Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 25.09.1952, Az.: III ZR 322/51
Tatbestand
Die elternlosen Kläger fordern vom Beklagten Ersatz des Schadens, der ihnen dadurch entstanden ist, daß ihre Mutter an den Folgen einer vom Beklagten durchgeführten Schwangerschaftsunterbrechung verstorben ist. Diese fühlte sich im Mai 1949 aus einem Verkehr mit dem Angestellten Sp. schwanger. Auf ihr Ansuchen fand sich der Beklagte, der als praktischer Arzt tätig ist, bereit, die Schwangerschaft gegen ein Honorar zu unterbrechen. Zu diesem Zweck suchte er Frau S. in der Wohnung des Sp. auf und nahm dort mit dessen Hilfe einen Eingriff an ihr vor. Danach tastete er die Gebärmutterwandung ab und glaubte irrigerweise, hierbei ein Septum, dh eine häutige oder muskuläre Stelle der Scheidenwand, zu fühlen, was ihn zu der Annahme veranlaßte, daß die Patientin eine zweigeteilte Gebärmutter besitze. Außerdem meinte er, einen Nachgeburtsrest zu spüren. Nach einer Ausspülung bettete er gemeinsam mit Sp. die Patientin auf ein Liegesofa, verordnete ihr drei Tage Bettruhe, bestellte sie zu einer Nachuntersuchung nach 14 Tagen in seine Sprechstunde und verließ wenige Minuten vor 16 Uhr die Wohnung des Sp. Etwa 20 bis 25 Minuten später klagte die Patientin über starke Schmerzen im Unterleib. Auf ihre Bitte eilte Sp. in die Praxis des Beklagten, berichtete, daß Frau S. Schmerzen habe, und erhielt von ihm ein schmerzstillendes Mittel. Als er nach etwa einstündiger Abwesenheit in seine Wohnung zurückkam, hatte sich der Zustand der Patientin weiter verschlechtert. Als der nunmehr gerufene Frauenarzt Dr. P. gegen 18 Uhr eintraf, stellte er eine schwere innere Blutung fest, veranlaßte die sofortige Überführung in ein Krankenhaus und nahm dort nach etwa 3/4 Stunden eine Operation vor. Dr. P. fand einen Riß in der Gebärmutter und stellte fest, daßBGHZ 7, 198 [26. Ursächlichkeit einer Unterlassung], Seite 200mit ihm die Gebärmutterarterie ein gerissen war. Obwohl er diese Blutungsquelle sofort unterband und eine Blutübertragung vornahm, verstarb die Mutter der Kläger vor Beendigung der Operation.
Die Kläger nehmen den Beklagten aus Vertrag und aus unerlaubter Handlung auf Ersatz der Arzt- und Krankenhauskosten und auf Zahlung einer Rente in Anspruch und fordern Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz allen weiteren Schadens.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen; die Revision führte zur Zurückverweisung.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht stellt in Übereinstimmung mit dem Landgericht fest, daß der Beklagte den Verblutungstod der Frau S. durch eine Durchbohrung der Gebärmutterwand unter gleichzeitiger Verletzung der Gebärmutterarterie herbeigeführt hat. Es kommt jedoch zu dem Ergebnis, daß den Beklagten an dieser Verletzung kein Verschulden trifft.
Daß eine Verletzung, wie sie hier vorgekommen ist, auch dem gewissenhaftesten und geübtesten Facharzt bei einer Ausräumung unterlaufen kann, haben die Sachverständigen übereinstimmend bekundet; das Berufungsgericht folgt ihnen darin ohne Rechtsirrtum. Hieraus ergibt sich, daß eine solche Verletzung zwar auf einer schuldhaft regelwidrigen Handhabung der Instrumente beruhen kann, aber nicht beruhen muß. Das Berufungsgericht geht deshalb folgerichtig vor, wenn es prüft, ob eine solche schuldhafte Handlung des Beklagten im vorliegenden Fall entweder aus den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins oder auf dem Wege des Anzeichenbeweises zu entnehmen ist. Es verneint beide Fragen.
