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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 05.06.2009, Az.: V ZR 168/08

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 10. Juli 2008 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Merseburg vom 6. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Mit notariellem Vertrag vom 3. April 2000 kauften die Beklagten von der L. mbH (fortan: L. ) zwei Garagengrundstücke zum Preis von 8.900 DM. Der Vertrag enthält u. a. die Klausel

'Verkäufer und Käufer sind berechtigt, von diesem Vertrag zurückzutreten, falls eine zu diesem Vertrag erforderliche behördliche Genehmigung versagt wird, auch wenn gegen den versagenden Bescheid noch Rechtsmittel möglich sind.'

sowie den Hinweis, dass die Grundstücke in einem Sanierungsgebiet lägen und für den Vollzug des Vertrages eine Genehmigung nach § 144 BauGB erforderlich sei.

Die Parteien ermächtigten die Notarin, alle notwendigen Genehmigungen, auch die nach § 144 BauGB, einzuholen. Versagungsbescheide und eingeschränkte Genehmigungen sollten aber gegenüber den Beteiligten selbst zu erklären sein.

Mit der Notarin am 28. Mai 2000 zugestelltem Bescheid vom 11. Mai 2000 versagte die Klägerin die beantragte Genehmigung nach § 144 BauGB. Die Beklagten wurden als Eigentümer der Grundstücke in das Grundbuch eingetragen. Gegen die Richtigkeit wurde ein Widerspruch eingetragen.

Mit notariellem Vertrag vom 10. November 2005 trat die L. der Klägerin einen etwaigen Anspruch auf Rückübertragung der Grundstücke ab, ferner das Recht auf Ausübung des Rücktrittsrechts. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2005 trat die Klägerin gegenüber den Beklagten von dem Kaufvertrag zurück und verlangte Rückauflassung und Bewilligung der Umschreibung Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises.

Das Amtsgericht hat der dahin gehenden Klage stattgegeben. Das Landgericht hat sie abgewiesen. Mit der von ihm zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hält den auf den Rücktritt gestützten Anspruch nach § 346 Abs. 1 BGB auf Rückgewähr der empfangenen Leistung nicht für begründet. Voraussetzung für den Rücktritt sei die Versagung einer behördlichen Genehmigung. Daran fehle es.

Zwar habe die Klägerin die Genehmigung nach § 144 BauGB versagt. Der Bescheid sei aber nicht wirksam bekannt gemacht worden. Er sei nämlich innerhalb der Monatsfrist (§ 145 Satz 1 BauGB) nach dem Antragseingang nur der nach dem Vertrag dazu nicht bevollmächtigten Notarin, nicht aber den Vertragsparteien zugegangen. Folglich gelte die Genehmigung gemäß §§ 145 Abs. 1, 19 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 BauGB der im Jahre 2000 geltenden Fassung als erteilt.

Der Umstand, dass über die Wirksamkeit des erlassenen Versagungsbescheids gestritten werde, helfe darüber nicht hinweg. Eine Auslegung der Vertragsklausel dahin, dass ein Rücktritt schon bei bestehender Rechtsunsicherheit über die Wirksamkeit der Versagung möglich sein solle, verbiete sich.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Die Klägerin ist aus abgetretenem Recht der L. (§§ 398, 413 BGB) aufgrund der Rücktrittsklausel berechtigt, von dem Vertrag mit den Beklagten zurückzutreten und den sich daraus ergebenden Anspruch auf Rückgewähr der empfangenen Leistung geltend zu machen.

