Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 16.06.1993, Az.: IV ZR 226/92
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten, bei der er eine verbundene Wohngebäudeversicherung genommen hat, Entschädigung für einen Leitungswasserschaden. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Neuwertversicherung von Wohngebäuden gegen Feuer-, Leitungswasser- und Sturmschäden (VGB 62) zugrunde.
Im Haus des Klägers wurden Teile der Heizung, nämlich der Heizkessel und der Ölbrenner, dadurch beschädigt, daß im Heizkessel ein Wasserrohr platzte. Infolge des austretenden Wassers brach eine Schweißnaht im Feuerungsraum des Heizkessels auf. Das durch die Bruchstelle dringende Wasser beschädigte auch den Brenner. Die Reparatur von Heizkessel und Brenner hätte mehr als die Wiederbeschaffung dieser Teile gekostet. Der Kläger kaufte einen neuen Ölbrenner für 1687, 20 DM und wendete für den Einbau eines neuen Heizkessels nebst Zubehör 6215, 76 DM auf.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Erstattung der Gesamtkosten von 7902, 96 DM, die ihm das Landgericht zugesprochen hat. Das Berufungsgericht hat dieses Urteil nur in Höhe von 1687, 20 DM (Ölbrenner) bestätigt und die Klage im übrigen (Heizkessel) abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte erstrebt im Wege der Anschlußberufung volle Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Dagegen ist die Anschlußrevision der Beklagten zurückzuweisen.
I. Mit seiner Revision verlangt der Kläger zu Recht Entschädigung für den beschädigten Heizkessel.
1. Die hierfür maßgeblichen Klauseln des Regelungswerkes VGB 62 lauten auszugsweise:
§ 1 Versicherte Gefahren
(1) Der Versicherer leistet nach dem Eintritt des Versicherungsfalles Entschädigung für versicherte Sachen, die zerstört oder beschädigt werden durch
a)...
b) Leitungswasser, Rohrbruch oder Frost (Leitungswasserversicherung - § 4)
...
§ 2 Versicherte Sachen
Versichert sind, soweit nichts anderes vereinbart ist, die im Versicherungsschein aufgeführten Gebäude mit ihren Bestandteilen, aber ohne Zubehör.
§ 4 Umfang der Leitungswasserversicherung
(1) Als Leitungswasser im Sinne dieser Bedingungen gilt Wasser, das aus den Zu- oder Ableitungsrohren, den sonstigen Einrichtungen der Wasserversorgung oder aus den Anlagen der Warmwasser- oder der Dampfheizung bestimmungswidrig ausgetreten ist. Wasserdampf wird ... gleichgestellt.
(2) Die Versicherung nach § 1 Abs. 1 b) schließt ein
a) innerhalb der versicherten Gebäude
1. Schäden durch Rohrbruch oder Frost... an den Zu- und Ableitungsrohren der Wasserversorgung und den Rohren der Warmwasser- oder Dampfheizungsanlage,
2. Schäden durch Frost ... an Badeeinrichtungen, Waschbecken, Spülklosetts, Wasserhähnen, Geruchsverschlüssen, Wassermessern, Heizkörpern, Heizkesseln, Boilern, Herdschlangen und gleichartigen Anlagen der Warmwasser- oder der Dampfheizung,
b) außerhalb der versicherten Gebäude
...
(3) Die Leitungswasserversicherung erstreckt sich nicht auf
a) Gebäude, die noch nicht bezugsfertig sind
b) Schäden an Kessel-, Maschinen- und elektrischen Kraftanlagen, die gewerblichen Zwecken dienen,
...
g) Schäden durch Brand, Blitzschlag oder Explosion, auch dann nicht, wenn der Brand oder die Explosion die Folge von ausgetretenem Leitungswasser ist.
2. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, daß die Beklagte gemäß den §§ 1 (1) b), 4 (1) und (2) a) VGB 62, die allein eine Leistungspflicht der Beklagten begründen könnten, nicht verpflichtet sei, den Kläger wegen des Heizkessels zu entschädigen. Aus § 4 (1) und (2) a) VGB 62 ergibt sich nach Auffassung des Berufungsgerichts, daß Versicherungsschutz für Schäden durch Wasser, das aus einem Rohr innerhalb eines Heizkessels austritt, nur insoweit besteht, als das Wasser Schäden außerhalb des Heizkessels anrichtet, nicht jedoch für den Schaden am Heizkessel selbst. Schon aus der Erwähnung von Rohren und daneben sonstigen Einrichtungen der Wasserversorgung und Anlagen der Warmwasser- oder Dampfheizung in § 4 (1) VGB 62 folge, daß grundsätzlich nach § 4 VGB 62 weder Schäden an dem einen noch an dem anderen ersetzt werden sollten. Noch deutlicher ergebe sich aus der Sonderregelung in § 4 (2) a) 2. VGB 62 für Frostschäden innerhalb eines Heizkessels und anderen im einzelnen aufgeführten Einrichtungen, daß nach § 4 (1) und (2) a) Nr. 1 VGB 62 keinerlei Schäden an einem Heizkessel, verursacht durch innerhalb bestimmungswidrig austretendes Wasser, versichert seien; sonst hätte es der Sonderregelung für Frostschäden nicht bedurft. Desweiteren werde nach allgemeinem Verständnis ein Heizkessel unabhängig davon, daß sich in seinem Inneren Rohre befänden, als komplexes technisches Gebilde und nicht als Rohr angesehen. Letztlich entspreche es nicht der Erwartung eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, daß Schäden an einem Heizkessel durch innen austretendes Wasser vom Gebäudeversicherer ersetzt werden. Derartige Schäden beruhten vielfach auf der durch Alterung des Kessels hervorgerufenen Materialermüdung.
3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fällt auch die Beschädigung des Heizkessels, die durch das Platzen eines im Heizkessel befindlichen Wasserrohres verursacht worden ist, unter das versicherte Risiko.
a) Das Berufungsgericht hat bei seiner Entscheidung § 2 VGB 62 und die Systematik dieses Regelungswerkes nicht genügend beachtet. Die Entschädigungspflicht auch für den Heizkessel ergibt sich nämlich nicht aus § 4 (2) VGB 62 - mit dieser Klausel beschäftigt sich das Berufungsurteil vornehmlich - sondern aus § 4 (1) in Verbindung mit § 2 VGB 62.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen am Maßstab eines verständigen Dritten unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs des täglichen Lebens auszurichten. Maßgebend ist, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht und verständiger Würdigung das Regelungswerk verstehen muß (Senatsurteile vom 9. 12. 1987 und 14. 6. 1989 - IVa ZR 151/86 - und 74/88 - VersR 88, 282 unter II. vor 1. und 89, 903 unter 1.).
b) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erwartet von seiner Wohngebäudeversicherung einen umfassenden und - soweit sich aus ihr keine Einschränkungen ergeben - lückenlosen Schutz. Bei Durchsicht der VGB 62 stellt er zunächst einmal fest, daß durch die Versicherung nach § 2 das gesamte im Versicherungsschein aufgeführte Gebäude mit seinen Bestandteilen gegen die in § 1 (1) b) VGB 62 genannte Zerstörung oder Beschädigung durch Leitungswasser, Rohrbruch oder Frost versichert ist. Die Heizungsanlage ist wesentlicher Bestandteil eines Hauses (vgl. die Nachweise im Senatsurteil vom 15. 11. 1989 - IVa ZR 212/88 - VersR 90, 200; vgl. aber auch dazu OLG Oldenburg VersR 90, 1348). Demgemäß nimmt er an, daß er für die Heizungsanlage Entschädigung bekommt, wenn diese beispielsweise durch Leitungswasser beschädigt wird, das bestimmungswidrig aus einem über der Heizungsanlage verlaufenden Rohr der Wasserversorgung ausgetreten ist. Um den Umfang seiner Versicherung genau festzustellen, liest der Versicherungsnehmer weiter noch § 4, auf den in § 1 (1) b) VGB 62 ausdrücklich hingewiesen wird. Er sieht in § 4 (1) seine Annahme bestätigt, daß für die Heizungsanlage als Bestandteil seines Hauses im Falle ihrer Beschädigung durch bestimmungswidrig aus dem Rohr über ihr ausgetretenes Leitungswasser Entschädigung geleistet wird.
