Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 19.12.1991, Az.: VII ZR 155/91
Tatbestand
Der Kläger macht aus abgetretenem Recht restlichen Werklohn für ein teilweise errichtetes Einfamilienhaus geltend. Das Landgericht hat die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat gegen das am 14. Dezember 1990 zugestellte Urteil am 22. Januar 1991 Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet durch Versäumnisurteil (vgl. BGHZ 37, 79, 81/82).
Die Revision ist begründet. Die Berufung ist zulässig. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht keine Wiedereinsetzung gewährt.
I.Das Berufungsgericht hat in erster Linie festgestellt, daß die Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Verfahren zweiter Instanz über eine ordnungsgemäße Fristenverwaltung mit einem von einer besonderen Zentralsekretärin geführten zentralen Fristenkalender verfügt. Es sei dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht anzulasten, daß seine persönliche Sekretärin die Berufungsfrist in diesem einen Fall nicht der zuständigen Zentralsekretärin mitgeteilt habe. Die für die Kanzlei festgelegten und in einem "Manual" enthaltenen Grundsätze für die Fristenverwaltung seien unbedenklich. Vor allem brauche sich der Anwalt nicht persönlich an die Zentralsekretärin zu wenden. Es sei nicht zu beanstanden, daß er sich einer Angestellten, nämlich seiner persönlichen Sekretärin als Übermittlerin bediene. Nichts spreche dafür, daß die persönliche Sekretärin allgemein unzuverlässig gewesen sei.
Das Berufungsgericht sieht jedoch einen Organisationsfehler des Prozeßbevollmächtigten und damit ein Verschulden des Klägers selber im Zusammenhang mit der Krankheitsvertretung für die persönliche Sekretärin des Prozeßbevollmächtigten. Diese führe neben der für die Fristen der gesamten Kanzlei zuständigen Zentralsekretärin ebenfalls einen Fristenkalender, wenn auch nur für die von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers bearbeiteten Sachen. Die persönliche Sekretärin sei bei Ablauf der Berufungsfrist krank gewesen. Eine wirksame Vertretungsregelung für sie habe gefehlt. Das sei dem Prozeßbevollmächtigten vorzuwerfen. Durch die fehlende Vertretung sei die übrigens zutreffende Eintragung der Berufungsfrist im Kalender der persönlichen Sekretärin bis zu deren Rückkehr unbeachtet geblieben. Normalerweise habe sich in der Kanzlei die Handhabung eingespielt, daß die persönliche Sekretärin die Sachen ihrem Anwalt vorlege und die Mitwirkung der Zentralsekretärin sich auf Rückfragen bei der persönlichen Sekretärin beschränke. Der Kalender der persönlichen Sekretärin sei damit neben dem zentralen Fristenkalender eine ständig und regelmäßig genutzte Erkenntnisquelle. Wenn schon der Prozeßbevollmächtigte eine doppelte Kontrolle in Gestalt zweier Fristenkalender für geboten erachte, müsse auch die zweite Fristenüberwachung lückenlos sichergestellt sein.
II.Hiergegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Mehr als eine lückenlose Kontrolle der Berufungsfrist kann vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht gefordert werden. Sorgfaltspflichten sind auch im Zusammenhang mit der Fristenkontrolle grundsätzlich für alle Rechtsanwälte gleich. Eine Gewohnheit, über das gebotene Maß hinaus weitere organisatorische Sicherungen anzuordnen und zu beachten, führt nicht zu einer Verschärfung der Sorgfaltspflichten (vgl. zuletzt Senatsbeschluß vom 20. Juni 1991 - VII ZB 18/90 = NJW 91, 3035, 3036). Selbst wenn also der individuelle Kalender der persönlichen Sekretärin als doppelte Kontrolle der Fristen neben dem zentralen Fristenkalender gedacht sein sollte, könnte ein etwaiger Organisationsfehler auf dieser zweiten Kontrollebene dem Prozeßbevollmächtigten nicht vorgehalten werden. Es gibt keine Rechtfertigung, ihn schlechter zu stellen, als in dem Fall, daß neben einer ausreichenden Fristenkontrolle eine zusätzliche Überwachung der Fristen überhaupt nicht vorgesehen ist.
III.Nachdem in der Sache noch keine Feststellungen vorliegen, ist der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.