a) Allerdings ist das Berufungsgericht im Wege der Würdigung der Vertragsbestimmung zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Rücktrittsrecht nicht gegeben ist. Daran ist der Senat indes nicht gebunden. Zwar kann das Revisionsgericht die tatrichterliche Auslegung von Individualverträgen nur beschränkt, nämlich darauf überprüfen, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt worden sind (BGHZ 135, 269, 273; 170, 86, 93 - std. Rspr.). Diese Einschränkungen gelten aber nicht für die Frage, ob eine Willenserklärung überhaupt auslegungsfähig oder eindeutig ist (Senat, BGHZ 32, 60, 63; BGH, Urt. v. 13. Juni 1990, IV ZR 141/89, NJW-RR 1991, 51, 52). So ist es hier. Das Berufungsgericht hat sich auf die Bemerkung beschränkt, die Vertragsklausel könne nicht dahin ausgelegt werden, dass der Rücktritt auch bei einem Streit über die Wirksamkeit des erlassenen Versagungsbescheids und der daraus folgenden Rechtsunsicherheit möglich sein solle. Zu diesem Ergebnis kommt es nicht im Wege der Auslegung, sondern durch eine allein am Wortlaut orientierte Subsumtion. Danach - so das Berufungsgericht - lägen die im Vertrag geregelten Rücktrittsvoraussetzungen nicht vor, da hierzu eine wirksame Versagung der Genehmigung gehöre, woran es gerade fehle.

b) Der Senat kann die von dem Berufungsgericht unterlassene Auslegung selbst vornehmen, weil weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen (vgl. BGHZ 21, 284, 289; 65, 107, 112; 109, 19, 22). Sie führt zu dem Ergebnis, dass das Rücktrittsrecht wirksam ausgeübt worden ist. Dabei kommt es auf die von dem Berufungsgericht und den Beklagten für wesentlich erachtete Frage, ob der von der Klägerin erlassene Versagungsbescheid mit Zugang bei der Notarin wirksam geworden ist oder nicht, nicht an.

aa) Ausgehend vom Wortlaut und dem diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen (vgl. BGHZ 121, 14, 16; 124, 39, 44) erfasst die Rücktrittsklausel den hier vorliegenden Fall. Denn die Klägerin hat die erforderliche sanierungsrechtliche Genehmigung versagt. Zu dem gegenteiligen Ergebnis kommt das Berufungsgericht nur unter Anwendung der in § 19 Abs. 3 Satz 5 BauGB a.F. geregelten Genehmigungsfiktion, die auch eintritt, wenn die Versagung zwar fristgerecht ausgesprochen, der Bescheid den Beteiligten aber verspätet zugestellt worden ist (dazu BVerwGE 35, 187, 193; BVerwG, NJW 1970, 345, 346).

bb) Das greift zu kurz und wird dem Sinn und Zweck des Rücktrittsrechts nicht gerecht.

(1) Zu berücksichtigen ist nämlich, dass das Rücktrittsrecht auch dann gegeben sein soll, wenn gegen den die Versagung aussprechenden Bescheid noch Rechtsmittel möglich sind. Mit dieser Regelung haben die Vertragsparteien dem Umstand Rechnung getragen, dass es bei dem Vollzug eines Vertrages, der von der Erteilung einer behördlichen Genehmigung abhängt, zu Schwierigkeiten und Verzögerungen kommen kann. Solange die Erteilung der behördlichen Genehmigung nicht endgültig ausgeschlossen erscheint, kann jede Partei den anderen Teil grundsätzlich an dem Vertrag festhalten (vgl. Senat, Urt. v. 11. März 1994, V ZR 48/93, NJW-RR 1994, 1356, 1357). Ein solcher Schwebezustand kann zwar nicht unbegrenzt dauern. Eine Partei kann sich jedoch erst dann von den Bindungen des Vertrages lösen, wenn es ihr nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann, auf die Erteilung der Genehmigung weiter zuzuwarten (Senat, Urt. v. 14. März 1980, V ZR 115/78, NJW 1980, 1691, 1692; BGH, Urt. v. 15. Oktober 1992, IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 651).

Eine möglicherweise lange andauernde Bindung, etwa bis zur Entscheidung über das gegen einen versagenden Bescheid eingelegte Rechtsmittel, wollten die Parteien hier ersichtlich nicht eingehen und zugleich die Ungewissheit darüber vermeiden, wann den Parteien die Loslösung von dem Vertrag möglich sein sollte. Jede Seite sollte schon dann zum Rücktritt berechtigt sein, wenn es mit den erforderlichen Genehmigungen nicht 'glatt gegangen' war und zur Durchführung des Vertrages nunmehr Rechtsbehelfe einzulegen waren. Diese Situation ist hier gegeben.