a) Ob ein zum Beweis des ersten Anscheins hinreichender typischer Geschehensablauf gegeben ist, erfordert zunächst die Feststellung eines allgemeinen Erfahrungssatzes, der dann auf den vorliegenden Sachverhalt angewendet werden könnte. Ein derartiger Erfahrungssatz als solcher ist eine aus allgemeinen Umständen gezogene tatsächliche Schlußfolgerung, die im Revisionsverfahren nur insoweit auf ihre Richtigkeit nachgeprüftBGHZ 7, 198 [26. Ursächlichkeit einer Unterlassung], Seite 201werden kann, als aus festgestellten Tatsachen ein Schluß gezogen wird. Die der Schlußfolgerung zugrunde liegenden Tatsachen selbst können nicht nachgeprüft werden; sie sind von demjenigen zu beweisen, der aus ihnen den Beweis des ersten Anscheins abzuleiten sucht. Es liegt hier für die Beweislast ebenso wie umgekehrt für diejenigen Tatsachen, aus denen der Beweisgegner die Möglichkeit für eine Abweichung von dem typischen Geschehensablauf herleitet (vgl Urteil des I. Zivilsenats vom 23. Mai 1952 - I ZR 163/51 - BGHZ 6, 169 ). Wenn daher das Berufungsgericht auf Grund der Gutachten der Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangt, es sei »kein Erfahrungssatz des Inhalts feststellbar, daß die Verletzung einer Gebärmutter bei einer Ausräumung in aller Regel auf eine fahrlässige Handhabung der Instrumente durch den behandelnden Arzt zurückzuführen ist«, so liegt darin die nicht angreifbare tatsächliche Feststellung, daß nach ärztlicher Erfahrung die fragliche Verletzung »auch bei einer sorgfältigen Handhabung der Instrumente möglich« ist und »ihre Erklärung in den besonderen, dem Arzt nicht sichtbaren anatomischen Verhältnissen der Gebärmutter finden« kann. Daß unter diesen Umständen ein für den Beweis des ersten Anscheins verwendbarer Erfahrungssatz fehlt, unterliegt keinem Rechtsirrtum.
b) Das Berufungsgericht sieht, wie später zu erörtern ist, ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten darin, daß er nach Beendigung der Operation die erforderliche ärztliche Versorgung nicht gewährt hat. Es lehnt es jedoch ab, hieraus ein fehlerhaftes Gesamtverhalten des Beklagten zu entnehmen, das dann wiederum, wie die Kläger meinen, einen Beweis des ersten Anscheins auch für fehlerhafte Anwendung der Instrumente und damit für ein Verschulden des Beklagten an der Verletzung erbrächte.
Es würdigt die verschiedenen auffälligen und von der Regel abweichenden Umstände, wie die Verabreichung einer Kampferspritze vor Beginn der Operation, den bei dem Beklagten aufgekommenen Verdacht einer beginnenden Fehlgeburt, das Nichterkennen der Verletzung der Arterie, das Zurücklassen des vermeintlichen Nachgeburtsrestes in der Gebärmutter und schließlich die noch zu erörternde Unterlassung der alsbaldigen Ein-BGHZ 7, 198 [26. Ursächlichkeit einer Unterlassung], Seite 202weisung in ein Krankenhaus. Während es sich im übrigen den Gutachten dahin anschließt, daß ein ärztlicher Kunstfehler nicht gegeben sei, sieht es in den beiden letzten Umständen zwei schuldhafte Versäumnisse; es meint jedoch, ein allgemeiner fortdauernder Mangel an ärztlicher Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt trete auch damit nicht in Erscheinung, es fehle also an einem typischen Gesamtverhalten, das nach dem ersten Anschein die Vermutung begründen könnte, daß der Beklagte die Verletzung der Gebärmutterwand und die Öffnung der Arterie durch eine fahrlässige Instrumentierung herbeigeführt hätte.
Auch hier läßt sich dem Berufungsgericht mit Rechtsgründen nicht entgegentreten. Ein Beweis des ersten Anscheins für schuldhaft falsche Anwendung der Instrumente würde sich aus diesen Umständen nur dann herleiten lassen, wenn ein allgemeiner Erfahrungssatz bestünde, daß ein Arzt, der vor oder nach einer Operation seine Sorgfaltspflicht verletzt, auch die bei der Operation eingetretenen Mißerfolge durch sein Verschulden herbeigeführt hat. Ein solcher Erfahrungssatz läßt sich jedoch entgegen der Meinung der Kläger nicht aufstellen.
c) Dagegen ist es an sich möglich, ein solches an einer Stelle festgestelltes Verschulden als Beweisanzeichen dafür zu verwerten, daß der Arzt auch bei der Operation selbst nicht sorgfältig vorgegangen ist. Dies hat das Berufungsgericht auch nicht verkannt. Es hält aber diesen Anzeichenbeweis nicht für ausreichend, um ihm die erforderliche Gewißheit zu verschaffen. Es erwägt dabei, daß die festgestellten Versäumnisse des Beklagten vorwiegend einen Mangel an Gewissenhaftigkeit bei der ärztlichen Versorgung der Patientin nach der eigentlichen Behandlung zeigen, während ein Verschulden bei der Auskratzung selbst auf mangelnder Sorgfalt in der Handhabung der Instrumente beruhen würde. Der Grund des Verschuldens wäre in beiden Fällen zu verschiedenartig, um gegenseitige Rückschlüsse mit hinreichender Sicherheit zu ermöglichen. Diese Sätze enthalten eine im Revisionsverfahren nicht nachprüfbare Würdigung des als Erkenntnisgrundlage richtig gesehenen Anzeichens, so daß das angefochtene Urteil auch insoweit keinen Rechtsirrtum erkennen läßt.
