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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 21.02.1985, Az.: IX ZR 129/84

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 11. Juli 1984 teilweise aufgehoben und auf die Berufung des Klägers das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 24, vom 23. Dezember 1983 in Nr. I, 4 wie folgt neu gefaßt:

"In diesem Fall" (gemeint ist: "Schädigt ein Teilnehmer durch sein Verhalten sich oder die Einrichtung des Trainings-Centers oder verstößt er gegen die Anweisungen der Lehrgangsleitung oder deren Hilfskräfte, so kann er fristlos vom Lehrgang ausgeschlossen werden, ohne daß dem Trainings-Center irgendwelche Verpflichtungen daraus entstehen",) "oder wenn ein Teilnehmer mit zwei Raten in Rückstand gerät, wird der gesamte Restbetrag bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin sofort fällig".

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen. Von den Kosten des Verfahrens erster Instanz treffen den Kläger 1/7, den Beklagten 6/7, von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 1/3, der Beklagte 2/3 zu tragen.

Tatbestand

Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben es gehört, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen, und dessen Mitglieder in diesem Aufgabenbereich tätige Verbände sind. Der Beklagte ist Inhaber eines Trainings-Centers, in dem bestimmte Kampfsportarten unterrichtet werden.

Der Beklagte wurde vom Kläger auf Unterlassung der Verwendung bestimmter Klauseln seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Anspruch genommen. In der Revisionsinstanz geht es allein noch um die Verwendung des Satzes 2, 2. Alt. der folgenden Klausel:"4. Schädigt ein Teilnehmer durch sein Verhalten sich oder die Einrichtung des Trainings-Centers, oder verstößt er gegen die Anweisungen der Lehrgangsleitung oder deren Hilfskräfte, so kann er fristlos vom Lehrgang ausgeschlossen werden, ohne daß dem Trainings-Center irgendwelche Verpflichtungen daraus entstehen. In diesem Fall oder wenn ein Teilnehmer mit zwei Raten in Rückstand gerät, wird der gesamte Restbetrag bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin sofort fällig."

Satz 1 wurde vom Kläger nicht beanstandet, Satz 2, ..., Alt. vom Berufungsgericht rechtskräftig für unwirksam erklärt.

Landgericht und Berufungsgericht haben Nr. 4 Satz 2, 2. Alt. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Beklagten (= AGB Bekl.) für wirksam und die Klage insoweit für unbegründet gehalten. Der Kläger erstrebt mit der zugelassenen Revision weiterhin die Unterlassung durch den Beklagten, bei Abschluß von Lehrgangsverträgen die genannte oder eine inhaltsgleiche Bestimmung aufzunehmen, sofern der Vertrag nicht mit einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes abgeschlossen wird.

Entscheidungsgründe

Der Kläger ist nach § 13 AGBG klagebefugt.

I.Das Berufungsgericht sieht in der Vereinbarung monatlicher Ratenzahlungen hinsichtlich der Vergütung für die gesamte Lehrgangsdauer entgegen der Meinung des Landgerichts keine Stundungsabrede bei grundsätzlicher Vorleistungspflicht für die gesamte Vergütung, sondern eine Ratenzahlungsabrede, so daß es nicht um den Widerruf einer Stundungsabrede, sondern um die Vorfälligstellung von restlichen Raten bei Verstoß gegen Nr. 4 Satz 2, 2. Alt. der AGB Bekl. gehe.

Gegen die Würdigung der Klausel als Ratenzahlungsvereinbarung durch das Berufungsgericht ist aus Rechtsgründen nichts einzuwenden; sie liegt nahe.

II.1.Das Berufungsgericht hält die Klausel Nr. 4 Satz 2, 2. Alt. für wirksam. Sie scheitere nicht an § 11 Nr. 6 AGBG, weil keine Vertragsstrafe vorliege. Nur dann, wenn eine Verfallklausel neben der Fälligstellung restlicher Raten noch eine gesonderte Zahlung des Kunden vorsehe, komme dem die Qualität einer Vertragsstrafe zu. Im Streitfalle habe sich der Beklagte indessen keine Sonderzahlung ausbedungen, die über die Summe der noch offenen Raten hinausgehe.