(2) Bei diesem durch die vertragliche Regelung vorgegebenen Ansatz spielt es keine Rolle, ob der Versagungsbescheid durch Zustellung an die Notarin rechtzeitig oder an die Vertragsparteien selbst verspätet zugestellt worden ist. Denn sowohl in dem einen wie in dem anderen Fall kommt es ohne eine verwaltungsgerichtliche Klärung nicht zu einem Vollzug des Grundstücksgeschäfts. Das ergibt sich aus Folgendem:

(a) Für die Durchführbarkeit eines nach § 144 BauGB genehmigungsbedürftigen Grundstücksgeschäfts ist es gleichgültig, wie ein Zivilgericht über die Frage urteilt, ob der von der Behörde erteilte Versagungsbescheid mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe (§ 41 VwVfG) oder förmlicher Zustellung (§ 1 Abs. 1 VwZG-LSA i.V.m. § 8 Abs. 1 VwZG a.F., jetzt § 7 Abs. 1 VwZG) wirksam war oder nicht. Dafür bedarf es wegen der Grundbuchsperre (s. u.) vielmehr einer positiven Entscheidung der zuständigen Stelle entweder in Form eines genehmigenden Bescheids oder in Form eines Zeugnisses, dass die Genehmigung als erteilt gilt oder das Geschäft der Genehmigung nicht bedarf (vgl. Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl., Rdn. 2477). Dem Vollzug des Geschäfts steht vorliegend immer noch das Hindernis entgegen, dass die klagende Gemeinde nicht bereit ist, einen für die Beklagten positiven Bescheid zu erteilen.

(b) Schon die förmliche Festlegung eines Sanierungsgebiets durch gemeindliche Satzung (§ 142 BauGB) bewirkt für die in diesem Gebiet gelegenen Grundstücke eine Veränderungs- und Verfügungssperre, die durch die Genehmigungsvorbehalte in § 144 Abs. 1 und 2 BauGB sowie die Grundbuchsperre nach § 145 Abs. 5 BauGB i.V.m. § 20 Abs. 2 bis 4 BauGB a.F. (jetzt § 22 Abs. 6 BauGB) abgesichert wird (HK-BauGB/Ferner, BauGB, § 144 Rdn. 2; Krautzberger, Städtebauförderungsrecht, BauGB § 144 Rdn. 1 und § 145 Rdn. 91). Materiellrechtliche Folge der Genehmigungsbedürftigkeit, die sowohl für das Verpflichtungs- als auch für das Erfüllungsgeschäft gilt (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 und 3 BauGB), ist die schwebende Unwirksamkeit des Grundstückskaufvertrags (Senat, BGHZ 23, 342, 344; BGH, Urt. v. 15. Oktober 1992, IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 650) und der Auflassung (Senat, BGHZ 76, 242, 248).

Die verfahrensrechtliche Folge der Grundbuchsperre besteht nach § 20 Abs. 2 Satz 2 BauGB a.F. (jetzt § 22 Abs. 6 Satz 1 BauGB) darin, dass das Grundbuchamt Eintragungen nur vornehmen darf, wenn ihm der Genehmigungsbescheid oder ein Zeugnis vorgelegt wird, dass die Genehmigung wegen Nichtbescheidung innerhalb der gesetzlichen Frist als erteilt gilt. Auch der Nachweis der sog. fiktiven Genehmigungserteilung kann nur in der Form des § 29 GBO durch Vorlage eines nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F. (jetzt § 22 Abs. 5 Satz 5 BauGB) ausgestellten Zeugnisses geführt werden. Das Grundbuchamt darf keine eigenen Ermittlungen anstellen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des Eintritts einer fingierten Genehmigung vorliegen (OLG Frankfurt Rpfleger 1997, 209, 210; Brügelmann/Dürr, BauGB [2008], § 22 Rdn. 48; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB [2008], § 22 Rdn. 58b).

