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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 17.01.1990, Az.: IV ZR 214/88

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte dem Kläger vertraglichen Rechtsschutz in einem gegen die Muttergesellschaft der Beklagten geführten Prozeß auch für die Berufungsinstanz zu gewähren hat. Sie gehen übereinstimmend davon aus, daß dem zwischen ihnen bestehenden Versicherungsverhältnis die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) zugrunde liegen. Für den ersten Rechtszug des gegen den Unfallversicherer des Klägers geführten Prozesses hatte die Beklagte Rechtsschutz gewährt. Die Klage ist abgewiesen worden. Mit ihrer Ablehnung, auch für das Berufungsverfahren eine Kostenzusage zu geben, stellte es die Beklagte dem Kläger anheim, einen für beide Teile verbindlichen Stichentscheid eines Rechtsanwaltes seines Vertrauens gemäß § 17 Abs. 2 ARB herbeizuführen. Nach Erhalt eines die Erfolgsaussicht der Berufung bejahenden Schreibens des Berufungsanwaltes des Klägers vom 5. Februar 1987 und erneut nach Erhalt einer Kopie der Berufungsbegründung vom 11. Februar 1987 blieb die Beklagte jeweils bei ihrer Ablehnung, die erbetene Kostenzusage zu geben. Nach ihrer Ansicht liegt ein wirksamer, sie bindender Stichentscheid im Sinne des § 17 Abs. 2 ARB nicht vor.

Zu dem Prozeß gegen den Unfallversicherer des Klägers ist es gekommen, weil der Kläger nach der Teilnahme an einer Wanderung am Himmelfahrtstage 1985, auf der an drei verschiedenen Rastplätzen Bier getrunken worden war, auf der Heimfahrt als Beifahrer auf dem Soziussitz des von O G, einem Mitglied der Wandergruppe, geführten Motorrades verunglückte. Zur Unfallzeit betrug die Blutalkoholkonzentration bei dem Fahrer 1,54 und bei dem Kläger 2,87 g o/oo. Klage und Berufung des Klägers sind ab- bzw. zurückgewiesen worden mit der Begründung, der Kläger habe seinen Unfall durch eine alkoholbedingte Bewußtseinsstörung verursacht.

Im anhängigen Verfahren ist dem Klagebegehren auf Gewährung von Rechtsschutz in den beiden Vorinstanzen stattgegeben worden. Mit ihrer - zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht hat das Schreiben des Rechtsanwaltes A vom 5. Februar 1987 als eine beide Parteien bindende Stellungnahme im Sinne des § 17 Abs. 2 ARB gewertet. Die Ausführungen, die das Berufungsgericht zu den Anforderungen gemacht hat, denen eine derartige Stellungnahme formell und inhaltlich entsprechen muß, treffen zu.

1. a) Dem Rechtsanwalt, der gemäß § 17 Abs. 2 ARB tätig wird, obliegt in der Funktion eines Schiedsgutachters die Aufgabe, die "Notwendigkeit" der Interessenwahrnehmung von Seiten des Versicherungsnehmers dem Streit der) (Vertrags-Parteien zu entziehen (Harbauer, Rechtsschutzversicherung 3. Aufl. § 17 Rdn. 14). Gemäß § 1 Abs. 1 ARB ist die Interessenwahrnehmung notwendig nur, "wenn sie hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. " Mit dieser wortgetreuen Übernahme der sachlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, die folgerichtig in § 17 Abs. 2 ARB wiederholt wird, haben die Rechtsschutzversicherer klargestellt, daß die Notwendigkeit der Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Rahmen einer Rechtsschutzversicherung nur und erst dann zu bejahen ist, wenn bei dem gegebenen Sachverhalt einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten einer Prozeßführung (ganz oder teilweise) nicht aufzubringen vermag, Prozeßkostenhilfe zu gewähren wäre. Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht, zu der in einem Stichentscheid gemäß § 17 Abs. 2 ARB Stellung zu nehmen ist, sind demnach nicht niedriger als in einem Prozeßkostenhilfeverfahren (a.A. Harbauer, aaO. § 1 Rdn. 33). Diesen Maßstab hat der Berufungsanwalt des Klägers indes nicht verkannt; er hat auf hinreichende Erfolgsaussicht der Berufung abgestellt und diese bejaht.

