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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 30.09.2010, Az.: Xa ARZ 191/10

Tenor

Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung wird zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klägerin ist ein zahnärztliches Rechenzentrum mit Sitz in Stuttgart. Sie macht aus abgetretenem Recht vor dem Landgericht Landshut gegen den Beklagten, der seinen Wohnsitz im Bezirk dieses Landgerichts hat, einen Zahlungsanspruch in Höhe von 12.999,83 Euro aus zahnärztlicher Behandlung in der Praxis des Drittwiderbeklagten (Zedenten) in Regensburg geltend. Der Beklagte hat gegen den Zedenten Drittwiderklage auf Feststellung erhoben, dass diesem Ansprüche aus zahnärztlicher Behandlung nicht zustehen. Der Drittwiderbeklagte hat die Unzuständigkeit des Landgerichts Landshut für die Widerklage gerügt. Der Beklagte hat beantragt, das Landgericht Landshut als gemeinsam zuständiges Gericht für Klage und Drittwiderklage zu bestimmen. Der Drittwiderbeklagte hat beantragt, den Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts zurückzuweisen. Das Oberlandesgericht München hat die Sache gemäß § 36 Abs. 3 ZPO dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II. Die Vorlage ist zulässig.

Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein Oberlandesgericht, das mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will. Diese Voraussetzungen liegen vor. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet § 33 ZPO für den bisher am Verfahren nicht beteiligten Drittwiderbeklagten keinen Gerichtsstand am Gericht der Klage. Danach ist das Gericht der Klage für eine Drittwiderklage örtlich nur zuständig, wenn ein allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand bei dem Gericht der Drittwiderklage besteht, durch rügelose Einlassung begründet wird oder das übergeordnete Gericht den Gerichtsstand nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bestimmt (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2008 - X ARZ 69/08, NJW-RR 2008, 1516, 1517 mN; so auch BAG, NZA 1997, 1071; anders nur BGH, Beschluss vom 4. März 1966 - Ib ARZ 52/66, NJW 1966, 1028). Bei isolierten Drittwiderklagen kommt eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nach bisheriger Rechtsprechung nicht in Betracht, weil es an einer gegen mehrere Streitgenossen gerichteten Widerklage fehlt (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2000 - X ARZ 522/99, NJW 2000, 1871; BGH, Urteil vom 6. Mai 1993 - VII ZR 7/93, NJW 1993, 2120). Demgegenüber hält das vorlegende Oberlandesgericht die entsprechende Anwendung des §36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bei isolierten Drittwiderklagen gegen den Zedenten für geboten (so bereits OLG München, Beschluss vom 31. März 2009 - 31 AR 90/09, NJW 2009, 2609).

III. Der Gerichtsstandsbestimmungsantrag ist unbegründet. Für eine Gerichtsstandsbestimmung ist kein Raum, da das Gericht der Klage auch für die Widerklage zuständig ist. § 33 ZPO ist auf Drittwiderklagen gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung entsprechend anzuwenden. An der abweichenden bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hält der Senat nicht fest.

1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Institut der parteierweiternden Widerklage anerkannt.

a) Erhebt der Beklagte eine mit der Klage im rechtlichen Zusammenhang stehende Widerklage sowohl gegen den Kläger als auch gegen einen bisher am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten als Streitgenossen im Sinne der §§ 59, 60 ZPO, ist diese streitgenössische Drittwiderklage unter den Voraussetzungen der als Klageänderung behandelten Parteierweiterung zulässig (BGH, Urteil vom 17. Oktober 1963 - II ZR 77/61,BGHZ 40, 185, 187 ff.; BGH, Urteil vom 12. Oktober 1995 - VII ZR 209/94, BGHZ 131, 76, 79 f.; BGH, Beschluss vom 28. Februar 1991 - I ARZ 711/90, NJW 1991, 2838). Hierdurch sollen die Verviefältigung und Zersplitterung von Prozessen vermieden, zusammengehörige Ansprüche einheitlich verhandelt und entschieden werden (BGH, Urteil vom 17. Oktober 1963 - II ZR 77/61, BGHZ 40, 185, 188).

