf das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zwischen Krankheiten unterschieden werden, die von der Haft und deren Grund unabhängig sind, und solchen, die psychische oder physische Folge der Haft sind (vgl. auch BVerfGE 51, 324 (345 ff)).
Nach diesen Grundsätzen konnte gegen den Kläger bis 23. Oktober 1986 die Untersuchungshaft vollzogen werden. Der sachverständig beratene Haftrichter durfte bis dahin in Ãbereinstimmung mit den behandelnden und beratenden Ãrzten davon ausgehen, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers seien mit einer den Bedürfnissen des Klägers angepaÃten Haftgestaltung zu beherrschen. Durch die Behandlung in Vollzugseinrichtungen und in externen Krankenhäusern konnte danach der Zustand des Klägers stabilisiert werden. Diese Erwartung bestätigte sich vor allem mit der Behandlung des Klägers im Rehabilitationskrankenhaus, bei der er sich, wenn auch unter Zuhilfenahme von Gehstützen, wieder frei bewegen konnte sowie mittels einer neu erlernten Methode die Blase zu entleeren lernte. Im Anschluà an diese HeilmaÃnahme und nach Rückverlegung des Klägers in die Justizvollzugsanstalt M. wurde ärztlicherseits allerdings auf die Wechselwirkung der verschiedenen organischen und psychischen Leiden und auf die Gefahr des abrupten Umschlagens in eine schwere akute Phase aufgrund mit der Haft zusammenhängender situationsgeborener Einflüsse hingewiesen. Sowohl der gerichtsmedizinische Sachverständige Prof. Dr. Sch. als auch der leitende Arzt der inneren Abteilung des KBVA Dr. R. konnten zu dieser Zeit aber die Behandelbarkeit des Klägers innerhalb des Vollzugs nicht sicher ausschlieÃen. Im Bericht des Haftkrankenhauses vom 8. Oktober 1986 an den Vorsitzenden der Strafkammer heiÃt es, erst die Längsschnittbeobachtung könne zu besser abgesicherten und gültigen ärztlichen SchluÃfolgerungen verhelfen. Angesichts dessen verstieà es zu dieser Zeit nicht gegen das ÃbermaÃverbot, den Belangen der Strafverfolgung Vorrang vor den Interessen des Klägers zu geben.
Dagegen war die Fortdauer des Untersuchungshaftvollzugs vom 24. Oktober 1986 an bis zum 12. Dezember 1986 rechtswidrig; denn der nunmehrige Gesundheitszustand des Klägers machte den weiteren Vollzug objektiv erkennbar unverhältnismäÃig.
Die Gründe, aus denen die Haftfortdauer über den 23. Oktober 1986 hinaus für unerläÃlich gehalten wurde, genügten nicht mehr den Anforderungen des mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatzes der VerhältnismäÃigkeit, der Anordnung und Fortdauer einer freiheitsentziehenden MaÃnahme beherrscht (vgl. BVerfGE 70, 297 (307 ff)). Die Untersuchungshaft, die aus Gemeinwohlgründen unabweisbare Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung erfüllt, läÃt immer auch das Spannungsverhältnis mit dem Recht des einzelnen auf persönliche Freiheit sichtbar werden. Ein gerechter Ausgleich läÃt sich nur erreichen, wenn der im Interesse der Strafverfolgung als erforderlich angesehenen Freiheitsbeschränkung der grundgesetzlich verbürgte Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten und daher noch als unschuldig geltenden Beschuldigten als Korrektiv ständig entgegengehalten wird (BVerfG, stdRspr.; z.B. BVerfGE 19, 342 (347);  20, 45 (49), 144 (147);  53, 152 (158)). Dazu gehört auch zumindest die Abwägung, ob der dem Beschuldigten gemachte Vorwurf es rechtfertigt, ihn um der Durchsetzung des Strafanspruchs willen in Lebensgefahr oder schwerwiegende Gesundheitsgefahr zu bringen. Diese Ãberlegungen läÃt die Haftentscheidung vermissen.
