Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 03.07.2014, Az.: V ZB 26/14
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 8. Januar 2014 wird auf Kosten der Beklagten zu 2 als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Entscheidungsgründe
I.
Der Klägerin steht das Sondereigentum an einer Eigentumswohnung zu. In der Wohnungseigentumsanlage befinden sich unter anderem sechs Gewerbeeinheiten, die im Teileigentum der Beklagten zu 1 stehen und von der Beklagten zu 2 als deren Mieterin genutzt werden. Ohne Genehmigung der übrigen Wohnungseigentümer ließen die Beklagten im Hof und an den Flachdächern Lüftungsrohre einbauen und Klimageräte aufstellen. Die auf Beseitigung der Umbauten und Wiederherstellung gerichtete Klage hat vor dem Amtsgericht Gladbeck Erfolg gehabt. Beide Beklagte haben Berufung bei dem Landgericht Essen eingelegt. Nachdem dieses auf seine Unzuständigkeit hingewiesen hat, hat die Beklagte zu 1 ihre Berufung zurückgenommen; die Berufung der Beklagten zu 2 hat das Landgericht Essen als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Beklagte zu 2 mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie die Abweisung der Klage erreichen will; hilfsweise beantragt sie, die Sache an das für Streitigkeiten im Sinne von § 72 Abs. 2 GVG zuständige Landgericht Dortmund zu verweisen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Das Berufungsgericht sieht für die Berufungen beider Beklagten das Landgericht Dortmund als das gemäß § 72 Abs. 2 GVG i.V.m. § 43 Nr. 1 WEG zuständige Berufungsgericht an. Die Berufungsfrist sei nicht gewahrt, weil das Rechtsmittel nicht bei dem zuständigen Gericht eingelegt worden sei. Dass die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage bei getrennter Prozessführung keine Wohnungseigentumssache gewesen wäre, sei unerheblich, weil die Beklagten zulässigerweise als Streitgenossen verklagt worden seien. Sinn des § 72 Abs. 2 GVG sei es, die Qualität der Berufungsentscheidungen in Wohnungseigentumssachen zu sichern. Eine Aufspaltung der Berufungszuständigkeit bei Streitgenossen widerspreche der Vereinfachungstendenz des Gesetzes und der Rechtssicherheit. Deshalb sei es unerheblich, ob eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgt sei. Die Voraussetzungen für eine Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Landgericht Dortmund lägen nicht vor.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ohne Zulassung statthaft. Zulässig ist sie aber gemäß § 574 Abs. 2 ZPO nur, wenn auch die dort bestimmten weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Das ist nicht der Fall. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Insbesondere hat das Berufungsgericht keine überzogenen Anforderungen gestellt, die der Beklagten zu 2 den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschweren (vgl. dazu nur Senat, Beschluss vom 12. April 2010 - V ZB 224/09, NJW-RR 2010, 1096 Rn. 4 mwN).
1. Ein Zulassungsgrund ergibt sich nicht daraus, dass das Berufungsgericht das Landgericht Dortmund als zuständiges Berufungsgericht ansieht. Zwar ist die Klage nur insoweit Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 WEG, als sie sich gegen die Beklagte zu 1 richtet; bezogen auf die Beklagte zu 2 ist sie allgemeine Zivilsache. Nachdem aber die Beklagten zulässigerweise als Streitgenossen verklagt wurden, wirkt die Konzentration der Berufungszuständigkeit gemäß § 72 Abs. 2 GVG auch für die Beklagte zu 2; zweifelsfrei ist dies jedenfalls dann, wenn das Urteil erster Instanz - wie hier - beide Streitgenossen betrifft.