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Drittwiderklage hingegen grundsätzlich unzulässig, wenn sie sich ausschließlich gegen einen am Prozess bislang nicht beteiligten Dritten richtet (BGH, Urteil vom 8. Dezember 1970 - VI ZR 111/69, NJW 1971, 466 f.). Unter Berücksichtigung des prozessökonomischen Zwecks der Widerklage, eine Vervielfältigung und Zersplitterung von Prozessen über einen einheitlichen Lebenssachverhalt und die damit einhergehende Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zu vermeiden und eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung über zusammengehörende Ansprüche zu ermöglichen, hat der Bundesgerichtshof jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen. Die Zulässigkeit einer isolierten Drittwiderklage ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter anderem dann bejaht worden, wenn sie gegen den Zedenten der Klageforderung gerichtet ist und die Gegenstände der Klage und der Drittwiderklage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind: Die isoliert gegen den am Prozess bislang nicht beteiligten Zedenten erhobene Drittwiderklage ist auch dann zulässig, wenn sich deren Gegenstand mit dem Gegenstand einer hilfsweise gegenüber der Klage des Zessionars zur Aufrechnung gestellten Forderung deckt (BGH, Urteil vom 5. April 2001 - VII ZR 135/00, BGHZ 147, 220, 222 ff.) oder wenn die abgetretene Klageforderung und die mit der Drittwiderklage geltend gemachte Forderung aus einem einheitlichen Schadensereignis resultieren (BGH, Urteil vom 13. März 2007 - VI ZR 129/06, NJW 2007, 1753 f.). Schließlich ist sie auch dann zulässig, wenn mit ihr die Feststellung begehrt wird, dass dem Zedenten keine Ansprüche zustehen (BGH, Urteil vom 13. Juni 2008 - V ZR 114/07, NJW 2008, 2852, 2854 f.). Ausschlaggebend ist demnach stets, dass die zu erörternden Gegenstände der Klage und der Drittwiderklage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind und durch die Einbeziehung des Drittwiderbeklagten in den Rechtsstreit dessen schutzwürdige Interessen nicht verletzt werden.

c) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die den besonderen Gerichtsstand für die Widerklage regelnde Vorschrift des § 33 ZPO für den bisher am Verfahren nicht beteiligten Drittwiderbeklagten keinen Gerichtsstand am Gericht der Klage; das Gericht der Klage ist danach für eine Drittwiderklage örtlich nur zuständig, wenn ein allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand bei dem Gericht der Drittwiderklage besteht, durch rügelose Einlassung begründet wird oder das übergeordnete Gericht den Gerichtsstand nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bestimmt (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2008 - X ARZ 69/08, NJW-RR 2008, 1516, 1517 mN). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung wird die mit der Anerkennung der Drittwiderklage angestrebte Verfahrenskonzentration in den Fällen nicht erreicht, bei denen ein allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand des Drittwiderbeklagten bei dem Gericht der Klage weder besteht noch durch rügelose Einlassung begründet wird und eine Gerichtsstandsbestimmung durch das übergeordnete Gericht nicht möglich ist. Bei einer streitgenössischen Drittwiderklage kommt eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht in Betracht, sofern die widerbeklagten Streitgenossen einen anderweitigen gemeinsamen Gerichtsstand haben (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2000 - X ARZ 522/99, NJW 2000, 1871, 1872). Der Beklagte hat dann nur die Wahl, auf die Widerklage zu verzichten, um beide Streitgenossen in einem weiteren Rechtsstreit gemeinsam in Anspruch zu nehmen, oder von der gemeinsamen Klage gegen beide Streitgenossen Abstand zu nehmen, um gegen den Kläger mit der Widerklage und in einem weiteren Verfahren gegen den Dritten vorzugehen. Bei einer isolierten Drittwiderklage ist dem übergeordneten Gericht nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eine Gerichtsstandsbestimmung versagt, weil es an einer gegen mehrere Streitgenossen gerichteten Widerklage fehlt (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2000 -X ARZ 522/99, NJW 2000, 1871; BGH, Urteil vom 6. Mai 1993 - VII ZR 7/93, NJW 1993, 2120). Die Rechtsprechung, nach der eine isolierte Drittwiderklage ausnahmsweise zulässig ist, liefe daher in einer Vielzahl von Fällen leer.

2. Dieses Ergebnis könnte durch eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, wie sie das vorlegende Oberlandesgericht für geboten hält, vermieden werden. Dazu wäre bei Drittwiderklagen eine Gerichtsstandsbestimmung durch das übergeordnete Gericht auch dann zuzulassen, wenn sich die Drittwiderklage ausschließlich gegen einen am Prozess bislang nicht beteiligten Dritten richtete oder wenn widerbeklagte Streitgenossen einen anderweitigen gemeinsamen Gerichtsstand hätten. Die Anwendung der genannten Bestimmung führte jedoch dazu, dass regelmäßig eine gerichtliche Bestimmung des zuständigen Gerichts erforderlich wäre, obwohl nur die Bestimmung des Gerichts der Klage als zuständiges Gericht auch für die Drittwiderklage in Betracht kommt. Die Zuständigkeit eines anderen Gerichts für Klage und Widerklage kann nicht bestimmt werden, weil § 36 ZPO keine Handhabe dafür bietet, dem Kläger auf den Antrag des Beklagten den von ihm gewählten Gerichtsstand zu entziehen.