Die Strafkammer erfuhr am 23. Oktober 1986 vom behandelnden leitenden Arzt des Haftkrankenhauses von der dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des auch psychisch dekompensierten Klägers, die trotz dessen intensiver Kooperation eingetreten sei und zur Verhandlungs- und Vollzugsunfähigkeit geführt habe, weil selbst eine Verlegung in ein öffentliches Krankenhaus keine überzeugende Möglichkeit der Besserung biete. Der leitende Arzt, wie auch der gerichtsmedizinische Sachverständige Dr. K., schlossen hierbei eine Manipulation oder Simulation seitens des Klägers aus.
Ãber diese ärztlichen Befunde und Bewertungen setzte die haftrichterliche Entscheidung sich mit einer Begründung hinweg, für deren Richtigkeit sich keine Anhaltspunkte in den Aussagen der dazu gehörten Ãrzte ergaben. Nach deren Bekundungen konnte dem Kläger gerade nicht vorgeworfen werden, er habe wissentlich und willentlich diesen Zustand in Kauf genommen, um aus der Haft entlassen zu werden, und deswegen die Katheterisierung durch die Bauchdecke, die ein ihm zumutbares Behandlungsangebot gewesen sei, abgelehnt. Diese Würdigung fand in der ärztlichen Darstellung, der Kläger habe bis dahin intensiv die Therapieangebote in der Haft mitgetragen, ihm fehle aber in seiner psychischen Verfassung die Einsichtsfähigkeit in die Notwendigkeit eines solchen operativen Eingriffs, keine Grundlage. Die Strafkammer durfte schlieÃlich auch nicht die Einschätzung des leitenden Arztes des Vollzugskrankenhauses, seine Behandlungsangebote seien erschöpft, nur mit dem Hinweis ablehnen, das Haftkrankenhaus sei zur Behandlung des Klägers hinreichend ausgestattet. Die Erfahrungen während der Haft hatten hinreichend gezeigt, daà das Haftkrankenhaus personell und organisatorisch nur beschränkte Kapazitäten für die notwendige Betreuung des Klägers aufbringen konnte.
Dagegen wog die Befürchtung, bei fortdauernder Haft könne der Zustand des Klägers in eine langfristige Behinderung einmünden, so schwer, daà es angezeigt war, der wegen hoher Straferwartung bejahten Fluchtgefahr durch mildere Mittel als den Vollzug der Untersuchungshaft zu begegnen. Nachdem in der vorangegangenen Zeit ein groÃer Teil der Haft unter reduzierten Sicherheitsbedingungen in externen Krankenhäusern vollzogen worden war, auÃerdem der Kläger in seiner Mobilität erheblich eingeschränkt und in ein als stabil erkanntes familiäres Umfeld eingebunden war, begründete dies insgesamt die hinreichend sichere Erwartung, daà der Abschluà des Strafverfahrens dadurch nicht vereitelt würde.
b) Der Vollzug der gegen den Kläger erkannten Strafhaft war vom 26. März 1987 bis zum 21. April 1987 rechtswidrig.
aa) Rechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, die Ladung des Klägers zum Strafantritt am 26. März 1987 sei rechtswidrig gewesen. Die Anordnung, von diesem Tag an die Strafe zu vollstrecken, entsprach nicht der pflichtgemäÃen Ausübung des in § 455 Abs. 3 StPO der Vollstreckungsbehörde eingeräumten Ermessens.
Nach § 455 Abs. 3 StPO sind die Interessen der Allgemeinheit an einer beschleunigten Strafvollstreckung des Verurteilten und des Vollzugs gegeneinander abzuwägen. Der Anstalt sollen Vollzugsschwierigkeiten genommen und dem Verurteilten Vollzugsbedingungen gesichert werden, die seinem gesundheitlichen Zustand entsprechen. Bei dieser Abwägung ist von erheblicher Bedeutung, inwieweit die ärztliche Versorgung in der Vollzugsanstalt die Vollzugstauglichkeit erhalten und herstellen kann (BGHSt 19, 148 (150)). Stellt die sofortige Vollstreckung danach ein Ãbermaà dar, dann besteht ein Vollzugshindernis (vgl. Litwinski/Bublies, Strafverteidigung im Strafvollzug, 1989, S. 28).
Die für die Erhaltung des Gesundheitszustands des Klägers unabdingbaren Vollzugsbedingungen waren am 26. März 1987 nicht gegeben, so daà die Strafe zu dieser Zeit nicht hätte vollzogen werden dürfen.