Mit Recht sieht das Berufungsgericht aber eine schuldhafte Nachlässigkeit des Beklagten in seinem Verhalten nach Beendigung der eigentlichen Operation. Er durfte sich bei der für ihn nicht sicher erkennbaren Lage nicht entfernen, ohne die vermeintliche Nachgeburt zu beseitigen, und er mußte nunmehr die sofortige Einweisung der Patientin in ein Krankenhaus veranlassen. Daß er dies nicht getan hat, bezeichnet der Sachverständige Professor Ph. als »unverständlich«, und darin ist ihm das Berufungsgericht mit Recht gefolgt. Es waren Komplikationen eingetreten, die eine weitere Behandlung im Krankenhaus erforderlich machten, wobei es keinen rechtlich erheblichen Unterschied macht, ob der Beklagte diese Komplikationen verschuldet hatte oder nicht.
Gleichwohl lehnt das Berufungsgericht eine Haftung des Beklagten für die eingetretenen Folgen deshalb ab, weil es die Ursächlichkeit verneint. Es entnimmt zwar dem Gutachten der Sachverständigen, daß eine sofortige Einlieferung in das Krankenhaus die Lebensaussichten der Patientin erhöht hätte, aber es hält die Möglichkeit für gegeben, daß trotz sofortiger Überführung nach dem Eingriff und unverzüglicher Operation der Tod gleichwohl eingetreten wäre. Es kann »nicht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen, daß der Beklagte durch pflichtgemäßes Verhalten gleich nach dem Eingriff oder gar noch auf Grund der ihm von Sp. überbrachten Nachricht, daß sich bei der Patientin Schmerzen bemerkbar machten, das Leben der Frau S. erhalten hätte«.
Diese Erwägungen lassen nicht mit der erforderlichen Sicherheit erkennen, ob sich das Berufungsgericht die Erfordernisse hinreichend vergegenwärtigt hat, die an den Beweis der Ursächlichkeit zu stellen sind. Nach ständiger Rechtsprechung gilt hierfür nicht die strenge Beweisregel des § 286 ZPO, sondern diejenige des § 287 aaO (Urt des I. Zivilsenats vom 11. Mai 1951 - I ZR 106/50 - BGHZ 2, 138 [140 ]; des IV. Zivilsenats vom 13. Dezember 1951 - IV ZR 123/51 - BGHZ 4, 192 [196 ]; des erkennenden Senats vom 19. April 1951 - III ZR 186/50 -; vom 30. April 1952 - III ZR 198/51 - BGHZ 6, 62; vom 30. Juni 1952 - III ZR 277/51 - und häufiger). Das Gericht ist im Rahmen des § 287 ZPO nicht gehindert, die freieBGHZ 7, 198 [26. Ursächlichkeit einer Unterlassung], Seite 204Überzeugung von einem adäquaten Ursachenzusammenhang auch dann aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme und den Umständen zu gewinnen, wenn nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Möglichkeit ausgeschlossen werden kann, daß der Schaden auch ohne das schuldhafte Verhalten des Täters hätte eintreten können. Wenn, wie hier, das schuldhafte Verhalten in einem Unterlassen besteht, so ist die Frage der adäquaten Verursachung dahin zu stellen, »ob diese Unterlassung im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges geeignet war«. Es kommt also nicht darauf an, ob andere, nicht fern liegende Umstände den Erfolg ebenfalls hätten herbeiführen können, sondern ob der schädigende Erfolg bei einem normalen Verlauf nicht hätte eintreten können, vielmehr nur durch derartige besondere Umstände herbeigeführt worden ist. Hier wird vom Berufungsgericht lediglich festgestellt, daß ein pflichtgemäßes Handeln den Erfolg nicht mit Sicherheit verhindert hätte, und diese Feststellung kann nicht als ausreichend angesehen werden, um die Ursächlichkeit des Unterlassens für den Erfolg auszuschließen. Das Berufungsgericht hätte im Rahmen des § 287 ZPO erwägen müssen, ob es - notfalls nach weiterer Befragung der Sachverständigen - zu einem solchen Ergebnis kommen konnte.