3. Deshalb erscheint es dem Senat sachgerecht, in diesen Fällen an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr festzuhalten und § 33 ZPO entsprechend jedenfalls dann auf die Drittwiderklage anzuwenden, wenn sich diese gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung richtet.

a) Die Vorschrift des § 33 ZPO findet auf Drittwiderklagen keine unmittelbare Anwendung, da sich diese nicht gegen den Kläger richten. Eine Widerklage setzt begrifflich eine anhängige Klage voraus, ein Widerkläger muss ein Beklagter und ein Widerbeklagter ein Kläger sein.

b) Die Vorschrift des § 33 ZPO ist aber entsprechend auf eine Drittwiderklage anzuwenden, die sich gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung richtet. Der besondere Gerichtsstand des § 33 ZPO hat seinen Grund darin, dass bei Bestehen eines Sachzusammenhangs die Verfahrenskonzentration gefördert und zugleich ein prozessuales Gleichgewicht hergestellt werden sollen (Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 33 Rn. 1 mwN).

Zum einen sollen zusammenhängende Ansprüche einheitlich verhandelt und entschieden werden, um eine Vervielfältigung und Zersplitterung von Prozessen über einen einheitlichen Lebenssachverhalt und die damit einhergehende Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zu vermeiden (BGH, Urteil vom 17. Oktober 1963 - II ZR 77/61, BGHZ 40, 185, 188). Dieses Bedürfnis besteht auch und gleichermaßen in den Fällen, in denen der Bundesgerichtshof schon bisher eine Drittwiderklage für zulässig gehalten hat.

Zum anderen kann der Beklagte seine Gegenansprüche in einem laufenden Prozess auch dann geltend machen, wenn das Gericht bei isolierter Klage dafür örtlich unzuständig wäre. Hierdurch wird zwar der dem Schutz eines Beklagten dienende Grundsatz der §§ 12 ff. ZPO eingeschränkt, wonach eine Klage grundsätzlich an seinem Wohn- oder Geschäftssitz zu erheben ist. Diese Einschränkung ist aber sachlich dadurch gerechtfertigt, dass der Kläger den Beklagten vor dem Gericht der Klage angegriffen hat und es für ihn daher zumutbar ist, sich dort auf die Verhandlung und Entscheidung zusammenhängender Ansprüche einzulassen. Ob dieser Grund auch generell die Gewährung eines besonderen Gerichtsstands für eine Drittwiderklage gegen nur materiell beteiligte Dritte trägt (so OLG Dresden, Beschluss vom 17. April 2002 - 1 AR 17/02, OLG NL 2003, 65 ff.; Vollkommer/Vollkommer, WRP 2000, 1062, 1067; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 33 Rn. 24), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Er rechtfertigt jedenfalls die Gewährung eines besonderen Gerichtsstands für eine Drittwiderklage gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung (Zöller/Vollkommer, aaO, § 33 Rn. 24). Für den Zedenten einer Klageforderung ist es zumutbar, sich vor dem Gericht der Klage auf die Verhandlung und Entscheidung zusammenhängender Ansprüche einzulassen. Ohne die Abtretung der Klageforderung hätte der Zedent selbst Klage gegen den Beklagten erheben und mit der Erhebung einer Widerklage am Gerichtsstand der Klage rechnen müssen. Erst die Abtretung der Klageforderung schafft für den Beklagten einen Anlass, zur umfassenden Entscheidung aller zusammenhängenden Ansprüche eine Drittwiderklage gegen den Zedenten zu erheben. Für diesen ist es daher zumutbar, sich vor dem Gericht der Klage auf die Verhandlung und Entscheidung der damit zusammenhängenden Ansprüche einzulassen. Hierdurch werden lediglich der vorherige Rechtszustand und damit das prozessuale Gleichgewicht wieder hergestellt. Dass der Zessionar nach § 35 ZPO einen Gerichtsstand gewählt haben mag, der dem Zedenten nicht genehm ist, ändert hieran nichts. Mit der Abtretung hat der Zedent die Ausübung des Wahlrechts nach § 35 ZPO durch den Zessionar in Kauf genommen.

IV. Die Anwendbarkeit des § 33 ZPO auf Drittwiderklagen gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung ist bislang vom VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs verneint worden (BGH, Urteil vom 5. April 2001 - VII ZR 135/00, BGHZ 147, 220, 223; BGH, Urteil vom 6. Mai 1993 - VII ZR 7/93, NJW 1993, 2120). Auf Anfrage hat der VII. Zivilsenat erklärt, er halte an dieser Rechtsauffassung nicht mehr fest.

V. Sowohl für die Klage als auch für die Drittwiderklage ist deshalb hier das Landgericht Landshut örtlich zuständig, ohne dass es zur Herbeiführung der Zuständigkeit einer gerichtlichen Entscheidung bedarf.

Keukenschrijver Mühlens Bacher Hoffmann Schuster Vorinstanz:

OLG München, Entscheidung vom 01.06.2010 - 34 AR 64/10 -