Bei der Ladung des Klägers war dessen schwere Behinderung bekannt, auch, daà Auswirkungen der Untersuchungshaft zu einer erheblichen Verschlimmerung beigetragen hatten. Zwei zur Prüfung der Vollzugstauglichkeit des Klägers eingeholte ärztliche Stellungnahmen bestätigten übereinstimmend, daà die VerbüÃung der Freiheitsstrafe im Normalvollzug ausgeschlossen sei und ansonsten von geeigneten Haftbedingungen abhänge. Dennoch hat die Vollstreckungsbehörde den Kläger zum Normalvollzug geladen und es abgelehnt, ihm vor Vollzugsbeginn, wie von ihm beantragt, eine nochmalige intensive therapeutische Behandlung zur Verbesserung und Stabilisierung seiner Gehfähigkeit zu ermöglichen. Die Staatsanwaltschaft lieà sich dabei, wie die Stellungnahmen und die Begründung ihrer Verfügungen in den beigezogenen Strafakten und dem Vollstreckungsheft erkennen lassen, wiederum von der Auffassung leiten, der Kläger sei in Wirklichkeit vollzugstauglich und habe seine Krankheit bewuÃt zuerst zur Verschleppung des Strafverfahrens und jetzt des Vollstreckungsverfahrens eingesetzt. Diese Einschätzung entbehrte einer hinreichend fundierten sachlichen Grundlage. Sie stand in deutlichem Widerspruch zu sämtlichen ärztlichen Befunden; Anhaltspunkte für vernünftige Zweifel an der medizinischen Richtigkeit dieser Befunde fehlten. Die MaÃgaben, unter denen ärztlicherseits eine Strafvollstreckung für möglich gehalten wurde, waren eindeutig und nicht miÃzuverstehen. Die angehörten Ãrzte hatten unter genauer und nachvollziehbarer Darstellung der dies bedingenden Umstände besonderen Wert darauf gelegt, daà die Vollzugsbedingungen koordiniert würden und bei Beginn der Vollstreckung vorhanden sein müÃten. Der Kläger hat dagegen unwidersprochen vorgetragen, diese Vorbereitungen seien entgegen der Mitteilung der Staatsanwaltschaft im Schreiben vom 25. März 1987 nicht getroffen worden. Nicht abgesprochen waren trotz der Mitteilung, daà dies zum Teil mehrere Wochen im voraus geschehen müsse, insbesondere die Termine für die Benutzung externer therapeutischer Einrichtungen, so daà die Behandlung entgegen den ärztlichen Vorgaben nicht sogleich bei Vollzugsbeginn einsetzen konnte und selbst in der dritten Woche nach Haftantritt noch nicht die als wesentlicher Bestandteil der Behandlung angeordnete Hydrotherapie stattgefunden hatte.
bb) Die Rechtswidrigkeit des Strafvollzugs endete allerdings mit dem 21. April 1987. An diesem Tag wurde der Kläger in das Städtische Krankenhaus M. verlegt und medizinischen Erfordernissen entsprechend wegen der mittlerweile aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen behandelt. Ziel dieses Krankenhausaufenthaltes war es gerade, dem Kläger die Behandlung zuteil werden zu lassen, deren Fehlen die Ladung zum Strafantritt unzeitig und damit rechtswidrig gemacht hatte. Der Umstand, daà diese Behandlung durch den vorausgegangenen rechtswidrigen Strafvollzug erforderlich geworden war, macht sie als solche nicht ebenfalls rechtswidrig. Sie war das adäquate Mittel, um der eingetretenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes wirksam zu begegnen.