Daran schließt sich die Frage an, ob auch Schäden an der Heizungsanlage durch Leitungswasser, das aus einem im Heizkessel verlaufenden Wasserleitungsrohr bestimmungswidrig austritt - z.B. demjenigen, das zur Warmwasserbereitung dient - von der Entschädigungspflicht umfaßt sind. Nach Wortlaut und Sinn von § 4 (1) VGB 62 muß der verständige Versicherungsnehmer diese Frage bejahen. In dieser Klausel sind nach seinem Verständnis alle wasserführenden Bestandteile der Wasserversorgung und der Heizung aufgeführt; entscheidend ist, ob aus diesem Rohrsystem Wasser bestimmungswidrig ausgetreten ist.
§ 4 (2) ist vor dem Hintergrund der Aufzählung in § 1 (1) b) VGB 62 als Erweiterung des Versicherungsschutzes auf Rohrbruch und Frost zu verstehen. Zwar könnte auf den ersten Blick die Regelung des § 4 (2) a) 1. VGB 62 insofern eine Einschränkung enthalten, als darin nur die Rohre der Wasserversorgung und der Heizungsanlage erwähnt sind. § 4 (2) a) 2. VGB 62 muß aber entnommen werden, daß die in den beiden Nummern von § 4 (2) a) mit "an" bezeichneten Gegenstände diejenigen sind, die im besonderen Fall des Eintritts der weiteren beiden versicherten Gefahren "Rohrbruch" oder "Frost" versichert sein sollen. Die Gefahr "Leitungswasser" dagegen ist in § 4 (1) geregelt. Den Gedanken, daß der Entschädigungsumfang für die dort umfassend geregelte Gefahr "Leitungswasser" im Fall von dessen bestimmungswidrigen Austretens infolge Rohrbruch durch § 4 (2) a) 1. VGB 62 wieder eingeschränkt sein könnte, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer verwerfen. Die in §§ 1 (1) b) und 4 (2) a) VGB 62 jeweils gleichrangig wie "Leitungswasser" neben "Rohrbruch" aufgeführte Schadensursache oder Gefahr "Frost" kann sowohl zum bestimmungswidrigen Austreten von Leitungswasser infolge z.B. eines Haarrisses als auch zu einem Rohrbruch führen. Vor allem aber sind die Einschränkungen der Leitungswasserversicherung gerade nicht in § 4 (2) - also dem Erweiterungsabsatz - sondern in § 4 (3) - nämlich dem Ausschlußabsatz - aufgeführt.
c) Demgemäß hat der Senat in seinem bereits unter b) erwähnten Urteil vom 15. November 1989 eine Entschädigungspflicht nach den vergleichbaren allgemeinen Bedingungen für die Versicherung gegen Leitungswasserschäden (vgl. Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. Text 21) nicht etwa deshalb für unmöglich gehalten, weil Wasser wegen eines Risses des Verflüssigerrohres in der Heizungsanlage bestimmungswidrig ausgetreten war und den Schaden herbeigeführt hatte (vgl. auch OLG Oldenburg VVGE § 4 VGB Nr. 4).
Danach kann die Auffassung des Berufungsgerichts und auch anderer Gerichte und der Literatur (vgl. die Zusammenstellung bei Boldt, VersR 90, 1089 und zu LG Kiel r+s 91, 351; weiter Martin, Sachversicherungsrecht 2. Aufl. E I 22, andererseits aber 3. Aufl. E I 34) nicht zutreffen. Sie kommt zwangsläufig deshalb zum falschen Auslegungsergebnis, weil sie nicht die Systematik des Regelungswerkes, sondern stattdessen isoliert nur die Schadensursache "Rohrbruch" zum Ausgangspunkt nimmt (vgl. auch Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. E I 78ff. sowie E I 65 einerseits und E I 88ff. andererseits).
II. Schon deshalb, weil der beschädigte Ölbrenner ebenso Bestandteil der Heizungsanlage ist wie der Heizkessel, kann die Anschlußrevision keinen Erfolg haben. Für ihn gelten die Ausführungen unter I. ebenso. Der Brenner ist ein Gebäudebestandteil und gehört damit zu den Sachen, die gemäß § 2 VGB versichert sind. Er ist durch Leitungswasser im Sinne des § 4 (1) VGB 62 beschädigt worden.