(c) Das Hindernis kann, da die klagende Gemeinde weder zur Erteilung einer Genehmigung noch zur Ausstellung eines sog. Fiktionszeugnisses bereit ist, weil sie von einer fristgerechten Zustellung des Versagungsbescheids an die Notarin als Verfahrensbevollmächtigte (§ 8 Abs. 2 Satz 1 VwZG a.F.) ausgeht, nur durch eine vor dem Verwaltungsgericht zu erhebende Verpflichtungsklage auf Erteilung der Genehmigung oder des Zeugnisses nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F. (jetzt § 22 Abs. 5 Satz 5 BauGB) ausgeräumt werden. Dabei hilft es den Vertragsparteien nicht, dass, worauf der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung - der Sache nach zutreffend - hingewiesen hat, die Klägerin aus dem Vertrag hätte erkennen können, wem der Versagungsbescheid zuzustellen war. Da sie nicht bereit ist, die Genehmigung oder ein Fiktionszeugnis zu erteilen, ist die Situation eingetreten, vor der die Vertragsparteien die Rücktrittsklausel schützen soll. Der L. stand daher ein Rücktrittsrecht zu.

2. Die Klägerin hat das ihr abgetretene Rücktrittsrecht ausgeübt. Der sich danach aus § 346 Abs. 1 BGB ergebende Rückgewähranspruch ist - wie beantragt und von dem Amtsgericht zuerkannt - auf Erklärung der Auflassung und Bewilligung der Eigentumsumschreibung gerichtet, Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises (§ 348 BGB).

a) Allerdings kommt hier in Betracht, dass die Beklagten mangels Erteilung der Genehmigung nach § 144 BauGB nicht Eigentümer der Garagengrundstücke geworden sind, das Grundbuch also insoweit unrichtig ist. Dann stünde der L. ein Grundbuchberichtigungsanspruch nach § 894 BGB zu, der zwar nicht isoliert abgetreten, aber der Klägerin zur Ausübung in Prozessstandschaft übertragen werden konnte. Ist aber der Kläger, bzw. der, dessen Recht er geltend macht, Eigentümer, so steht ihm nach der Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 21. Oktober 2005, V ZR 63/05, BGH-Report 2006, 147, 148) gegen den Bucheigentümer nur der Grundbuchberichtigungsanspruch zu, nicht wahlweise ein Anspruch auf Rückauflassung.

b) Das gilt indes nur dann, wenn sich die Rechtsbeziehung von Kläger und Beklagtem auf das Verhältnis von wirklichem Eigentümer und Bucheigentümer beschränkt. Dann kommt nur ein Grundbuchberichtigungsanspruch in Betracht, kein Anspruch, der eine Erklärung mit Verfügungscharakter zum Inhalt hat.

Hier ist es anders. Rechtsgrundlage für den Anspruch ist das Rückgewährschuldverhältnis, in das sich der Kaufvertrag durch die Rücktrittserklärung umgewandelt hat. Hierfür sieht § 346 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Rückgewähr der empfangenen Leistungen vor. Empfangen haben die Beklagten neben der Eintragung die sich aus der erklärten Auflassung ergebende Rechtsposition. Die Eintragung kann durch die beantragte Bewilligung der Umschreibung rückgängig gemacht werden, die Auflassung durch Aufhebung derselben oder eben auch durch Erklärung der Rückauflassung. Letztere hat für die Klägerin den Vorteil, dass der an sie abgetretene Anspruch auf Rückgewähr der empfangenen Leistung auch dann vollständig erfüllt wird, wenn die Beklagten Eigentümer geworden sein sollten. Sind sie es nicht, geht die Rückauflassung zwar ins Leere, bewirkt aber jedenfalls auch, dass die zugunsten der Beklagten erklärte Auflassung wirkungslos wird.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Roth Vorinstanzen:

AG Merseburg, Entscheidung vom 06.12.2007 - 8 C 170/06 (8-1) -

LG Halle, Entscheidung vom 10.07.2008 - 1 S 5/08 -