Die Tatsache, daà die Behandlung unter Fortdauer des Freiheitsentzuges stattfand, hat der Kläger als Folge seiner rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe hinzunehmen. Hierin unterscheidet sich seine Situation bei der Strafvollstreckung von der in der Untersuchungshaft, während der er als unschuldig zu gelten hatte (Art. 6 MRK) und nur in Haft gehalten werden durfte, wenn dies für das Strafverfahren unabdingbar war. Wäre der Kläger zur Wahrung der VerhältnismäÃigkeit am 23. Oktober 1986 vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont worden, dann hätte die damit festgestellte Nichtvollziehbarkeit der Haft auch die Zeit eines anschlieÃenden Krankenhausaufenthaltes umfaÃt. Soll jedoch eine rechtskräftige Strafe vollstreckt werden, dann ist der Freiheitsanspruch für die Zeit der Vollstreckung verwirkt, solange die Vollstreckung nicht unter übermäÃig belastenden Bedingungen geschieht. Solche enthielt die Strafvollstreckung im externen Krankenhaus (§ 65 StVollzG) aber gerade nicht. Daà der Kläger sich bis zur Unterbrechung der Strafvollstreckung noch wenige Tage im Haftkrankenhaus aufhalten muÃte, ändert daran nichts. Es ist nicht ersichtlich, daà dies zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes beigetragen hat.
3. Die Feststellung des Berufungsgerichts, zwischem dem rechtswidrigen Vollzug der Untersuchungs- bzw. Strafhaft und der Gesundheitsverschlechterung des Klägers bestehe ein Ursachenzusammenhang, läÃt angesichts der zahlreichen medizinischen Gutachten, die einen solchen Ursachenzusammenhang bejahen, Rechtsfehler nicht erkennen. Der Umstand, daà der Kläger bereits vor seiner Inhaftierung nicht gesund war, schlieÃt nicht aus, daà sein Zustand sich durch den Vollzug der Haft verschlechterte.
4. Ein Verschulden des pflichtwidrig handelnden Amtsträgers setzt der Anspruch nach Art. 5 Abs. 5 MRK nicht voraus (Senatsurteil BGHZ 45, 58 (65)).
5. Ob § 839 Abs. 3 BGB oder § 254 BGB - der ebenfalls gebieten kann, einen belastenden hoheitlichen Akt durch geeignete Rechtsbehelfe abzuwehren (Senatsurteil 90, 17 (31 ff)) - auf einen Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 MRK anwendbar sind, bedarf keiner Entscheidung, da dem Kläger eine schuldhafte Versäumung von Rechtsbehelfen nicht anzulasten ist.
Er hat gegen den Beschluà der Strafkammer vom 24. Oktober 1986 erfolglos Beschwerde eingelegt. Gegen die Ladung zum Strafantritt hat er Vollstreckungsaufschub und vorsorglich die gerichtliche Anordnung eines Aufschubs der Vollstreckung bis zur Entscheidung des Gerichts über die erhobenen Einwendungen beantragt. Der Vollstreckungsaufschub wurde am 25. März 1987 abgelehnt, die Anträge des Klägers vom Landgericht Berlin am 26. März 1987, dem Tag des Strafantritts, als unzulässig verworfen. Selbst wenn die Strafkammer (mit OLG Celle Beschluà vom 3. Mai 1977 - 3 Ws 142/77 - NdsRpfl 1977, 128 - und OLG Koblenz Beschluà vom 2. März 1978 - 1 Ws 58/78 - OLGSt § 459 h, S. 3) die gerichtliche Entscheidung nach § 458 StPO, vergleichbar etwa dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerspruchsverfahren und im Gegensatz zur Durchgriffserinnerung, von erneuten Einwendungen gegen die EntschlieÃung des Staatsanwalts vom 25. März 1986 abhängig machen konnte, hätte der Kläger vor Haftantritt keine ihm günstige gerichtliche Entscheidung mehr herbeiführen können. Wenn die Strafkammer aber auch für den Antrag auf Aufschub der Vollstreckung bis zur gerichtlichen Entscheidung (§ 458 Abs. 3 StPO) schon die Erhebung solcher Einwendungen verlangt, kann dem Kläger nicht zum Vorwurf gemacht werden, daà er solche nicht noch binnen Tagesfrist vorgebracht hat. In der strafprozessualen Literatur wird ein Vollstreckungsaufschub weder von einem Antrag (vgl. Kleinknecht/Meyer/Meyer-GoÃner, aaO, § 458, Rn. 13), noch, wenn die Anfechtung zu erwarten ist, von der vorgängigen Einlegung eines Rechtsbehelfes abhängig gemacht (vgl. Engelhardt in: KK-StPO, 2. Aufl., § 307, Rn. 8).