a) Dass die Zuständigkeitskonzentration des § 72 Abs. 2 GVG grundsätzlich auch für einen Streitgenossen gilt, für den die in der Norm genannten Voraussetzungen nicht gegeben sind, hat der Senat bereits für einen vergleichbaren Sachverhalt entschieden (Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 190/10, ZfIR 2011, 324 f.). Zwar war dort eine Zuständigkeitsbestimmung durch das Oberlandesgericht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorausgegangen, und die Berufung wurde von Seiten der Klägerin gegen sämtliche Beklagten des Rechtsstreits geführt. Ob eine Zuständigkeitsbestimmung erfolgt ist, ist indes unerheblich, weil die Anwendung von § 72 Abs. 2 GVG nicht davon abhängt, ob ein gemeinsamer Gerichtsstand ohnehin besteht oder ob dieser erst gerichtlich bestimmt werden muss; ebenso wenig ist es von Bedeutung, wer Berufungsführer ist und ob es eine einheitliche Berufung oder - wie hier - mehrere Rechtsmittel gibt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Streitgenossen nicht in getrennten Prozessen, sondern gemeinsam vor dem Wohnungseigentumsgericht verklagt werden. Andernfalls käme es nämlich zu einer unerwünschten Aufspaltung der Berufungszuständigkeit und zu einer Trennung des Prozesses in der Berufungsinstanz; diese wäre auch mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit unvereinbar (vgl. BeckOK WEG/Elzer, Edition 20, § 43 Rn. 189; Hogenschurz, ZfIR 2011, 325, 326).
b) Dies entspricht zudem - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der besonderen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für Sachverhalte mit Auslandsberührung gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG in der vom 1. Januar 2002 bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung; auch diese Zuständigkeitskonzentration galt für inländische Streitgenossen gleichermaßen (BGH, Beschlüsse vom 27. März 2008 - VII ZR 76/07, NJW-RR 2008, 1165 f.; vom 13. Mai 2003 - VI ZR 430/02, BGHZ 155, 46 ff.).
c) Die Rücknahme der Berufung der Beklagten zu 1 ändert hieran nichts. Ohnehin ist sie erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2003 - VI ZR 430/02, BGHZ 155, 46, 49 f.). Unabhängig davon tritt die in § 72 Abs. 2 GVG vorgesehene Zuständigkeitskonzentration jedenfalls dann zweifelsfrei ein, wenn die Entscheidung erster Instanz - wie hier - beide Streitgenossen betrifft; das zuständige Berufungsgericht muss nämlich bei der Zustellung der Entscheidung erster Instanz feststehen. Bislang ungeklärt ist die Zuständigkeit nur dann, wenn sämtliche Streitgenossen, für die der Rechtsstreit eine Streitigkeit gemäß § 43 Nr. 1 bis 4 und 6 WEG darstellt, bereits vor der Entscheidung in erster Instanz - etwa durch eine Klagerücknahme - ausgeschieden sind (dazu Hogenschurz, AnwZertMietR 24/2010 Anm. 1); diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung.
2. Eine Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Landgericht Dortmund kommt nicht in Betracht. Sie kann (analog § 281 ZPO) nur dann erfolgen, wenn die Einlegung der Berufung bei dem unzuständigen Gericht die Frist wahrt. Dies hat der Senat ausnahmsweise unter der Voraussetzung angenommen, dass höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, ob bestimmte Fallgruppen § 43 Abs. 1 bis 4 oder 6 WEG unterfallen (Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - V ZB 67/09, NJW 2010, 1818 Rn. 9 ff.; Beschluss vom 12. April 2010 - V ZB 224/09, NJW-RR 2010, 1096 Rn. 9). Eine vergleichbare Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Zuständigkeit bestand hier jedenfalls deshalb nicht, weil die Rechtslage durch den Beschluss des Senats vom 9. Dezember 2010 geklärt war (V ZB 190/10, ZfIR 2011, 324 f.; vgl. auch MünchKomm-ZPO/Zimmermann, 4. Aufl., § 72 GVG Rn. 13; BeckOK-WEG/Elzer, Edition 20, § 43 Rn. 189; Hogenschurz, ZfIR 2011, 325, 326).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 3 ZPO.
Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch Brückner Weinland Vorinstanzen:
AG Gladbeck, Entscheidung vom 25.06.2013 - 51 C 14/12 -
LG Essen, Entscheidung vom 08.01.2014 - 13 S 113/13 -