Die Klausel verstoße auch nicht gegen § 9 AGBG. Sie stelle keine unangemessene Benachteiligung dar, stehe vielmehr im Einklang mit der gesetzlichen Regelung eines wirtschaftlich vergleichbaren Tatbestandes. Beim Abzahlungskauf sehe § 4 Abs. 2 AbzG ausdrücklich vor, daß die Vereinbarung einer Ratenverfallklausel an den Verzug des Käufers mit zwei aufeinanderfolgenden Raten geknüpft werden könne, sofern die rückständigen Raten mindestens 10 v.H. des Wertes der Kaufsache ausmachten. Allerdings bleibe dem Abzahlungskäufer der wirtschaftliche Gegenwert seiner Leistung, der Kaufgegenstand, ohne weiteres erhalten, während hier der Gegenwert in Dienstleistungen bestehe, die der Kunde, wolle er ihn behalten, von Mal zu Mal von sich aus in Anspruch nehmen müsse. Gleichwohl bleibe seine Lage jener beim Abzahlungskauf wirtschaftlich vergleichbar mit der Folge, daß die angegriffene Klausel Bestand behalte. Habe nämlich der Teilnehmer den Zahlungsrückstand etwa in der Absicht herbeigeführt, auf diese Weise aus dem Vertragsverhältnis herauszukommen, so sei er als vertragsuntreue Partei ohnehin nicht schutzwürdig. Sei er dagegen aus anderen Gründen in Rückstand geraten, so habe er zwar dafür einzustehen (§ 279 BGB), könne aber weiterhin die Gegenleistung beanspruchen.

2.Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a)Die Klausel Nr. 4 Satz 2, 2. Alt. der AGB Bekl. kann Gegenstand gesonderter Wirksamkeitsprüfung und -feststellung nach §§ 13 ff AGBG sein. Sie ist eine inhaltlich von anderen Bestimmungen trennbare, aus sich heraus verständliche Geschäftsbedingung. Dem steht nicht entgegen, daß sie in einem Satz mit einer anderen, unwirksamen Regelung zusammengefaßt ist (vgl. BGH, Urt. v. 7. Oktober 1981 - VIII ZR 214/80, LM AGBG § 9 (D) Nr. 4 = NJW 1982, 178).

b)Das Berufungsgericht hat den genauen Inhalt der Klausel Nr. 4 Satz 2, 2. Alt. nicht festgelegt. Das Revisionsgericht kann die unterlassene Auslegung selbst vornehmen (BGHZ 65, 107, 112) [BGH 25.09.1975 - VII ZR 179/73].

Dem Wortlaut der Klausel läßt sich nicht eindeutig entnehmen, ob unter "Rückstand" allein Verzug im Sinne der §§ 284, 285 BGB zu verstehen ist. Die Auslegung, die sich im Rahmen des Verfahrens nach §§ 13 ff AGBG an der "kundenfeindlichsten" Möglichkeit, gemessen an der Verständnismöglichkeit der Durchschnittskunden orientieren muß, ergibt, daß auch bei unverschuldeter Nichtzahlung von Raten die Vorfälligkeit der Restschuld eintritt. Die Unterscheidung zwischen Rückstand und Verzug wird üblicherweise gebraucht, um eine genaue Abgrenzung der Rechtsfolgen bei verschuldeter und nichtverschuldeter Nichtzahlung zu bestimmen. Demgegenüber ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts insoweit von einem Rechtsfehler beeinflußt, als der Kunde zwar für seine Leistungsfähigkeit einzustehen hat (§ 279 BGB), nicht aber in jedem Falle ein Verschulden, wie es § 285 BGB erfordert, vorliegen muß. Da somit die Auslegung der Klausel auch die Vorfälligstellung der Restschuld bei unverschuldeter Nichtzahlung von Raten ergibt, kommt es darauf an, ob die Klausel mit diesem Inhalt wirksam ist.

c)Offen bleibt, ob die Vorfälligstellung einer Restschuld bei Nichtzahlung von Raten eine Verfallklausel ist, die einer Vertragsstrafe im Sinne der §§ 339, 342 BGB gleichgesetzt werden kann und damit gegen § 11 Nr. 6 AGBG verstößt. Auf jeden Fall ist die beanstandete Klausel unwirksam, weil die Vorfälligstellung bei unverschuldeter Nichtzahlung die Kunden des Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (§ 9 Abs. 1 AGBG). Die Vorfälligstellung der Restschuld auch bei schuldlosem Zahlungsrückstand berücksichtigt einseitig die Interessen des Verwenders, ohne daß auf seiner Seite Gründe für eine solche erhebliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen auch bei unverschuldeter Nichtzahlung erkennbar sind. Sie steht mit vergleichbaren gesetzlichen Vorschriften nicht im Einklang, die bei gleichgewichtigen Rechtsnachteilen Verzug und damit Verschulden voraussetzen (vgl. § 4 Abs. 2 AbzG, § 554 Abs. 1 BGB). Auch wenn die Vorfälligstellung der Restschuld bei verschuldeter Nichtzahlung von Raten keine Vertragsstrafe ist, so kommt sie jedenfalls bei fehlendem Verzug einer Vertragsstrafe, die ihrerseits Verzug (§ 339 BGB) und damit Verschulden (§ 285 BGB) voraussetzt, sehr nahe. Eine unangemessene Benachteiligung nach § 9 Abs. 1 AGBG ist dann anzunehmen, wenn ein Verschulden des Kunden nicht vorliegt. Denn dieser wird wirtschaftlich von dem Verlust des Vorteils der Zahlung in Raten betroffen, ohne daß dies wegen des unverschuldeten Ratenrückstandes gerechtfertigt wäre.