6. Aufgrund des Art. 5 Abs. 5 MRK kann der Kläger auch ein Schmerzensgeld beanspruchen.
In seinem Urteil vom 31. Januar 1966 (III ZR 118/64 - BGHZ 45, 48 [BGH 10.01.1966 - III ZR 70/64]) hat der Senat den Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 als einen Fall der Gefährdungshaftung angesehen, der an rechtswidriges Verhalten anknüpft. Er hat dabei ausdrücklich die Frage offengelassen, ob er auch den Ersatz immateriellen Schadens umfaÃt. Dies ist zu bejahen. Bei Art. 5 Abs. 5 MRK handelt es sich um ein Gesetz im Sinne von § 253 BGB, aufgrund dessen wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigung in Geld gefordert werden kann.
a) Die in Art. 5 MRK geschützte Freiheit ist ein immaterielles Rechtsgut, das weniger durch seinen materiellen Wert, als durch seine Bedeutung für das persönliche Wohl gekennzeichnet ist. Wenn deswegen bei konventionswidriger Verletzung der Freiheit Schadensersatz zu leisten ist, bedeutet dies - ungeachtet der Tatsache, daà ein Freiheitsentzug auch zu einem wirtschaftlichen Schaden führen kann - zunächst Ersatz für den Verlust der Freiheit selbst, also immateriellen Schadensausgleich (vgl. österrOGH v. 18. Juni 1975 - 1 Ob 226/74 - SZ 48 Nr. 69; Guradze, aaO, Art. 5 Rn. 41). Die Konvention läÃt dem Freiheitsrecht besonderen, weitreichenden Schutz zukommen. Sie hat es selbst mit einem unmittelbaren, bei den nationalen Gerichten einklagbaren Schadensersatzanspruch bewehrt, während die Verletzung ihrer übrigen Garantien, sofern innerstaatliches Recht keinen Ausgleichsanspruch vorsieht, nur im Rahmen von Art. 5 MRK gerecht entschädigt werden kann. Die Haftung tritt unabhängig von einem vorwerfbaren Handeln dessen ein, der die Freiheitsentziehung zu verantworten hat, so daà schon der objektiv konventionswidrige Freiheitsentzug zum Schadensersatz verpflichtet. Der Schutz, den die Konvention bezweckt, wird deshalb erst dann vollständig gewährt, wenn nicht nur für den nicht notwendigerweise eintretenden wirtschaftlichen Schaden, sondern auch für den nichtwirtschaftlichen Schaden, den der Verlust der Freiheit immer bedeutet (vgl. Guradze, aaO Art. 5, Anm. 41), unmittelbar und nicht erst aufgrund des Art. 50 MRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Ersatz geleistet wird.
b) Grundsätze des deutschen Schadensersatzrechts stehen dem nicht entgegen, insbesondere nicht, daà - abgesehen von wenigen nicht verallgemeinerungsfähigen Ausnahmefällen (vgl. z.B. § 53 LuftVG oder § 833 Satz 1 BGB) - immaterieller Schaden nur vom schuldhaft handelnden Schädiger zu erstatten ist. Die Konvention ist nicht vom nationalen Gesetzgeber verfaÃt, von diesem aber - in dem BewuÃtsein, daà das bisherige Haftungssystem dadurch beeinfluÃt werden konnte - ins deutsche Recht transformiert worden. Der deutsche Gesetzgeber hat auch das Verfahren der MRK - mit der Zuständigkeit des Gerichtshofs und der Individualbeschwerde - anerkannt und so eine Rechtsschutzerweiterung gegenüber dem bisherigen deutschen Recht zugelassen.