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Eingriff, den der Beklagte bei der verstorbenen Mutter der Kläger vornahm, ein widerrechtlicher Eingriff in deren körperliche Unversehrtheit und damit eine Körperverletzung und zugleich ein Verstoß gegen die Schutzgesetze der §§ 223, 218 StGB war. Es will jedoch hieraus noch keine Haftung herleiten, weil es einen haftungsbegründenden Ursachenzusammenhang zwischen dem Eingriff und dem tödlichen Ausgang nicht als gegeben ansieht. Es führt aus, der Beklagte habe die Ausräumung der Gebärmutter als Arzt vorgenommen und sie im ganzen so durchgeführt, wie es den Regeln der ärztlichen Wissenschaft und Kunst entspreche. In gleicher Weise würden zulässige Schwangerschaftsunterbrechungen bewerkstelligt, die gerade den Zweck hätten, das Leben oder die Gesundheit der Patientin zu erhalten. HierbeiBGHZ 7, 198 [26. Ursächlichkeit einer Unterlassung], Seite 205könnten nach den Ausführungen des Sachverständigen Professor Ph. allerdings Verletzungen entstehen, die über den eigentlichen Behandlungszweck hinausgingen. Der Arzt brauche aber mit ihrem Eintritt in aller Regel nicht zu rechnen. Vor allem seien lebensgefährliche Komplikationen durch das Hinzutreten besonders eigenartiger oder unglücklicher Umstände bedingt, die, wie etwa bei einer Verletzung oder einem spontanen Riß der Gebärmutterwand die gleichzeitige Öffnung der Arterie, nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht gelassen werden müssen. Selbst wenn aber derartige gefahrbringende Umstände eintreten, stünden dem Arzt geeignete Mittel zu Gebote, um einen tödlichen Ausgang mit einer gewissen, wenn auch nicht unbedingt sicheren Erfolgsaussicht zu verhindern. Danach liege die Möglichkeit, daß die von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsunterbrechung zum Tode der Patientin führe, zu entfernt, als daß zwischen diesem Eingriff als solchem und seinem tödlichen Verlauf ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang angenommen werden könnte.
1. Diese Ausführungen überspannen die Anforderungen, die an den adäquaten Ursachenverlauf zu stellen sind, vor allem unter Berücksichtigung der oben erörterten Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht ein Verschulden des Beklagten bei der Durchführung des Eingriffs verneint hat. Es bedarf keiner Entscheidung, ob es ärztliche Eingriffe gibt, bei denen lebensgefährliche Komplikationen nur durch das Hinzutreten besonders eigenartiger, ganz unwahrscheinlicher und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassender Umstände herbeigeführt werden können. Für einen solchen Eingriff wie die Schwangerschaftsunterbrechung nimmt dies ersichtlich weder der Sachverständige noch das Berufungsgericht an, denn beide rechnen mit der Möglichkeit solcher gefahrbringender Umstände und schließen ihre Berücksichtigung nur deshalb aus, weil in diesem Falle dem Arzt geeignete Mittel zur Verfügung stünden, denen aber auch das Berufungsgericht nur eine »gewisse, wenn auch nicht sichere Erfolgsaussicht« zuspricht.
Geht man aber einmal davon aus - und das ist erforderlich -, daß der Eintritt der genannten gefahrbringenden Umstände selbst in den Kreis der adäquaten Folgen einer Schwan-BGHZ 7, 198 [26. Ursächlichkeit einer Unterlassung], Seite 206gerschaftsunterbrechung gehört, so kann der weitere adäquate Ursachenzusammenhang nicht mit der Begründung verneint werden, es bestehe auch dann noch eine gewisse Möglichkeit zur Verhinderung des tödlichen Ausgangs. Dieser Verneinung eines Ursachenzusammenhangs liegt ein ähnlicher Trugschluß zugrunde, wie es oben für die Ursächlichkeit der verspäteten Einweisungen in ein Krankenhaus aufgezeigt wurde. Ist einmal ein für das Leben eines Patienten gefahrdrohender Zustand auf irgendeine Weise eingetreten, so bedarf es niemals besonders eigenartiger und ganz unwahrscheinlicher Umstände, die zum Tode führen können, sondern es bedarf umgekehrt der Kunst des Arztes, um den Eintritt des Todes zu verhindern. Ob die Aussichten für den Erfolg dieser Rettungsversuche mehr oder weniger groß waren, kann nichts daran ändern, daß ein Mißerfolg die adäquate Folge der eingetretenen Lebensgefahr ist.