b) Da gemäß § 17 Abs. 2 AHB eine begründete Stellungnahme zu der Notwendigkeit einer Wahrnehmung rechtlicher Interessen abzugeben ist, ist der Rechtsanwalt gehalten, die Grundlagen seiner gutachterlichen Entscheidung und den Weg, auf dem er zu ihr gelangt ist, aufzuzeigen; er hat deshalb grundsätzlich den entscheidungserheblichen Streitstoff darzustellen, anzugeben, inwieweit für bestrittenes Vorbringen Beweis oder Gegenbeweis angetreten werden kann, die sich ergebenden rechtlichen Probleme unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Rechtslehre herauszuarbeiten und das nach seiner Ansicht bestehende (Prozeß-)Risiko aufzuzeigen, d.h. sich auch mit etwa vorhandenen Argumenten auseinanderzusetzen, die gegen eine Erfolgsaussicht sprechen. Dabei ist es von nachrangiger Bedeutung und weitgehend von den Besonderheiten des Einzelfalles abhängig, in welche Form der Anwalt seine Stellungnahme kleidet und wie umfänglich er sie gestaltet und dabei auf die vom Rechtsschutzversicherer angemeldeten Bedenken eingeht. Das ist abhängig vom Umfang oder von der Komplexität des Streitstoffes, von dem Stand der vorangegangenen Korrespondenz mit dem Rechtsschutzversicherer und seiner dadurch begründeten Vorkenntnis, ferner von dem Stadium, in dem sich die Interessenwahrnehmung jeweils befindet.

c) Der Inhalt und nicht die Form einer Stellungnahme bleibt stets primär maßgebend dafür, ob sie den Anforderungen an eine begründete Bejahung hinreichender Erfolgsaussicht genügt; deshalb sind auch - jedenfalls zeitnahe - Ergänzungen einer Stellungnahme, in der noch nicht auf alle für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Wahrnehmung rechtlicher Interessen eine Rolle spielenden Gesichtspunkte umfassend eingegangen worden war, zulässig und rechtlich beachtlich. Um eine derartige Ergänzung zur Stellungnahme vom 5. Februar 1987 handelt es sich bei der unter dem 11. Februar 1987 gefertigten Berufungsbegründung, die der Beklagten am 18. Februar 1987 zugegangen ist. Daß der Berufungsanwalt des Klägers hiermit seine bisherigen Ausführungen zur hinreichenden Erfolgsaussicht der Berufung ergänzen und untermauern wollte, war auch für die Beklagte unübersehbar. Sie hatte ihm in ihrem ersten Ablehnungsschreiben vom 2. Dezember 1986 unter anderem mitgeteilt: "Um ein Berufungsverfahren mit einiger Aussicht auf Erfolg durchführen zu können, müßten hier unseres Erachtens zumindest Zeugen dafür benannt werden, daß für unseren Versicherungsnehmer auch in nüchternem Zustand keineswegs erkennbar gewesen wäre, daß Herr G alkoholbedingt fahruntüchtig war. Dies erscheint uns nach dem bisher bekannten Sachverhalt nicht möglich zu sein. "

In seiner Stellungnahme vom 5. Februar 1987 hatte Rechtsanwalt A. die Ansicht vertreten, die Kausalitätsfrage sei nur noch am Rande von Bedeutung, weil im Berufungsverfahren eine andere Beurteilung der alkoholbedingten Bewußtseinsstörung des Klägers erwartet werden dürfe. Er hatte dazu aufgezeigt, was sein Mandant gegen die Annahme des Landgerichts anführen könne, er sei bei Fahrtantritt alkoholbedingt bewußtseinsgestört gewesen. Mit der umgehend nachgereichten Berufungsbegründung verdeutlichte er der Beklagten dann zum einen, daß der Kläger auch Beweis anbieten könne für diese Behauptung, und führte ihr zum anderen nunmehr auch vor Augen, daß der Kläger auch zur Entkräftung der vom Landgericht bejahten Kausalität einer alkoholbedingten Bewußtseinsstörung für den Fahrtantritt mit einem absolut fahruntüchtigen Motorradfahrer und damit für den Unfall noch nicht erhobenen Beweis angetreten hatte.