c) Keiner weiteren Vertiefung bedarf daher die Frage ob darüber hinaus die Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der aufgrund seiner Kompetenz aus Art. 50 MRK schon mehrfach immateriellen Schaden auch bei Freiheitsentzug entschädigt hat (vgl. z.B. Urteile vom 13. Mai 1980 - EuGRZ 1980, 662, 666 f (Fall Artico) - und vom 12. Mai 1992 - EuGRZ 1992, 347 (Fall Megyeri)), auch ohne eine rechtliche Bindung (vgl. Ress, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Vertragsstaaten: Die Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im innerstaaatlichen Recht und vor innerstaatlichen Gerichten, in: Meyer (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, S. 227, 257, 259, 271, 276; Schreuer, Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte, 1977, S. 105 f; österrOGH Beschluà vom 17. Februar 1982 - 1 Ob 8/82 - EuGRZ 1983, 130), für die Anwendung der Konvention vorrangige Beachtung erlangen kann. Der Umfang des Schutzes wird durch die überstaatlich zusammengesetzten Organe der MRK mit besonderer Autorität über den Einzelfall hinaus verdeutlicht (vgl. Wildhaber, ZSR 1979, 301 ff, 355, 357;  Ress, aaO, S. 258 f) und kann zudem durch die Entscheidung über eine Individualbeschwerde durchgesetzt werden (vgl. Khol, Zur Diskussion um die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, JBl 1966, 130 (136 f); Verdross, Die Stellung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Stufenbau der Rechtsordnung, JBl 1966, 1 (5); Kühl, ZStW 100, 406 (422 f)). Die zitierten Entscheidungen betreffen zwar Staaten, deren Rechtsordnungen den Ersatz des Nichtvermögensschadens auÃerhalb der Konvention nicht für ersetzbar halten (vgl. § 253 BGB; § 1324 ABGB (Ãsterreich) und Rummel/Reischauer, ABGB 2. Bd. 1984, § 1324, Rn. 11; österrOGH SZ 48, Nr. 69; vom 1. März 1979 - 7 Ob 555/79 - SZ 52 Nr. 28; Art. 2059 CC i.V.m. Art. 185 ff, 598 c.p., 89 Abs. 2, 120 c.p.c. (Italien)). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich jedoch zur Anspruchsgrundlage, deren er sich bedient (zur Diskussion vgl. Herzog, Das Grundrecht auf Freiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention, AöR 86, 199 (243 f)), bislang noch nicht abschlieÃend geäuÃert, sondern lediglich erklärt, daà bei der Gewährung des Ausgleichs die materiellrechtliche Bestimmung des Art. 5 Abs. 5 in Erwägung zu ziehen ist (Urteil vom 7. Mai 1974, EuGRZ 1974, 27 - Fall Neumeister; Frowein/Peukert, aaO, Art. 5 Rn. 130).
d) Der Schadensersatzanspruch des Art. 5 Abs. 5 MRK ist der Höhe nach nicht auf eine Entschädigung innerhalb der Grenzen des Gesetzes über die Entschädigung für StrafverfolgungsmaÃnahmen (StrEG) beschränkt. Nach der Intention dieses Gesetzes, das einen Aufopferungsanspruch gesetzlich regelt (Senatsurteil BGHZ 72, 302 (305) [BGH 09.11.1978 - III ZR 116/77]), sollen nur die üblichen Unzuträglichkeiten, die die Haft mit sich bringt, ausgeglichen werden. Daneben bleiben aber Ansprüche auÃerhalb des StrEG - sowohl des Inhaftierten, der freigesprochen oder dessen Verfahren eingestellt wurde (§ 2 StrEG), als auch dessen, der verurteilt wurde und deswegen eine Entschädigung nach dem StrEG nicht verlangen kann - wegen atypischer Folgen des Vollzugs oder der rechtswidrigen Anordnung der Haft bestehen (vgl. die amtl. Begründung zum StrEG, BT-Drucks. VI/460, S. 6, BGHSt 36, 236 [BGH 23.08.1989 - StB 29/89]). Schadensersatz für solche auÃergewöhnlichen Folgen der Haft verlangt der Kläger.
III. Soweit der Senat für die Zeit vom 22. August bis zum 23. Oktober 1986 und vom 22. April 1987 an einen Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 MRK nicht für begründet erachtet, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann über diese Zeiträume nicht selbst abschlieÃend entscheiden, weil das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat, aufgrund derer verschuldensabhängige Ansprüche geprüft werden könnten. Das Grundurteil hindert das Berufungsgericht auch nicht, für den Zeitraum, für den ein Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 MRK dem Grunde nach zuerkannt worden ist, Feststellungen zu treffen, die einen Anspruch aus Amtspflichtverletzung nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB rechtfertigen könnten. Denn es ist denkbar, daà ein verschuldensunabhängiges Schmerzensgeld anders zu bemessen ist als ein solches, das wegen einer schuldhaften Handlung zu entrichten ist.