2. Die Haftung des Beklagten kann also auch hier nicht mit der Begründung verneint werden, es fehle an dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem verbotenen Eingriff und dem tödlichen Ausgang. Dieser Zusammenhang wäre nur dann bedeutungslos, wenn die Widerrechtlichkeit des Eingriffs deshalb entfiele, weil die Verstorbene mit dem Eingriff nicht nur einverstanden war, sondern ihn ausdrücklich wünschte. Das Berufungsgericht konnte davon absehen, eingehender zu der Frage Stellung zu nehmen, welche Bedeutung dieser Wunsch hatte. Es beschränkt sich auf den Satz, die Einwilligung in eine Abtreibung sei verboten und deshalb ohne rechtliche Wirkung. Die Revision weist zur Unterstützung dieser Meinung auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts hin (RGZ 151, 349 [354], 162, 129 [137]; 168, 206 [210]), aus der sich weiter ergibt, daß der Arzt eine Operation nicht ohne Einwilligung des Patienten vornehmen darf. Die weiter angeführte Entscheidung RGZ 88, 433 [436] besagt nur, daß der Arzt, der vertragswidrig gegen medizinische Regeln verstößt, neben der Vertragsverletzung auch aus unerlaubter Handlung haftet. Die hier entscheidende Frage, ob ein zu dem Eingriff erklärtes Einverständnis deshalb völlig bedeutungslos wird, weil es gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, wird in diesen Entscheidungen nicht behandelt. Im Ergebnis ist aber dieser Auffassung beizutreten. Ebenso wieBGHZ 7, 198 [26. Ursächlichkeit einer Unterlassung], Seite 207nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats der Haftungsausschluß wegen Handelns auf eigene Gefahr eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung voraussetzt, gilt dies auch von dem Einverständnis mit einem Eingriff. Diese Einwilligung ist nicht nur dann unbeachtlich, wenn sie durch Willensmängel beeinflußt ist (RGZ 168, 206 [210]), sondern auch dann, wenn sie gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt und deshalb nichtig ist (§§ 134,138 BGB). Diese Voraussetzung ist hier vom Berufungsgericht mit Recht deshalb bejaht worden, weil der Verstoß gegen § 218 StGB sowohl den Arzt wie die Schwangere strafbar macht.
Gegen die Geltendmachung der Haftungsansprüche läßt sich auch nicht einwenden, wer einen anderen auffordere, auf seine Gesundheit in einer bestimmten Weise einzuwirken, handele arglistig und verstoße gegen Treu und Glauben, wenn er aus eben dieser von ihm gewünschten Einwirkung Schadensersatzansprüche herleite, solange sie sich in dem gewünschten Rahmen hält. Auch diese Berufung auf Treu und Glauben muß demjenigen versagt werden, der in so schwerer Weise gegen eine Vorschrift des Strafgesetzbuches verstößt. An dieser Rechtslage wird auch dadurch nichts geändert, daß ein Teil des Volkes mit verschiedenen Begründungen eine Aufhebung dieser strafrechtlichen Vorschrift für geboten hält.
3. Der Beklagte hat durch Vornahme des Eingriffs nicht nur vorsätzlich den Körper der Frau S. verletzt, sondern auch gegen die Schutzgesetze der §§ 223, 218 StGB verstoßen. Wenn auch diese letztere Vorschrift in erster Linie den Schutz des keimenden Lebens bezweckt, so dient sie doch auch dem Schutze der Schwangeren, und das genügt zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 323 Abs 2 BGB. Sind diese aber erfüllt, so ergibt sich daraus, wie dies auch das Reichsgericht in seiner Entscheidung RGZ 106, 210 zutreffend ausgesprochen hat, die Haftung des Beklagten für alle Schäden, die ursächlich aus seinem Eingriff folgen, auch wenn sie nicht von seinem Verschulden umfaßt werden. Daß aber entgegen der Meinung des Berufungsgerichts der ursächliche Zusammenhang des Todes der Frau S. mit dem Eingriff gegeben ist, wurde oben zu 1 dargetan.
Gleichwohl ist auch auf Grund dieser Erwägungen der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif, weil der Beklagte sich insoweit auf die Einwilligung und den Wunsch der Verstorbenen berufen kann, als auch diese an der Vornahme des Eingriffs ein Verschulden trifft. Hätte sie nicht so nachdrücklich den Eingriff gewünscht, so hätte der Beklagte ihn nach Lage der Sache auch nicht durchgeführt. Dieses Verschulden wird gegen das Verschulden des Beklagten in seiner Ursächlichkeit abzuwägen sein (§ 254 BGB), und den daraus sich ergebenden Einwand müssen sich auch die Kläger nach § 846 BGB entgegenhalten lassen.