Ist bestrittenes Vorbringen, mit dem die Rechtsverfolgung oder die Rechtsverteidigung begründet werden soll, unter Beweis gestellt, ohne daß sich auf Anhieb sagen ließe, dieses Vorbringen sei mit der jeweils verfolgten Wahrnehmung rechtlicher Interessen schlechterdings nicht in Zusammenhang zu bringen, oder hat der Versicherungsnehmer gegen eine ihm ungünstige Feststellung in einem Urteil, das er angreifen will, Beweis angetreten, so bindet die hierauf in einem Stichentscheid gestützte Bejahung von Erfolgsaussicht die Parteien des Rechtsschutzversicherungsvertrages, solange nicht derjenige, der die Bindungswirkung anzweifelt, beweist, daß die Stellungnahme "offenbar von der wirklichen Rechtslage erheblich abweicht. " Keine Rolle spielt es bei der Beurteilung, ob der Stichentscheid ausreichend begründet worden ist bzw. ob er offenbar erheblich von der wirklichen Rechtslage abweicht, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung tatsächlich Erfolg hatte. Wie im Prozeßkostenhilfeverfahren ist nur eine ex ante-, nicht eine ex post-Beurteilung erlaubt, d.h. es ist unter anderem unerheblich, zu welchem Ergebnis spätere Beweisaufnahmen geführt haben.

d) Für ihre Ansicht, die zeitnah und zu Beginn des Berufungsverfahrens gegen den Unfallversicherer nachgereichte Berufungsbegründung sei keine beachtliche Ergänzung der ursprünglichen Stellungnahme vom 5. Februar 1987, kann sich die Beklagte nicht auf die in VersR 1980, 671 veröffentlichte Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm berufen. Auch wenn die Annahme dieses Gerichts zutreffen sollte, es bleibe kein Raum mehr für ein Verfahren gemäß § 17 Abs. 2 ARB, wenn dem Rechtsschutzversicherer erstmalig nach Abschluß eines gerichtlichen Verfahrens von einer auf diesem Wege verfolgten Wahrnehmung rechtlicher Interessen Mitteilung gemacht worden sei, besagt dies nichts dazu, ob eine zeitgerechte Stellungnahme zu ihrer Begründung gemäß § 17 Abs. 2 ARB zeitnah durch weitere Schriftstücke ergänzt werden darf. Ebensowenig einschlägig ist der Beschluß des erkennenden Senates vom 3. Juni 1987 - IVa ZR 318/86 - VersR 1987, 978; er besagt nur, daß es einer Partei, deren Rechtsschutzversicherer eine Kostenzusage mangels Erfolgsaussicht abgelehnt hat, zuzumuten ist, einen Stichentscheid gemäß § 17 Abs. 2 ARB herbeizuführen, so daß ihr nicht stattdessen Prozeßkostenhilfe bewilligt werden kann.

2.a) Den ihr obliegenden Beweis offenbar erheblichen Abweichens des Stichentscheids von der wirklichen Rechtslage hat die Beklagte nicht geführt. Zu Recht bezweifelt auch die Beklagte nicht, daß eine alkoholbedingte Bewußtseinsstörung des Klägers (bzw. deren Fehlen oder deren Nichterweislichkeit) und die Kausalität dieser Bewußtseinsstörung für den Unfall maßgeblich sind und waren zur Beurteilung hinreichender Erfolgsaussicht der Berufung gegen das Urteil, mit dem Ansprüche gegen den Unfallversicherer abgewiesen worden waren. Was den juristischen Ausgangspunkt betrifft, den Rechtsanwalt A. für seinen Stichentscheid gewählt hatte, kommt demnach ein Abweichen von der wirklichen Rechtslage nicht in Betracht.

b) Es ging in dem Prozeß gegen den Unfallversicherer allein darum, ob sich der Kläger nur und gerade wegen einer alkoholbedingten Bewußtseinsstörung einem absolut fahruntüchtigen Motorradfahrer anvertraut hatte; es ging dagegen nicht um ein alkoholbedingtes unfallursächliches Verhalten des Klägers während der Fahrt. In zutreffender Berücksichtigung der Senatsrechtsprechung (vgl. Urteil vom 27. Februar 1985 - IVa ZR 96/83 - VersR 1985, 583 unter II) hatte das Erstgericht nicht allein aufgrund der erwiesenen Blutalkoholkonzentration von 2,87 g o/oo eine alkoholbedingte Bewußtseinsstörung im Sinne des in § 3 Abs. 4 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) enthaltenen Risikoausschlusses bejaht; es hatte seine Überzeugung - ein Anscheinsbeweis kam nicht in Betracht (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 24. Februar 1988 - IVa ZR 193/86 unter 2 - VersR 1988, 733) - zusätzlich aus den Feststellungen hergeleitet, die der den Kläger nach dem Unfall behandelnde Arzt getroffen hatte. In seiner Stellungnahme vom 5. Februar 1987 zeigte Rechtsanwalt A. auf: Die ärztliche Feststellung, die Atemluft des Klägers habe deutlich nach Alkohol gerochen, sage über den Grad seiner erwiesenen Alkoholisierung nichts aus; ein sogenanntes Alkoholdelirium, das während des Krankenhausaufenthaltes aufgetreten sein soll, sei ebenfalls ohne Aussagewert für die Alkoholisierung des Klägers bei Fahrtantritt am Himmelsfahrttag, weil damit Entzugserscheinungen während des stationären Aufenthaltes angesprochen seien, deren Auftreten gerade die Behauptung des Klägers untermauerten, er sei besonders alkoholgewohnt; der Anwalt bot zumindest in Verbindung mit der Berufungsbegründung - Beweis durch den Arzt an, der dem Kläger das Blut entnommen hatte, daß der Kläger bei der Blutentnahme eine deutliche Sprechweise, ein beherrschtes Verhalten, eine unauffällige Stimmung mit klarer Bewußtseinslage und geordneten Denkabläufen gezeigt habe. Unter diesen Umständen wich sein Wertungsergebnis, er messe einer hierauf gestützten Berufung hinreichende Erfolgsaussicht bei, nicht offenbar erheblich von der wirklichen Rechtslage ab. Die Feststellung alkoholbedingter Bewußtseinsstörung verlangt, wo es nicht nur um Fahruntüchtigkeit geht, ausnahmslos eine am Einzelfall orientierte, alle in Betracht kommenden Indizien einschließende Beweiswürdigung. Es ging bei der Feststellung einer alkoholbedingten Bewußtseinsstörung des Klägers auch nicht um einen Anscheins-, sondern um Vollbeweis.

c) Die Bejahung hinreichender Erfolgsaussicht der Berufung weicht auch nicht offenbar erheblich von der wirklichen Rechtslage ab, soweit sie zusätzlich daraus hergeleitet wurde, daß der Kläger in der Berufungsbegründung auch Beweis gegen die im ersten Urteil bejahte Kausalität seiner Alkoholisierung für den Unfall angetreten hatte. Es war Sache des Unfallversicherers zu beweisen, daß der Kläger ohne seine alkoholische Beeinflussung mit Rücksicht auf die ihm dann erkennbar gewordene oder sich ihm dann zumindest aufdrängende Fahruntüchtigkeit des Motorradfahrers, dem äußerlich bei Fahrtantritt eine Alkoholisierung nicht anzumerken war, Abstand genommen hätte von einem Mitfahren. Alles, was der Kläger gegen die Berechtigung einer solchen Annahme anführen und unter Beweis stellen konnte, war grundsätzlich geeignet, seinen Anspruch zu stützen. Die Berücksichtigung dieses Vorbringens in dem Stichentscheid bei der Bejahung hinreichender Erfolgsaussicht konnte demnach ebenfalls nicht dazu führen, daß dieser erheblich und offenbar von der wirklichen Rechtslage abwich.

Das Feststellungsbegehren des Klägers ist begründet.